aus bma 6/04

von Klaus Herder

MZ 1000 SSteven Tyler, Frontman der amerikanischen Rocklegende Aerosmith, ist unter anderem dafür berühmt, die Dinge ziemlich direkt und oft auch deftig auf den Punkt zu bringen. Ein Tyler-Spruch lautet: „Wer seinen Hintern aus dem Fenster hängt, muss sich sagen lassen, dass er seinen Hintern aus dem Fenster hängt.” Womit wir bereits bei MZ und den diversen Ankündigungen der MZ 1000 S wären. Wenn es eine Weltmeisterschaft im Heißluft-Trommeln geben würde, wären einige MZ-Verantwortliche ganz weit vorn. Kein anderes Motorrad der jüngsten Vergangenheit wurde so oft angekündigt und dann doch nicht präsentiert wie der sächsische Reihenzweizylinder – von der Sachs Beast einmal abgesehen.
Was bisher geschah: Auf der Münchener Messe Intermot steht im Herbst 2000 der erste Prototyp, den Verkaufsstart kündigt MZ für Ende 2001/Anfang 2002 an. Zwischenzeitlich fällt den Verantwortlichen auf, dass der ursprünglich als Motor eingeplante und von Swissauto/Weber entwickelte 750er-Twin nur eine obenliegende Nockenwelle hat und irgendwie doch nicht so toll ist. Ein eigener Motor mit mehr Hubraum und mehr Nockenwellen muss her, im Frühjahr 2001 läuft der erste selbstentwickelte Versuchsmotor. Auf dem Mailänder Salon 2001 steht ein Prototyp, Produktionsbeginn soll nun das Frühjahr 2002 sein. Im Mai 2002 heißt es, dass im Herbst 2002 die ersten Serienmaschinen ausgeliefert werden sollen. Auf der Intermot des gleichen Jahres steht mal wieder eine Ausstellungsmaschine, Ende 2002 soll die Serienfertigung losgehen und im April 2003 soll die MZ 1000 S bei den Händlern stehen. Daraus wird dann auch wieder nichts, aber im Spätherbst 2003 ist es dann tatsächlich soweit: Fahrpräsentation in Südspanien. Auf Journalisten-Kritik an einigen Details reagiert MZ nicht wirklich überraschend: „Es handelt sich noch um Vorserienmaschinen.” Mittlerweile gibt’s die MZ 1000 S tatsächlich bei den Händlern – und dabei soll es sich wirklich um die echte Serienversion handeln.

 

MZ 1000 SNun sind dreieinhalb Jahre Entwicklungszeit für ein komplett neues Motorrad eigentlich völlig normal und gar nicht mal so furchtbar lang. Für ein eher kleines Unternehmen wie MZ ist eine solche Entwicklung ein unglaublicher Kraftakt. Zwei Drittel der Bauteile kommen von Zulieferern, und auf deren Terminplanung und Qualitätssicherung hatte MZ nur bedingt Einfluss, Verzögerungen sind da eigentlich an der Tagesordnung. Genau das ist aber keine so furchtbar neue Erkenntnis und hätte eigentlich auch MZ klar sein müssen. Niemand hätte gemault, wenn die Zschopauer den Ball flach gehalten hätten. Doch nicht genug damit, dass die Sachsen den Mund in Sachen Serienstart ziemlich voll nahmen. Sie hatten auch noch Zeit und Muße, zwischendurch ein eigenes MotoGP-Team mit Ralf Waldmann als Fahrer anzukündigen. Was daraus wurde, ist bekannt: Waldi fuhr für MZ keinen Meter Rennen, außer einem MotoGP-Holzmodell gab’s nur heiße Luft. So bleibt das ungute Gefühl, dass einige MZ-Herren die Presse, die Händler und vor allem – was am schlimmsten ist – die potenziellen Kunden kräftig verarscht haben.
Genau die sollen jetzt nämlich zum Händler stürmen und recht heftige 11.990 Euro für ein Motorrad eines Herstellers rausreißen, von dessen Seriosität vielleicht noch nicht jeder restlos überzeugt ist. Die MZ 1000 S kostet 2200 Euro mehr als die bewährte Zweizylinder-Konkurrenz Honda VTR 1000 F oder auch Suzuki SV 1000 S. Die MZ liegt auch 1000 Euro über dem Tarif für eine auch nicht so üble Ducati ST3, und selbst die urdeutsche BMW R 1100 S gibt es für rund 500 Euro weniger. Aus Ostalgie-Gründen wird niemand zur Zschopauerin greifen. Die Alt-MZ-Fans in Neufünfland haben ganz andere Sorgen als ihre Stütze ausgerechnet für ein Motorrad mit MZ-Schriftzug rauszuhauen.
Wer also bleibt als Zielgruppe, gibt es überhaupt Menschen, denen man die MZ 1000 S empfehlen kann? Durchaus: Es sind genau die Motorradfahrer, denen eine MV zu vierzylindrig, eine Buell zu Harley-mäßig und eine Ducati zu gewöhnlich ist. Die knallharten Exoten-Fans also, die auf Design und eigenständige Technik stehen. Von beidem bietet die MZ 1000 S reichlich. Die kantige Verpackung hat aus den oben genannten Gründen zwar schon einige Jährchen auf dem Buckel, sie wirkt aber immer noch sehr frisch und ist ein ziemlicher Hingucker. Und was noch schöner ist: Das polarisierende Design geht an keiner Stelle zu Lasten der Funktion. Der Windschutz hinter der eher flachen Verkleidung ist für Sport- tourer-Verhältnisse hervorragend; die mit DE-Technik bestückten Scheinwerfer leuchten die Fahrbahn bestens aus; und – das freut den in Sachen Design-Experimente äußerst empfindlichen Autor besonders – MZ verbaut analog anzeigende Instrumente, die gut aussehen und trotzdem sehr übersichtlich sind. Verstellbare Handhebel, serienmäßige Warnblinkanlage, ordentliche Rückspiegel, ein grosser und sauberen Knieschluss erlaubender 20-Liter-Tank – die MZ-Designer und -Ausstatter arbeiteten ausgesprochen praxisorientiert.
CockpitBei der ergonomischen Gestaltung des MZ-Arbeitsplatzes waren aber offensichtlich nur ausgewachsene Menschen beteiligt, denn mit 835 Millimetern liegt der angenehm straff gepolsterte Fahrersitz doch recht hoch. Zudem muss sich der Pilot etwas lang machen, um an die relativ niedrig montierten Lenkerhälften zu kommen. Die Fahrerfußrasten sind verhältnismäßig hoch angebracht – alles in allem geht’s auf der MZ für einen Sporttourer recht sportlich, aber nicht unbequem zu. Der erste Eindruck ist, dass man mehr auf als in der Maschine sitzt. Der gefühlte Schwerpunkt liegt recht hoch, der mit um 40 Grad nach vorn geneigten Zylindern bestückte sehr massige Twin sitzt weit oben im Stahlrohr-Brückenrahmen.
Überhaupt wirkt alles an der MZ 1000 S massiv und erwachsen. Fahrfertigt wiegt die 1000er immerhin 234 kg, erlaubt sind insgesamt 400 kg. Macht also bescheidene 166 kg Zuladung. Da der Soziusplatz aber allerhöchstens Kurzstrecken-Notsitz-Qualitäten hat, reicht es für den Alleinreisenden allemal. Wer öfters zu zweit unterwegs sein möchte, sollte dann doch lieber zur BMW greifen.
Genauso einzigartig wie der bayerische Flattwin ist das Motorenkonzept des sächsischen Motors. Für Vortrieb sorgt ein wassergekühlter Reihenzweizylinder mit 180 Grad Hubzapfenversatz, das heißt: mit gegenläufigen Kolben. Der letzte Motor, der nach dem gleichen Prinzip arbeitete, war der Zweizylinder der ersten Yamaha TDM 850. Von Haus aus ist ein solcher Motor ein ziemlich rauer Geselle, eine Ausgleichswelle soll dem MZ-Vierventiler einigermaßen Manieren beibringen. Das gelingt allerdings nur zum Teil, was dazu führt, dass man diesen Motor liebt oder hasst – dazwischen gibt es nichts. Der MZ-Motor ist ein echter Raubauz. Unter 3000 Touren hackt und sprotzt es dermaßen, dass niedertouriger Stadtverkehr oder das Umzirkeln enger Kehren mit der MZ 1000 S keinen Spaß machen. Die Gasannahme im unteren Drehzahlbereich ist eher mäßig, zudem kribbelt’s bis 5000 U/min heftig in Fußrasten und Lenkerenden. Die Abstimmung der Einspritzanlagen-Steuerung lässt in den Niederungen des Drehzahlbandes arg zu wünschen übrig. Der auf dem Papier 114 PS starke (und in der Praxis wohl noch potentere) Motor mag und braucht Drehzahlen. Bumms aus dem Keller gibt’s bei der MZ 1000 S noch nicht mal ansatzweise.
Doch ab 4000 U/min benimmt sich der von zwei G-Kats gereinigte Zweizylinder aber wie ausgewechselt. Mit ordentlich Schub und sauber am Gas hängend stürmt die Fuhre vorwärts. Dann gibt’s auch einen kernigen und sehr zornigen Sound, der sich angenehm vom V-Twin-Einerlei abhebt. Die fleißige Arbeit im gut gestuften und exakt, aber mit etwas Kraftaufwand zu schaltenden Sechsganggetriebe ist bei der MZ Pflichtprogramm. Bei 9000 Touren liegt die Nennleistung an, das maximale Drehmoment von 98 Nm stemmt der Twin 2000 Umdrehungen früher. Wer den Zweizylinder zwischen 7000 und 9000 U/min jubeln lässt, sprintet aus dem Stand in 3,6 Sekunden auf Tempo 100. Die unerschütterlich und auch bei sehr hohem Tempo sauber geradeaus laufende MZ macht dann bei klassenüblichen 240 km/h Feierabend.
MZ 1000 SSo sehr man über die Motorcharakteristik geteilter Meinung sein kann, so wenig wird es über die Fahrwerksqualitäten verschiedene Urteile geben. Gute Fahrwerke hat man im Erzgebirge immer schon gebaut, das der MZ 1000 S ist sogar sehr gut. Die Upside-down-Gabel stammt von Marzocchi, das direkt angelenkte Zentralfederbein liefert Sachs. Beide Federelemente sind voll verstellbar und erlauben über einen weiten Bereich eine feine Abstimmung zwischen komfortabel-soft und sportlich-straff. Die Anbieter von Nachrüst-Federelementen werden mit der MZ-Kundschaft jedenfalls kein großes Geschäft machen können.
Die bei der Präsentation noch etwas zahnlos wirkenden Nissin-Stopper machen ihren Job dank anderer Belag-Abstimmung mittlerweile auch recht ordentlich und bieten guten Sporttourer-Standard. Nicht zu bissig, dafür aber sauber zu dosieren und ausgesprochen standfest packen die Vierkolbensättel an den 320er-Vorderrad-Bremsscheiben zu.
Als Serienbesohlung trägt die MZ 1000 S Metzeler Sportec M-1 in den Größen 120/70 ZR 17 und 180/55 ZR 17. Etwas Besseres hätte der Emme kaum passieren können, denn mit diesen Gummis geht es gut berechenbar sehr, sehr schräg ums Eck. Die Schräglagenfreiheit geht gegen grenzenlos, der breit bauende Motor steht dank hoher Einbaulage nirgends im Weg. Ein nervöses und ultrasensibles Kurvensuch-Gerät ist die MZ 1000 S allerdings nicht gerade, abrupte Richtungswechsel erfordern schon etwas Fahrereinsatz. Ihre Zielgenauigkeit ist dafür hervorragend. Sie fährt genau dahin, wo der Fahrer sie haben möchte. Das stabile Fahrverhalten flößt sehr viel Vertrauen ein und ist absolut berechenbar. Die MZ 1000 S gehört unterm Strich zu den eher handlicheren Vertreterinnen ihrer Klasse. Mit einem Verbrauch zwischen fünf und knapp über sechs Litern liegt sie dagegen eher im Verbrauchs-Mittelfeld.
Die gut verarbeitete MZ 1000 S ist kein Motorrad, an das man sich gewöhnen kann. Vor dem Kauf ist eine ausführliche Probefahrt absolute Pflicht, denn der Motor polarisiert. Der Kaufpreis ist schon ziemlich gesalzen – wenn man die MZ mit den oben genannten Wettbewerbern vergleicht. Der Exoten-Fan wird den aufgerufenen Tarif womöglich völlig normal finden. Ob dieser kleine Kreis von Interessenten dann aber unbedingt ein MZ-Logo am Tank haben möchte, ist eine ganz andere Frage. Die MZ-Ingenieure haben jedenfalls einen guten Job gemacht und ein ordentliches und vor allem interessantes Motorrad auf die Räder gestellt. An ihnen kann es nicht gelegen haben, wenn die Zulassungszahlen dann vielleicht doch nicht so prall ausfallen werden. Fürs durchwachsene und nicht unbedingt verkaufsfördernde Image der Marke haben andere gesorgt. Diejenigen nämlich, die ihren Hintern mächtig weit und viel zu früh aus dem Fenster gehängt haben.