aus bma 11/02

von Uli Meyer

Land unter am VidourieDas ist es: Bei norddeutschem Schmuddelwetter Anfang Oktober (Luftfeuchtigkeit 120% bei zehn Grad Celsius) auf den Autoreisezug rollen und einen Tag später in Narbonne bei strahlendem Sonnenschein und 25 Grad ankommen! Vor uns liegen zehn Tage Cevennen und Provence.
Wir nehmen die kürzeste Strecke raus aus Narbonne, fahren über Cuxac d’Aude und Cruzy. Im Kurvengeschlängel der Garrique am Col de Trémolis legen wir die erste Pause ein. Auf dem weiteren Weg lernen wir eine landestypische Spezialität hassen: Esskastanien! Sie liegen in Haufen oder als grünlicher Matsch auf den Straßen rum, vorzugweise in Kurven. Kurz vor dem Col de Rodomouis kommen wir auf die N112, die die letzten Kilometer bis St-Pons de Thornieres sehr schön kurvig zu fahren ist. Weiter geht es am Bergrücken der Monts de l’Espinouse entlang bis Bedarieux, hier biegen wir nordwärts ab, um via Luna Lodeve zu erreichen. Von hier rollen wir quer durch Richtung Ganges. Die Strecke von St-Piere de la Fage bis St-Mourice-Nava- celles führt auf einer Hochebene entlang und ist völlig grade. Hinter St-Mourice-Navacelles jedoch geht’s abwärts in den Gorges de la Vis. Als wir endlich unten sind, fällt uns spontan die Kawa Ninja 600-Werbung ein, ungefähr hier muss sie gedreht worden sein. Außer einem Bus, der bereitwillig an einer Stelle Platz macht, an der ein Polo Schwierigkeiten hätte, läuft’s kurvenselig bis Ganges.

 

Hinter Quissac verfranse ich mich völlig und halte munter auf Nimes zu. Als wir – landestypisch – mitten im Weg die Karte zücken, um herauszufinden wo zum Geier wir eigentlich sind, hält ein Franzose, um uns wortreich den rechten Weg zu weisen. Gegen 19 Uhr erreichen wir dann glücklich unser „Basiskamp” Les Olivettes in Saint Dezery. Hier warten Karl-Heinz und Silvia mit einem leckeren Abendessen auf uns. Als Highlight gibt es Huhn mit reichlich Knoblauchzehen. Wir sind begeistert und melden uns am nächsten Morgen für jeden Abend zum Essen an. Dann geht es los!
Erste Station ist Ales, von wo wir weiter Richtung La Grande-Combe fahren. In Cendras verlassen wir die N106 um über kleine und kleinste Straßen via La Baume, Le Cayla und Aubignac nach St. Jean du Gard zu fahren. Hier oben mittendrin in den Cevennen ist es offensichtlich, wie menschenleer die Cevennen sind.
Hinter St. Jean geht es rechts auf die Corniche des Cevennes. Das erste Stück bis zum Col de l’Exil ist suchtgefährdend! Danach geht die Corniche kurvig weiter, um hinter le Pompidu auf einer Hochfläche, bei l’Hospital, ziemlich geradeaus zu verlaufen. Hinter dem Col du Rey geht es wieder kurvig abwärts. In Florac landen wir wieder auf der N106, dieser folgen wir ein kurzes Stück nordwärts, um links in den Gorges du Tarn einzubiegen.
Jetzt, im Oktober, sind kaum Touristen unterwegs und die Buden an der Straße sind geschlossen. Je weiter wir im Tarntal vorankommen, desto mehr Fahrzeuge treffen wir an. Wir nehmen nordwärts den steilen Aufstieg auf die Causse de Sauveterre hinauf, biegen an der ersten Kreuzung links Richtung Barraque de Tremolet ab und dort wieder Richtung Les Vignes. Der Weg führt am Point Sublime vorbei. Hier oben kann man, wenn man das Schild „Vorsicht Vipern” ignoriert, vom Rand aus etwa 400 Meter tief auf den Tarn, die Cirque des Baumes, hinab blicken.
Die bald folgenden Serpentinen nach Les Vignes hinunter gehören mit zu den leckersten der Tour. Auf zwei Kilometern Luftlinie geht es von 900 auf 450 Meter hinunter. Im weiteren Verlauf wird der Gorges immer enger und kurz vor dem Ende laufen wir auf ein Wohnmobil auf, an dem kein Vorbeikommen ist.
In Le Rozier will Norbert den Gorge de la Jonte fahren, weil der auf der Karte nicht so kurvig aussieht und wir ein bischen Zeit gutmachen wollen… Tja, es sieht aber nur auf der Karte halbwegs gerade aus, die Realität ist ganz anders. Merke: Wenn es mehr als 200 Meter geradeaus geht, dann bist du entweder auf einer Chaussee oder nicht in den Cevennen. In Meyrueis wird noch mal getankt und eine kleine Brotzeit eingelegt, um dann auf der D966 den Mt. Aigoual anzugehen. Die letzten 300 Höhenmeter vom Col de Montjardin bis zum Col de la Sereyrède wird es immer nebliger und auf 1300 Metern sind nur noch 20 Meter Sicht. Wir lassen den Berg sausen und fahren abwärts Richtung Le Vigan. Die Abfahrt, die sicherlich bei trockenem Wetter und guter Sicht bärig Spaß macht, ist im Nebel völlig ätzend. Ich klappe das Visier hoch, da es schneller beschlägt als ich wischen kann und blinzel bei Tempo 20 in den Nebel hinein.
Ab Aulas wird es besser und in Le Vigan ist vom Nebel keine Spur mehr zu sehen. Da wir mittlerweile ziemlich spät dran sind, geht es den „direkten” Weg nach Hause. Die Strecke von Le Vigan nach Ganges ist schön kurvig und zügig zu fahren. Ab hier nehmen wir den üblichen Weg nach Les Olivettes – Abendessen!
Am nächsten Tag geht es an die Ardèche. Zum Warmwerden fahren wir erst einmal via Collorques und Mas de Prè nach Foissac. Dort beginnt die erste Kurvenstrecke, die D115. Hinter jeder Kurve sitzt ein Franzose mit orangener Baseballkappe. Wir wundern uns – bis ich beinahe einen Jagdhund erlege. Aaah, Jagdzeit! Das sind alles Jäger, die sich zwecks Unterscheidung vom Wildschwein orange bekleiden! Nur gut, dass neben der R 1100 GS von Norbert meine W650 dabei ist, so werden wir wenigstens gehört!
Pont d'Arc an der ArdecheIn Seynes endet die Kurverei, und wir fahren auf der D6 Richtung Bagnols, aber nur ein kurzes Stück, dann biegen wir links Richtung Lussan ab und fahren auf der D143 weiter. Vor Verfeuil werden wieder köstliche Kurven serviert. Wir verlassen die D143, um auf der D166 Richtung La Roque sur Cèze zu fahren. Die Brücke, über die wir kommen, könnte glatt aus einem Indiana-Jones-Film stammen. Ab St. Martin d’Ardèche (mit ebenfalls schöner Brücke) beginnt auf der D290 der Kurvenspaß der Ardèche. Nach dem ersten Anstieg auf der Haute Corniche kommen wir natürlich auch am meist fotografierten Ort der Ardeche vorbei, der Pont d’Arc. In Vallon Pont d’Arc hat es sich dann erst einmal ausgekurvt. Kurz vor 17 Uhr beschließen wir in Le Vans einen Abstecher in die Cevennen. Es geht Richtung Villefort… Suuuper! Leider wird die Straße immer nasser, und unsere Freunde, die Esskastanien, mischen auch wieder mit. Regen und Nebel weichen uns kaum noch von der Seite.
Am nächsten Morgen brechen wir bei strahlendem Sonnenschein, aber nassen Strassen auf. Wir peilen grob Richtung Südwest an, weil wir zum Gorge de l’Herault hinauf wollen. In Causse de la Serre beschließen wir, auf der D122 wieder via Pégairolles de Buèges nach Arboras zu fahren. Diese Strecke, in der Michelinkarte rotgestrichelt (Route difficile ou dangereux), ginge bei uns zu Hause gerade einmal als Bürgersteig durch, ist aber weder schwierig noch gefährlich, sondern einfach nur schön. In Arboras geht es rechts auf der D9 weiter und über die D130 Richtung Cirques de Navacelles. In La Baume-Auriol sollte man unbedingt anhalten und Kaffee trinken. Der Blick ist einfach toll. Vor 6000 Jahren hat sich die Vis hier selbst das Wasser abgegraben und eine trockene Flussschleife hinterlassen. Als Bonbon hat sie sich auch noch tief in die Hochfläche hineingefressen. Das Café in La Baume-Auriol ist genau am Rand, und man blickt in die ca. 300 Meter tiefe und wohl zwei Kilometer breite Schlucht. Von Le Vigan nehmen wir wieder die fahrerisch schöne Strecke nach Ganges und weiter nach St. Hyppolyte du Fort, ehe wir wieder einen Abstecher in die Cevennen einlegen.
Nach so vielen Gorges wird es Zeit für einen richtigen Berg! Also soll es in die Provence auf den Mt. Ventoux gehen. Karl-Heinz empfiehlt uns, auch gleich den Gorges de la Nesque mit unter die Räder zu nehmen. Er hat nicht zuviel versprochen. Der Gorges ist bis auf einen einsamen Renault leer. Am Rocher du Cire, kurz vor dem Ende des Gorges de la Nesque, halten wir an und überlegen, das ganze noch einmal zu durchfahren. Doch die Landkarte lockt auch mit Kurven hinter Sault den Mt.Ventoux rauf. Die Strecke fängt locker an, um sich immer mehr zu steigern und hinter Le Chalet Reynard wird es richtig serpentinös. Oben angekommen sind wir auf 1912 Metern. Es herrschen etwa sechs Grad und es ist – mal wieder – nebelig. Den radfahrenden Franzosen macht das nichts aus und sie stehen im Radlerleibchen und Hose herum. Aufwärmen können wir uns nicht, da alle Läden und Lokale außerhalb der Saison geschlossen haben.
PicknickRunter geht es die D974 nach Malaucene. Sault liegt auf 758 Metern, Maulence auf 424. Dazwischen liegen 46 Kilometer und eine Höhendifferenz von 2642 Metern. Da wir immer noch nicht genug haben, nehmen wir die D938 nach Süden. In Bédoin sitzen wir bei 25 Grad, Sonnenschein und einem Petit-Noir in einem Café. Kaum zu glauben, dass wir vor nicht mal einer Stunde 1600 Meter höher waren und gefroren haben. Auf dem Rückweg fängt es leider wieder zu regnen an.
Am nächsten Morgen fahren wir nordwärts durch die Garrique. Die Straßen sind nass und bei den Pfützen hilft auch der griffige französische Asphalt nicht viel. Wir suchen eine Alternative: Im Osten liegt die Rhone, die hervorragend als Wetterscheide funktionieren soll. Also biegen wir auf die D4 ab. Pünktlich vor den Serpetinen hinunter nach Bourg St.Andeol hört es auf zu regnen und die Straße wird trocken. Am ersten Parkplatz kommt die Regenpelle runter, ein Blick rüber in die Provence zeigt, dass dort Sonnenschein herrscht.
In Vaison la Romain geht es auf der D938 weiter nach Malaucène. Von hier fahren wir den Weg hinauf, den wir am Vortag vom Mt. Ventoux herunter gekommen sind. Oben ist es noch genau so kalt und nebelig wie gestern, also halten wir uns nicht lange auf und machen uns gleich an den Abstieg. Wir folgen der D974. Die Strecke zwischen Le Chalet Reynard und Ste-Colombe ist extrem verlockend. Das findet wohl auch die Automarke mit dem Stern, die hier gerade diverse Messfahrten unternimmt. Auf dem „Heimweg” umgehen wir Carpentras in einem Nordbogen, fahren aber wie gehabt via Bédarrides, Chàteauneuf du Pape und D17 links über die Rhone. Hinter dem Fluss nehmen wir die D980 und die D975 bis zum Abzweig auf die D4 Richtung Tavel. Wir wollen nochmal durch die Garrique. Kurz vor Uzès gießt es aber wieder wie aus Kübeln. Notgedrungen reduzieren wir unsere Geschwindigkeit und zockeln gen Les Olivettes.
Unser letzter Tag soll uns wieder südwestwärts führen, um noch ein paar ausgelassene Zacken und auch noch auf den Mt. Aigoual zu fahren. Unsere Route: Moussac, D8, Domessargues, D123 und kurz vor Montmirat auf die N110 bis Sommiéres. Von dort rechts auf die D22 und D1 via Galarques, St. Bauzille de Montmel zum Pie St. Loup und dort weiter auf der D122 durch St. Martin de Londres bis Causse de la Selle. Von Ganges fahren wir auf der D999 Richtung Le Vigan und erleben schöne, lange, schnelle Kurven. Auf der D9 in Pont d’Herault geht es rechts auf die D986 Richtung Vallerauque, die Kurven werden enger, die Geschwindigkeit bleibt. Auf der D269 zum Gipfel grüßen uns wieder die Kastanien. Wir fahren vorsichtig über eine etwa fünf Zentimeter dicke Schicht aus nassem Laub, Kastanien und Kastanienpampe. Der Gipfel ist natürlich auch noch im Nebel. Wir machen trotzdem Pause und werden mit aufreißenden Wolken und einem tollen Blick auf die Serpentinen von eben belohnt. Langsam bekommen wir Hunger und beschließen, ins Warme zu fahren, die D18 runter vom Berg und die erste rechts durch den Gorges du Tapoui nach Rousses und von da via D907 nach St. Jean du Gard. Bei der ersten Abbiegung ist St. Jean du Gard ausgeschildert, aber nicht Rousses. Wir biegen rechts rein und durchfahren ein von der Sonne beschienenes Tal. Echte Postkartenidylle macht sich breit. Wir hören Kuhglocken bimmeln, und hinter einer Kurve steht plötzlich ein Bulle auf der Straße. Nachdem Norbert ein bisschen gehupt und ich ein wenig Gas gegeben habe, ist ihm das wohl doch zu laut und er trollt sich wieder auf die Wiese. Bald taucht an einem Bach das Gut Les Fons auf. Über ein rotgestricheltes Stück auf der Karte erreichen wir die D907. Die Straße ist hervorragend. Kurz vor St. Jean du Gard muss ich anhalten, weil ich mir sonst entweder die Ohren abfahre oder vom nächsten Ordnungshüter verhaftet werden würde.
GPS-Reisedaten Unser letzter Tag, wir nehmen Abschied. Wir fahren fast den gleichen Weg zurück wie vor einer Woche hin. Die Ninja-Kurven müssen wir unbedingt noch von unten nach oben fahren. Gedacht, getan und genossen!
Irgendwie muss es eine zusätzliche Jahreszeit geben die „Schottern” heisst, ab Lodeve jedenfalls liegt Rollsplitt auf Schritt und Tritt. In Bedarieux scheint es sich ausgeschottert zu haben, und es geht weiter bis St. Pons de Thornieres. Ab hier folgen wir der D907 – und der Splitt hat uns wieder. Nach dem dritten Auto im Graben werden wir etwas vorsichtiger. Gerade rechtzeitig, denn in der nächsten Kurve wird unser Glück auf eine harte Probe gestellt. Ohne Vorwarnung landen wir auf Schotter, und uns kommt ein 2,8-Tonner entgegen. Kupplung ziehen und durcheiern! In der Mitte ist von den Rädern ein kleiner Schotterdamm aufgefahren worden. Er hält mich netterweise vom Laster fern. Im Rückspiegel sehe ich Norbert und die GS vor dem Lkw geradeaus fahren. Sie taucht auf der anderen Seite heil wieder auf. Ein bisschen zitterig fahren wir weiter und gehen die nächsten Kurven etwas verhaltener an, steigern uns aber bald wieder zur alten Form. Die D907 macht das Ende der Kurven eindeutig klar: Hinter der letzten Biegung auf der Bergkuppe sieht man eine lange Grade die sich bis Narbonne zieht. Am Fuß des Hügels steht ein einsamer Baum, der sich als letzter Rastplatz vor dem Bahnhof geradezu aufdrängt.
Im Zug treffen wir auch bekannte Gesichter von der Hinfahrt wieder und Geschichten werden erzählt. Freitagmittag ist in Bremen Schluss, und die Strecke nach Oldenburg schreit förmlich „Ich will wieder zurück, zurück zu den Kurven!” Cevennen und Ardèche sind ein Paradies für alle, die grinsend aus der Achterbahn steigen, die gerne gut essen und Urlaub mit Motorrad fahren gleichsetzen.