aus bma 12/04 von Jan Burke
Was kann es Schöneres geben: man war im chronisch verregneten Oldenburg tapfer jeden Sommer durchgefahren und hatte sich gesagt „mehr Sonne muß es sein”. Dann schließt man endlich sein Studium ab und hat die Gelegenheit, drei Jahre in Südkalifornien zu arbeiten! Und zwar im „Orange County”, etwa 60 km südlich von Los Angeles. Natürlich kaufte ich mir kein Auto, bei den Bedingungen! Sonne ohne Ende, überbreite Straßen, Berge rings um die Küstenebene, dahinter die Wüste. Klarer Fall: ein Moped mußte her.
Nach einigen Wochen war es dann so weit: eine 20 Jahre alte Yamaha XS 850 SG, Dreizylinder, Kardanantrieb, sehr gut und leise laufender Motor, Reifen einigermaßen in Ordnung, wechselte für 900 Dollars den Besitzer. Das Softchopperdesign schmerzt zwar auch nach 20 Jahren noch, aber das kann man in Kalifornien ja ohne großes Aus- und Eintragen umbauen. Leider waren noch einige elementare Dinge zu tun, bevor die Kiste überhaupt wüsten-, berg- oder auch nur ebenentauglich war: die Bremsen klemmten so schlimm, daß nach der Überführungsfahrt die Bremsscheiben dunkelblau anliefen, Risse bekamen und kaum noch zu gebrauchen waren. Also mußte ich mir erstmal die Bremsanlage ansehen: im Hauptbremszylinder fand ich einen Schmodder, der seit 20 Jahren keines Menschen Auge gepeinigt hatte, und auch die Bremsflüssigkeit brauchte viel Mitleid, um noch als solche durchzugehen. Doch offensichtlich war die Bremsanlage ja noch 100% dicht, das Problem war dann verstopfte Rücklaufbohrungen, die ich zum Glück wieder frei bekam. Und wo ich schon mal dabei war, gab’s auch gleich neues Öl für den Motor und die beiden Winkeltriebe, einen neuen Simmerring, frische O-Ringe für die Benzinhähne, einen neuen Luftfilter, Zündkerzen usw., das übliche Wellness-Programm eben. Dann, wegen der schlappen Batterie, die Elektrik: wann kriege ich endlich ein altes Moped zu sehen, wo nicht irgendein Stümper die Lichtmaschine mit viel zu dünnen Kabeln und wacklig draufgekniffenen Steckern so hochohmig angeschlossen hat, daß man am zarten Schmelz der Plastikteile sofort erkennt: das hat gerade noch nicht gebrannt!? Am Ende der Bastelaktion hatte ich dann Ladespannung 13.5 V, Ladestrom 6 A, was will man mehr. Ein netter Trick aus dem Bastelbuch: man kann ein digitales Amperemeter mit der Batterie in Reihe schalten, um zu sehen, ob sie Strom abgibt oder aufnimmt – nur darf man dann den E-Starter nicht benutzen, sonst ist das Meßgerät auf der Stelle hin. Kickstarten ist ja sowieso cool.
Endlich war ich also klar zum ersten Shakedown – in die Santa Ana Mountains sollte es gehen, welche die besagte Ebene im Südosten begrenzen. Auf der Strecke dorthin (eine ganze Weile auf einer recht guten Straße am Fuß der Berge entlang) stieg die Harley-Dichte kontinuierlich an; und hinter einer Kurve entdeckte ich dann das Nest: „Cooks Corner”, eine Biker- und Musikkneipe, wo man sowohl drinnen rauchen als auch draußen trinken durfte. Wenn man sich mit den Harley-Besitzern über ihre Mopeds unterhielt, kam der Aspekt der Wertanlage sehr oft zur Sprache – typisch Orange County. Ohne Harley bzw. mit Schalldämpfer wurde man nicht so recht ernstgenommen, und kriegte wahrscheinlich auch keine Sozia ab.
Beim anschließenden Rumkurven in den Bergen (Highway 74, auch Ortega Highway genannt) nahm die Harley-Dichte schnell wieder ab, stattdessen flitzten gelegentlich Supersportler an mir vorbei. Ich aber nahm mir Zeit und bestaunte die Landschaft. Während wir an eine obere Baumgrenze gewöhnt sind, kriegt man in Kalifornien zunächst die untere zu sehen: ab etwa 1000 Meter Höhe wird der Bewuchs dichter, und auch Bäume haben’s leichter. Allgemein sind die Berge ein großer Luxus in Kalifornien: wenn man von der Hitze genug hat, kann man sich ziemlich einfach in grünere und kühlere Regionen begeben, denn Gebirge von beträchtlicher Höhe stehen wirklich gut verteilt überall rum. Dort waren außer Grillen und exotischen Vögeln, gelegentlich einem Flugzeug in der Höhe, und meist natürlich dem zufriedenen Schnurren des Dreizylinders, wirklich nichts zu hören. Auf dem Rückweg mußte ich fast bis nach Los Angeles reinfahren, um eine andere Strecke zu nehmen, und zwar außen um die Berge rum – durch die Berge gibt es keine andere Straße.
Bevor nun größere Touren beginnen konnten, wollte und mußte ich aber erstmal den kalifornischen Führerschein machen – es gibt zwar weder Einwohnermeldeamt noch Personalausweis, aber mit dem Führerschein werden dann doch alle erfaßt. Meine Prüferin war dann auch noch von der sympathischen Sorte, der man am liebsten gleich den Soziusplatz anbieten würde, und war mächtig beeindruckt vom Ankicken (sach‘ ich doch: cool!). Ich fuhr also ganz entspannt meine Kreise und Achten und kriegte die Pappe, bzw. natürlich Plastikkarte. Und jetzt sollte ich fit sein für den Straßenverkehr? Wir würden ja sehen.
In Kalifornien kann man so ziemlich alles vergessen, was man in Deutschland übers Motorradfahren gelernt hat: Supersportler werden in Badelatschen, kurzer Hose und T-Shirt gefahren, Harleys mit mattschwarzer Eierschale, Jeans und Fransenweste, Beifahrerin vorzugsweise im Bikini. Ich fuhr weiterhin tapfer in Lederhose und mit Handschuhen und Nierengurt – daran erkennt man die Deutschen meilenweit. Uncool? Mag sein; aber auf meinem Bike bin ich der Kapitän.
Apropos Kapitän: während der Herbst so verging, fuhr ich mal die Küste rauf zu Freunden nach Los Angeles, mal die Küste runter zu Freunden nach San Diego – und wunderte mich immer wieder, wie frisch es doch am Wasser ist. Als wenn man vor der Klimaanlage hockt – was ja im übertragenen Sinne auch genau zutrifft. Das viele schöne Wetter und die angenehme Brise sind nur dem Umstand zu verdanken, daß das Wasser auch im Sommer schnatterkalt ist. An längeres Baden ist ohne Neoprenanzug nicht zu denken – ist möglicherweise deshalb die Surfkultur zustande gekommen? Der historische Highway 101 nach San Diego ist sehenswert (wenn man ihn denn erstmal gefunden hat – in Oceanside vom Freeway 5 abbiegen), eine Vorzeigestraße, aber oft ziemlich voll.
Doch endlich nahte Weihnachten, und damit eine Tour in die Wüste. Bei zwei Wochen Urlaub im Jahr muß man ja ein bißchen sparsam sein, da kamen die Feiertage gerade recht. Und in die Wüste fährt man eh nicht im Sommer; den Ratschlag hatte ich immer wieder bekommen. Doch auch der Winter hatte nicht nur Vorteile, wie ich noch erleben sollte.
Mit spärlichem Gepäck, 30$-Zelt vom K-Mart (das sollte für die Wüste ja wohl reichen) und etwas Proviant machte ich mich auf den Weg nach Osten, zum Joshua Tree National Park. Das sind nur zwei Stunden Fahrt, wenn man die Autobahn nimmt. Ich suchte mir eine Route aus, die mindestens doppelt so lang war und über zwei Bergketten führte. Bei der ersten hatte man ohnehin keine Wahl, man mußte den Ortega Highway nehmen, dahinter breitete sich dann eine Ebene aus, wo die Besiedlung spärlich wurde und endlich mal etwas Platz war – wenn sich alles an der Küste zusammendrängelt, ist das Hinterland (engl.: hinterland – kein Witz!) natürlich wunderbar einsam. Die Temperatur war so um die 20 Grad, und das Tempolimit (55 Meilen, ca. 90 km/h) sorgte für ein gemütliches Reisen. Die nach kalifornischer Norm abgestimmten Vergaser machten ohnehin den Antritt etwas flau, dafür blieb der Verbrauch aber auch unter sechs Liter auf 100 km, bzw. über 40 Meilen pro Gallone (so geben die Amis das an).
Und kaum hatte ich den Spritverbrauch im Kopf ausgerechnet, kam auch schon die nächste Bergkette in Sicht, die San Jacinto Mountains. Es wurde merklich kühler, aber immer noch nicht unangenehm, denn hier war eine Höhe von ca. 1500 Metern (4917 Fuß) zu überqueren, und in der Ferne waren einige Dreitausender zu sehen – noch ohne Schneekappen, denn es hatte seit Ende Oktober keinen Niederschlag gegeben. Die Strecke hatte nicht zu viel und nicht zu wenig Kurven, so daß neben dem Fahrspaß auch Ausgucken möglich war. Sie war, mit vollem Recht, als „State Scenic Highway” ausgewiesen.
Dann, beim Runterfahren aus den Bergen ins „Imperial Valley”, sah die Landschaft schon ziemlich trocken aus. Die letzten 300 Höhenmeter ging es geradeaus in die Tiefebene runter und es folgte der Schock: Palm Desert/Palm Springs, ein Millionärs- ghetto, mit etwa 100 Golfplätzen, alles künstlich bewässert natürlich, mitten in der Wüste. Das Wasser dafür kommt aus einer jahrmillionenalten Bodenschicht, die bereits so stark schrumpelt, daß einige Villen anfangen abzusacken – doch Hauptsache, der Rasen ist schön grün! Auf dem Highway 62 ging es wieder in die Berge (Little San Bernardino Mountains), wobei ich doch glatt über die San-Andreas-Falte fuhr (die große Erdkrustenverwerfung, von der die meisten Erdbeben ausgehen), ohne sie auch nur zu bemerken. Das letzte Stück war dann mangels Kurven etwas öde zu fahren, und ich mußte mich auch beeilen, denn ich wollte gern noch im Hellen ankommen, um mir einen vernünftigen Lagerplatz zu suchen. Die Joshua Trees, die ich für ein so seltenes Naturwunder gehalten hatte, standen schon überall an der Straße rum, und um einen waren sogar Lichterketten gewunden; schließlich war Weihnachten.
Die Nationalparks kosten ein bißchen Eintritt: $10 für Autos und nur $5 für Motorräder. So muß es sein, ist es aber fast nie. Dann nahm ich endlich die Ohrstöpsel raus und hörte – nichts. Auf die Stille hatte ich mich nämlich die ganze Zeit gefreut.
Die Zeltplätze im Park haben nur das absolute Minimum an Einrichtungen, um die Wüste vor dem Menschen zu bewahren: Plumpsklo und Müllcontainer. Wasser gab es keins, duschen konnte man bei Bedarf für drei Dollar in einem der Motels am Highway. Dafür sind die Zeltplätze gebührenfrei und man schlägt sein Zelt auf, wo man will, bzw. kann – denn einige Plätze waren schon voll. Der Joshua Tree Park ist im ganzen Land als Paradies der Felsenkraxler (rock climber) bekannt. Überall stehen ziemlich bizarre Felsenformationen aus vulkanischem Granit, die aus der Entfernung zum Teil wie Tonklumpen aussehen und offenbar zum Raufklettern ganz wundervoll sind. Schnell das Zelt aufgebaut und ein paar Stullen geschmiert, dann war es auch schon dunkel. Es war ziemlich genau Neumond, also war die Nacht zum Sternegucken gut geeignet. Den Nordstern zu finden, war gar nicht ganz einfach, denn er stand natürlich viel niedriger als gewohnt.
Ich schlief nicht sehr gut, denn die Nacht war kalt (man befindet sich auf etwa 1300 m Höhe), der Boden hart, und die Kojoten gaben keine Ruhe; aber am meisten fehlte mir ein Kopfkissen. Normal schmeiße ich mein Lederzeug ans Kopfende und alles ist gut; aber meine kalifornische Lederkluft war denn doch erheblich dünner als mein Ritter-Kunibert-Outfit für deutsche Witterung, so daß es da etwas an Substanz fehlte. Da hatte ich natürlich vorher nicht dran gedacht. Außerdem war ich stocknüchtern – auch das ein bißchen ungewohnt beim Zelten. Ich hatte es für besser gehalten nur Wasser mitzunehmen.
Am Morgen war ich gut durchgekühlt und mir war klar: nach dem Frühstück fahr ich erstmal „downtown” (nach 29 Palms, einer hübschen kleinen Wildweststadt gleich außerhalb des Parks) und hole Feuerholz – denn es gab zwar Feuerstellen, doch selbstverständlich durfte man aus dem Park nichts wegnehmen und verheizen. Beim Frühstück (kalter Instantkaffee, igitt!) lernte ich meinen Zeltnachbarn kennen, der mich für den Abend auf eine Weihnachtsparty am Lagerfeuer einlud.
Auf dem Weg nach 29 Palms sah ich mich schon mal ein bißchen um, und stellte fest: die Wüste lebt! Gräser, Büsche, Kakteen, in einer Senke sogar eine Art Eiche; und alles das von nur 100 mm Niederschlag im Jahr! Der Regen vom Oktober hatte zum spontanen Erblühen vieler Pflanzen geführt, die jetzt gerade erst verwelkten. Angesichts der Stille und der Schönheit mußte ich denken: das ist der Südwesten Nordamerikas, wie er aussehen muß – warum läßt man ihn nicht auch anderswo ein bißchen so?
Die Straße führte fünf Meilen lang schnurgeradeaus und leicht abwärts. Etwas abseits der Straße standen u.a. einige Kuppelgebäude, die ich mal in einem Science-Fiction-Film gesehen zu haben glaubte. Direkt an der Straße war das Visitor Center – sehr informativ, sehr empfehlenswert! Und jetzt soll das Geheimnis endlich gelüftet werden: Die Joshua Trees verdanken ihren Namen den durchziehenden Mormonen, die in den Astformen den Propheten Josua zu erkennen meinten, der ihnen zuwinkte.
Feuerholz und Wasser konnte man natürlich an der Tanke kaufen; und schon war ich auf dem Rückweg. Ich hielt hier und dort zum Spazierengehen an, genoß die Stille und die Einsamkeit (nur ab und zu mal ein Auto oder ein paar Mountainbiker) und stieß mehr durch Zufall auf die wohl markanteste Felsformation des ganzen Parks, die noch nicht mal einen Namen hatte – „Ass Rock” erschien mir passend.
Abends machte ich mir, ganz in Wildwestmanier, über dem Feuer meinen Kaffee, gesellte mich aber bald zu der fröhlichen Runde, die nebenan Weihnachten feierte: junge bis mittelalte Kletterer und Frischluftfans aus dem ganzen Südwesten, munter am Zechen, Gitarre spielen, Singen und Quatschen, und die Sterne schienen dazu. Nicht gerade eine stille Nacht, aber trotzdem ein unvergeßlicher, wenn auch ziemlich kalter Weihnachtsabend. Später kam die Musik von der Konserve: Leo Kottke spielte auf der 12-saitigen Gitarre auf, den Wüstenblues oder sonstwas – auch das paßte sehr gut. Dann kam ein sehr böiger Nordwind auf, wir mußten unser Geraffel schnellstens zusammenpacken, und die Party war zu Ende.
Anderntags mußte ich auch schon wieder den Rückweg antreten, und zwar nahm ich den Südausgang des Parks; hier führte die Straße ins Pintobecken, das etwa 1000 m tiefer liegt; nach und nach verschwanden die Joshua Trees und wurden durch Kakteen und Kreosotbüsche verdrängt, und deutlich wärmer wurde es auch. Der Ausgang des Parks ist zugleich der Wasserabfluß des Tals – da möchte ich nicht bei Regenwetter langfahren! Man sieht deutlich, welche Gewalt die Sturzfluten haben, wenn es denn mal regnet – sehr breites und absolut flaches Flußbett, und wo die Straße es kreuzte, war sie vorsichtshalber massiv aus Beton gegossen. Ich wollte mir noch die „Salton Sea” ansehen, einen großen Binnensee, der durch einen Unfall entstanden ist: 1907 hatte man einen Teil des Colorado River ins Imperial Valley umleiten wollen, zur Bewässerung der Wein-, Orangen- und Dattelpalmenplantagen – doch die Sache gelang zu gut und der Fluß änderte seinen Verlauf komplett. Erst 1909 gelang es, ihn in sein altes Bett zurückzuleiten. Der Wind wehte „tumbleweeds” (Gestrüpp, das rollt) und Müll durch die Gegend; am Straßenrand standen Autowracks und verlassene Häuser: das war ein ziemlich deprimierender Abstecher. Aha, dachte ich, so sieht also die Wüste aus, wenn der Mensch dagewesen ist. Allgemein muß ich sagen, daß außerhalb der Nationalparks sehr brutal mit der Landschaft umgegangen wird. Das Ökosystem Wüste hat dem nicht viel entgegenzusetzen und ist schnell auf Jahrhunderte zerstört.
Auf dem restlichen Rückweg nahm ich dann die schon bekannte schöne Strecke, mußte etwas zügiger fahren, weil es schon wieder dunkel wurde (kein Spaß in den Bergen mit 45W-Bilux-Licht) und kam, von der Schönheit der Wüste schwer beeindruckt, wieder im künstlichen Garten Orange County an.
Teil 2 meiner Kalifornien-Reise findet Ihr <hier>
—
Kommentare