aus bma 5/99

von Günter Pfeifer

Ich gebe es ja zu, daß ich mich bereits auf der INTERMOT im September ’98 in München in das neue Dickschiff von BMW verliebt habe. Ähnliches ist mir schon öfters passiert, doch Vernunft und Kontostand haben bisher immer Schlimmeres verhindert. Diesmal hat der automatische Kontrollmechanismus jedoch völlig versagt und ich habe mir, allen Unkenrufen meiner Motorradfahrerkollegen zum Trotz, die K 1200 LT bestellt. Wider alle Vernunft auch noch als „Katze im Sack”, denn ich konnte sie vorher nicht probefahren, weil die Händler noch keine hatten.
Jetzt war es endlich soweit und der nette Herr Kai Pinske von MTR, BMW-Vertragshändler aus Büdelsdorf, bot mir die „Große” für einen Fahrbericht an. Dank sei ihm für diesen Mut gesagt. Denn man muß wissen, als ich vor mehreren Jahrzehnten geboren wurde, hat der Storch wohl versehentlich in den Bonsaiteich gegriffen, und meine Gesamtlänge von 160 cm steht nun mal im krassen Gegensatz zu den 385 kg Lebendgewicht der K 1200 LT. Auch wenn in der niedrigen Sitzposition von BMW eine Höhe von 77 cm angegeben wird, so erlaubt es der relativ breite Fahrersattel meinen Füßen nicht, sich vollflächig auf den Boden zu setzen. Irgendwie ist an dem neuen Fulldresser alles gegen mich. Na schau’n wir mal.
Die Vollausstattung der K 1200 LT verlangt es einfach, daß man sich nicht nur gut vom Händler einweisen läßt, sondern sich auch zusätzlich mit der sehr verständlich geschriebenen Bedienungsanleitung vertraut macht. Denn die Vielzahl der Schalter, Knöpfe und Hebel ist zunächst recht verwirrend. Wer BMW-Erfahrung hat, der ist hier im Vorteil, denn die Blinkerabschaltung muß nach wie vor der rechte Daumen erledigen.

Bei Abholung der Maschine in Rendsburg herrscht nach der langen Regenzeit ausnahmsweise mal gutes Wetter. Mit Hilfe des Mitarbeiters von MTR mache ich mich mit den Neuheiten an der Maschine vertraut und starte. Bereits nach einigen Runden zur Eingewöhnung im Gewerbegebiet Büdelsdorf stelle ich fest, daß trotz Größe, Gewicht (fahrfertig 375 kg) und jedem erdenklichen Luxus der Fahrspaß keineswegs auf der Strecke bleibt. Die LT zeigt sich außerordentlich handlich und läßt sich auch bei geringer Geschwindigkeit gut dirigieren. Beim Wenden oder Rangieren sieht die Sache allerdings anders aus. Hier ist ein ausgeprägter Gleichgewichtssinn ebenso gefragt wie kräftiger Körpereinsatz. Die Kippelneigung tritt besonders bei schlechter Fahrbahn auf und wird durch die langen Lenkerenden für den Fahrer zur instabilen Wirklichkeit. Doch Übung macht den Meister und der Umgang mit der elektrischen Rückwärtsfahrhilfe ist schnell gelernt. Wird sie über den Drehknopf eingelegt, dann aktiviert der Anlasser über ein mehrfaches Vorgelege den Rückwärtsgang und bei erhöhter Leerlaufdrehzahl rollt die Fuhre langsam zurück.

Drehen sich die Räder erst einmal vorwärts, dann ist alle Unsicherheit schnell verflogen. Weich und geschmeidig gleiten die 385 kg durch das schöne und zu dieser Jahreszeit frühlingshafte Schleswig-Holstein. Bei schnellen Schräglagenwechseln und Kurvenhatz fühlen sich Fahrer und LT pudelwohl. Diese beinahe kinderleichte Handlichkeit hätte ich der 1200er mit den riesigen Ausmaßen gewiß nicht zugetraut. Bevor ich jedoch allzu leichtsinnig werde, erreiche ich die A 7 und fahre nach Norden. Jetzt gibt’s Highway-Feeling pur. Bequemer Sitz, tourenmäßige Haltung und ein perfekter durchzugsstarker Motor. Die LT läuft seidenweich und ohne jegliche Vibrationen bis hin zur Höchstgewindigkeit, die jenseits von 200 km/h liegt. Doch ich mag’s genußvoll und gemütlich und gleite in Easy Rider-Manier dahin.
BMW K 1200 LT Meine Augen bleiben immer öfter auf den vielen Schaltern und Knöpfen der technischen Spielwiese hängen. Das muß man doch einfach mal alles ausprobieren. Die Musik aus acht Lautsprechern läuft schon und der angewählte Sender, Tape- oder CD-Player wird auf dem Display angezeigt. Dabei paßt sich die Lautstärke natürlich der gefahrenen Geschwindigkeit an. Der Bordcomputer kann bequem am Lenkerknopf oder direkt am Gerät befragt werden und gibt Auskunft über Temperatur der Umgebung, die Durchschnittsgeschwindigkeit, den Durchschnittsverbrauch, die verbleibende Distanz bis zum nächsten Tankstopp. Der Tank, etwas ungewöhnlich über eine federbelastete Klappe und einen abschließbaren Drehverschluß zu betanken, faßt 24 Liter. Rechnerisch läßt sich damit eine Strecke von fast 500 km fahren.

Zum Spielen reizt da noch besonders der Tempomat. Schiebeschalter am Lenker auf Stellung „on”. Mit dem Resetknopf im Schalter wählt man und schon wird die Geschwindigkeit automatisch gehalten. Bei Betätigung einer Bremse, der Kupplung oder durch Gaswegnahme schaltet sich der Tempomat ab, bis zur erneuten Anwahl über „Reset”.
Wind- und Wetterprobleme gehören auf der LT endgültig der Vergangenheit an. Die voluminöse, aber optisch sehr ansprechende Vollverkleidung, eine elektrisch stufenlos verstellbare Frontscheibe, feststehende und einstellbare Windfinnen, Heizungen für Griffe, Sitze und Rückenlehne verschaffen Fahrer und Beifahrer auch auf langen Touren Wohlbefinden bei jedem Wetter.
Angetrieben wird das bayerische Flaggschiff vom modifizierten Triebwerk des RSBMW K 1200 LT Sporttourers. Der wassergekühlte Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor mit zwei obenliegenden, über Kette angetriebenen Nockenwellen und Vierventiltechnik wurde im Hinblick auf eine Optimierung der Leistungskurve im unteren und mittleren Drehzahlbereich überarbeitet. Dazu wurden die Kolbenbodenform, die Verdichtung, die Steuerzeiten und die Ansaug- und Auspuffanlage geändert. Elektronische Saugrohreinspritzung und Motormanagment schaffen die technischen Vorraussetzungen für Abgasreinigung durch geregelten Katalysator. Der Motor ist auf 98 PS ausgelegt und erreicht sein maximales Drehmoment von 115 Nm bereits bei 4800 U/min. Zu diesem High-Tech-Motor mit hervorragender Laufkultur, Umweltfreundlichkeit und zurückhaltendem Trinkverhalten kann man die Konstrukteure von BMW nur beglückwünschen.
Das Getriebe verfügt über fünf Gänge, wobei der letzte Gang als „Overdrive” fungieren soll. Der auf Drehmoment getrimmte Motor kommt jedoch der Schaltfaulheit sehr entgegen und man befindet sich eigentlich immer im fünften Gang.

Mittlerweile habe ich die dänische Grenze in Ellund erreicht, der Zöllner betrachtet sich das Reisemonster und nach einer endlos erscheinenden Fachsimpelei über Motorräder und dänische Luxussteuer darf ich in Richtung Sonderburg weiterfahren. Vorher wurde ich selbstverständlich noch auf die in DK geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen hingewiesen. Jetzt kann die LT wieder ihre außerordentlichen Fahrspaßqualitäten unter Beweis stellen. Schwungvoll geht es über die schöne kurvenreiche Küstenstraße an der Flensburger Förde entlang, an der Ochseninsel vorbei, in Richtung Egernsund. Das im Bug des Schiffes arbeitende Telelever-System mit 35mm-Federbein bügelt perfekt alle Unebenheiten der Uferstraße glatt. Die hintere Zweigelenk-Einarmschwinge mit integriertem Kardan und direkt angelenktem, in der Basis verstellbarem Federbein sagt da schon eher mal, wenn es unter den Rädern holperiger wird. Bei einer späteren Tour mit Sozius und eingestelltem Federbein war jedoch Ruhe.

Die in der Fachpresse mehrfach angesprochenen Bremsprobleme kann ich nicht bestätigen. Die vorderen schwimmend gelagerten Doppelscheiben mit Vierkolbensätteln haben einen Durchmesser von 305 mm. Wer dem Gewicht der Maschine entsprechend zupackt, der hat auch die erforderliche Verzögerung, und zwar bis hin zum Einsetzen des ABS. Dieses ist naturgemäß bei trockener Straße nur mit Gewalt möglich. Auch die hintere Scheibe wird von einem Vierkolbensattel gebremst und gibt keinen Anlaß zu Beanstandungen. Selbst der wandernde Druckpunkt, von den RT-Modellen bekannt, scheint der Vergangenheit anzugehören.
In Sachen Bedienungskomfort setzt die K 1200 LT Maßstäbe. So erhellt moderne Lichttechnik die Dunkelheit der Nacht. Das Abblendlicht ist über ein Handrad auf die gewünschte Höhe einzustellen. Breit ausladende große Rückspiegel ermöglichen den Blick zurück. Steckdosen befinden sich an der LT vorn und hinten, außerdem Kartenleselampe im Cockpit, Topcase-Beleuchtung, abschließbares Handschuhfach für Dokumente, Handy usw. Ebenfalls vorn und hinten gibt es Regeleinrichtungen zur Bedienung der Audiosysteme. Für das gesamte Motorrad vom Tankdeckel über Kofferanlage bis hin zur Zündung paßt der gleiche Schlüssel. Das RDS-Radio ist diebstahlsicher angebaut. Wenige Handgriffe sind nur nötig, um das hintere Federbein zu verstellen: linken Koffer öffnen, Seilzug für die vordere Sitzbank betätigen, bei geöffneter Sitzbank das Handrad ausklappen und verstellen. Ebenso einfach ist der Fahrersitz in der Höhe verstellbar.

120 Liter Stauraum bietet das fest installierte Koffersystem mit gut funktionierendem Schließmechanismus für Einhandbedienung. Allerdings kann man hier kaum auf die als Zubehör erhältlichen Innentaschen verzichten. Diese Innentaschen sind sehr stabil, gut durchdacht und ermöglichen die Mitnahme des Gepäcks.
Über den Lille Belt benutze ich die Fähre von Fynshav mit ausgiebiger Kaffeepause, weiter geht es bis Odense und dann ist wieder die schnelle Tour dran, Autobahn über Middelfahrt, Kolding zurück nach Germany. Eine ausgesprochen schöne Tour und bedenkenlos zur Nachahmung, auch mit anderen Motorrädern, empfohlen.
Die K 1200 LT ist zum Reisen gebaut und da liegt auch ihre grenzenlose Stärke. Ob Autobahn oder Landstraße, ob bergig oder flach um von A nach B zu fahren gibt es im Motorradbereich kaum eine komfortablere Möglichkeit.

Verblüffend ist die Handlichkeit des schweren Brockens, doch hier liegt natürlich auch das Risiko. Hohes Gewicht, hohe Fliehkraft und bei schneller Kurvenfahrt sollte man sich vor Selbstüberschätzung in acht nehmen. Auch in der Garage beim Rangieren ist Vorsicht geboten. Zwar läßt sich die LT relativ leicht auf den Hauptständer wuchten, doch sollte man ihr nicht allzuviel Kippmöglichkeiten lassen. Auch wenn BMW sagt, ein „Umfaller” sei dank integriertem Sturzbügel keineswegs kostenintensiv, so kann man sicher trotzdem gern auf einen solchen verzichten. Der Seitenständer ist vom sitzenden Fahrer ohne Gefummel gut zu erreichen, er ist stabil und mit den nötigen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet. Anders als bei der RT kann der Motor bei ausgeklapptem Seitenständer laufen. Erst wenn ein Gang eingelegt wird, schaltet der Motor ab.
Der Luxustourer kostet in der Basisversion 34.900 Mark. Für die hier vorgestellte, voll ausgestattete Variante mit Soft Touch-Sitz, Sitzheizung, Chrompaket und CD-Wechsler verlangt der BMW-Händler 37.730 Mark.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Die BMW K 1200 LT ist eine tolle Tourenmaschine mit allem Komfort, die sicher zu den besten der Welt zählt. Zum morgendlichen Brötchenholen beim nächsten Bäcker sollte man jedoch lieber den Roller benutzen.