aus bma 03/03

von Bodo Obier

Am Rand der AlpenWas kann einem an einem Winterabend in einer gemütlichen warmen Küche bei einem Bier schon einfallen? Richtig, eine Motorradtour, und zwar eine mit vielen Kilometern und möglichst vielen Highlights. Also kramten Dieter und ich Straßenkarten und Campingführer heraus, und je später der Abend wurde, umso mehr Orte mussten natürlich unbedingt mit einbezogen werden.
Wir hatten genau eine Woche für unsere Deutschlandtour mit einer Bandit 400 und einer GSF 750 eingeplant. Pünktlich zur Abfahrt Ende Juni regnete es. Typisch norddeutsches Wetter eben. Also Kombi an und lächeln, denn was sollten sonst die Nachbarn denken?
Die erste Etappe verlief über die Autobahn, und zwar bis hinter Köln im Regenkombi. Dann irgendwann rechts raus zur Raststätte, aus der Kombi gepellt und – man glaubte es kaum – Platz nehmen auf der Terrasse. Ach, was war die Welt doch schön! Unser erstes Ziel war der Hunsrück. Wir nahmen die Abfahrt Pfalzfeld, genossen wieder auf der Terrasse einen Hamburger und waren froh, dass wir die Autobahnhetzerei hinter uns hatten. Wir steuerten den Campingplatz „Schinderhannes” an und dachten nach einem Bierchen in der dortigen Gaststätte nur noch ans Schlafen.
Der nächste Morgen war herrlich. Frischer Kaffee, krosse Brötchen und viel Sonne. Herz, was willst du mehr? Also frühstücken, Zelt abbauen, einpacken und ab Richtung Mosel. Herrliche Landschaft, schöne Kurven und vor allen Dingen sehr wenig Verkehr, so dass wir unseren Glücksgefühlen freien Lauf lassen konnten.

 

Über die Hunsrück-Höhenstraße fuhren wir nach Kastellaun, von dort über kleine, sehr kurvige und super zu fahrenden Straßen in Richtung Karden-Treis. Streckenweise begegneten uns keinerlei andere Verkehrsteilnehmer. Cappuccino-PauseVon Karden-Treis ging es parallel zur Mosel Richtung Zell. Hier war Sightseeing mit dem Motorrad angesagt. Im Hinterland rechts und links oberhalb des Flusstales begeisterten uns schöne knackige Kurven, kleine Dörfer und wenig Verkehr. Die Aussicht war unbeschreiblich. Viel Zeit zum Verweilen hatten wir aber leider nicht, denn wir hatten schließlich viel vor. Über die B 421 gen Kappel fuhren wir weiter nach Gemünden durch das Simmertal. Hinter Kirn ging es auf die B 270 quer durch das Nordpfälzer Bergland Richtung Kaiserslautern. Langsam lief uns die Zeit davon. In Kaiserslautern dann Rushhour. Wir nahmen zweimal die falsche Richtung. Bloß raus hier Richtung Hochspeyer. Wieder kamen wir ins Schwärmen. Die B 48 quer durch den Pfälzer Wald ist wie für Motorradfahrer geschaffen. Auf halber Strecke tauchte das Gasthaus „Johanniskreuz” auf, ein in der Gegend bekannter und beliebter Motorradfahrertreff. Wir trafen dort einen Hansestädter, der – Hut ab – auf einem 250er Chopper von Hamburg durch die neuen Bundesländer gefahren war und über Tübingen nun langsam wieder die Heimat ansteuerte. Wir verließen die Bundesstraße und fuhren Richtung Elmsteiner Tal. Diese Ecke muss sehr beliebt sein, ist sie doch an Sonn- und Feiertagen für Motorräder gesperrt. Um 20 Uhr kamen wir endlich an unserem Campingplatz in Dahn an. Rein in die Rezeption, Platz zuweisen lassen und ruckzuck Zelte aufgebaut. Der Abend klang bei herrlichem Pfälzerwein (Kerner) aus.
Sonne und das herrliche Frühstück brachten unsere leicht verkaterten Kreisläufe wieder in Schwung. Wir hatten einen Abstecher nach Frankreich vorgesehen. Eine idyllische, von beiden Seiten mit Wald begrenzte Strecke führte uns durch ein Tal zu einem kleinen Grenzübergang kurz vor Wissembourg. Wissembourg erwies sich als nettes kleines Städtchen mit vielen historischen Gebäuden. Nach einer kurzen Zigarettenpause auf dem Marktplatz ging es weiter. Von der französischen Seite des Rheins hatten wir uns allerdings mehr versprochen. Bis Strasbourg verlief die Straße aus Betonplatten nur geradeaus mit viel Industrie an der Seite.
Strasbourg war natürlich ein Muss. Wir hatten leider keinen Plan und die dreispurigen Straßen bereiteten uns Stress. Wir orientierten uns immer Richtung Stadtzentrum fuhren mehrmals im Kreis, genehmigten uns schließlich einen Cappucino im Straßencafé und drangen nicht weiter in die Innenstadt vor, da wir die bepackten Motorräder im Auge behalten wollten. Aber es gab ja auch noch eine Europabrücke, die wir uns unbedingt anschauen wollten. Ein Flop! Wir fuhren wieder zigmal im Kreis, ehe wir das blöde Ding fanden. So toll war es dann aber nicht. Also wieder weiter am Rhein lang, wo uns aber das gleiche Bild wie vor Strasbourg langweilte. Bloß weg hier…
In Rhinau nahmen wir die nächste Fähre und steuerten ins Badische Weinland. Eigentlich hatten wir noch einen Abstecher nach Colmar vorgesehen, aber wir hatten von Frankreich genug. UrlaubVorbei am Kaiserstuhl fuhren wir Richtung Breisach. Aber halt! Da war doch noch etwas? Richtig, der Badische Wein. Also, rein in die nächste Winzerei-Genossenschaft und die letzten Ecken der Packtaschen vollgepackt. Die lange gerade Schnellstraße von Breisach nach Bad Krozingen hinterließ einen bleibenden Eindruck. Blauer Himmel, Sonne und das Gefühl, man würde geradewegs auf die Alpen zufahren. Irgendwie fühlten wir uns an amerikanische Verhältnisse erinnert und hofften, die Straße würde nie aufhören.
Dann warteten der Schwarzwald, Staufen, Münstertal, Todtnau, Todtnauberg und die Schauinslandstrecke (an Sonn-und Feiertagen für Motorräder gesperrt) auf uns. Kurven, Kehren und wieder Kurven. Wir Nordlichter fühlten uns wie im Paradies und mussten aufpassen, nicht nur die Landschaft anzustaunen, sondern uns auch auf die Straße zu konzentrieren. Abends in Kirchzarten auf dem Campingplatz waren wir erschlagen und die Zelte rasch aufgebaut. Ups, was war das da noch in den Packtaschen? Ach ja, der Wein. Fein!
Aber wie immer im Leben, wenn es am schönsten ist, folgt bald die Ernüchterung. Der nächste Morgen war deprimierend: Regen ohne Ende.
Unser erstes Ziel war der Titisee. Schnell ein Foto gemacht und weiter. Über Donaueschingen, Singen und Radolfzell fuhren wir weiter am Bodensee lang. Wir waren komplett durchnässt. Vor uns auf der B 31/E 54 ein Lkw nach dem anderem. Sicht gleich Null. Hatte man erst einmal mit der Handschuhschmiererei auf dem Visier angefangen, sah man überhaupt nichts mehr. Also Visier hoch. Doch der Regen stach wie tausend Nadeln. Von dieser Bundesstraße mussten wir unbedingt runter. Schade, eigentlich wollten wir uns noch einige Orte am Bodensee anschauen.
In Friedrichshafen bogen wir ab auf die B 30 Richtung Ravensburg, die wir aber wieder verließen, um über Tettnang Richtung Wangen zu kurven. Das Karten lesen war eine besondere Kunst, da die Regenhaube des Tankrucksacks von innen beschlug. Wir mussten immer wieder anhalten, um uns neu zu orientieren.
Herrlich hätte die Strecke über Bad Oberstaufen, Immenstadt und Sonthofen über den Oberjoch-Pass in das schöne Österreich sein müssen – bei anderem Wetter. Es regnete allerdings und so mussten wir den Pass sehr vorsichtig hoch und wieder runter fahren. Österreich musste warten. Wir wollten nur noch möglichst schnell nach Schwangau. Wir hatten schon nicht mehr daran geglaubt, aber kurz vor unserem Campingplatz in Schwangau hörte es doch tatsächlich auf zu regnen. Runter vom Motorrad, trockene Sachen angezogen, nasse Sachen komplett in einen Trockner. Auch der Rucksack hatte nicht dicht gehalten und der Fotoapparat war feucht geworden. Alle empfindlichen Sachen sollte man doch noch extra in wasserdichte Beutel verpacken. Nachdem wir nun trockene Kleidung angezogen und unsere Zelte aufgebaut hatten, sah die Welt schon wieder ganz anders aus. An diesem Abend gab es auf dem Campingplatz einen zünftigen „Bayerischen Abend”.
An der GrenzeMorgens war die Welt wieder in Ordnung. Nun aber los ins schöne Österreich. Von Reutte aus fuhren wir teilweise mit 14 Prozent Steigung zum sehr schönen Plansee, der inmitten der Berge liegt. Am Fähranleger erfuhren wir leider, dass die Straße in Richtung Deutschland aufgrund von Schlammabgängen gesperrt war. So mussten wir auf die wohl sehr schöne Panoramastrecke über den Ammersattel Richtung Ettal verzichten. Also zurück mit 14 Prozent Gefälle. Über Leermoos fuhren wir an der Zugspitze vorbei in Richtung Garmisch-Partenkirchen.
Es tauchten Hinweisschilder auf den Brenner auf. Italien lag nur 125 Kilometer entfernt, stand aber leider nicht auf unserer Reiseroute, sondern Krün, nördlich von Mittenwald. Der Ort erwies sich als Mekka für Motorradfahrer, denn wir trafen Unmengen von Bikern.
Wir hatten vor, über Vorderriß, Aachenpass in Richtung Wildbad Kreuth an den Tegernsee zu fahren. Doch auch diese Straße war leider gesperrt. Wir waren enttäuscht, denn dieses Stück der Gesamtstrecke wäre mit absoluter Sicherheit ein Sahnestück gewesen. Eine Alternativroute für die Strecke fand sich ärgerlicherweise nicht.
Wir brachen nach Bad Tölz auf. Eine Motorradgruppe nach der anderen kam uns entgegen. Kennzeichen aus ganz Deutschland. Kein Wunder: Die Strecke war wunderschön, vor allen Dingen vom Walchensee bis Kochel. Eine Kehre folgte der anderen, langsam schraubten sich die Suzis hoch. Das Panorama war unbeschreiblich. Wir hatten noch einige Kilometer vor uns und ließen uns auf eine Bundesstraßenheizerei ein. Viele große und kleine Orte rauschten an uns vorbei. Viechtach im Naturpark Bayerischer Wald war unser Ziel, wo wir unsere Zelte aufschlugen.
Am Morgen die übliche Prozedur. Frühstücken, Zelte abbauen, alles verstauen und wieder los. Alles verlief nach fünf Tagen ganz automatisch und routiniert, jeder Handgriff beim Zeltabbau und Gepäck verstauen saß.
Wieder hatten wir ein großes Etappenstück vor uns und wollten uns ein wenig vom Bayerischen Wald anschauen. Wir fanden unseren Weg, nicht den kürzesten, aber sehr schöne und einsame Straßen durch dichte Wälder. Manchmal hatten wir das Gefühl, gleich wäre die Welt zu Ende, aber hinter jeder Kurve und hinter jeder Steigung ging es weiter.
Über Bodenmais ging es nach Zwiesel und zum Arbersee, denn den musste ich ja nun unbedingt sehen. Wie oft hatte ich von meiner Frau die Geschichten aus ihrer Jugend gehört, wie sie jedes Jahr im Sommer mit den Eltern zum Arber fuhr. Die Gegend war für meinen Geschmack aber einfach zu waldreich, groß und dunkel, und die Straßen waren nie ganz trocken. Irgendwie hatten wir das Gefühl, in Bayern sollte man mit dem Motorrad spätestens um 18 Uhr von der Straße sein, ansonsten ist man für die Dorfjugend in ihren Golfs und Kadetts Freiwild. Über kurvenreiche Landstraßen ging es vom See Richtung Cham über die Bayerische Ostmarkstraße mit herrlichen Fernblicken Richtung Weiden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, diese Etappe hatten wir etwas zu großzügig geplant, sie nahm und nahm kein Ende. Über Bayreuth, Lichtenfels, Coburg, Bad Königshofen und Bad Neustadt erreichten wir den Richtung Bischofsheim den Campingplatz „Wildflecken”.
Hinter uns lagen 450 Kilometer Tagesstrecke. Doch das hielt uns nicht davon ab, noch hoch zum Kloster Kreuzberg zu fahren. Das Wetter war wieder herrlich und die Strecke hinauf war auch nicht ohne. Oben angekommen gab es erst einmal ein dunkles Klosterbier. Nur eines, so weh es auch tat, denn wir mussten ja schließlich wieder runter. Nach halber Strecke machten wir Pause. Diesen Ausblick mussten wir einfach in Ruhe genießen. Noch ein Foto, noch einen Moment in sich gehen und zurück zum Campingplatz. Vergessen war der Stress des Tages. Unseren letzten Abend ließen wir dann mit ein paar Flaschen des guten dunkeln bayerischen Bieres ausklingen.
Richtung Gersfeld an der Wasserkuppe vorbei ging es am nächsten Morgen nach Hause. Wir erlebten eine angenehme Überraschung: Die B 278 sowie weiterführend die B 84 Richtung Vacha waren traumhaft. Kurven und Steigungen ohne Ende und das war erst der Anfang. Auch der Abschnitt ab Dorndorf Richtung Eisenach machte Spaß ohne Ende. Die komplette Strecke kann ich nur empfehlen. Spaß ohne Ende. Wir waren drauf und dran, hier noch einen Campingplatz zu suchen und einen Tag dranzuhängen, aber die Familie rief nach ihrem Recht.
Wir hatten 2.600 Kilometer in sieben Tagen abgespult, viel Spaß gehabt und viel gesehen. Wiederholen würden wir diese Marathontour zwar nicht, missen wollen wir sie aber auch nicht.