aus Kradblatt 6/21 von Jürgen Becker

Zen und die Kunst aufs Motorrad zu warten …

Robert M. Pirsigs Roman „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“ wurde von 121 Verlagen abgelehnt. Dann zündete das Werk zum Weltbestseller und Kultbuch. Auch die vollelektrische Zero wird von der überwiegenden Zahl der Motorradfahrer noch abgelehnt, eigne sich das teure Spielzeug doch nur für kurze Trips. Doch das ändert sich gerade. Kabarettist und Motorradfan Jürgen Becker machte sich mit einer Zero SR/S auf eine verblüffende Reise über 2.000 Kilometer zu Deutschlands Küsten. 

Jürgen am Strand - ZERO SR/S - 2000 km durch Deutschland
Reisen mit dem Elektromotorrad? Warum nicht?

Der Roman „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“ erschien 1974. Die Mischung aus Autobiographie, philosophischem Essay und Roadmovie berichtet von einer siebzehntägigen Motorradfahrt durch den amerikanischen Nordwesten. Pirsig erzählt darin von einem Vater, der mit seinem elfjährigen Sohn sowie einem befreundeten Ehepaar durchs Land cruist und dabei über gutes und falsches Leben nachdenkt. Das kluge Buch traf einen Nerv.

Nun nerven laute Motorräder und der Widerstand der Anwohner an beliebten Strecken nimmt Fahrt auf. Die sogenannten „Sa/So-Sperrungen“ an Wochenenden nerven wiederum die Biker und die permanenten Umleitungen werden zur Quälerei: Saso-Maso. 

So mache ich mich also – ganz in Ruhe – auf die Reise und denke über gutes und schlechtes Leben nach. Mit einer amerikanischen Zero. Geht das überhaupt? 

Zunächst mal klingt sie so ähnlich wie mein Auto, ein ZOE, ebenfalls voll elektrisch. Es ist mir seit 60.000 Kilometern vertraut. Mit dem ausgereiften Franzosen kann ich in einem Rutsch von Köln bis nach Holland ans Meer fahren, bei Tempo 100 wohlgemerkt. Aber mehr ist in den Niederlanden sowieso nicht erlaubt. Das ist höchst entspanntes Gleiten mit Tempomat und längst kein Abenteuer mehr. 

Doch Motorrädern fehlt der Platz für größere Akkus. Statt der 50 Kilowattstunden des Renaults speichert die Zero SR/S derer lediglich 14,4. Das könnte auf langen Überlandstrecken also eine spannende Herausforderung werden, denn penible Planung lehne ich kategorisch ab. Schließlich komme ich aus Köln.

In Hilden entsteht ein Ladepark
In Hilden entsteht ein Ladepark

Am Kreuz Hilden verlasse ich kurz die A3. Hier plant der Bäckermeister Roland M. Schüren – ein E-Mobility-Fan der ersten Stunde – ein spektakuläres Projekt. Im Gewerbepark direkt am Autobahnkreuz errichtet er mit weiteren Investoren Deutschlands wohl größten Ladepark für Elektro-Fahrzeuge. 

Die Kabel sprießen im Sommer 2020 während meiner Reise bereits aus dem Estrich und Tesla hat schon 16 Ladestationen in Betrieb. Aber da darf die Zero nicht ran. „Tesla macht sein eigenes Ding und lässt niemanden mitspielen“, bedauert Ralf Czaplinski, Country-Manager von Zero. Schade, denn eigentlich ist der junge Motorradhersteller aus Kalifornien Teslas zweirädriger Bruder im Geiste. 

Geschenkt, denn die Zero hat laut Display noch über 100 Kilometer auf der elektrischen Pfanne. Also wieder hurtig auf die A3. In Hünxe ist dann endlich der Ballungsraum an Rhein und Ruhr durchquert und die Autobahnraststätte Hünxe-Ost lockt mit Ladesäulen. 

Wer das Tankstellengelände durch den halblegalen Hintereingang verlässt, stößt nach 500 Metern am Orts­­eingang auf eine Aldi-Filiale. Familie Albrecht hat die Spendierhosen an und gibt mir eine kostenlose Tankfüllung aus. Für die gesparten 3,60 Euro bekommt man im Eiscafé auf dem Marktplatz von Hünxe einen Crêpe und einen Kaffee. Was will man da auf der lauten, teuren und öden Autobahntankstelle? Das Leben kann so einfach sein.

Inzwischen ist die Zero wieder voll geladen. Schon im Stoßverkehr wird das Langsamfahren bis zum Ortsausgang zum Lobgesang des „Simplify your life“. Was war das behutsame Spiel mit Gas und schleifender Kupplung doch für ein anachronistischer Kappes. Der niedrige Schwerpunkt und der sanfte Anzug fördern förmlich das galante Balancieren ohne die Contenance zu verlieren. Am Ortsausgang dann das Gelöbnis: Ab jetzt nur noch Landstraße! 

Mein altes Tom-Tom-Kurvennavi findet auch dort Biegungen, wo eigentlich gar keine sind. Und nun auf leeren, kleinen Straßen die Wucht des Watts genießen. Denn auch mit Gratisstrom von Aldi ist die Zero keinen Deut langsamer. Der Motor stellt sein muskulöses Drehmoment von 190 Newtonmetern ab Drehzahl Eins zum Vernaschen bereit. In gut drei Sekunden schießt die Zero von null auf hundert, ganz ohne störenden Schaltvorgang dazwischen. Das Handgelenk scheint direkt mit dem Hinterrad verbunden, die freigesetzte Kraft feuert bei Bedarf einen furiosen Überholsprint ab, um gleich wieder runter in den legalen Bereich zu verzögern.

Die Rekuperation schiebt dabei so leise wummernd den gewonnenen Strom in den Speicher, dass es eine Freude ist. Gebremst wird nur noch widerwillig, ohne fährt es sich eleganter. Beim Spiel aus Beschleunigen, Verzögern und Lenken gelingt der Flow vielleicht auch deshalb so entspannt, weil kein Getöse die Sinne ablenkt. An dem Gedanken könnte was dran sein: Ich habe mich im Auto schon mal dabei beobachtet, wie ich beim Rückwärtsfahren in sehr enge Lücken das Radio leiser stellte, um nur ja nichts zu übersehen. 

Dangast - die Sperrung für Motorräder konnte bisher vermieden werden
Dangast – die Sperrung für Motorräder konnte bisher vermieden werden

Am Ortseingang von Dangast mahnen Motorradfahrer ihre Kumpels mit einem großen Schild, möglichst leise zu fahren. Auch hier im Nationalpark Wattenmeer droht ein Fahrverbot. Ich hab’s gemacht. Hat aber nichts gebracht, hat keiner gehört.

Ladesäule = Badesäule in Dangast
Ladesäule = Badesäule in Dangast

Dafür belohnt Dangast mit einer E-Tankstelle mit Meerblick. So wird die Ladesäule zur Badesäule. 

Am nächsten Morgen entdecke ich südlich von Hamburg noch eine weitere Übernachtungsmöglichkeit: Zwischen dem Gästebett bei Freunden und dem Hotel rangiert noch das Monteurszimmer. Auch, wenn es außer dem Ladekabel nichts zu montieren gibt. 

Bei „Famila“ in Jesteburg fragt mich ein Harley-Fahrer, wie lange das Laden denn so dauert? „Wenn der Akku ganz leer ist, eine Stunde“, war meine ehrliche Antwort. Er sah es gelassen: „Biker haben doch immer Zeit.“ 

Zeit, die ich aber nicht auf dem tristen Supermarktparkplatz verbringen möchte. Schon 500 Meter weiter lockt die pittoreske „Alte Sägerei“ mit einem sonnigen Frühstück. 

Wer elektrisch fährt, entwickelt einen Sinn für genussvolle Plätze, denn trübe Tankstellen interessieren ja nicht mehr. Wo die Ladesäulen sind, riecht man mit der Zeit: vor dem Rathaus, auf kommunalen Parkplätzen, manchmal auch in den Parkhäusern am Zentrum. Oder eben draußen bei den Discountern. Man kann natürlich auch auf die Ladesäulen-App gucken und sich führen lassen, aber irgendwie erliege ich immer dem Reiz, die Dinger wie bei einer Schnitzeljagd selbst aufzuspüren. Das gelingt meistens – außer in Grevesmühlen. Hier im wilden Osten Meck Pomms hat man die Steckdosen in Laternen an einer stillgelegten Baustelle versteckt. Da kommt man einfach nicht drauf. Hat aber Zukunft! Daneben bietet eine uralte Kastanie paradiesischen Schatten für ein Nickerchen.

Während ich liegend in die raschelnden Blätter schaue, kommt mir alles so unwirklich vor. Ob ich den Sound vermisse? Die bassigen Vibrationen meiner Moto Guzzi? Komischerweise nicht. Woran liegt das? Weit vor dem Motorrad haben unsere Vorfahren Adam & Eva erfunden, um sich die Welt plausibel zumachen. Wurde im Garten Eden nicht jedes Bedürfnis unmittelbar befriedigt? Denn erst als die beiden Nackten aus dem Paradies vertrieben wurden, ging der Stress los. Sie landeten in der ruhelosen Welt mit ihren ständigen Herausforderungen mit dem Unbekannten. 

Umgefallen - kann mit jedem Motorrad passieren
Umgefallen – kann mit jedem Motorrad passieren

Also galt zunächst dauerhafte Ruhe als Bedingung von Glück.

Ralf Konersmann philosophiert in seinem Buch „Die Unruhe der Welt“, wie die westliche Kultur von der Bevorzugung der Ruhe zum Lob der Unruhe überging, diese allgegenwärtige Schwungmasse, die uns heute permanent am Rödeln, Laufen und Fahren hält.

Diese Unruhe hat viele Gesichter. In der Wirtschaft heißt sie Wachstum, im Lifestyle nennt man sie Fitness, in der Geschichte Bewegung und beim Motorrad „Soundklappe“. 

Seitdem müssen wir Menschen permanent auffallen und „Schritt halten“.„Sitzenbleiben“ hingegen steht für schlechte Schulnoten, mangelnden Fleiß oder gar Doofheit. Man bleibt zurück, während die Erfolgreichen weiterziehen. Ich weiß, wovon die Rede ist. Schule war nie mein Ding, war ich doch mit den Gedanken meist ganz woanders.

Wie auch jetzt. Vielleicht sind laute Maschinen – wie meine Moto Guzzi – nur der Versuch, aus der uns beherrschenden Unruhe Entspannung zu produzieren, ohne dabei gänzlich zur Ruhe kommen zu müssen. Die Zero hingegen weist in die Zukunft, obwohl sie an alte Mythen anknüpft. Knüpfen. Ja, knüpfen ist nicht schlecht. Irgendwie erinnert das Reisen mit dem Elektromotorrad an den Flug auf einen fliegenden Teppich. 

Inzwischen habe ich beim Dösen unter der Baumkrone die 100 Prozent verschlafen, der Ladevorgang ist längst beendet. Das E-Motorrad zelebriert den Rhythmus, bei dem jeder mit muss: Wenn man nach zwei Stunden Kurvengewirr und Landstraßentanz eine Pause macht, hat der Speicher noch 40 bis 50 Prozent in petto. Das heißt, eine gute halbe Stunde chillen, dann ist das elektrische Pferd wieder fit für den perfekten Ritt. 

Die Zero liegt wirklich gut, das Fahrwerk bügelt willig über wellige Weiten, gehorcht seinem Reiter zentimetergenau und muss sich hinter keinem von Benzin befeuerten Konkurrenten verstecken. Dazu Dampf ohne Ende bei nur 226 Kilogramm Leergewicht – voll auch. Moderner Motorradbau, wie man ihn haben möchte. Dabei vergleichsweise kompakt, schmaler als ein Vierzylinder-Motorrad, angenehme 79 Zentimeter Sitzhöhe. Die Hinterradschwinge hat ihren Drehpunkt exakt in der Antriebsachse des formschönen Zero-Motors, so dass der die Kraft übertragende Zahnriemen keine Spannrolle braucht. Solch kluge Lösungen passen ins Ziel meiner Reise, denn das malerische Ahrenshoop plante das Politbüro
einst als „Bad der Intelligenz“. 

Hier sollten sich Kulturschaffende von den Mühen des Neuaufbaus erholen. So trafen sich hier Christa Wolf, Berthold Brecht, Hans Eisler, Johannes R. Becher, Helene Weigel, Heiner Müller … die Liste prominenter Urlauber ließe sich beliebig verlängern. Vor allem, wenn man auch bildende Künstler wie Gerhard Marx oder – aus der Vor-DDR-Zeit – Wissenschaftler wie Albert Einstein hinzunimmt. 

Heute trifft man hier Angela Merkel, Gunther Emmerlich oder Henry Hübchen. Die ehemalige Künstlerkolonie gibt ihnen scheinbar, was sie suchen: Ruhe! 

Dazu ein eigentümliches, von den Malern hochgelobtes Licht und von zwei Seiten weites Wasser, den Bodden und die Ostsee. Und natürlich, eben wie im Paradies, auch Nackte. 

Bei Frank und Bodo Krull. Mit der ZERO SR/S 2000 km durch Deutschland
Zu Besuch bei Frank und Bodo Krull

Meine Freunde Bodo und Frank Krull sind in dieser Reetdach-Idylle geboren und aufgewachsen. Daher muss es für die beiden Fahrzeug-Spezialisten gar nicht immer leise sein, sind sie doch technikbegeisterte „Petrolheads.“ In ihrem Meisterbetrieb reparieren sie neben den unterschiedlichsten Gefährten der Urlauber auch Oldtimer aus Ost und West. Nicht wenige Kunden kommen extra aus Hamburg oder Berlin. 

So findet die Zero ihre Steckdose in der vollen Werkstatt direkt zwischen zwei 30-jährigen Preziosen: Einer MZ und einem Bentley. Der englische Landedelmann kostete gebraucht exakt soviel wie die Zero neu. 26.500 Euro muss man für die SR/S inklusive dem unverzichtbaren „Rapidcharger“ und dem praktischen Gepäcksystem berappen. Der Bentley ist zwar ähnlich leise, zieht sich aber Unmengen fossiler Kostbarkeiten durch den 6,7 Liter V8-Motor. So eine 108-Liter-Tankfüllung gibt es bei keinem ALDI oder EDEKA umsonst. Während aber fast alle Zeitgenossen der Zero einen stolzen Preis attestieren, wirkt der mächtige Bentley Turbo R bei exakt demselben Anschaffungspreis wie ein Schnäppchen, kostete er doch neu 306.000 D-Mark. Dafür gab es damals ein ganzes Haus. Oder 150 fabrikneue MZ-Motorräder.

Das duftende Connolly-Leder flüstert mir zu: „Du willst es doch auch!“. So fläze ich mich entspannt auf die ehemalige Millionärs-Rückbank, lasse mich von dem bizarren Ensemble in der Garage zu einem Gedankenstrudel im Intelligenzbad hinreißen.

Tesla only - Schade, das Ladenetz ist exklusiv
Tesla only – Schade, das Ladenetz ist exklusiv

Wirkt das zweieinhalb Tonnen schwere Manufakturauto aus Crewe nicht wie ein Saurier des fossilen Zeitalters? Sind die SUVs von heute wirklich leichter? Hat sich die solide, leichte MZ als Arbeiter- und Bauernmotorrad nicht redlich um den sparsamen Umgang mit Ressourcen bemüht? Die Mangelwirtschaft des Sozialismus beruhte auf einem Plan, der Kapitalismus beruht auf Wachstum. Aber fußten Plan und Wachstum nicht letztlich auf dem Verbrennen von Kohle und Öl? Und das seit über 150 Jahren? Und was sind Kohle und Öl?

Alte Wälder, Plankton, im Grunde in Jahrmillionen gespeicherte Sonnenenergie. Und die verbrennen wir in einem erdgeschichtlich homöopathisch kurzen Zeitraum. Dennoch entdeckten wir Menschen die Auswirkungen unseres Tuns auf das Klima erst spät. Vielleicht zu spät. Insofern trifft jetzt die Klimakrise den Kapitalismus mitten ins Mark. Sein Erfolgsrezept, das Verbrennen uralter Schätze, ist nun obsolet. Denn wenn wir die Erde für unsere Kinder noch halbwegs bewohnbar erhalten wollen, müssen wir sehr schnell klimaneutral werden. Und was ist die einzige Energie, die wir klimaneutral herstellen können? Strom! 

Raus aus dem Bentley, die Zero ist voll. Das erste und einzige Windrad der DDR steht seit Oktober 1989 nur wenige hundert Meter hinter der Werkstatt. Dieser Oldtimer auf dem Deich von Wustrow wird von den Bewohnern gefeiert und gepflegt. Heute liegt der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland bei gut 40 Prozent. Das macht Hoffnung. Da wir aber alles elektrifizieren müssen – Verkehr, Wohnen, Industrie – liegt der Anteil insgesamt erst bei 7,4 Prozent. Ein gewaltiges Stück Arbeit liegt also vor uns. Ohne Energie zu sparen, wird es nicht gehen. Wäre es also nicht vernünftiger, aufs Motorradfahren ganz zu verzichten? Der Intercity hält in Ribnitz-Damgarten, nur eine viertel Stunde von hier. Auch zu viert im Renault ZOE wäre es ökologisch okay. Aber darf Fortbewegung wirklich keinen Spaß mehr machen?

Die Durchschnittstemperatur der Erde hat sich seit 1880 um gut ein Grad erhöht und es gibt keinen Zweifel mehr, dass das mit unserem Verhalten zu tun hat. Die Polkappen schmelzen, die Meeresspiegel steigen. Gerade hier, in dieser vom Wasser umspülten Idylle, sorgen all diese Fragen für wenig Heiterkeit.

Im Grunde bin ich sauer auf die Natur, dass sie uns so ein vergiftetes Angebot gemacht hat. Wir hauen ein Loch in die Erde, und schon sprudelt uns dieser in endlos langer Zeit gereifte Energie-Drink kostenfrei entgegen. Man braucht nicht mal Batterien, diese Energie ist schon gespeichert! Dass intelligente Ingenieure Maschinen bauen, die daraus Kraft erzeugen, hätte sich die Schöpfung eigentlich denken können. Aber machen wir uns nichts vor, so einfach wird das nie wieder!

 Alles was jetzt folgt, wird komplizierter. Ganz gleich, ob Wasserstoff oder batterieelektrischer Antrieb. Außerdem müssen wir beim Blick auf die rohstoffintensive Akku-Produktion erneut die Frage zulassen, ob das nicht schon wieder ein vergiftetes Angebot ist.

In meinem Fall ein sehr verlockendes, denn die Zero mundet dem Motorradfahrer so lecker wie einst Adam & Eva der berühmte Apfel vom Baum der Erkenntnis. Ausgerechnet beim Nacktbaden in der Ostsee fällt mir plötzlich ein, dass ich doch gar nicht das Paradies gesucht habe, sondern das spannende Abenteuer, die Herausforderung mit dem Unbekannten. Nach drei fabelhaften Tagen auf Fischland-Darß-Zingst steht fest: Das muss der Rückweg bieten. 

Mit der ZERO im Tunnel - ungewohntes Sounderlebnis
Mit der ZERO im Tunnel – ungewohntes Sounderlebnis

So ziele ich ins Landesinnere von Mecklenburg-Vorpommern. Das Land ist zwar so groß wie Nordrhein-Westfalen, beherbergt aber nur die Einwohnerzahl von Köln und Aachen. Und die sind scheinbar alle oben am Strand. Hier auf den teilentvölkerten Dörfern fernab der Küste gibt es für den Preis einer Zero schon ein Mehrfamilienhaus. Ladesäulen sind hier nicht das Thema der Stunde. Also rette ich mich im Windschatten eines Transporters bis nach Schwerin. Mit nur noch fünf Prozent Restenergie im Akku lade ich neben einem Wagen mit ebenfalls holländischen Kennzeichen. Wie meine Zero, die in der Nähe von Alkmaar angemeldet ist. Gleich neben der Geburtsstadt Rudi Carrells siedelt die Zero-Europazentrale. In den Niederlanden ist der Tesla Model 3 bereits das meistverkaufte Auto. Mit großem Abstand zum Nächstplatzierten, einem konventionellen VW Polo.

Ob die Zero wohl günstiger wird, wenn auch bei ihr die Stückzahlen steigen? Der vergleichsweise hohe Anschaffungspreis ist momentan ihr größter Schwachpunkt. Doch wie beim Bentley: Das trifft nur auf Leute zu, denen die Knete fehlt. Aber ich will nicht dekadent werden, sondern nur noch kurven. 

Der Teutoburger Wald und das Sauerland werden mit ihren leeren Straßen zum Freudenfest, auch weil nach 2.000 Kilometern die Passung zwischen Mensch, E-Motor und Wegbiegung immer perfekter wird. Ich frage mich, wann ich zuletzt gebremst habe. 

In einigen auf meiner Strecke liegenden Wahlkreisen spiegelt sich das Thema Motorradlärm bereits auf den frisch geklebten Plakaten zur anstehenden Kommunalwahl. Manche Politiker fordern eine Lärm­obergrenze von 80 Dezibel. Aus der Industrie hört man, dass sei technisch nicht zu machen und garantiere das Ende des Verbrennungsmotors im Motorrad. Die Zero zeigt, dass das keinesfalls eine Katastrophe wäre.

Da sich auch wohlhabende Menschen freuen, wenn sie etwas geschenkt bekommen, geht die letzte Ladung wieder aufs Haus. Danke an das EDEKA-Center („E-Center“!) Dumke in Warstein! Als Slogan empfehle ich „Wir lieben E-Motorräder“. Von den gesparten vier Euro gönne ich mir anschließend vor den Toren Kölns noch ein Eis. In Lindlar habe ich mich offenbar verlesen und bestelle einen „Pirsig-Becher“. 

Die Kreation passt zur Zero: Mit ihr kann man zwar keine Kilometer fressen, aber wie Delikatessen verkosten. Wer 1.000 Kilometer am Stück abreißen will, wird an ihr keine Freude haben. Die Beliebigkeit des Zwischenraums ist nicht ihre Philosophie. Sie erzählt eine andere Geschichte. Ob diese besser in die Zeit passt? Wir werden sehen – und hören. Ob der Neugier verblüffter Passanten, die ihren Ohren nicht trauten, verrate ich jetzt jedem soundverliebten Biker ein Betriebsgeheimnis: Auffallen kann man mit einer Zero besser. Das Zeug, dem Kometen Tesla zu folgen, hat sie. Zero, be Hero! 

Fahren mit der Kraft der Sonne

Hier kommen noch Antworten auf die beiden häufigsten Fragen,
denen man als EV-Fahrer unterwegs begegnet:

Wie lädt man?

Auf der gesamten Reise wurden alle Ladestationen durch die von ADAC und EnBw angebotenen E-Charge-Karten freigeschaltet. Einfach dranhalten, und los geht’s. Zur Sicherheit empfiehlt sich noch ein zweiter Anbieter im Reisegepäck, beispielsweise Plugsurfing. Hier gibt es für 10 Euro einen kleinen, flachen Schlüsselanhänger, der ebenfalls kontaktlos funktioniert. 

Alle Ladestationen findet man zuverlässig über Apps. Diese informieren auch über die Preise und darüber, ob die Säule besetzt ist. Man sieht auf einer Karte, ob der Charger nahe am Ortszentrum oder eher außerhalb liegt. Je nachdem, ob einem nach Stadtbummel oder Ruhepause zumute ist. Wer lieber schon zuhause Routen plant, kann dies mit dem speziellen EV-Routenplaner ABRP am Rechner oder per App machen (www.abetterrouteplanner.com)

Wie weit kommt man?

Auf der Autobahn kann man bei Tempo 110 mit rund 130 bis 150 Kilometern kalkulieren. Zur Not lassen sich im Windschatten eines Reisebusses noch viele weitere Kilometer gewinnen.

Auf der Landstraße liegt die Reichweite je nach Fahrweise zwischen 130 und 230 Kilometer. Abhängig von der Anzahl der Ortsdurchfahrten ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 bis 60 Stundenkilometern realistisch. So hat man nach zwei Stunden Fahrt um die 110 Kilometer zurückgelegt. Dann ist der Akku noch mit 35 bis 50 Prozent geladen. Mit dem „Rapid-Charger“ lädt die Zero 12 Kilowatt pro Stunde. Man kann also nach 30 bis 40 Minuten Pause wieder aufbrechen. Zeit gewinnt, wer die Batteriekapazität bis hinunter auf 20 Prozent nutzt und den Ladevorgang schon bei 80 Prozent beendet.

Durch die regelmäßigen Pausen empfand ich bis zu 10 Stunden Reisedauer als angenehm. Das bedeutet Tagesetappen von 400 bis 450 Kilometern.

Ich habe leider keine belastbaren Fakten gefunden, aber mein persönlicher Eindruck in Europa: Das Netz der Lade-Infrastruktur wird Richtung Süden und Osten dünner, Richtung Westen und Norden dichter. Hier wie dort kommen aber ständig neue Stationen hinzu.

Anmerk. d.Red.: eine etwas längere Fassung des Artikels sowie ein Interview mit Jürgen findet ihr online auf www.motorprosa.com. Karten für Jürgen Beckers 2021er Programm „Die Ursache liegt in der Zukunft“ bekommt ihr auf www.reservix.de.


Nachtrag 11/22 – Jürgen Becker mit der Zero auf Tour gibts auch auf Youtube.

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