aus bma 07/03 + 08/03
von Konstantin Winkler
Die berühmteste Holzhütte der Welt.
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Nur wenig später als Indian entstand die Motorradmarke Harley-Davidson, die als einzige in den USA überleben sollte. Es war zwar im Jahr 1901, als sich William Harley und Arthur Davidson in Milwaukee zusammenfanden, aber die erste Harley erschien erst 1903 auf den staubigen Straßen Nordamerikas.
Mit dem „stillen, grauen Kumpel” fing alles in einer Bretterbude an: „Silent Grey Fellow” hieß das allererste Modell wegen des für die damalige Zeit niedrigen Geräuschpegels und der grauen Farbe. Ganze drei, in grundsolider Handarbeit gefertigte Maschinen, verließen im ersten Produktionsjahr die „Fabrik”. Sie hatten einen Zylinder, ein Schnüffelventil, das durch Unterdruck im Zylinder geöffnet wurde, 400 ccm Hubraum und drei PS. Der Treibriemen zum Hinterrad bestand aus Leder. Ein Hebel am linken Lenkerende machte es möglich, den Kraftschluss zu unterbrechen. Eine Kupplung gab es ebensowenig wie ein Getriebe. Gefedert war nur der Sattel. Erst vier Jahre später sollte mit der Springer-Gabel, die sich im Prinzip bis in die 50er-Jahre hielt, für etwas mehr Fahrkomfort gesorgt werden. Ein Jahr später verließen bereits acht Maschinen den Schuppen, 1906 produzierten ein Dutzend Arbeiter bereits 50 Motorräder, und ein Jahr später waren es sogar 150 „Silent Grey Fellows”. Um auf diese Stückzahl zu kommen mussten die nunmehr vier Firmeninhaber, William Harley und die drei Davidson-Brüder, fünf weitere Arbeitskräfte einstellen und das Fabrikgebäude vergrößern. So wurden 1908 über 450 Einheiten hergestellt, 1910 waren es bereits 3.186, und 1912 bauten rund 1.000 Arbeiter mehr als 10.000 Motorräder zusammen. 1909 entstand die erste Harley mit dem noch bis heute typischen 45 Grad-V2-Motor, in dem die beiden Kolben auf einem gemeinsamen Kurbelwellenzapfen auf- und ab gehen. Zuerst hatte das Aggregat 810, später 1.000 ccm Hubraum. William Harley ließ sich die Keilriemenspannvorrichtung patentieren. Ein Hebel links am Tank betätigte mittlerweile die so genannte Rutschkupplung.
Wiliam Harley und die drei Davidson-Brüder.
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1912 war ein Jahr der technischen Neuerungen. Während ein Jahr zuvor schon die Zwei-Zyindermodelle einen neuen Rahmen sowie wahlweise Spulen- oder Magnetzündung bekamen, hatte das neue Modell „61 Kubikzoll X 5 E” die erste kommerziell erfolgreiche Kupplung und einen frei laufenden Hinterradmechanismus. Dieser machte eine Rollenkette als Sekundärantrieb möglich und den bisher verwendeten, bei Nässe rutschenden Treibriemen überflüssig. Auch die Motoren waren moderner geworden. Sie waren wechselgesteuert, das heißt, jeder Zylinder hatte ein kopfgesteuertes Einlass- und ein seitengesteuertes Auslassventil.
1914 führte Harley-Davidson einen Kickstarter ein. Damit fiel das letzte Überbleibsel aus der Fahrrad-Ära, die Pedale, endgültig weg. Zwei Jahre später erschien die Betriebszeitschrift „The Enthusiast” erstmals und ist damit die älteste kontinuierlich herausgegebene Motorradzeitschrift der Welt.
Ab dem Auslieferungsjahr 1916 wurden alle Modelle nach den Jahreszahlen benannt. So hatte das Modell 17 J (17 = Baujahr; J = Spulenzündung) einen längs gelagerten V2-Motor mit 989 ccm Hubraum. Am Zylinderkopf befand sich das hängende Einlassventil, während das Auslassventil seitlich stand. Diese wechselgesteuerten Ventile blieben bis in die 20er-Jahre typisch für die großen Harleys. Eine Kolbenpumpe sicherte die automatische Motorschmierung. Das Dreiganggetriebe, das man mit einem langen Schalthebel an der linken Seite bediente, wurde – ebenso wie das Hinterrad – von einer Kette angetrieben, und der Fuß betätigte die Mehrscheiben-Trockenkupplung. Der Schieber-Vergaser war mit einem drehbaren Lenkgriff verbunden. Das war hochmodern, denn in Europa setzte sich das noch heute gängige Verfahren erst sehr viel später durch. Das 16 PS starke und 147 Kilogramm schwere Motorrad schaffte 105 km/h.
Eine der ersten Harleys.
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Im April 1917 traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein, und in Milwaukee entstanden die ersten Militärmaschinen. Nachdem der Krieg gewonnen war, boomte der zivile Motorradmarkt wie nie zuvor. Die Standardfarbe der Militärmotorräder, das Army Green, wurde noch eine Zeit lang beibehalten und löste das populäre Vorkriegs-Grau ab. Weil die Nachfrage nach den klassischen Einzylinder-Modellen seit Aufkommen der hauseigenen V2-Konkurrenz immer weiter sank, wurde 1918 der vorerst letzte Single gebaut. Erst acht Jahre später sollte wieder ein Einzylinder-Modell im Angebot sein. Die großen Zweizylinder-Maschinen entsprachen besser den Anforderungen des amerikanischen Marktes: robuste und leistungsstarke Motorräder.
Nicht alle Zweizylinder-Harleys waren V-Twins. Das „Electric Sport Model”, Baujahr 1920, war ein Boxer in Douglas-Tradition (längs zur Fahrtrichtung eingebaut). Es wurde allerdings von der konservativen Kundschaft nicht akzeptiert und verschwand 1923 wieder.
1920 gelang es Harley-Davidson, mit 28.000 verkauften Einheiten Indian als Marktführer zu überholen. Mittlerweile gab es 2.000 Angestellte und Vertragshändler in 67 Ländern. Damit avancierte Harley zum größten und erfolgreichsten Motorradhersteller der Welt.
Typisch für die Harleys der 20er-Jahre waren die robusten beiwagentauglichen Fahrgestelle mit Vorder- radkurzschwinge, khakifarbenem und kantigem Tank sowie Tourenlenkern mit Drehgriffen (aber noch ohne Hebel). Charakteristisch waren weiter die Fußkupplung, der links am Tank in einer Kulisse geführte Schalthebel und nicht zuletzt der große Sattel, der mit einer im Stützrohr verborgenen Feder für hohen Fahrkomfort sorgte. Die Motoren waren natürlich weiterhin wechselgesteuert, so wie es die Kundschaft wünschte.
Aus Angst, das Marktsegment an den Hauptkonkurrenten Indian zu verlieren und aufgrund der sträflichen Vernachlässigung in den vorangegangen Jahren gab es ab 1926 wieder Eintöpfe von Harley: die 350-Kubik-Typen A (Magnetzünder) und B (elektrische Zündung mit Batterie) mit den robusten Seitenventil-Motoren sowie die sportlichere Version mit OHV-Technik. Drei Jahre später kam noch eine 500er dazu, das seitengesteuerte Modell C. Der für den Harley-Look so typische tropfenförmige Tank kam mit diesen Maschinen auf.
1928 kam bei Harley eine mit sehr viel Skepsis aufgenommene Neuerung hinzu, die heute selbstverständlich ist: die Vorderradbremse. Aufgrund vieler Unfälle auf den schlechten und oft rutschigen Straßen hielt man sie für zu gefährlich.
Die letzten und ausgereiftesten Harleys mit Wechselsteuerung erblickten 1928 das Licht der Welt. Das Modell 28 JHD gab es mit 1.000 ccm (61 Kubikinch) und mit 1.200 ccm (74 cui). Statt einer wirkten nun zwei Kurbelwellen über Stößel statt über Schlepphebel auf die Kipphebel der Ventilsteuerung. Zusätzlich waren die Ventile mit einer zweiten Feder versehen. Die langhubige 1.200er-Version (87 mm Bohrung und 102 mm Hub) leistete 29 PS und lief 137 km/h.
Vom großen Börsenkrach und der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 blieb Harley halbwegs verschont. Die breit gefächerte Modellpalette vom 350er Single bis zum großen 1.200-ccm-Twin sorgte für knapp 26.000 produzierte Maschinen.
Durch den Konkurrenzdruck von Excelsior (Chicago) und Indian (Springfield/Massachusetts) vorangetrieben, entstand im gleichen Jahr eine seitengesteuerte 750er. Sie war nicht nur moderner, sondern auch billiger herzustellen als die relativ komplizierten wechselgesteuerten Motoren. Die drehfreudigen sv-Aggregate leisteten rund 20 Prozent mehr als die älteren Versionen, außerdem waren sie leiser. Fahrgestell und Rahmen waren neu und verstärkt. Es gab größere Bremsen, austauschbare Räder und auf Wunsch eine handbetätigte Kupplung. 1930 bekam dann auch die große Twin-Maschine einen seitengesteuerten Motor. Wegen der flachen Zylinderköpfe hatte er bald den Spitznamen „Flathead” (Flachkopf) weg.
Allmählich übertrug sich die Weltwirtschaftskrise aber dann doch noch auch auf die Motorradbauer. 1930 sank die Zahl der produzierten Harleys auf 18.000 Stück, ein Jahr später waren es nur noch 10.407. Ganz schlimm kam es 1933: Von 5.690 gebauten Harleys ließen sich gerade einmal 3.703 verkaufen. Auf dem Tiefpunkt der „Großen Depression” tat man alles, um die Absatzzahlen zu verbessern. Statt Army Green gab es nun neue Speziallackierungen mit bis zu drei Farbtönen. Das „Servi-Car”, ein Trike mit dem robustem 750er sv-Motor, ließ sich erfolgreich als Lieferfahrzeug und Polizeimaschine vermarkten. Ab 1935 ging es so langsam wieder bergauf, und in Milwaukee wurde das bis dahin hubraumstärkste Motorrad gebaut: der neue Flathead-Big-Twin VLH hatte 80 Kubikinch – 1.340 ccm Hubraum.
Bis 1936 waren die Zweizylinder-Harleys seitengesteuert. Danach wurden die Flatheads von den berühmten Knuckleheads abgelöst. Der Grund für den neuen Spitznamen: Die Ventildeckel der OHV-Steuerung erinnerten mit ihren Kipphebel-Ausbuchtungen an die Knöchel einer Faust. Die Ventilsteuerung erfolgte durch eine zentrale Nockenwelle, Stößelstangen und voll gekapselte Kipphebel (so genannte Rockerboxen). Der Tacho saß, wie heute noch bei Harley üblich, auf dem Tank. Im Doppelschleifenrahmen saß ein V2 mit zunächst 1.000 ccm und 40 PS. Der kraftvolle und formschöne Motor war von Grund auf neu konzipiert. Eine geschlossene Druckumlaufschmierung (Trockensumpf) ersetzte die veraltete Verlustschmierung.
1941 erschien dann die 1.200er Knucklehead, die den Indianerhäuptlingen aus Springfield (Indian Chief) kaum noch Chancen ließ. Das 48 PS starke und 261 Kilogramm schwere Motorrad brachte es auf eine Spitzengeschwindigkeit von 153 km/h.
WLA Gespann von 1942.
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Im Dezember 1941 traten die USA in den Zweiten Weltkrieg ein und Harley baute natürlich wieder Militärmaschinen. Etwa 90.000 WLA’s (A steht für Army) wurden gebaut. Sie hatten den seitengeteuerten Flathead-Motor mit 750 ccm, eine Springer-Gabel und waren matt olivgrün oder braungrün lackiert. Auch die Rote Armee gehörte zu den Abnehmern. Auf bescheidene 1.000 Stück brachte es hingegen eine andere Militärmaschine. Die XA hatte einen seitengesteuerten 750er Boxermotor und ähnelte stark der deutschen BMW R 12. Sie war die einzige Harley mit Kardanantrieb.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele WLA’s für den zivilen Gebrauch umgebaut, weil es keine anderen Harleys gab. Erst 1947 war eine zivile Motorradproduktion wieder möglich. Ein neuer kopfgesteuerter Motor mit Aluminium-Zylinderköpfen und hydraulischem Ventilspielausgleich wurde vorgestellt. Weil die Form der Ventildeckel an umgedrehte Pfannen erinnerten, nannte man das neue 1.200 ccm-Modell kurz und bündig „Panhead”. Auch das Fahrwerk wurde bald modernisiert. Ab 1949 kam statt der Springer-Gabel eine hydraulisch gedämpfte Teleskopgabel zum Einsatz. Die Maschine hieß fortan „Hydra-Glide”.
Zur gleichen Zeit musste die WLC 750 immer noch mit dem aus den 20er-Jahren stammenden Fahrwerk, bestehend aus Starrahmen und Springer-Gabel, auskommen. Ebenso antiquiert war das seitengesteuerte Triebwerk nebst Dreiganggetriebe. Da das Modell aber robust und zuverlässig war, erschien erst 1953 ein Nachfolger. Die „K”, so hieß die Neuschöpfung, hatte zwar immer noch einen seitengesteuerten Motor mit 750 ccm, aber in Blockbauweise und mit vier Gängen. 30 PS bedeuteten 20 Prozent mehr Leistung als beim Vorgänger. Top modern war das Fahrwerk mit Telegabel und Hinterradschwinge. Die erste Sportster war geboren! Mit 900 ccm wurde aus der K die KH. Das Triebwerk leistete 38 PS bei 5.000 U/min. und brachte die Sportster auf maximal 160 km/h. Das hielt der Motor allerdings nicht auf Dauer aus, betrug der Hub doch sagenhafte 116 Millimeter.
1957 erschien dann die erste kopfgesteuerte Sportster. Der Blockmotor des nun XL getauften Motorrades hatte ebenfalls 900 ccm, war aber durch einen kürzeren Hub (96,8 mm bei 76,2 mm Bohrung) drehfreudiger und standfester. Die Leistung der Sportster-Modelle steig kontinuierlich. Von 45 bis auf 55 PS im Jahre 1963. 1972 kam dann die 1000er mit 60 PS heraus. Nasskupplung, vier Nockenwellen, Graugusszylinder und Köpfe aus Leichtmetall – so wurde die XLH, wie die Sportster inzwischen offiziell hieß, bis in die 80er-Jahre gebaut.
Doch zurück zu den „großen” Harleys. Sie wurden bis 1952 noch mit Fußkupplung und Handschaltung ausgeliefert, ehe gänzlich auf Kupplungshebel am Lenker und Fußschaltung gewechselt wurde. 1958 hielt mit der „Duo Glide” auch bei den großen Twins die Hinterradfederung Einzug.
In den 50ern etablierte sich in den USA eine neuartige Form der Motorradszene: die Outlaws. Das waren junge Wilde, die in verschworenen Biker-Bruderschaften Rebellion und Bürgerschreck spielten. Und sie fuhren natürlich Harleys, umgebaut und laut. Aus einer Presseerklärung, dass 99 Prozent aller Motorradfahrer anständige und gesetzestreue Mitbürger aller Biker anständige Mitbürger wären, entstand aus Protest die Ein-Prozent-Bewegung, die Hells Angels und andere MCs.
Zweitakter waren nie Harleys Stärke, wurden aber dennoch für kurze Zeit gebaut: Der „Hummer” war eine Kopie der DKW RT 125.
Auch beim Motorroller-Boom mischte man in Milwaukee mit. Der „Topper” wurde von 1960 bis 1966 gebaut, hatte einen 165 ccm kleinen Einzylinder-Zweitakt-Motor mit neun PS, Automatikgetriebe und Riemenantrieb zum Hinterrad. 1960 übernahm Harley-Davidson die italienische Firma Aermacchi, die billig zu haben war, weil sie kurz vor dem Bankrott stand. So konnte man auch den Leicht- und Mittelklassemarkt bedienen, in dem die japanische Konkurrenz zunehmend dominanter wurde.
1965 wurde aus der Duo-Glide die Electra-Glide mit E-Starter und 12-Volt-Anlage. Es war das letzte Baujahr des Panhead-Motors, denn nun kamen die „Shovelheads” Der neue Name resultierte wieder aus der Form der Ventildeckel, die wie umgedrehte Schaufeln aussahen. Ansonsten blieb (fast) alles beim Alten: kopfgesteuerter V2-Motor mit 1200 ccm Hubraum, Telegabel, Schwinge mit zwei Federbeinen hinten, großer Tank mit zwei separaten Hälften und dem Tacho sowie dem Zündschloss dazwischen. Nicht zu vergessen die breiten Trittbretter und der gut gefederte Sattel.
FLH Electra Glide Classic von 1980.
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Ab 1969 stand auf den Tanks nicht nur Harley-Davidson, sondern auch das Kürzel AMF für „American Machine and Foundry”. Die Ära, als sich Harley im Besitz dieses Großkonzerns befand, gilt als schwarzes Kapitel in der Firmengeschichte. Die Fertigungsqualität in der Produktion nahm kontinuierlich ab, und hinzu kam eine verfehlte Modellpolitik. Aber immerhin konnte sich Harley-Davidson durch die Übernahme einigermaßen gegen die immer mächtiger werdende japanische Konkurrenz behaupten.
Die 70er-Jahre prägten Modelle mit klangvollen Typenbezeichnungen wie Super Glide, Low Rider und Café Racer. Große Namen für große Motorräder!
Die Shovelhead-Modelle standen eher für Stil und Aussehen als für den neuesten Stand der Motorradtechnologie. Trotz der riesigen Hubräume von 1200 und 1340 ccm war die Leistung der Maschine wegen des langen Hubes, den enorm schwingenden Massen und nicht zuletzt wegen der uneffizienten Luftkühlung stark begrenzt. Wegen strengerer staatlicher Vorschriften für die Geräusch- und Abgaswerte mussten in den späten 70ern Änderungen im Vergaser, an Ansaug-, Auspuff- und Zündsystem vorgenommen werden. Das neue große Luftfiltergehäuse in Form einer Brotdose war das auffälligste äußere Merkmal.
Nicht nur die Harleys änderten sich, sondern auch die Biker. Als die Technologie der Motorräder aus Milwaukee immer mehr nachließ, wurde das Styling alles. Die möglichst lange Gabel machte die Kurvenfahrt unsicher, aber mit dem „Erdnuss”-Tank waren die individuell gestylten Chopper ohnehin keine Kilometerfresser. Für die Fahrer stand in den 70er- und 80er-Jahren Harley für ein Lebensgefühl. Viele kauften sich eine, mit der Absicht, interessanter zu erscheinen, andres als die anderen – ein Outlaw – zu sein. Besondere Merkmale für Anhänger des Mythos aus Milwaukee waren Kutte, abgeschnittene Lederhandschuhe, das mit einer Kette gesicherte Portemonnaie, Cowboy- Stiefel, Tätowierungen, Rauschebart und Bierbauch.
Im Jahre 1981 befreite sich Harley-Davidson durch den historischen Rückkauf von der AMF-Knute und erhob sich anschließend wie Phönix aus der Asche. Die neu konstruierte „Evolution”-Baureihe, die die seit 1965 gebauten Shovelhead-Triebwerke ablöste, war das, was das internationale Motorradherz begehrte: ein moderner und komfortabler Big-Twin, der in ein klassisches Erscheinungsbild gekleidet war. Mehr Leistung, stärkerer Durchzug aus niedrigen Drehzahlen, weniger Vibrationen und geringerer Wartungsbedarf zeichnete die neue Motorengeneration aus. Die alten Graugusszylinder wichen Aluguss, in den Graugusslaufbuchsen eingepasst wurden.
Auch die Sportster-Reihe kam in den Genuss der Evolution-Engine, und zwar mit 883, 1100 und 1200 ccm Hubraum. Die „dicken” Harleys mit getrennter Motor-Getriebe-Einheit hatten hingegen durchweg 1340 Kubik. Die beiden Top-Modelle „Electra Glide Classic“ (FLH) und „Tour Glide Classic” (FLT) brachten fast siebeneinhalb Zentner auf die Waage. Als „King of the Highway” bezeichnet, hatten sie serienmäßig eine riesige Lenkerverkleidung mit zwei Zusatzscheinwerfern, Koffer und Topcase. Besonders populär wurde (und ist heute noch) die „Softail”-Baureihe. Damit wurde jene Harley-Philosophie bezeichnet, bei der an die legendären Starr-Rahmen-Modelle erinnert werden sollte. Natürlich war das Heck gefedert, aber die Dreiecksschwinge schmiegte sich optisch geschickt an den Rahmen an, und die Federbeine versteckten sich unter dem Motor, so dass der Eindruck eines Starr-Rahmens entstand. Für die Kraftübertragung zum Hinterrad vertraute man mittlerweile auf einen wartungsarmen Zahnriemen. Ansonsten passierte nicht viel in den 80er- und 90er-Jahren.
Next Generation – die V-Rod.
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1998 war es dann aber doch soweit: Der seit 1984 gebauten Evolution Engine wurde als Nachfolger der runderneuerte „Twin Cam 88” zur Seite gestellt. Seine Visitenkarte ist der Luftfilterkasten in Form eines amerikanischen Footballs. Die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne gelang. Die neuen Maschinen kannten dank einer Ausgleichswelle unten im Motorblock kein Schütteln und kein Stampfen mehr, und auch die Spiegel wackelten nicht mehr. Eingefleischte Harley-Fahrer winkten allerdings ab. Eine Harley ohne Vibrationen ist wie eine Jeans ohne Nieten, sagen sie. Auch der Sound, der aus dem gesetzeskonformen Auspuff kommt, enttäuschte. Aber Abgasnormen gelten nun einmal auch für Legenden.
Irgendwann hatte es sich dann auch bis nach Milwaukee herumgesprochen, dass im dichtbesiedelten Europa auch noch ein paar Biker unterwegs waren und eine funktionsfähige Bremsanlage kein Schaden sein konnte. Wohl dosierbar verrichten vierkolbige Bremszangen vorne und hinten bei der ersten Neuerscheinung des Jahres 2000, der Softail Deuce, ihre Verzögerungsarbeit..
Pünktlich zur Jahrtausendwende hieß es dann plötzlich: Revolution statt Evolution. Die V-Rod räumte mit 45 Grad Zylinderwinkel und luftgekühlten Zweiventilern mit untenliegender Nockenwelle auf. Sie besitzt stattdessen einen flüssigkeitsgekühlten 60-Grad-V-Twin. Pro Zylinder gibt es vier Ventile sowie zwei von einer Kette angetriebene Nockenwellen. Die elektronische Einspritzung ist ebenso selbstverständlich wie der Ölvorrat im Nass-Sumpf. Mit 115 PS aus 1131 ccm Hubraum zieht die V-Rod am Zahnriemen wie zwei Milwaukee-Alteisen auf einmal und dreht bis 9.000 Upm.
Die Legende lebt. Harley-Davidson, jenes Kultbike, das zu Amerika gehört wie Coca-Cola und Cowboys, wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Damals wie heute verbindet man mit den mächtigen V2-Bikes mehr Lebensart als mit jeder anderen Motorradmarke. Harleyfahren ist mehr als „nur” Motorradfahren – es ist und bleibt eine Philosophie.
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