aus Kradblatt 1/21 von Marcus Lacroix

Klappe, die Zweite – LS2 legt nach …

LS2 FF900 Valiant II Anfang 2019 haben wir euch den LS2 F399 VALIANT vorgestellt, ein Helm, den ich die vergangen zwei Saisons mit großer Freude gefahren habe. Das Highlight des VALIANT: er ist ein Klapphelm, bei dem sich das Kinnteil um 180 Grad nach hinten klappen lässt und ihn damit zum Jethelm macht. Das Visier wird beim Klappen dabei elegant aus der Spur geschwenkt. Auf unserer Website www.kradblatt.de seht ihr die Mechanik des VALIANT I in Aktion.

Was daran so toll ist? Natürlich kann man auch andere Klapphelme offen fahren – es gibt sogar welche, die ausdrücklich dafür zugelassen sind (P/J Homologation). In der Stadt ist das ok, bei längerer Fahrt stört das aufgeklappte Kinnteil aber oft durch den höheren Schwerpunkt und den erhöhten Winddruck – beim LS2 passt die Balance hingegen. Gerade im vergangenen Sommer, mit seinen hohen Temperaturen, war ein Jethelm sehr angenehm zu fahren. Geht man es flotter an, regnet es doch mal oder wird es kälter, wünscht man sich allerdings einen Integralhelm. Der LS2 VALIANT bietet beides und so habe ich mich sehr darüber gefreut, dass wir den Nachfolger LS2 FF900 VALIANT II, der Anfang 2020 in den Handel kam, auch ausprobieren durften. 

LS2 FF900 Valiant II vs. FF399 Valiant I (rechts)
LS2 FF900 Valiant II vs. FF399 Valiant I (rechts)

Das Grundkonzept mit dem „Flipover“ Kinnteil bleibt beim VALIANT II gleich, LS2 verspricht eine „… sorgfältige Weiterentwicklung des bewährten Klassikers“ die „… als gelungene Evolutionsstufe die Tugenden des Vorgängers perfektioniert“. Um es vorweg zu nehmen: das Ziel wurde leider nur teilweise erreicht.

Die Handhabung des Kinnteils und damit das Highlight funktionieren auch beim Nachfolger einwandfrei. Die Mechanik ist laut LS2 neu, in der praktischen Handhabung spürt man aber keinen Unterschied. Das eh schon große Gesichtsfeld wurde noch etwas erweitert. Ein dünner Windabweiser am Kinnteil verringert Zugluft, zusammen mit dem neuen antiallergenen Innenfutter mit engerem Halsabschluss sollen außerdem die Fahrgeräusche reduziert werden. 

Dem Helm liegt weiterhin ein Pinlock 70 Visier zur Selbstmontage bei. Die Zahl ist übrigens ein Maß für die Antibeschlagwirkung (30/70/120 – höhere Zahl = höherer Beschlagschutz). Der Einbau ist durch die neue Visier­aufnahme deutlich einfacher als beim VALIANT I und vor allem ohne Werkzeug machbar. Das Visier lässt sich jetzt auch zum Reinigen blitzschnell abnehmen und einsetzen. 

Der Spalt für die Lüftungsstellung des ansonsten stufenlos zu öffnenden Visiers fällt etwas kleiner aus, was Zugluft ebenfalls verringert. Ein über einen Schieber an der linken Helmkante bedienbares Sonnenvisier ist weiterhin vorhanden.

Kopfbelüftung LS2 Valiant 2 vs. Valiant 1
Der Schieber der Kopfbelüftung des Valiant I (rechts) ist einfacher zu bedienen

Verbessert wurde auch die Kopf-Belüftung, die Kalotte weist jetzt mehr Lüftungskanäle auf. Ein Rückschritt ist dafür die Betätigung der Belüftung. Zwar sehen die Applikationen auf der Helmoberseite wirklich schick und schnittig aus, mit dickeren Handschuhen sind die beiden kleinen Schieber aber nur schwer zu ertasten. Beim VALIANT I reichte selbst eine grobmotorische Pranke, um den Lüftungsschieber sicher zu bedienen. Gleiches gilt für die Kinnbelüftung, auch da folgt jetzt die Funktion der Form.

Das Material der Helmschale bezeichnet LS2 als „Kinetic Polymer Alloy“ (KPA), eine Eigenentwicklung. Die Polycarbonat-Basis ist laut Herstellerangabe dabei mit Kevlarfasern in Nanogröße verstärkt und erhält somit die gewünschten Eigenschaften: „Ein genau für den VALIANT II definiertes Schalenmaterial mit extrem hoher Festigkeit und gleichzeitig hoher Flexibilität, die bei einem Aufprall einen Teil der Energie abbauen kann.“ Die Flexibilität führt dabei zu einem Nebeneffekt, an dem sich empfindsame Menschen stören könnten: der Helm „knarzt“.  Nicht nur beim Auf- und Absetzen sondern auch beim Bewegen des Kopfes. Bei geschlossenem Kinnteil fällt das Knarzen dabei deutlich geringer aus. Mein VALIANT I macht im direkten Vergleich weniger Geräusche – allerdings hat er auch schon mehr Kilometer auf der Schale, evtl. setzt sich der Neue noch etwas.

Als geringfügig lauter empfinde ich auch das Fahrgeräusch des Nachfolgers – verglichen auf einem Naked Bike, um Störeinflüsse auszuschließen. Zwar baut die Schwenkmechanik schmaler, die stylischen Applikationen heben den Vorteil aber offenbar auf. Eine Geräuschentwicklung hängt allerdings sehr stark von der persönlichen Sitzposition, der Kopfhaltung und natürlich von Verkleidungsscheiben ab, da empfehle ich, wie immer, dringend eine Probefahrt!

Fazit zum Helm: Verbesserung und Rückschritt hält sich in meinen Augen die Waage. Wer einen VALIANT I fährt, hat kaum einen Grund zum Umstieg. Wer den VALIANT hingegen noch nicht kennt, macht weder mit dem I noch dem II etwas falsch, das Konzept überzeugt.

Der LS2 FF900 VALIANT II ist in den Größen XS bis 3XL (2 Schalengrößen) im Fachhandel erhältlich. Das Gewicht beträgt nach Herstellerangabe ca. 1.700 Gramm, gemessen inkl. LINK IN Kommunikationssystem sind es 1.846 Gramm in Größe L. Der Kinnriemen verfügt über ein Rastensteckschloss. 17 schicke Dekore und Farben sind aktuell zum UVP von: 319 € (einfarbig), 339 € (einfarbig matt), 349 € (Dekor) verfügbar, ein Helmsack und ein Transportrucksack sind in im Preis enthalten.

Einbau des Linkin RidePal III in den LS2 FF900 Valiant II
Einbau des Linkin RidePal III in den LS2 FF900 Valiant II

Kommunikationssystem: LS2 hat ein „eigenes“ Kommunikationssystem im Sortiment, das „LINKIN Ride Pal“, das wir ebenfalls zum Ausprobieren von LS2 bekommen haben. 

Beim LINKIN Ride Pal III Bluetooth Headset handelt es sich im Kern um ein  Sena System, das vom Funktionsumfang dem Sena 10R entsprechen soll. Damit sind die meisten Motorradfahrer schon mal gut bedient, denn für gewöhnlich reicht es, die Ansagen vom Navi hören zu können, ab und an mal ein Telefonat zu führen und mit dem Sozius oder dem Mitfahrer zu plaudern. Im Fall des Sena 10R können es sogar bis zu vier Mitfahrer sein.

Wer nicht über zwei linke Hände verfügt, bekommt den Einbau mit etwas Geduld gut selbst hin, alle anderen lassen es besser vom Fachhändler machen. Das schont die Nerven. Nach dem Einbau durfte ich erst mal die aktuelle, deutschsprachige Firmware aufspielen, wofür ein Mac oder PC von Nöten ist. Der Download erfolgt über die LS2-Website www.ls2helmets.com/de. Der LS2 Bluetooth Device Manager gleicht dem Sena Bluetooth Device Manager, dieser erkennt das Ride Pal aber nicht – Firmware mit eigenem LS2-Branding also. Das ist sehr schade, denn die LS2-Firmware steht noch bei Version 1.0 während Sena mit dem 10R bei 1.4 ist. Entsprechend lässt sich das Ride Pal auch nicht mit der Sena-App auf dem Smartphone verbinden – die mault nämlich nach der neuesten Firmware und der Funktionsumfang ist dadurch geringer. Alle Einstellungen des Ride Pal lassen sich aber natürlich auch direkt am Gerät über das Menü vornehmen.

Eine sichere Bedienung des Linkin RidePal III mit Handschuhen ist quasi nicht möglich
Eine sichere Bedienung des Linkin RidePal III mit Handschuhen ist quasi nicht möglich

Eine andere Sache ist es allerdings, die für mich persönlich das LINKIN Ride Pal III praktisch unbrauchbar macht: Bedieneinheit und Akku sind in den Kinngurt integriert. Gut gemeint, mit Handschuhen bin ich allerdings nicht in der Lage, das Gerät zu bedienen – und ohne Handschuhe fährt in Deutschland wohl kaum jemand Motorrad. Theoretisch könnte man iPhone & Co. auch per Sprachsteuerung steuern, diese muss aber für jede Aktion per Knopfdruck am Bedienteil aktiviert werden. Das versucht mal während der Fahrt. „Hey Siri“ funktioniert nicht. LS2 könnte das Problem mit einer Fernbedienung umgehen, so wie Schuberth das beim SCM1 macht (das auch auf Sena basiert) und die es auch einzeln bei Sena zu kaufen gibt. Das klappt mit der alten Firmware aber nicht – ja, ich habe versucht meine Schuberth Fernbedienung zu koppeln, erfolglos. Bleibt also die Hoffnung auf ein Firmeware-Update …

Mit knapp 150 € ist das LINKIN Ride Pal III nicht sehr teuer, die Anschaffung sollte aber trotzdem gut überlegt sein. Wer mit der Handhabung klar kommt oder nur eine Ansage-Funktion benötigt, bekommt ein sehr gut integriertes Kommunikationsystem. Alle anderen finden derzeit bessere Alternativen am Markt.