aus Kradblatt 9/16
von Marcus Lacroix

 

Elektromotorrad Zero DSR, Modell 2016 – Voll unter Strom …

 

Zero DSRIch stehe an der Ampel in Pole-Position. Rechts, links, hinter mir tuckern Motoren und ich frage mich in dem Moment, wie lange dieser Anachronismus noch dauern wird, denn unter mir herrscht wunderbare Stille. Die Ampel schaltet auf Grün, ich drehe einfach den Gasgriff auf Anschlag und …bsssssssssss… bin ich auf 120 und außer Sicht. Ohne zu Kuppeln oder zu Schalten. Die Dosentreiber haben vermutlich nicht mal in den 2. Gang drin und ich ein fettes Grinsen im Gesicht. Wobei, „Gasgriff“ trifft es nicht so ganz, denn ich fahre eine Zero DSR und die hat einen Elektromotor. Da gast nichts.

Zero DSR Power TankDas Angebot, eine Zero mal länger als nur für eine kurze Probefahrt zu testen, kam vom niederländischen Importeur der US-amerikanischen Marke (Werksbesichtigung siehe KB-Ausgabe 1/16 unter www.kradblatt.de). Anderthalb Wochen stand sie uns zur Verfügung, Zeit genug um die elektrische Alltagstauglichkeit mal auszuloten. Und Vorurteile hatte ich natürlich, wie wohl auch die meisten Leser, mehr als genug – Fahrspaß, Reichweite, Ladezeiten … viele offene Fragen.
Die Zero DS macht einen auf Scrambler. Hohes Schutzblech vorne, 178 bzw. 179 mm Federwege (vo/hi) und recht grobe Pirelli MT60 locken auch mal zum Abstecher in Feldwege. Rein für die Straße gibt es noch die Zero S und fürs richtige Gelände die FX. Das R kennzeichnet die Modelle mit einem größeren Akku.

Zero DSR linksUnsere Zero DSR war mit dem dicken 13 kWh (Kilowattstunden) Akku sowie dem neuen Schnellladeadapter (Charge Tank) ausgestattet. Als maximale Reichweite gibt Zero für den Stadtverkehr 237 km, für die Autobahn bei 113 km/h (70 Meilen/h) 113 km und bei gemischter Fahrweise 153 km an. Wer die Reichweite erhöhen möchte, kann statt des optionalen Charge Tank einen Zusatzakku, genannt „Power Tank“ montieren lassen, der weitere 2,8 kWh und entsprechende Mehr-Kilometer bietet.

Zero DSR rechtsNun ist es mit Herstellerangaben ja immer so eine Sache, man kennt das beim Benzinverbrauch. Die von mir gemachten Erfahrungen, können bei unseren Lesern also durchaus differieren. Mir ging es beim Zero-Test nicht um Reichweitenrekorde sondern darum festzustellen, ob so ein Elektromotorrad für mich persönlich (schon) eine Alltags-Alternative wäre und ich habe sie deshalb so gefahren, wie ich auch meine Benziner fahre: vorausschauend aber ohne Spar­zwang.

Um es vorweg zu nehmen: im Alltagsbetrieb, der bei mir vorwiegend außerorts stattfindet, lag die Reichweite bei 130 bis maximal 150 Kilometern für eine komplette Akku-Ladung. Nur beim praxisfernen Autobahn-Vollgas-Test (Fazit: auch bei 160 km/h läuft die DSR absolut stabil) drückte ich die Reichweite auf unter 100 Kilometer. Echtes Dauervollgas geht übrigens nicht, denn der luftgekühlte E-Motor wird ab einer bestimmten Temperatur gedrosselt. In den Bereich kam ich trotz blinkender Vorwarn-Lampe verkehrsbedingt aber nie – irgendwer zwang mich doch immer mal kurz vom Gas zu gehen, was zur Abkühlung reichte. Im Alltag ist die Einschränkung somit kein Problem.

Zero DSR Offroad SchotterFür die Feierabendrunde reichte mir die Akkuladung immer, für weitere Fahrten ist etwas Vorplanung nötig und hier taucht der Elek­tromotorrad-Fahrer in eine völlig neue Welt ein: die der Ladestationen. Drei Dinge sollte man immer mitführen: das bzw. die Ladekabel (1. das für die 220 Volt Steckdose, 2. das für die Schnell-Ladestationen sofern man den Charge Tank montiert hat) und ein Smartphone mit Ladestationen-App. Hier empfiehlt sich ein gewisser technischer Spieltrieb, denn von sechs Apps zeigte mir z.B. beim Besuch meiner Eltern in Diep­holz nicht eine, alle dortigen Ladestationen. Und eine Zwischenladung war zwingend nötig, sonst hätte ich auf dem Heimweg schieben können. „Charge Now“ von BMW fand dort als einzige die vier Schnell-Ladestationen mit passendem Steckeranschluss (auch darauf muss man achten).

Zero DSR WaldwegDa es verschiedene Ladestation-Anbieter gibt, prüft man am besten auch gleich im Vorfeld, wie man seinen Strom dort bezahlen kann oder ob er evtl. sogar gratis ist. Münzeinwurf bietet jedenfalls keine Ladesäule. Mal braucht man eine Karte des Stromversorgers oder eines Kooperationspartners, mal scannt man einen QR-Code mit dem Handy oder schaltet den Anschluss per SMS frei. Für Technikmuffel alles etwas unübersichtlich – da fehlt noch ein echter Standard. Liest man sich auf diversen Webseiten wie z.B. www.ladenetz.de, www.goingelectric.de oder www.chargemap.com etwas in das Thema ein, verliert es seinen Schrecken. Alles halb so schlimm und zur Not reicht ja auch eine Haushaltssteckdose beim freundlichen Nachbarn.

Zero DSR CockpitAn einer solchen ist unsere komplett entladene Zero DSR nach rund fünf Stunden wieder „vollgetankt“ – dank des empfehlenswerten Charge Tanks, denn der unterstützt das integrierte Ladegerät bei der Arbeit. Ansonsten dauert es knappe 9 Stunden von 0 bis 100 %. Mit dem Schnellladeadapter an einer entsprechenden Dose dauert der volle Ladevorgang „nur“ 2,6 Stunden. Als Benzin-Tanker kratzt man sich da natürlich am Kopf, E-Fahren erfordert derzeit schon noch ein gewisses Umdenken. Trotz aller Fortschritte ist die E-Technik im Alltag (noch) nicht in gleicher Form nutzbar, genormte Wechselakkus an E-Tankstellen reine Utopie. Wer seine Anforderungen an das Motorrad bzw. sein Nutzerprofil nicht vorher bedenkt, könnte enttäuscht sein. Wer vor allem auf festen Strecken z.B. zur Arbeit pendelt, hat die Lade-Planungssorgen natürlich nicht.

Zero DSR Ladestation finden mit AppKommen wir zum Fahrspaß. Der wiegt, in meinen Augen, alle Herausforderungen mit der Ladetechnik auf. Ich habe in den letzten 30 Jahren schon die verschiedensten Motorräder fahren können, aber die Zero DSR hat mich überrascht und begeistert, wie lange keine andere Maschine mehr. Das fast lautlose Fahren mit einem Elektromotorrad und das Gefühl, wenn so ein Elektromotor andrückt, lässt sich wirklich schlecht beschreiben – Straßenbahn auf Speed vielleicht? Die 67 PS Spitzenleistung fühlen sich jedenfalls nach mehr an.
Herrlich ist es auch, ohne Krach auf Wald- und Feldwegen zu fahren. Man wird sogar freundlich gegrüßt – ich kann mich nicht erinnern wann mir das mit einer Enduro mal passiert ist. Bei schnellerer Gangart und tieferen Schlaglöchern gehen die voll einstellbaren Showa-Federelemente der immerhin 190 kg schweren Zero DSR zwar mal auf Anschlag und auf feuchten Waldwegen werden die MT60 zu Slicks, eher gemütliches Endurowandern macht elektrisch dafür aber sehr großen Spaß.
Auf der Straße schlagen sich die Pirellis ganz passabel, das hohe Drehmoment des Elektromotors darf aber nicht unterschätzt werden – 144 Nm sind eine Hausnummer!

Zero DSR App 2016Zero-Vertragshändler Harry Zager aus Bremerhaven, der mir die DSR übergab, riet auch dazu, die ersten Kilometer zur Eingewöhnung im Eco-Mode zu fahren. Das war auch gut so, denn beim Umschalten auf Sport verändert sich der Charakter der Zero deutlich. Als dritte Option kann man noch den Custom-Mode wählen, der über eine Smartphone-App individuell eingestellt wird. Klar, dass ich die Schieber für Drehmoment, Endgeschwindigkeit und Energierückgewinnung (Rekuperation, quasi die Motorbremse wenn der Motor zum Dynamo wird) zum frohen Blasen alle auf Anschlag stellte. Schön wäre ein zweiter Custom-Mode fürs Gleiten, so mit voller Leistung aber null Motorbremse. BMW nennt das bei seinem E-Scooter treffend „Sail-Mode“.

Den wahren Sinn des Eco-Modes erfuhr ich dann beim etwas grobmotorischen Beschleunigen im Sport-Modus auf nasser Straße, als ich mit knapper Not und querstehender Maschine einen Sturz abfangen konnte. Wünschenswert wäre da eine Traktionskontrolle, zumal die Zero, dank Bosch-ABS, ja eh schon über Radsensoren verfügt. Aber Amerikaner ticken da wohl anders, wie sich auch an einigen anderen Ausstattungsdetails zeigt.
Um es mal klar zu stellen: die Zero DSR kostet Listenpreis ab 17.840 Euro, dazu kommt bei der Testmaschine der Charge Tank mit 2.281 Euro, Ein Koffersatz mit Trägern und Topcase für rund 950 Euro und ein Touring-Windschild für 281 Euro. Also roundabout mal eben 21 Riesen nach Liste.

Zero DSR RiemenZwar bekommt man dafür ein echt tolles, unvergleichliches und durchaus alltagstaugliches Fahrzeugkonzept, aber warum in aller Welt, liebe Amis, verbaut ihr bei dem Preis teilweise billig wirkendes Plastik, montiert ein Cockpit in schmuckloser 1980er Jahre Casio-Optik (auch wenn es alle relevanten Daten anzeigt), seid bisher nicht in der Lage, die App in ein vernünftiges Deutsch zu übersetzen, bietet als Zubehör die billigsten Givi-E22-Koffer überteuert mit eurem Logo an und legt nicht mal einen einfachen Hakenschlüssel oder sonstiges Werkzeug zur Einstellung der Federelemente bei. Sorry, aber da solltet ihr euch bei den Japanern und mittlerweile selbst bei den Chinesen mal was abgucken – von mir aus auch bei uns Europäern. Funktion ist nicht alles, Ausstattung, Haptik und Optik bestimmen die Wertigkeit auch mit!

Genug geätzt, andere Menschen haben evtl. ja andere Ansprüche als ich. Stellt sich die Frage „würde ich mir eine Zero DSR kaufen?“ – oder anders gefragt: „würde ich mir überhaupt ein Elektromotorrad kaufen?“. Die Frage ist für mich einfach zu beantworten. Während sich manch Kradblatt-Leser bei dem Gedanken schüttelt und ich mir einige doofe Sprüche bei der Testfahrt anhören konnte, würde ich mir sofort ein Elektromotorrad kaufen, wenn – ja wenn der Preis nicht wäre.

Zero DSR 220 Volt Anschluss am RahmenAuch wenn die Verbrauchskosten unter denen von Benzinern liegen, die Wartung sich auf Verschleißmaterial beschränkt und Zero immerhin 5 Jahre Garantie (oder 160.000 Kilometer) auf den Akku gibt, ist für mich persönlich der Einstandspreis noch zu hoch. Meine eigenen Motorräder liegen eher in der Preisklasse bis 10 Riesen und da gibt es leider nichts wie die Zero DSR. Ich freue mich jedenfalls schon darauf, wenn Elektro-Motorräder bezahlbarer werden. Aus der Zero-Palette wäre die DSR aufgrund der on- und off­road­tauglichkeit dann meine Wahl.

Mein Tipp: wenn ihr irgendwo die Chance habt, ein Elektromotorrad Probe fahren zu können, nutzt sie! Ich denke, viele Vorurteile werden sich in Luft auflösen – aber das ist ja nicht nur bei Motorrädern so, wenn man die „Berührungsängste“ erst mal ablegt …

Ergänzung:
Auf unserem Youtube-Kanal seht und hört ihr die Zero DSR bei einer Vorbeifahrt mit 100 km/h. Das Surren kommt nicht nur vom Motor, sondern auch vom groben Reifenprofil:

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