aus bma 10/08

von Klaus Herder

Triumph Rocket 3 TouringAls Klapphelm tragende Durchblicker neigen wir Deutschen gern dazu, den hiesigen Markt als Nabel der Motorradwelt zu betrachten. Neuheiten haben gefälligst für den deutschen Grenzbereich und den deutschen Stammtisch zu taugen. Dicke Reisedampfer? Braucht doch kein Mensch.

Bestenfalls eine Gold Wing für die Senioren unter uns. BMW geht auch gerade noch, aber dann doch bitte unbedingt mit ABS. Die wirkliche Welt außerhalb bundesdeutscher Umweltzonen sieht dann aber doch schmerzlich anders aus. Um das zu kapieren, ist es ganz hilfreich, sich ab und an mit Hilfe einer kleinen Statistik etwas einzunorden. Bitteschön: In Deutschland wurden von Januar bis Dezember 2007 exakt 113014 Neumaschinen zugelassen. Alle Marken, alle Typen, einfach alles. Im gleichen Zeitraum verkaufte allein Harley-Davidson 330619 Motorräder – und von denen blieben 241539 Stück im eigenen Land. In den USA! Soweit dieser kleine Exkurs zum Thema: „Die Bedeutung von chrombehangenen Fernwehsesseln im internationalen Motorradmarkt”.
Es dürfte daher verständlich sein, daß auch Triumph sehr viel Energie darauf verwendet, Ami-kompatible Motorräder im Programm zu haben. Hubraumschwache Spielzeuge vom Schlage einer America oder Speedmaster sind für die US-Boys ziemlich uninteressant, die Jungs bevorzugen das XXL-Format. Und genau in dieser Größe hat Triumph seit 2004 mit der Rocket III etwas Passendes im Angebot. Zumindest was den Hub-raum angeht, denn auf drei Zylinder verteilte 2,3 Liter reichen immerhin für den Titel „hubraumstärkstes Serienmotorrad der Welt” (Anmerkung für potenzielle Leserbriefschreiber: Nein, die Boss Hoss akzeptieren wir NICHT als Serienmotorrad!).

 

Triumph Rocket 3 TouringDoch den Triumph-Verantwortlichen war von vornherein klar, daß die Basis-Rocket zwar bestens für das europäische Showprogramm, aber nur bedingt für amerikanische Tourer-Ansprüche geeignet sein würde. Und so entwickelten sie bereits ab dem Frühjahr 2004 ein Rocket-Schwestermodell, die Rocket III Touring. Die Briten hätten es sich eigentlich ganz leicht machen können: Windschild, Koffer, Trittbretter und etwas mehr Chrom dran, eine fette Sitzbank drauf – und schon wäre aus dem Cruiser ein Tourer geworden. Doch Briten machen es sich und anderen selten einfach. Und so stehen wir nun vor einem Motorrad, bei dem bis auf die Bremsanlage, das Rücklicht und die Spiegel alles um den Antrieb herum komplett neu ist. Und selbst der Motor blieb nicht unangetastet, denn niemand in Amiland braucht zum Touren 140 PS. Dafür mag der Amerikaner Automatikgetriebe. Nein, keine Panik: Triumph hat keine Variomatic implantiert, aber durch geschickte Arbeit am Mapping (Abstimmung der elektronisch gesteuerten Einspritz-Mimik) sorgten die Triumph-Techniker für noch mehr Drehmoment bei noch niedrigeren Drehzahlen. Statt ohnehin schon gewaltiger 200 Nm bei 2500 U/min stemmt die Touring nun gigantische 209 Nm bei fast schon unterirdischen 2000 Touren. Das bedeutet, daß praktisch bereits bei Leerlaufdrehzahl dreistellige Nm-Werte anliegen. Oder anders gesagt: Daß der fünfte und letzte Gang – vom morgendlichen Anfahren und abendlichen Abstellen mal abgesehen – immer drin bleiben kann. Immer! Womit wir die gewünschte Automatik hätten.
Und was ist mit der Leistung? Die sank auf 107 PS bei 5400 U/min, was aber eigentlich völlig egal ist. Entscheidend ist, was auf die 17 Kilo schwere und nur 20 Zentimeter über dem Asphalt rotierende Kurbelwelle gewuchtet wird. 209 Nm bei 2000 U/min! Man kann es gar nicht oft genug schreiben. Doch die fetteste Drehmomentwille bringt dem Tourer nur dann etwas, wenn das Umfeld saubequem ist und unbeirrbar in der Spur bleibt. Und da konnte die Basis-Rocket nicht immer 100-prozentig überzeugen. Bereits kleinste Schräglagen auf Rüttelpisten oder minimale Spurrillen auf Geraden reichten, daß der fette 240er-Hinterradreifen das Einspurfahrzeug in einen Mehrspurer verwandelte. Der Cruiser-Pilot hatte dann alle Hände voll damit zu tun, den schlingernden Cruiser auf Kurs zu halten. Die unterdämpften und hart abgestimmten Federbeine machten die Sache nicht einfacher. Damit wir uns richtig verstehen: Auf pottebenem Geläuf läßt sich mit der „normalen” Rocket III durchaus kräftig angasen, doch für Toureransprüche reicht das nicht.
Triumph Rocket 3 TouringErschwerend kommt hinzu, daß die Wuchtbrumme im vollen Tourer-Ornat fahrfertig knapp 400 Kilo und damit rund 30 Kilo mehr als die Cruiser-Rocket auf die Waage bringt. Ein neuer Brückenrahmen aus Stahl, eine konventionelle Telegabel anstelle der Upside-down-Gabel, neue Federbeine und ein neues Fahrwerks-Layout mit größerem Radstand und längerem Nachlauf sorgen nun für tourentaugliche Rahmenbedingungen. Doch nicht alles wurde größer und breiter. Bei den Rädern ging’s in die andere Richtung. Und das ist auch gut so. Wo im Cruiser Gummis im Format 150/80-17 und 240/50-16 für eine tolle Show und ein zeitweise etwas gewöhnungsbedürftiges Fahrverhalten sorgen, sind bei der Touring 25-Speichen-Gußräder mit Bridgestones in 150/80-16 und 180/70-16 montiert. Das Trennscheiben-Gummi auf dem Hinterrad sorgt in Verbindung mit der geänderten Peripherie für ein gänzlich neues Fahrverhalten: Es hat sich ausgetaumelt! Und das nicht nur auf der Route 66, sondern auch auf deutlich kleinformatigeren und wesentlich kurvigeren Schwarzwald-Sträßchen, ersatzweise auch Alpenpässen. Im Unterschied zum Cruiser gibt sich der Tourer weit weniger eigensinnig und läuft mit runden Schwüngen überraschend lässig und völlig problemlos um Kurven.
Netter Nebeneffekt der Schlankheitskur am Heck: Nun ist Platz für zwei serienmäßige 39-Liter-Koffer, die sich mit dem Zündschlüssel abschließen lassen. Deren Boden ist so gestaltet, daß die abgenommenen Koffer aufrecht stehen bleiben. Klingt selbstverständlich, doch viele Koffer-Besitzer wissen, daß dem nicht so ist. Die Triumph-Koffer hätten gern noch etwas größere Öffnungen haben dürfen, aber dafür sind die Deckel absolut wasserdicht. Ebenfalls ab Werk gibt’s eine mittelhohe Windschutzscheibe, die sich per Schnellbefestigung blitzschnell ab- und anbauen läßt. Die polierte Edelstahl-Halterung paßt bestens zum sehr wertigen Auftritt der Rocket III Touring. Bis auf die Kühlerblende aus verchromten Kunststoff ist alles sehr massiv gemacht und besteht aus dem Werkstoff, nach dem es aussieht.Triumph Rocket 3 Touring
Noch fetterer Motor, funktionierendes Fahrwerk, unverändert gute Bremsen – was fehlt noch? Logisch, das entscheidende Thema Komfort. Die Touring-Zielgruppe trägt vermutlich XL oder größer, denn der Fahrerplatz ist eindeutig für ausgewachsene Männer gemacht. Die plüschige, aus zwei Lagen unterschiedlicher Polster-Dichte gefertigte Sitzbank hat nämlich echtes Breitarsch-Format, und der 22,3-Liter-Tank ist so ausladend, daß man ziemlich breite Beine machen muß. Das ist ab einsachtzig Gesamtlänge kein Problem, dackelbeinige Hänflinge dürften aber zumindest anfangs leichte Probleme haben. Die mit Fahrer und etwas Gepäck beladene Rocket spielt in der Halbtonner-Klasse, was zumindest beim Rangieren deutlich spürbar ist. Sicherer Bodenkontakt kann da kriegsentscheidend sein.
John, Bob und Mike fühlen sich aber garantiert sauwohl und parken ihre 46er-Bikerboots auf verchromten Leichtmetall-Trittbrettern, die aus gutem Grund mit auswechselbaren Schleifpads bestückt sind. Da außer der bereits erwähnten morgendlichen und abendlichen Grundeinstellung nicht weiter mit der verstellbaren Schaltwippe gearbeitet werden muß, bleibt für die Jungs viel Zeit, um sich dem Spieltrieb hinzugeben. Das passende Werkzeug dazu ist am Lenker montiert und heißt bei Triumph „Scrollbutton”. Über den läßt sich das Tacho-Display auf Gesamtkilometer-, doppelte Tageskilometer-, Restreichweite- oder auch Zeituhr-Anzeige stellen. Vor übermäßiger Belästigung durch Wind und Wetter schützt die besagte Scheibe recht ordentlich, seitliche Windabweiser sorgen auf Wunsch für absolute Windstille. Stichwort Stille: Was den unter den beiden Koffern entlang führenden Ofenrohren entweicht, ist dann doch vielleicht etwas zuviel des Ruhigen. Grollen, Blubbern, Röhren? Weitgehend Fehlanzeige. Wo die Cruiser-Rocket noch herrlich fauchen darf, tönt die Touring doch etwas zu bescheiden.
Das muß aber nicht so bleiben, hält Triumph doch ein nettes, über 80-teiliges Zubehörprogramm parat, in dem auch ABE-freie (und trotzdem nicht zu illegal klingende) Schalldämpfer zu finden sind (for race track use only…) – welch Berechnung! Die Komfort-Freaks werden aber auch bestens bedient, sei es mit einer einstellbaren Fahrer-Rückenstütze (239 Euro), einer Sissy Bar mit Schnellverschluß (289 Euro) oder auch dem wichtigen „Bucket Solositz” (269 Euro). Ansonsten gibt’s noch jede Menge Chrom-Anbauteile, mindestens vier verschiedene Spiegel, Nebelscheinwerfer, eine wichtige „Windschild-Ledertasche mit Nieten” (75 Euro) und möglicherweise irgendwann auch eine Reise-Kaffeemaschine.
So läßt sich das Kampfgewicht locker über 400 Kilo und der Kaufpreis entspannt über 20000 Euro treiben. Für die in Blau, Schwarz, Schwarz/Weiß und Schwarz/Rot lieferbare Touring in auch nicht gerade bescheidener Basisausstattung verlangt der Triumph-Händler einen Listenpreis von 19740 Euro (plus ca. 250 Euro Nebenkosten). Das sind 1100 Euro mehr als für die nackte Rocket III. In der Praxis werden Touring-Vorführer mit meist wenig Kilometern für 16990 Euro gehandelt. Was die Sache absolut wert, aber immer noch eine Menge Holz ist. Die Zahl der nach Deutschland kommenden Reise-Rockets wird sich pro Jahr im unteren dreistelligen Bereich bewegen. In den USA wird das aber sicher ganz anders aussehen.