aus bma 07/02

von Michael Fromm

Im Spätsommer hatten Jost und ich endlich eine gemeinsame freie Woche für unsere seit langem geplante Englandfahrt. Mit der Zahlung einer saftigen Summe (772 DM p.P. für Hin- und Rückpassage, Innenkabine mit Dusche/WC, Doppelstockbett, Motorrad) hatten wir die Reederei DFDS Seaways dazu bewogen, uns mit nach Harwich zu nehmen. In den sieben Tagen haben wir auf meist wenig befahrenen Land- und Nebenstraßen knapp 2.000 Kilometer durch die Grafschaften Berkshire, Avon, Devon, Cornwall, East Sussex und Kent zurückgelegt – Verkehrsprobleme und Staus gab es nur am sogenannten Bank Holiday, dem 25. August.
Jost auf seiner Moto Guzzi 850 T4 (gebaut 1983, EZ 1985), die u. a. mit Transistorzündung und Bleifrei-Umrüstung ausgestattet worden war, und ich auf meiner Honda CB SevenFifty (1998) gewöhnten uns schon nach den ersten Meilen an den Linksverkehr auf der Insel. Und auch die zahlreichen Kreisverkehre wurden uns schnell sympathisch, denn durch diese vermeiden die Engländer konsequent Ampelkreuzungen und ebenso lästige wie unnötige Wartezeiten.
Zügig über die Landstraße 12 und den „Orbital” genannten Autobahnring nördlich an London vorbei machten wir erste Rast im reizenden Henley on Thames. Hier schien an einem kleinen Yachthafen an der Themse und auf dem nahegelegenen Bowling Green die Zeit stehen geblieben zu sein. Ältere Herrschaften vertrieben sich auf einem sprichwörtlichen englischen Rasen die Zeit vor dem Five-o-clock-Tea mit einer Art Boccia.

 

Der weitere Weg führte über die landschaftlich schöne Landstraße 4 über Marlborough und Chippenham zum ersten Etappenziel: Bath. Dort fanden wir – wie mit wenigen Ausnahmen auf der gesamten weiteren Reise – völlig unkompliziert „Bed and Breakfast” (B & B). In allen etwas größeren Ortschaften bieten Privatleute vor allem an Ein- und Ausfallrouten, aber auch in ruhigen Seitenstraßen der Ortsmitte, Gästezimmer nach Art einer Pension an. Wir mussten nur auf Schilder in Fenstern oder an der Straße achten. Ausstattung und Preise sowie Qualität und Zusammensetzung des Frühstücks variieren. Wir haben immer zwischen 25 und 35 engl. Pfund pro Nase gezahlt und bekamen nach Wahl das typische englische Frühstück mit Eiern, Toast, Cereals und Tee oder Kaffee.
Bath ist römischen Ursprungs, gründet sich auf die seit über 2000 Jahren sprudelnden heißen Quellen und hat dies für Besucher angenehm aufbereitet. Ein Besuch der „Roman Baths” sowie ein Rundgang durch die Stadt, z. B. zur Pulteney Bridge über den Avon, lohnen!
Von Bath aufbrechend nahmen wir Kurs auf die Küste am Bristol Channel, wählten aber zunächst zwischen Midsomer Norton und Shepton Mallet kleine Straßen. Ein Umweg, der uns mit idyllischen Wegen in ländlicher Umgebung belohnte.
Auch der Exmoor National Park lohnte den Weg: wenig befahrene und kurvige Straßen, in deren Verlauf man bei entsprechender Streckenplanung bei Exford den namensgebenden River Exe überquert.
Unser nächstes Tagesziel Lynton lag oberhalb des Küstenortes Lynmouth – beide Orte sind durch eine Standseilbahn verbunden. Wie die Höhenunterschiede schon vermuten lassen, gibt es hier sogar kleine Serpentinenstraßen, mit denen die wunderschöne Küste erschlossen ist. Am Abend konnten wir vor dem Hafen-Gasthaus in Lynmouth ein Bier nehmen, Stimmung und Ausblick genießen und unser B & B anschließend bequem mit der Standseilbahn erreichen.
Nach dem Frühstück folgten wir dem weiteren Verlauf der kleinen Küstenstraße 39 an der Woody Bay über Ilfracombe nach Barnstaple. Die nette Gegend konnten wir dann leider übergangsweise nicht uneingeschränkt genießen, weil die Guzzi rumzuzicken begann. Bei einigen Zwangsstopps wurden nach nochmaliger Kontrolle des Ventilspiels der lockere Kontakt eines Zündkabels, Unterdruck im Tank sowie ein loser Kabelschuh in der Elektrik als Ursachen nach und nach ausgemerzt.
Nächste Übernachtungsstation war Redruth. Die Stadt war früher ein Zentrum des Kupfer- und Zinnbergbaus. Nach einem Frühstück, von dem auch mehrere Bergarbeiter satt geworden wären, ließen wir das Städtchen hinter uns und wandten uns über den Hafenort St. Ives und die nördliche Küstenstrasse durch hügelige Gegend über Zennor und St. Just nach Lands End. Zwar kosten Parkplatz und Areal Eintritt und Spielautomaten sowie Souvenirläden ziehen Scharen von Besuchern an, aber der Abstecher lohnt dennoch: Das felsige Kap bietet eine bizarre Granitlandschaft, und außerdem handelt es sich schließlich um den westlichsten Punkt der englischen Insel.
An der Südküste an einer Bucht bei Porthcurno liegt das in den Fels gehauene Minack Theatre. Über den malerischen Fischer- und Hafenort Mousehole erreichten wir dann Penzance. Bevor wir uns zur Ruhe betteten, genossen wir noch einen Imbiss am Hafen. Man musste während der ganzen Reise oftmals darauf achten, nicht zu spät Essen zu gehen. Denn bereits ab 21 Uhr kann es problematisch werden, Restaurants oder Pubs zu finden, in denen man noch etwas zu Essen bekommt. Ab 22 Uhr schien es selbst in einigen größeren Orten unmöglich, noch angemessen einzukehren.
Beim folgenden Streckenabschnitt nach Salisbury wählten wir eine südliche Route, die über die Landstraßen 394, 39 und 390 zum Dartmoor National Park führte. Einem Abstecher nach Tavistock am Eingang des Nationalparks schloss sich die Fahrt durch das Hochmoor an. Außer Schafe und Kühe sowie wenige Touristen sahen wir keine Warmblüter.
Die Landschaft war zum Teil in Nebel gehüllt, sonnige Momente wechselten mit diesig-düsteren Szenarien, in denen die Temperatur gleich spürbar abfiel. Das Dahingleiten mit den Motorrädern war reiner Genuss. Mitten im Dartmoor liegt der Hauptort Princetown, wo von dem seit 1850 als Zuchthaus benutzten Gebäudekomplex eine beklemmende Aura ausgeht.
In Salisbury ist natürlich die nachts angestrahlte Kathedrale eine eindrucksvolle Sehenswürdigkeit. In dieser Stadt fanden wir auch am späteren Abend noch belebte Kneipen und Bars, in denen wir den Tag bei englischem Bier ausklingen ließen.
Am folgenden Tag fuhren wir auf der Landstraße 27 über das Seebad Brighton an die Kanalküste in Richtung Dover. Brighton bietet zwar einige nette Plätzchen und verfügt über eine ausgedehnte Uferpromenade mit eindrucksvollen Häusern, es war jedoch dermaßen viel Verkehr und so heiß, dass wir uns schnell wieder vom Acker machten.
Bis zum Abend gondelten wir an der Südküste durch die so genannte Englische Riviera und versuchten, in der Nähe von Canterbury ein B & B zu finden. Dieses Mal allerdings bissen wir uns die Zähne aus, denn nach intensiver Suche auch in der näheren Umgebung mussten wir doch bis zu einem kleinen Ort bei Ashford ausweichen, wo wir dann allerdings ein sehr angenehmes Haus fanden. Den letzten Tag verbrachten wir mit einem Stadtrundgang in Canterbury einschließlich der Besichtigung der Kathedrale. Leider hatte die Polizei etwas an unseren Parkplätzen auszusetzen. Als wir wieder aufbrechen wollten, fanden wir sorgfältig in Plastiktütchen gelegte Tickets über 30 Pfund am Gasgriff. Wieder Zuhause in Hamburg rang die Versuchung (wegen 30 Pfund werden die sich doch sowieso nicht nach Deutschland wenden!) mit dem Gewissen (bei der nächsten Einreise wird bestimmt das Motorrad konfisziert!). Der Betrag wurde dann doch telefonisch per Kreditkarte bei einer sehr freundlichen jungen Frau der Polizeiverwaltung Canterbury gezahlt…
Auf der letzten Etappe zurück nach Harwich mussten wir uns dann ein bisschen sputen, weil wir bei der Umfahrung Londons eine Abfahrt verpassten und im Stadtverkehr Zeit verloren hatten. Ins Schwitzen konnten wir aber nicht kommen, weil es mittlerweile nachhaltig und in Strömen angefangen hatte zu regnen. Wir erreichten die Fähre schließlich doch noch so rechtzeitig, dass wir sogar noch etwas Proviant an der Tankstelle besorgen konnten.
Bewährt hat sich die Mitnahme eines Handys: Unsere Mobiltelefone haben sich jeweils unproblematisch in die örtlichen Netze der Kooperationspartner der deutschen Netzbetreiber eingeloggt. Von unseren Gastgebern sind wir immer offen und liebenswürdig aufgenommen worden, die meist englischen Reisenden die wir trafen, waren nett, und wo nötig waren Einheimische sehr hilfsbereit.