aus Kradblatt 9/14
von Hartmuth Weyhe

 

Yamaha XT 1200 Z Ténéré World Crosser

Wie Yamaha sie sieht...In der Versuchung, den Text möglichst lang zu gestalten, erliege ich gleich zu Anfang dem ellenlangen Titel des Motorrades: Yamaha XT 1200 Z Super Ténéré World Crosser. 32 Buchstaben und 4 Zahlen für das wohl beste der 27 Motorräder, das ich bisher besessen habe. Und weil das so ist, darf ich mich erst mal über die Unzulänglichkeiten aufregen:
Ein unsinnig angebrachter Fühler der Außentemperaturanzeige, der nach dem Starten des warmen Motors gerne 10°C mehr anzeigt als es tatsächlich ist. Vielleicht soll dies ja auch von japanischen Ingenieuren als motivierende Hilfe im Winter gedacht sein.
Ein hoffnungslos voreilender Tacho (5–10 km/h), was umso ärgerlicher ist, da dieser hervorragend abzulesen ist.

Die Unbedienbarkeit des Bordcomputers vom Lenker aus ist ein Unding, denn es gibt nur zwei Infos von sieben möglichen zu lesen. Und zum Umstellen schreibt das Handbuch den Stillstand des Fahrzeugs vor – ja geht es denn noch intelligenter? Und für eine Ganganzeige hat es leider auch nicht mehr gereicht – schlapp.

Je nach Höhe der zweistufigen Sitzbank laufen die Gaszüge genau durch die direkte Blickrichtung auf die Uhr. Was mich schon bei der K 1200 GT genervt hat holt mich nun wieder ein.

Yamaha XT 1200 Z FrontDer absolute Knüller für so ein Hochwertprodukt am oberen Ende der japanischen Produktpalette mit den drei Stimmgabeln (soll ja auf Musik und Sound zurückzuführen sein!) ist aber der Auspuff – ein schwarzer Stahltopf, der jeglicher Beschreibung spottet. Aussehen und Klangkulisse sind eines Motorrades, egal welchen Typs, nicht würdig. Und das schon gar nicht, wenn man die Enduro mal auf Einpersonenbetrieb umbaut und der Betrachter freien Blick auf diesen Schandfleck erhält.
Und wer hat sich die Toplader von Koffern einfallen lassen? Von oben sind diese gerade mit den praktischen und robusten original Innentaschen super zu packen, aber wehe, man möchte anstelle der originalen Hutschachtel ein vernünftiges Top Case montieren. Dann hat sich das mit dem Be- und Entladen der Koffer erledigt, denn der Deckel lässt sich auch für Langfinger nicht mal mehr zum Reinfassen öffnen.

Na ja, der vordere Kotflügel könnte den Dreck auch gerne effektiver vom Motorblock fernhalten und die Verstellung des Windschildes ist auch nur umständlich zu bewerkstelligen. Aber ihr merkt schon, das Ereifern über dumme Kon­struktionsfehler ebbt langsam ab und ich kann mich den positiven Seiten dieser Reiseenduro widmen.

Fangen wir mit einem ganz wichtigen Punkt für die Ästheten unter uns, auf Wunsch meiner lieben Nachbarin, an. Die Farbe „Yamaha blue“ ist wirklich eine wunderschöne Lackierung, die gerade bei der World Crosser Edition mit den hochwertigen Kevlar Teilen hervorragend zur Geltung kommt. Und zwar so gut, dass die Kriegsbemalung von Aufklebern nach und nach dem Föhn meiner Frau zum Opfer fiel.

Yamaha XT 1200 Z  linksWomit ich nun langsam zum Wesentlichen komme: Motor, Fahrwerk und Bremsen. Wie man aus der Fachpresse entnehmen kann, ist der Motor gemessen an seinen 1200 ccm und 110 PS kein echter Bringer. Und wenn man so wie ich neugierig von einem netten Motorradhändler zum nächsten streift und auch mal eine Probefahrt mit ähnlichen Produkten machen darf, stelle ich unumwunden fest: die Fachpresse hat recht – der Motor ist im Vergleich zu einer BMW R 1200 GS, Triumph 1200 Explorer oder gar Ducati Multistrada ein schlapper Geselle. Aber da gibt es ja auch noch die persönlichen Vorlieben: Gefällt mir überhaupt so ein starker, aggressiver Motor? Als jahrelanger Harley- und Bonneville Fahrer bin ich zugegebenermaßen eher etwas phlegmatisch veranlagt, was den Umgang mit dem Gasquirl angeht. Es muss ja nicht gleich der unsinnige T-Modus sein, der wirklich für eingeschlafene Füße sorgt, aber im S-Modus reicht mir der Vortrieb völlig aus. Und eine kleinere Enduro mit Kardanwelle ist mir z. Z. nicht bekannt. Die Vibrationen des Zweizylinders halten sich auch in kaum spürbaren Bereichen, wobei es egal ist, ob man bei 2.000 U/min rumbleiert oder auf der Autobahn das Triebwerk ausdreht. Einen echten Kick bzw. einen „Schlag ins Kreuz“ darf man aber nicht erwarten.

Yamaha XT 1200 Z  PackeselMeinem persönlichen, runden Fahrstil nach dem Motto „immer locker rollen lassen“ kommt damit die Motorcharakteristik sehr entgegen und auf der Landstraße begnügt sich der 1,2 Liter Twin mit deutlich unter 5 l/100 km. Aber er kann auch das Saufen anfangen, allerliebst nahe der Höchstgeschwindigkeit jenseits der 200 km/h, mit Koffern und Top Case sind dann knapp 10 l/100 km machbar. Deshalb steht wahrscheinlich im Bordbuch der Hinweis: „Nicht schneller als 130 km/h mit Koffern fahren“. Da der Tank aber mit über 23 Litern ausreichend groß ist und beim Blinken des Kraftstoffbalkens im Cockpit die nutzbare Reserve bei zurückhaltender Fahrweise noch über 100 Kilometer Reichweite zulässt, kann man mit dem Verbrauch gut leben. Schließlich hat man es im wahrsten Sinne des Wortes selbst in der Hand, wie weit man kommt. Zum Schieben sollte man es jedoch nicht kommen lassen, denn die Fuhre wiegt schon ohne Zubehör stattliche 261 Kilogramm.

Bei all dieser Bandbreite zwischen Schleichfahrt, locker Rollenlassen und Autobahnbolzerei ist ein Bauteil Garant für ungetrübten Genuss: das Fahrwerk. Hier stimmt einfach alles und als Fahrer braucht man nichts mehr zu fürchten. Ob fiese Bodenwellen, Schlaglöcher, Seitenwind, Längs- oder Querrillen, Kurven jeglicher Radien – die Großenduro nimmt alles völlig gelassen und suggeriert einem, dass man auch alle Situation einhändig meistern könnte. Das ist ein wirkliches rundum Wohlfühl-Paket und mit Sicherheit das größte Plus dieses Fahrzeugs. Dazu zählt sicherlich auch der hervorragend arrangierte Arbeitsplatz. Lenkerhöhe und -breite, Kniewinkel und Sitzpolster lassen eine stundenlange Tour zu, wobei Reichweiten über 400 Kilometer ohne Nachtanken im Touring-­Modus zu erreichen sind. Ewiger Diskussionspunkt in diesem Zusammenhang ist ja die Windschutzscheibe. Ich habe mittlerweile drei unterschiedliche Höhen, aber einzig etwas mehr Ruhe am Helm bringt mir bei 175 cm Körpergröße der Aufsatz von Touratech. Da aber auch die Länge des Oberkörpers, die Sitzbankhöhe und maßgeblich der Helm Einfluss auf die Windgeräusche nehmen, ist hier eine Empfehlung schier unmöglich. Erstaunlich ist aber, dass auch mit der niedrigsten Scheibe ein sehr guter Schutz vom Winddruck aufgebaut wird.

Yamaha XT 1200 Z rechtsHin und wieder muss aber auch ich trotz einer vorausschauenden Fahrweise, die durch die aufrechte, hohe ­Sitzposition ausgezeichnet unterstützt wird, in die Bremsen langen. Dabei gibt es überhaupt keinen Grund zu klagen, die Bremsen überzeugen in der persönlichen subjektiven Wahrnehmung wie auch in den objektiven Messwerten. Einzig das früh einsetzende ABS an der Hinterradbremse hat mich zu Beginn irritiert. Dies kann aber daran liegen, dass ich nach jahrelangem Training auf Harley-Davidson schlichtweg der Hinterradbremse zu viel zumute.

Und was gibt es sonst noch zu berichten? Die gut geformten ­Handprotektoren ersparen durchaus die unverschämt teuren originalen Heizgriffe, sofern man sich nicht bei Minusgraden herumtummelt. Etwas dazu beitragen werden wohl auch die kleinen seitlichen Windabweiser, die den Windstrom von den Händen wegleiten. Die Hebeleien lassen sich an die jeweiligen Fingerlängen vernünftig anpassen. Und wenn wir schon am Lenker sind, möchte ich auch die Spiegel erwähnen, die nicht unnötig klobig sind und dennoch eine ausgezeichnete Rücksicht gewähren.

Wozu kann ich euch nichts sagen? Zum Soziusbetrieb, der zwar saumäßig bequem aussieht, aber bei mir mangels entschiedener Einstellung meiner Frau weder von ihr noch von den Kindern bisher ausprobiert wurde. Auch zum Off­road-Betrieb vermag ich nichts zu sagen, denn die Assietta Hochalpenstraße habe ich auch mit einer Electra Glide befahren. Und mehr mute ich mir mangels Können auch nicht zu. Somit ist die XT offroad bei mir sicherlich hoffnungslos unterfordert.
Das Wichtigste für diejenigen, die gerne und viel fahren zum Schluss: Auf den in dieser Saison zurückgelegten 23.000 Kilometern war nicht ein einziger Defekt zu vermelden. Alle 10.000 Kilometer zur Inspektion bei meinem Yamaha-Vertragshändler Degewitz in Mölln zu recht humanen Preisen, da die Konstruktion ziemlich wartungsarm ausgelegt ist und so keine übermäßigen Arbeitsstunden verschlingt. Lediglich ein Reifenwechsel stand nach 17.000 Kilometern an. Die hohe Laufleistung der original Bridgestone Battlewing 501/502 Reifen hat mich positiv überrascht; die jetzt verwendeten Metzeler Tourance EXP gefallen mir subjektiv nicht besser und werden voraussichtlich auch nicht die Laufleistung der Erstausrüstung erreichen.

Fazit: Ein großes, bequemes und überaus friedliches Motorrad, das zum Reisen bestens geeignet ist.