aus bma 04/06

von Klaus Herder

Yamaha MT 03Bei der Lektüre der 43-seitigen Yamaha-Presseinformation 2006 kommt einem unweigerlich der Begriff „freudsche Fehlleistung” in den Sinn. Sie wissen schon: Da wird ein Begriff vermeintlich falsch geschrieben oder gesprochen, und dann trifft dieser Begriff exakt den wahren Sachverhalt, weil das Unterbewußtsein die richtigen falschen Worte gewählt hat. Im Falle Yamaha ist im Motoren-Kapitel zur MT-03 von einem „absolut zuverlässigen Treibwerk” die Rede. Treibwerk – genau das ist es, was den Charakter dieses ganzen Motorrads ausmacht. Wer ein Motorrad sucht, um damit genau festgelegte Strecken in einem exakt definiertem Zeitraum zurückzulegen – also zum Beispiel eine klassische Urlaubstour, bei der an jedem Abend ein zuvor bestimmter Zielort angesteuert werden soll – kauft hier völlig falsch. Die Yamaha MT-03 ist dagegen der perfekte Untersatz für alle Menschen, deren Leben fünf Tage die Woche vom Terminkalender und von kurz-, mittel- und langfristigen Planungen und Zielen bestimmt wird, die sich dafür aber am Sonntagvormittag zwei Stunden einfach nur austoben wollen, und denen es eigentlich schon an der ersten Kreuzung schnurzpiepegal ist, wohin die Reise geht. Hauptsache, Motorrad fahren und sich ohne irgendwelche Verpflichtungen oder Ziele treiben lassen.

 

Solchen Menschen ist es meist auch völlig egal, ob ihr Motorrad 150, 120 oder 98 PS hat. Aber 45? 45 Pferdestärken, die auf ein vollgetankt immerhin 194 Kilogramm schweres Motorrad treffen – kann das gut gehen? Es kann. Und das sogar sehr gut, soviel sei schon an dieser Stelle verraten. Doch der Reihe nach: Ihre Premiere feierte die Yamaha MT-03 auf der Mailänder Messe im Herbst 2003. Alles, was irgendwie nach Supermoto aussah, war gerade unglaublich angesagt. Logisch also, daß die einzylindrige Designstudie auf fetten Straßenreifen mit grober Profilierung stand und mit topmodischen Wave-Bremsscheiben und einem überbreiten Lenker bestückt war. Den Blickfang bildete ein rechts neben dem Motor liegend montiertes Öhlins-Federbein, ein futuristisches Diodenlicht unterm puristischen Cockpit bestimmte die Frontpartie. Eine typische Designstudie war’s damals aber wohl nicht, die Serienproduktion dürfte bereits beschlossene Sache gewesen sein, denn nur ein Jahr später präsentierte Yamaha auf der Messe in Paris die serienmäßige MT-03. Die rollte zwar auf etwas zivileren Gummis, wellenförmige Bremsscheiben und Diodenlicht waren ebenfalls wegrationalisiert worden, und an Stelle des edlen Öhlins-Teils kümmerte sich ein günstigeres ZF-Sachs-Federbein um die Auf- und Abbewegungen der gegossenen Aluschwinge. Und wo bei der Mailänder MT-03 noch ein Zahnriemen das Hinterrad in Rotation versetzen sollte, spannte sich bei der Pariser MT-03 eine ganz normale Kette. Doch das große Ganze blieb praktisch unverändert, die MT-03 war immer noch ein echter Hingucker, der förmlich Lust aufs Ausprobieren macht.
Yamaha MT 03 Für Vortrieb sorgt ein guter Bekannter: Der flüssigkeitsgekühlte 660er-Einzylindermotor, der seit zwei Jahren auch in der Enduro XT 660 R und deren Supermoto-Schwester XT 660 X Dienst tut. Wo bei den XT-Modellen aber maximal 48 PS bei 6000 U/min geleistet und 58 Nm bei 5250 U/min gestemmt werden, stehen bei der MT-03 nur 45 PS und 56 Nm bei unveränderten Drehzahlen an. Yamaha argumentiert mit „besserer Leistungsentfaltung im unteren bis mittleren Drehzahlbereich”, markenunabhängige Beobachter vermuten eher emissionstechnische Gründe. Wie auch immer, Tatsache ist jedenfalls, daß eine etwas größere Airbox, eine neue Programmierung des Motormanagements mit geänderten Kennfeldern der Einspritzanlage und natürlich eine andere Auspuffanlage die wesentlichen technischen Unterschiede ausmachen. Während die XT ihr Öl im Rahmen bunkert, trägt die MT-03 den Schmierstoff in einem gesonderten Alutank vor dem Motor.
Im inoffiziellen Wettbewerb „einladendster Arbeitsplatz” nimmt die MT-03 eine Spitzenposition ein. Der recht breite, bequem geformte Fahrersitz hinter dem kurzen 15-Liter-Kunststofftank, und der immer noch sehr breite Lenker in Verbindung mit der schlanken Taille und überhaupt sehr schmalen Aufsicht, sorgen vom ersten Moment an für Vertrauen. 810 Millimeter Sitzhöhe überfordern niemanden, denn besagte Taille sorgt dafür, daß auch kurzbeinige Fahrer sicheren Stand finden, einen perfekten Knieschluß gibt’s obendrauf. Der Lenker wirkt anfangs etwas ungewohnt, weil stark nach außen gekröpft. Zudem sitzt der Fahrer recht nah dran, zwischen Lenker und Sitzbank bleibt nicht viel Platz zum Ausstrecken der Arme. Zusammen ergibt das eine ziemlich angriffslustige Sitzposition mit hohen und breiten Ellenbogen – so sehen Motocrosser am Start aus. Doch bereits nach der zweiten oder dritten flott gefahrenen Kurvenkombination weiß man: Nur so und nicht anders muß man auf einer Lenkwaffe (Okay, ein politisch nicht ganz korrekter Begriff, aber er trifft den Charakter dieses Motorrads perfekt…) wie der MT-03 sitzen.
Der analog anzeigende Mini-Drehzahlmesser wirkt irgendwie glaslos, was MT-03-Neulinge dazu verführt, die Daumenprobe zu machen. Kein Problem, die sich unweigerlich ansammelnden Fingerabdrücke verschlechtern die ohnehin nicht pralle Ablesbarkeit nur unwesentlich. Die Winz-Kontrollampen sind am Tage kaum zu erkennen, der nur marginal größere Scheinwerfer taugt dafür nachts immerhin als Begrenzungslicht. Egal, sehen wir es positiv: Die vor und über dem Lenker montierten Teile sind so schön klein geraten, daß sie im Blickfeld nicht weiter stören und die ohnehin mächtig vorderradorientierte Sitzposition noch vorderradorientierter wirken lassen. Der Fahrer hat immer freies Schußfeld (siehe Anmerkung zum Begriff „Lenkwaffe”). Yamaha ist im besagten 43-Seiter jedenfalls sehr stolz darauf, dass 52 Prozent der Fahrzeugmasse auf dem Vorderrad lasten – das ist ein Wert, den ansonsten reinrassige Motorsportgeräte erreichen.
Yamaha MT 03 Cockpit Von denen unterscheidet sich die MT-03 glücklicherweise in Sachen Bedienungsfreundlichkeit. Druck aufs Knöpfchen – der Vierventiler läuft und bollert herrlich kernig aus dem unter dem Soziusbrötchen versteckten Schalldämpfer. Der ist definitiv einteilig. Das, was da so wunderbar nach zwei Töpfen im Stile der großen Schwester MT-01 aussieht, ist ein klarer Fall von Denkste. Der Schalldämpfer hat schlicht und einfach zwei Auslaßöffnungen – that’s it.
Wer die XT-Schwestern kennt, wundert sich über den erstaunlich flotten Antritt der doch eigentlich schwächeren MT-03. Die Erklärung für so viel Dynamik ist denkbar einfach: Yamaha verkürzte die Sekundärübersetzung. Wo bei der XT vorn 15 und hinten 45 Zähne rotieren, trägt die MT-03 eine 15/47-Kombination. Das Rühren im Fünfganggetriebe ist die reinste Freude. Die Gänge flutschen leicht und locker in die gewünschte Position. Der etwas erhöhte Kraftaufwand am Kupplungshebel dürfte nur Menschen stören, bei denen man das Gefühl hat, ein totes Stück Fleisch zu greifen, wenn sie einem die Hand geben. Für die Gasannahme kann es nur eine Bewertung geben: Perfekt. Und das nicht nur nach großzügigen Einzylinder-Maßstäben. Was bereits für die XT-Modelle und die ebenfalls mit dem bei Minarelli gebauten Vierventiler bestückte Aprilia Pegaso galt, gilt auch für die MT-03: Dieser Motor kann selbst ausgewiesene Einzylinder-Hasser bekehren, denn er bietet praktisch nur die Single-Vorteile. Die da wären kerniger Sound, good vibrations, ordentlich Punch im mittleren Drehzahlbereich und natürlich die kompakten Abmessungen. Damit wir uns richtig verstehen: Natürlich hackt und schlägt auch dieser Eintopf unterhalb von 2500 U/min. Und natürlich wird’s auch bei diesem Motor mächtig zäh, wenn die Drehzahlmessernadel erst einmal die 6000er-Marke überschritten hat. Doch dazwischen macht der erstaunlich drehfreudige Ballermann richtig viel Laune und benimmt sich mustergültig. Und das schreibt hier jemand, für den privat eigentlich alles unter und über zwei Zylindern indiskutabel ist.
Yamaha MT 03 Der von einer Ausgleichswelle gottlob nur teilweise beruhigte Motor steckt in einem neu gezeichneten Stahlrohrrahmen und hat mittragende Funktion. Gabel und Vorderradbremse stammen praktisch unverändert aus der FZ6. Die ellenlange Aluschwinge ist eine Neukonstruktion. Mit 1420 mm Radstand, 97 mm Nachlauf und einem Lenkkopfwinkel von 64 Grad ist die MT-03 ein kurzes und auf Handlichkeit getrimmtes Spielgerät, aber alles andere als extrem. Zum Vergleich: Die entsprechenden Werte des alternativen Kurven-Suchgeräts Buell XB 12 S lauten 1320 mm/84 mm/69 Grad. Geradeaus rollt die MT-03 tadellos, was bei einer nur mit sehr viel Anlauf zu erreichenden Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h auch nicht weiter verwunderlich ist. Sehr viel erstaunlicher ist es da schon, mit welcher Leichtigkeit das vollgetankt immerhin fast vier Zentner wiegende Gerät um engste Kurven schwingt. Und das nicht nur unter einem erfahrenen Kurvenkratzer, sondern auch durchaus in der Hand eines Frischlings. Es dürfte momentan kaum ein anderes Serienmotorrad geben, mit dem selbst Anfänger so beherzt und dabei sicher durchs Winkelwerk stechen können. Grip der Gummis im Format 120/70 ZR 17 und 160/60 ZR 17 sowie die Schräglagenfreiheit gehen gegen unendlich und lassen sich zumindest im öffentlichen Straßenverkehr nicht ausreizen. Die ausführlich beschriebene Sitzposition tut ein Übriges dazu, daß man mit der MT-03 niemals im Cruising-Modus unterwegs sein wird. Für dieses Feuerzeug kann es nur ein Motto geben: Attacke! Die kräftig, aber nicht zu bissig zupackenden und prima zu dosierenden Bremsen und das straffe, aber nicht unkomfortabel abgestimmte Fahrwerk sind wie gemacht fürs flotte Landstraßen-Surfen. Mit 130 mm vorn und 120 mm hinten fallen die Federwege im Vergleich zu Supermoto-Derivaten vom Schlage einer Honda FMX 650 oder auch Yamaha XT 660 X eher kurz aus, was für die Fahrstabilität aber nur von Vorteil ist.
Während man so mit dem Messer zwischen den Zähnen um die Ecken fegt, kommt einem überraschenderweise nie die Frage in den Sinn, ob 45 PS denn nun auch wirklich ausreichen. Die MT-03 definiert sich nämlich über alles andere, nur nicht über die Leistung. Das Teil würde mit 40 PS vermutlich genauso viel Spaß machen. Und 60 PS würden Fahrwerk und Bremsen ebenfalls locker verkraften, doch niemand braucht auf dieser Art Motorrad eine solche Mehrleistung. Die 6695 Euro teure MT-03 ist ein Treibwerk (!) für die Stadt und für (möglichst kurvige) Landstraßen. Für nichts anderes. Mit einer Ausnahme: Die bei Belgarda-Yamaha am Gardasee montierte und sehr ordentlich verarbeitete MT-03 erfreut ihren Besitzer auch in der heimischen Garage, denn sie gehört zu der Sorte Motorrad, um das man mit einem breiten Grinsen im Gesicht herum schleicht und sich einfach nur freut, es zu besitzen. Die Freude läßt sich sogar noch steigern, denn das von Yamaha passenderweise „Urban Attack” genannte Zubehör-Programm bietet so feine Leckerlis wie Handprotektoren, Kühler- und Sitzbankabdeckungen, Cockpit-Verkleidung, Motorschutz und einen legalen Akrapovic-Slip-on-Schalldämpfer.