Manchmal werden Träume wahr! Oder frei nach Goethe: Großer Moment, verweile…
aus bma 12/03
Text: Michael Galinski
Fotos: Buenos Dias, Deißler
Anmerk. d. Red.: Michael Galinski, bekannt unter anderem als BMW-Boxer-Cup Pilot, zweifacher deutscher Meister und Inhaber der Firma MGM, durfte zum Saisonende Maschinen der GP-Stars fahren und schreibt exklusiv für den bma hier seine Eindrücke.
23 Jahre aktiver Motorradrennsport mussten vergehen, um wirklich „reinrassige” Werksmotorräder fahren zu dürfen: die Ducati vom Loris Capirossi, die Yamaha von Carlos Checa sowie die Honda vom Valentino Rossi! Ach, ich hätte es fast vergessen. 1987 durfte ich ja schon einmal ran. Beim ersten und ich denke auch letzten 1000 km Langstrecken-Weltmeisterschaftslauf in Hockenheim. Dort durfte ich zusammen mit Martin Wimmer eine Yamaha FZ 750 pilotieren.
Aber kein Vergleich! Ihr werdet meine Begeisterung sicherlich nur annähernd teilen können, als Anfang Oktober Edgar Mielke, seines Zeichens GP-Kommentator bei RTL, bei mir anrief und mich fragte, ob ich nicht Lust und Zeit hätte, die aktuellen Werksmotorräder der GP1 von Ducati, Yamaha und Honda zu fahren und meine Eindrücke für eine RTL-Berichterstattung zu schildern.
Ein relativ nüchternes „Ja, das kann ich wohl machen” bekam ich gerade noch so heraus, bevor es nach dem Auflegen des Telefonhörers förmlich aus mir herausplatzte. Die „Beckerfaust” geballt und ein lautes „Ja!” von mir gebend, begriff ich so nach und nach, dass sich mein Jugendtraum erfüllen sollte.
Gemeint waren:
Die Ducati, mit dem wirklich schön klingenden Desmosedici-Twinpulse-Motor, einem Vierzylinder- L-Motor mit 989 Kubikzentimetern Hubraum und desmodromischer Ventilsteuerung. Die Yamaha YZR-M1, mit ihrem Vierzylinder Reihenmotor und einem besonderen Feature, welches es erlaubt, die Motorbremse völlig auszuschließen sowie die Fünfzylinder-Honda mit dem Codenamen RC 211-V5, mit der Valentino Rossi in diesem Jahr dominieren und die Weltmeisterschaft gewinnen konnte. Alle diese Motorräder leisten zwischen 220 und 240 PS, erreichen je nach Übersetzung eine Endgeschwindigkeit jenseits der 330 km/h-Marke und verzögern diesen Speed mittels Carbonbremsscheiben.
Nach 14 langen Tagen der Vorfreude war endlich der Tag gekommen, an dem ich per Flieger von Hannover in Richtung Valencia (Spanien) aufbrechen konnte. In Begleitung meines nicht weniger rennsport- begeisterten Freundes Boris (dem Leser eventuell als bma-Herausgeber bekannt), kam ich so meinem langgehegten Traum näher.
Am Sonntag, unserem Ankunftstag in Spanien, fand der letzte GP-Lauf dieses Jahres statt und wir waren alles andere als enttäuscht, diesen aus nächster Nähe verfolgen zu können. Besonders das MotoGP-Rennen hatte es mir natürlich angetan. Jene Motorräder, die ich am nächsten Tag fahren durfte und deren Fahrer damit scheinbar so mühelos um die Ecken drifteten. Rossi war an diesem Tag mal wieder eine Klasse für sich! Ich war gespannt, ob ich bei meiner Testfahrt auch nur eine Ahnung davon bekommen würde, dass die Honda zur Zeit das beste Motorrad in der GP ist, oder ob es das herausragende Talent von Valentino Rossi ist, welches ihn von Sieg zu Sieg trägt…
Endlich Montagmorgen! Hier und heute durfte ich zwei der drei Motorräder fahren. Doch zunächst wurden wir zu einem Meeting geladen, in dessen Verlauf die technischen Eckdaten der Yamaha und Ducati vorgestellt wurden. Außer mir waren dort noch acht weitere Teilnehmer, die für ihre nationalen Fernsehsender die Motorräder fahren durften. Erneut wurde mir bewusst, welches Glück ich doch hatte, dieser kleinen Gruppe von Fahrern angehören zu dürfen. Da saßen u. a. Steve Parish (einigen vielleicht besser bekannt als Truck-Rennfahrer), mit dem ich mich in der Vergangenheit bei diversen TT-F1 Rennen duelliert habe und Randy Mamola, der sicher jedem Motorradrennsport-Interessierten ein Begriff ist. Nach unterschriebener Verzichtserklärung und ausgehändigtem Zeitplan stand meiner ersten Fahrt, der mit der Ducati, nichts mehr im Wege.
Man mag sich wohl vorstellen können, was in mir vorging, als ich nun endlich neben diesem Motorrad stand und von Loris Capirossi himself darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Carbonbremsen ein bis zwei Runden bräuchten, um mit der optimalen Temperatur richtig zu verzögern. Ohrenbetäubender Sound brüllte aus den Megaphonen der Duc und ich war froh, an meine Ohrenstöpsel gedacht zu haben. Mit einem etwas unwohlen Gefühl fuhr ich der Boxenausfahrt entgegen und merkte sofort, wie bissig dieser Motor am Gas hängt und wie extrem die Sitzposition des Capirossi-Motorrades ausfällt.
Zweieinhalb Sekunden Vollgasanteil je Runde (und das bevorzugt auf der Geraden) hatte das Datarecording beim Rennen tags zuvor aufgezeichnet. Dies mahnte mich, vorsichtig mit dem Gasgriff umzugehen. Jede kleine Bewegung quittierte die Duc sofort mit einem aufsteigenden Vorderrad, so dass ich jede Menge damit zu tun hatte, wenigstens einigermaßen die Ideallinie zu treffen.
Sehr auffällig war der Umstand, dass das Motorrad für mich relativ unhandlich war und ich es schon mit einem kräftigen Druck in die Kurven einbringen musste. Meine Umgebung kam während der Fahrt so rasend schnell auf mich zu, dass ich froh war, ab der zweiten Runde eine mit zunehmender Temperatur traumhaft wirkende und zu dosierende Bremse zu besitzen. Dieses Motorrad mit der brachialen Kraftentfaltung bekam von mir sofort den Namen „Diktiergerät” und ich war meilenweit davon entfernt, auch nur annähernd die Rundenzeiten zu verwirklichen, die von den GP-Stars am Vortag erreicht wurden. Gerade als ich es geschafft hatte, auf der 900 Meter langen Zielgeraden Vollgas zu geben, bekam ich auch schon das Signal zur Einfahrt in die Box. Schade! Viel zu kurz waren diese vier Runden. Dennoch wich das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht. Erwartungsvoll standen die Ducatisten vor mir und wollten wissen, wie ich diese Fahrt empfunden hatte. „Geil!!!” (Wenn ich es mal so salopp umschreiben darf.)
Etwa eine halbe Stunde später saß ich auf Carlos Checas Yamaha M-1 Boliden und stellte fest, wie handlich dieses Motorrad doch im Vergleich zur Ducati ist. Überhaupt fühlte ich mich wie auf einem guten Superbike, halt nur mit viel mehr Power und besseren Bremsen. Nun hatte ich schon ein feineres Feeling dafür, aus den engen Kehren des Kurses heraus zu beschleunigen: Das Gas so weit aufdrehen, bis das Motorrad mit dem Vorderrad über dem Asphalt schwebte und dann zügig die Gänge durchschalten, bevor sich das Moped überschlug. Die gleiche Vorgehensweise war mir schon zuvor bei den Rennen aufgefallen. Die GP-Stars schalteten in einigen Passagen zwei Gänge in sehr kurzen Intervallen hoch, um kontrollierter die Beschleunigung auszunutzen. Das einzige, was mir an diesem Motorrad nicht gefiel, war die über die Gasgriffstellung gesteuerte fehlende Motorbremse. Mir als sogenanntem Viertaktspezi war diese „natürliche” Bremsung des Hinterrades in der Vergangenheit immer sehr nützlich und könnte auch bei der Yamaha in Verbindung mit einer Antihopping Kupplung – wie sie bei der Ducati oder der Honda eingesetzt wird – sehr gut dosiert werden. Für mich wäre vorstellbar, dass diese Technik im nächsten Jahr wieder geändert wird, wenn Valentino Rossi mit diesem Motorrad wie gewohnt die Ecken andriften möchte…
Auch diese Ausfahrt ging leider viel zu schnell vorüber!
Mit den Yamaha-Technikern saß ich noch am Mittagstisch und ich wurde nicht müde, ihnen meine Eindrücke zu schildern. Es fiel mir schwer, mich von Valencia zu verabschieden und mit dem Mietwagen in Richtung Barcelona zu fahren, wo Honda die Strecke zu Testfahrten gemietet hatte.
Hier sollte ich eine weitere Chance auf ein unvergessliches Fahrerlebnis bekommen.
Es wurde eine recht unruhige Nacht, da mein Kopf nicht abschalten wollte und ich in meinem Halbschlaf noch etliche Runden abspulte. Natürlich mit dem Ergebnis, dass ich im Traum den Rundenrekord mehrfach unterboten habe. Endlich verriet mir das dämmernde Tageslicht, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis ich die Honda auf dem Circuit de Catalunya fahren dürfte.
An der Rennstrecke angekommen war der Testbetrieb bereits in vollem Lauf. Colin Edwards drehte schon fleißig seine Runden. Er wird 2004 als Team-Partner von Sete Gibernau im Honda-Gresini-Team fahren.
Auch in Barcelona wurde vor unseren Testfahrten ein Meeting einberufen. Aber anders als in Valencia wurden hierbei viel weniger technische Feinheiten preisgegeben. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Standzeiten des Motors nicht mehr als drei Runden pro Fahrer hergeben würden und wir diese auch strickt einhalten müssten.
Etwas ernüchtert von diesem eher unterkühlten Einstieg ließ die Freude über die bevorstehenden Runden aber dennoch nicht lange auf sich warten. Und mal ehrlich, welcher sportlich orientierte Motorradfahrer würde nicht umgehend nach Spanien düsen, wenn er auch nur eine Runde die „Rossi-Honda” pilotieren dürfte?!
Endlich war es dann soweit: Auf den Fußrasten stehend, einmal vorn gezupft, einmal hinten, den Helm mit der Hand nach unten gedrückt, fuhr ich in „Rossi-Manier” aus der Boxengasse in Richtung Rennstrecke.
Das spielerische Handling der Maschine fiel sofort auf. Irgendwie fühlte ich mich auf der Honda gleich zu Hause. Eine Spur sanftere Beschleunigung, ein nicht ganz so bissiger Gaseinsatz. War das die sogenannte Fahrbarkeit, die es ausmachte, dass neben Valentino Rossi gleich mehrere Piloten in diesem Jahr das Motorrad so schnell bewegen konnten? Oder hat Honda am Einspritzsetup etwas geändert, so dass ich das volle Potenzial dieses Motorrades gar nicht abrufen konnte? Wie dem auch sei. Zielgenau und immer „Herr der Lage” drehte ich meine Runden. Ich wurde jetzt mutiger und streifte mit meinen Beinen über den Asphalt. Fast hätte ich meinen Bremspunkt verpasst! Fast! Eines war sicher, die Honda vermittelte am wenigsten den Speed, mit welchen man auf die Kurven zuraste.
So gerne hätte ich noch etliche Runden gedreht, immer in der Überzeugung, mit diesem Motorrad auch noch Weltmeister werden zu können…..(grins). Mit etwas Wehmut verließ ich am Abend Barcelona. Aber doch mit der Gewissheit, dass mein Jugendtraum Wirklichkeit geworden war! Oh, großer Moment, verweile…
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