aus Kradblatt 9/20 von Torsten Thimm, ttmotorbikeblog.com

Supercharge your life!

Kawasaki Z H2, Modell 2020

Langsam schiebt sich die Sonne über die Weinberge und trocknet mit ihren warmen Strahlen den Frühtau der letzten Nacht. Ich stecke den Zündschlüssel ins Schloss, drehe ihn um und schaue dabei zu, wie die Geister im inneren der Kawasaki Z H2 erwachen. Ohne Murren springt der Motor an und hebt zur Begrüßung des Tages erst einmal seine Drehzahl an. Das Szenario dauert einen Moment, aber bis ich mich fertig angezogen habe ist auch der Katalysator wohl auf Betriebstemperatur und die Drehzahl bei einem normalen Stand angekommen. 

Klack, der erste Gang sitzt im Getriebe, so wie ich fest auf der Maschine und die Test­runde kann beginnen. 

An Tagen wie diesem, fällt es mir allerdings spürbar schwer, mich zu 100% auf das Tun unter mir zu konzentrieren, denn die Fülle der Natur hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Gerüche ziehen unter dem geöffneten Helmvisier vorbei, Blicke wandern in die morgendliche Natur, die Sonnenstrahlen und die Kurven der Strecken, die vor mir liegen beschäftigen mich. Doch braucht gerade dieses Bike meine volle Aufmerksamkeit, denn wenn sie (bzw. ich) will, bricht mit ihr eine kleine Hölle los. 

Der Kühler der Kawasaki Z H2, Modell 2020
Viel Leistung braucht viel Kühlung …

Das Motorrad: Somit ist klar, der eigentliche Akteur des Tages ist die 2020er Kawasaki Z H2, die ihren Namen als unverkleidete Ablegerin der Ninja H2 SX und Ninja H2 mit Stolz auf dem hinteren Verkleidungsteil trägt. 200 Kompressor aufgeladene Pferdestärken stehen bei 11.000 Umdrehung im Schein und der Weg durch das Drehzahlband bis dorthin ist gelinde gesagt explosiv und sehr aufregend. Dabei liegen bereits bei 8.500 Umdrehungen satte 137 Nm Drehmoment an, die die fahrfertigen 239 Kilo nach vorne katapultieren. 

239 Kilo klingen nun erst einmal viel, fahren sich aber eher leicht und handlich. Der serienmäßig montierte Quickshifter mit Blipperfunktion ist dabei eine super Unterstützung und schalte zudem butterweich durch das Sechsgang-Getriebe. 

Der Kompressor - Kawasaki Z H2, Modell 2020
Rot leuchtet der Kompressor …

Das Highlight der Z H2 ist natürlich der 69 Millimeter große Verdichter (engl. Supercharger, daher auch Kawas Motto „Supercharge your life!“), der akustisch von rechts unten ein Wörtchen in Form eines fröhlichen Zwitscherns – ähnlich dem früher verwendeter Flachschiebervergaser – mitredet. Das Geräusch entsteht durch den Abbau überschüssigen Drucks über ein Bypass-Ventil. Technisch ist so ein Kompressor natürlich nicht zwingend notwendig – schon gar nicht in einem Naked Bike, wo 200 PS wohl kaum jemals gebraucht werden. Aber er ist etwas Besonderes und er macht sehr viel Spaß. Und das nicht nur, wenn der Z die Sporen gibt, denn das hier beschriebene Szenario ist nur die eine Seite der Medaille. Der Motor, mit seinen vier Fahrmodi, ist auf Wunsch auch einfach nur ein sanfter Geselle und Freund, mit dem man Pferde stehlen könnte. Vibrationen sind ihm fremd und so wird die Fahrt auf der Drehmomentwelle zu einer Genussrunde durch die sanften Mittelgebirgshügel des Odenwaldes. In der verkleideten Kompressor-Schwester Ninja H2 leistet der 998 ccm-Motor übrigens 231 PS, in der H2 R (ohne Straßenzulassung) unglaubliche 310 PS! 

Kawasaki Z H2, Modell 2020Das Technikpaket: Dass selbst sanftes Motorradfahren heute ohne elektronische Helferlein in dieser Klasse offenbar nicht mehr funktioniert, lassen einen zumindest die Serienausstattungen quer durch alle Hersteller annehmen. Kawasaki macht da keine Ausnahme und hat natürlich auch die H2 mit allem versorgt, was dem Fahrer das Leben einfacher und vor allem sicherer macht – schließlich ist man nicht permanent im Blümchenpflückermodus unterwegs. 

Man kann, entgegen aller politischer Korrektheit, lange schwarze Striche auf den Asphalt malen, indem man die Elektronik einfach deaktiviert. Da es den meisten unter uns aber nicht um perfiden Gummiabrieb auf der Straße geht, sondern um kontrollierbaren Vortrieb, dürfte der KLMC (Kawasaki Launch Control Mode, für optimale Beschleunigung aus dem Stand) ein hilfreiches Tool sein. Des Weiteren sind mit an Bord: KTRC (Kawasaki Traction Control), Wheelie Control, KCMF (Kawasaki Cornering Management Function, regelt Bremskraft und Motorleistung bei Kurvenfahrt), KIBS (Kawasaki Intelligent Breaking System = Mehrsensoren-ABS), Electronic Cruise Control (Tempomat), die volle Dosis LED-Beleuchtung, der oben bereits erwähnte KQS (Kawasaki Quickshifter up/down). Außerdem die Fahrmodi Rain, Road, Sport und Rider, der frei konfigurierbar ist, sowie drei weitere Power Modes (Full = 100 % Leistung, Middle = 75 % Leistung und Low mit 50 % Leistung). Wie bei den meisten neuen Kawasaki Modellen steht auch bei der H2 die Kawasaki Rideology APP zur Verfügung, sodass man auch hier auf seinem Smartphone allerlei Fahrzeugdaten abfragen, Touren tracken und Einstellungen am Bike vornehmen kann.

Kawasaki Z H2, Modell 2020
Wie du willst: Sanft oder hart auf der Landstraße …

Das Fahrwerk: Was dem einen oder anderen Redakteur bei der Vorstellung der Maschine auf dem Las Vegas Speedway zu weich vorkam, ist hier im Odenwald und im echten Fahrleben genau richtig. Kein glatt gebügelter Asphalt bedeutet, das Fahrwerk sollte arbeiten können und nicht knochenhart jede Bodenwelle an den Piloten durchreichen. Die Wirbelsäule dankt es und insgesamt wird aus der H2 damit ein top sportlicher Tourer. Die Abstimmung kann man nach seinem Gusto sehr gut manuell anpassen. Die voll einstellbare Showa-Gabel mit 41 Millimetern Standrohrdurchmesser und das Federbein lassen auf der Landstraße keine Wünsche offen – außer vielleicht den eines Handrades à la Ninja 1000 SX, bei der man hinten nicht fummeln und auf die Knie gehen muss, um die Federvorspannung passend zu justieren. Stabil verpackt und aufgehängt ist das alles in einem steifen Gitterrohrrahmen aus hochfestem Stahl. 

Auch was die Bremsen angeht lässt die Kawa mit den bewährten Brembo-Monoblock-Vierkolbenbremszangen M4.32 inklusive Nissin-Bremspumpe keine Schwächen zu, bzw. keine Wünsche offen. Wer den Anker einmal richtig wirft, der steht oder fühlt sich beim Anbremsen in die Kurve in gut dosierten Händen. Als Fahrer wird man jedenfalls in keinster Weise überfordert und behält stets die Kontrolle über das Geschehen zwischen Maschine und Straße. Dabei ist es mir lieber, das ABS regelt ein Millisekündchen früher als zu spät, denn wir sind ja hier nicht auf der Rennstrecke, wo es vielleicht wirklich auf die Millisekunde ankäme. 

Das Cockpit der Kawasaki Z H2, Modell 2020
Zeitgemäß digitales Cockpit

Die Ergonomie: Ein wichtiger Aspekt ist auch die Ergonomie, denn sind wir mal ehrlich, was nützt uns das schönste Motorrad, wenn man nach 80 Kilometern seinen Hintern nicht mehr spürt, die Finger kribbeln, oder die Schultern den Dienst versagen, weil die Lenkerkröpfung einen in eine komische Körperhaltung zwingt. Mir persönlich ist der Lenker der H2 etwas zu schmal und ich hätte ihn gerne ein Stück näher bei mir gehabt. Das ist aufgrund meiner eher geringen Körpergröße aber mein Empfinden und ich möchte behaupten, dass 90 % der Fahrer mit dem Serienlenker der Kawa sehr zufrieden sind. 

Linke Lenkerarmatur der Kawasaki Z H2, Modell 2020
Intuitive linke Lenkerarmatur

Die Schaltergruppen an den Lenker­enden sind intuitiv aufgebaut und nach kurzem Eingewöhnen leicht zu bedienen. Die Handhebel der hydraulischen Kupplung und Bremse sind kawatypisch beide einstellbar und bieten so Kurz- wie auch Langfingern den passenden Abstand. Der Sitzplatz ist straff gepolstert, aber keineswegs tourenunfreundlich. Außer der Standardsitzhöhe (830 mm) steht auch noch ein um 20 mm höherer „Comfort Seat“ für 170 Euro zur Verfügung. Den Sozius konnte ich nur probeweise selbst mal kurz besetzten, fand ihn aber eher klein, was den im Zubehör erhältlichen „ERGO-FIT™ Comfort Passenger Seat“ (+10 mm) für 133 Euro rechtfertigt. 

Und das Cockpit? Naja, die Zeit von drehenden Zeigern in schön gestalteten Runduhren ist bis auf wenige Ausnahmen vorbei. Digitale Panels bestimmen das Design und auch die H2 hat eins davon an Bord. Es kann wirklich alles was es soll und noch vieles mehr. Das tut es emotionslos wie, bei allen anderen Herstellern auch, und passt für meinen Geschmack damit eigentlich so gar nicht zum Wesen der H2, die ihre Emotionen gerne auf den Fahrer überträgt. 

Heckansicht - Kawasaki Z H2, Modell 2020 Fazit des Tages: Ja, auch die schönste Tour geht einmal zu Ende, zumal wenn einem selbst das Motorrad nicht gehört und es nur eine Leihgabe (in diesem Fall von der Firma 2rad-Tech aus Großostheim) war. Die Kawasaki Z H2 hinterlässt bei mir einen sehr guten Eindruck und erlaubt sich nur wenige Schwachstellen. Eine davon ist das fummelig einzustellende Federbein, wo Kawasaki die passende Lösung dafür bei der Ninja 1000 SX doch längst umgesetzt hat. Komfortablere Alternativen gibt es dann im Zubehörhandel. Der Auspuffendtopf ist mit Sicherheit nicht der Schönste seiner Art, erfüllt mit 93 dB (laut Fahrzeugschein) aber alle zurzeit geltenden Vorschriften und ermöglicht auch die Einreise nach Tirol (siehe 95 dB Begrenzung seit 7/20 auf bestimmten Strecken). 

Für mich war es ein Erlebnis mit den 200 kompressorgeladenen PS quer durch die Kurvenlandschaft meiner Heimat zu fahren und das vorwiegend im führerscheinfreundlichen Roadmodus. Meine Empfehlung für die H2 ist daher, einfach selbst mal testen und sich ein Bild von dieser Maschine machen. Sie kann sowohl Dr. Jekyll als auch Mr. Hyde sein und beides mit gehörigem Spaßpotenzial. 

Ach ja, das habe ich fast vergessen: Als V-Max gibt Kawasaki 267 km/h an. Ausprobiert habe ich es, mit Rücksicht auf meine Nackenmuskulatur, nicht, das dürfen andere testen.

Die Preise starten in Deutschland für die ganz schwarze Variante bei 17.053,95 Euro, gehen über die von mir gefahrene Schwarze mit rotem Rahmen für 17.492,61 Euro bis hin zur grün gerahmten Ausführung für 17.687,56 Euro, jeweils inkl. Überführung und den aktuell noch bis Jahresende gültigen 16 % MwSt. Das sind natürlich nur Grundpreise, denn auch Kawasaki hat mittlerweile ein reichliches Sortiment an möglichen Individualisieungsmaßnahmen im Portfolio.