aus bma 8/09

von Pabi

Kawasaki besetzt die Cruiser-Klasse mit dem Traumschiff VN 1700 Voyager, der VN 1700 Classic, der VN 1700 Classic Tourer, sowie dem neuen Light-Cruiser VN 900 komplett neu.

Kawasaki VN 1700 VoyagerEin Rundumschlag, der unter anderem der Euro3 Norm und der daraus resultierenden Notwendigkeit, ein modernes Aggregat mit elektronisch gesteuerter Einspritzung zu erschaffen, geschuldet ist. Klar, dass man dann auch gleich Fahr- und Bodywork in die Renovierung mit einbezieht. Zwar tritt die VN 1700 Serie die logische Nachfolge der VN 1600 an, jedoch basiert der Motor grundsätzlich auf dem Monstergehäuse der VN 2000, ohne allerdings den archaischen Stoßstangen gesteuerten Ventiltrieb des Zweiliteraggregates beizubehalten. Hierfür wählten die Ingenieure die kettengetriebene, oben liegende Nockenwellentechnik der 1600er, die in Verbindung mit dem längeren Hub und der vollelektronischen Drosselklappensteuerung ein Zuwachs an Drehmoment und Spitzenleistung generieren soll. Weitere Gemeinsamkeiten der neuen Cruiserflotte sind der moderne Zahnriemenantrieb mit neuem, schmalerem Carbonfaser-Belt, der bei nur 28mm Breite eine größere Zugfestigkeit als der alte 40er Kevlar-Riemen der VN 2000 aufweist und das Sechsganggetriebe mit zusätzlichem Overdrive. Die Unterschiede der drei 1700er in  Ausstattung und Fahraktivität durften wir bei der Präsentation auf den kurvigen Straßen der südfranzösischen Küstenregion um den Kanal du Midi am eigenen Leib erfahren. Und auch der Light-Cruiser blieb nicht unangetastet.

Kawasaki VN 1700 VoyagerKawasaki präsentiert mit der VN 1700 Voyager ein 404 Kilo schweres Reise-Eisen, das dem Fahrer alle Annehmlichkeiten serviert, die ein richtiger „Passenger” hinter der voluminösen Windjammer-Verkleidung auch erwarten kann.

Instrumente, wie in einem amerikanischen Muscle-Car der 70er Jahre. Rund, in Chrom gefasst, auf’s Nadelstreifen Armaturenbrett montiert. Und natürlich ein richtiges Autoradio mit MP3-Player, den der geneigte Käufer als Präsent dazu erhält, sollte er sich für die Voyager entscheiden. Dazu ein Informationsdisplay im modernen Digitalambiente, das zentral platziert über die Befindlichkeiten der Fuhre unterrichtet. Cruise-Control an der rechten Armatur und die Steuerung für die soundgewaltige Kapelle an der Linken, kann die Reise der Vollbekofferten im vollelektronisch gesteuerten V2-Beat beginnen. Im Preis von 17.990 Euro ist außerdem ein hochmodernes Kombi-Bremssystem mit ABS enthalten, das die Bremsbalance ganz automatisch optimal regelt, egal, welchen der beiden Bremshebel der Fahrer wie stark betätigt. K-ACT (Kawasaki Advanced Coactive-braking Technology) heißt das bei den Japanern aus Akashi. Und funktioniert ganz wunderbar!

 

Kawasaki VN 1700 Classic TourerDie ersten Fahrproben im nasskalten Südfrankreich offenbarten überdies gute Verarbeitung des üppig voluminös ausgefallenen Bodyworks im verspielten Stil der 60er Jahre, überraschende Agilität des neuen Fahrwerks im anspruchsvollen Kurvenparadies, so lange man Cruiser typische Geschwindigkeiten walten lässt und eine überragende Stabilität bei Geradeausfahrten. Doch verdammt, wo sind die Heizgriffe? Und wie viel Mann Besatzung darf ich eigentlich mitnehmen? Wobei wir bei der eigentlichen Crux des neuen Cruiser-Flaggschiffes angelangt wären. Offiziell erlaubte 167 Kilogramm Zuladung reichen gerade mal aus, um den inklusive Ledermontur gut zwei Zentner schweren Kapitän samt einer grazilen Begleitung zu transportieren. Der Rest der Mannschaft und der Proviant, für den eigentlich viel Platz in den voluminösen Koffern gewesen wäre, muss im Hafen zurückbleiben. Ein Umstand, den Kawasaki bei der Zulassungsstelle vielleicht noch mal überprüft lassen sollte.

Untenrum regiert das üppige Drehmoment des neuen V2 Aggregates und verströmt Cruiser typische Gemütlichkeit. Man lauscht dem französischen Liedgut aus den beiden mächtigen Boxen in der Frontverkleidung und möchte eigentlich den ganzen Tag so vor sich hin tuckern. Wenn da nicht dieser flotte Franzose wäre, der auf der 900er Light Cruiser den Speed vorgibt. Schnell schraddeln die gummierten, vibrationsentkoppelten Trittbretter auf dem Asphalt. Handling und Fahrwerk stellen mich bei der flotten Gangart vor keinerlei Probleme. Nahezu unglaublich agil wechselt der Dampfer von einer Schräglage in die Andere. Nur irgendwann setzen auch die, schön symmetrisch und tief unter den Seitenkoffern verlegten Chromtüten auf und geben dann den Radius der Kurve vor. Also besser gemütlich bleiben. Dann bleibt man auch auf der eigenen Fahrbahn und der Chrom am Rohr. Wer die Voyager dem direkten Vergleich mit ihrem (unverkennbaren) Vorbild, der Harley Davidson Ultra-Classic-Elektra-Glide unterzieht, mag einige kleine Defizite ausmachen, sollte aber auch nicht vergessen, dass er sich im Preisvergleich noch locker einen der heutzutage gern verscherbelten netten umweltfreundlichen Kleinwagen zur Voyager dazu kaufen könnte, in dem er dann die Beifahrerin samt Proviant gut unterbringen kann. Natürlich nur für den Fall, dass Kawasaki das mit der Zuladung nicht noch geregelt bekommt.

Kawasaki VN 1700 ClassicDas zweite Mitglied aus Kawasakis neuer VN 1700 Cruiser-Familie hört auf den Namen „Classic”. Schlicht, schwarz, flach und breit, erfüllt die VN 1700 Classic schon auf den ersten Blick vier sehr elementare Anforderungen aus dem Cruiser-Profil. Und mit 12.990 Euro tritt sie auch beim Preis dezenter auf.

Klar, bei einem Cruiser steht der Motor im Mittelpunkt. Es muss ein V-2 sein. Darin sind sich alle Hersteller einig. Dass Hubraum durch nichts zu ersetzen ist, außer durch noch mehr Hubraum, ist allerdings eine Weisheit, die langsam nicht mehr greift. Auf dem VN 2000 Aggregat basierend gingen die Kawasaki Ingenieure diesmal einen Schritt zurück und schenkten lediglich 1700ccm ein. Dafür gibt es genau wie bei der Voyager statt langsam arbeitender Stoßstangen als Ventiltrieb nun die flotten, oben liegenden Nockenwellen des 1600er Aggregates, die in Verbindung mit der völlig neu entwickelten, elektronischen Drosselklappensteuerung für optimierten Gemischdurchsatz und somit, trotz Hubraumverlust, für kultivierte, leistungsgesteigerte, Performance über das gesamte Drehzahlband sorgen.

Anders als bei den Schwestermodellen VN 1700 Classic Tourer und VN 1700 Voyager werden die Abgase durch zwei, gemeinsam auf der rechten Seite verlegte Chrom-Auspuffrohre entsorgt, die den Schalldruck dezent ins Freie entweichen lassen. Umso direkter geht bei der VN 1700 der Antrieb über den neu entwickelten Kohlefaser-Riemen ans Hinterrad vonstatten. Durch die, im Vergleich zu den Schwestermodellen fehlenden Ruckdämpferfedern der Kupplung, sowie einer etwas anderen Abstimmung des Motormanagements, mit schon bei 500 U/min eher anliegenden Leistungsmaxima, bemerkt der Fahrer ein wesentlich ungestümeres Antreten der 345 Kilo schweren Flunder. Drehfreudig und nachdrücklich bollernd setzt sich dieser Schub bis zur Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h durch die deutlich einrastenden 5 Gänge mit nachfolgend extra lang ausgelegtem Overdrive fort. Letzterer wirkt sich nicht nur entspannend auf der Autobahn, sondern auch noch sparsam auf den Verbrauch aus. Die Classic ist zweifellos das Spaßgerät unter den drei neuen Cruisern. Es glänzt mit enormem Druck, spontaner Gasannahme und einer coolen Optik. Besonders, aus der Perspektive des Fahrers, der den unverbauten Blick über den mächtigen Tank, die schön gestalteten Dashboard-Instrumente und die chromifizierte Gabel mit dem wunderbar klassisch eingefassten Scheinwerfer auf die endlosen Kurvenkombinationen vor sich gleiten lassen kann. Der breite Lenker liegt gut in der Hand und auch die Sitzposition ist äußerst komfortabel. Verarbeitungsmäßig setzt Kawasaki mit den Cruisern der VN 1700er Reihe Maßstäbe. Besonders die Verstellmimik der Hebeleien ist äußerst gelungen und macht einen sehr wertigen und stabilen Eindruck, der sich über das ganze Bauwerk hinweg fortsetzt. Schnöde verchromtes Plastik ist so gut wie gar nicht verbaut und sogar die Fender sind aus  Metall gefertigt.

Kawasaki VN 1700 Classic TourerAls drittes Bike im Reigen der neuen VN 1700 Cruiser Familie tritt der Classic Tourer an, den Kompromiss zwischen puristischer VN 1700 Classic und voll ausgestatteter VN 1700 Voyager anzubieten. Preislich liegt sie mit 14.990 Euro jedenfalls schon mal ziemlich genau in der goldenen Mitte.
Cruise Control, großes Windschild, Hartschalenkoffer, Soziustrittbretter und Rückenlehne an die VN 1700 Classic geschraubt und fertig ist der Classic Tourer? Nein, weit gefehlt! Die VN 1700 Classic Tourer ist nämlich gar keine aufgerüstete Variante der puristischen VN 1700 Classic, sondern basiert eindeutig auf der VN 1700 Voyager. Oder umgekehrt! Jedenfalls verfügen beide, Voyager und Classic Tourer, über die gleiche Motorabstimmungsvariante, haben beide den Auspuff schick symmetrisch aufgeteilt links und rechts verlegt und jeweils sechs Ruckdämpfungsfedern in der Kupplung verbaut, die für einen weicheren Übergang in der Kraftübertragung sorgen und unterscheiden sich so in ganz elementaren Bauteilen von der VN 1700 Classic.

Fahrdynamisch birgt der Classic Tourer im Vergleich zu seinen Schwestermodellen keinerlei Überraschungen. Leichtes Handling, gute Spurstabilität. Das Windschild hält dem Fahrer den Regen erfolgreich von der Pelle. Hat aber den Nachteil, je nach Größe des Piloten, durch den um die Scheibe laufenden Keder die Sicht zu beeinträchtigen. Das Teil kann man aber auch einfach abnehmen und in die Asservatenkammer legen. Nicht ganz so schnell und einfach ist das Windschild demontiert. Wer also die Classic Tourer auch mal oben ohne genießen will, sollte es sich rechtzeitig überlegen.

Fazit: Die neue Kawasaki Cruiseroffensive bringt mit den 1700er VN drei wirklich gute und gelungen verarbeitete Motorräder hervor. Klar, der Motor könnte mit seinen 1700 Kubik noch ein bisschen nachdrücklicher anschieben und dies auch durch die Auspuffanlagen deutlicher Kund tun, doch da haben wohl eher die Abgas und Emissionswächter ihre Finger im Spiel, als die Kawasaki Ingenieure. Mit der ultra agilen VN 900 und dem weiter im Programm verbleibenden Dickschiff VN 2000 offeriert Kawasaki eine komplette Flotte an soliden Cruisern, die beim Käufer keinerlei Reuegefühle aufkommen lassen dürften. Man bekommt viel solide Motorradbaukunst für sein Geld. Und gut aussehen tun die neuen Bikes auch!