aus bma 11/04

von Klaus Herder

Triumph Rocket 3Vor einigen Jahren erntete ich böse Leserbrief-Schelte für eine Geschichte über die Yamaha Vmax. Ich hatte mich erdreistet, den Machobike-Charakter der Mutter aller Muscle-Bikes zu betonen und als Haupt-Kaufgrund den Show-Wert der Vmax zu vermuten. Ein Aufschrei der organisierten Vmax-Gemeinde war die Folge: „Nein, das Machobike-Image interessiert uns gar nicht. Wir fahren Vmax, weil sie ein prima zuverlässiger und bequemer Tourer ist. Schaulaufen ist überhaupt nicht unser Ding.” Und so weiter und so fort. Ja nee, is klar. Die gleichen Leute kaufen vermutlich den Playboy, weil da so tolle Interviews drinstehen. Und die Bild-Zeitung wegen der Sportberichte und Aldi-Anzeigen.
Daran mußte ich denken, als ich die ersten Bilder der Triumph Rocket III sah – und ich sah sie auch schon vor mir: Die selbsternannten Vernunft-Biker, die die Rocket eigentlich nur deshalb kaufen wollen, weil sie als eine der ersten Maschinen schon jetzt die Euro 3-Abgasnorm erfüllt, weil die Wartungsintervalle mit 16.000 Kilometern herrlich lang ausfallen – und weil sie natürlich ein prima Tourer ist. Ja, auch dieses Motorrad kann man theoretisch aus rein pragmatischen Gründen kaufen. Doch wer das behauptet, ist ein elender Heuchler. Es gibt genau einen Grund, um ausgerechnet dieses vollgetankt 362 Kilogramm wiegende Schiff zu kaufen: Die Triumph Rocket III ist das hubraumstärkste Serienmotorrad der Welt. Punkt. Dem Reiz der Superlative zu erliegen ist ja auch gar nichts Unanständiges und zutiefst menschlich. Das es so ganz nebenbei auch noch Spaß macht, die Triumph zu fahren und nicht nur zu besitzen, macht die Sache nur noch angenehmer.

 

Triumph Rocket 3Doch der Reihe nach: Ende der 90er Jahre stellten schlaue Marketing-Strategen bei Triumph fest, daß knapp 70 Prozent der in den USA neu verkauften Straßenmaschinen über 600 ccm zur Cruiser-Kategorie ge-hörten. In Europa war ihr Anteil nicht ganz so hoch, mit knapp über 50 Prozent (Straßenmaschinen über 650 ccm) aber auch recht üppig. Von diesem großen Kuchen wollte sich Triumph ein großes Stück abschneiden und klotzte gleich richtig: Ein Super-Cruiser mit 1500 ccm ging in die Planung. Anderthalb Liter Hubraum, damit hätte Triumph in der Cruiser-Bundesliga mitgespielt und gegen die Honda F 6 C und die Kawasaki VN-15 anstinken können. Schade nur, daß Yamaha 1999 mit der 1600er-Wild Star und Honda 2001 mit der VTX 1800 die Meßlatte höher legten. Triumph zog in der Planung mit anfangs 1600, später sogar mit 2000 ccm nach, doch irgendwann wuchs im mittelenglischen Hinckley die Erkenntnis, daß Agieren besser als Reagieren sei. Im Mai 2002 lief der erste Motor mit dem endgültigen und amtlichen Hubraum: drei Zylinder mit jeweils 101,6 mm Bohrung und 94,3 mm Hub: insgesamt satte 2,3 Liter.
Der längs eingebauten Triple war die logische Konsequenz genauer Marktanalysen. Den x-ten V2 hätte niemand mehr gebraucht, erst recht nicht von Triumph; ein quer eingebauter und damit sehr breiter Motor hätte auf dem US-Markt keine Chancen gehabt, denn die Amis lieben eine Sitzposition mit weit nach vorn gestreckten Beinen und sie hassen es, wenn beim Rückwärts-Rangieren irgendetwas das freie Füßeln behindert (nicht lachen: das ist mit ein Grund, warum sich die BMW-Cruiser in den Staaten nicht ganz so prall verkaufen – der Boxermotor ist den Harley-sozialisierten Amis einfach zu breit und ständig im Weg). Vier Zylinder längs zu verbauen traut sich nur BMW (und früher Nimbus aus Dänemark), ein schmaler Sechszylinder-Boxer wäre zu sehr eine Honda-Kopie geworden. Was blieb, war der ohnehin Triumph-typische Dreizylinder, aus genannten Gründen aber mit längs liegend untergebrachter Kurbelwelle.
Im Triumph-Baukasten gab es einen solchen Hubraumriesen noch nicht, also war eine komplette Neukonstruktion fällig. Bei der durften sich die Techniker richtig austoben, denn es war klar, daß der Triumph-Über-Cruiser in einer Preislage angesiedelt sein würde, in der die Umlage etwas höhere Entwicklungs- und Produktionskosten nicht übermäßig auffallen würde. Flüssigkeitskühlung, zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, je vier über Tassen-stößel betätigte Ventile, Doppelzündung und eine elektronisch gesteuerte Einspritzanlage sind heutzutage guter Motorenbau-Standard.
Etwas mehr Phantasie mußten die Ingenieure bei der Unterbringung der einzelnen Baugruppen beweisen. Damit der Radstand nicht gegen unendlich gehen würde, mußte der Antriebsstrang äußerst platzsparend verbaut werden. Kupplung und Fünfganggetriebe befinden sich daher direkt links neben der Kurbelwelle. Und damit die immerhin 17 Kilogramm wiegende Kurbelwelle einem möglichst tiefen Schwerpunkt zuträglich sein würde, gibt es bei der Rocket III keine Naßsumpfschmierung mit üppiger Ölwanne, sondern einen Trockensumpf mit Öltank, der ebenfalls auf der linken Motorenseite untergebracht ist. Das schwarze, in Halbhöhenlage montierte Etwas beschrieb ein Kollege sehr treffend als „Lakritz-Stäbchen”. Rechts neben der Kurbelwelle rotiert eine Ausgleichswelle. Doch nicht nur sie allein sorgt für einen überraschend vibrationsarmen Motorlauf. Praktisch auch alle anderen verbauten Wellen drehen sich gegenläufig zur Kurbelwelle, die nur 20 Zentimeter über dem Asphalt rotiert.
Triumph Rocket 3Die ersten Prüfstandsläufe waren ein voller Erfolg, der Dreizylinder stemmte auf Anhieb 192 Nm, die anvisierten 200 Nm (bei 2500 U/min!) waren nur noch reine Formsache, bereits ab 1800 U/min stehen 90 Prozent des Drehmoment-Maximums zur Verfügung. Damit diese Kraft aber überhaupt einigermaßen zivil auf die Straße gebracht werden kann, begrenzten die Triumph-Ingenieure das Drehmoment in den ersten drei Gängen. In den beiden ersten Fahrstufen sind es sieben Prozent weniger, der dritte Gang bietet einen fließenden Übergang, und nur im vierten und fünften Gang stehen 100 Prozent zur Verfügung.
Für diese Regelung muß der Fahrer den Technikern dankbar sein, denn die Abstimmung ist perfekt gelungen, überfordert den Piloten nicht und bietet trotzdem satten Punch.
Doch bevor am Gasgriff vollstreckt werden kann, gilt es, sich auf der Rocket III häuslich einzurichten. Das fällt auch kurzbeinigen Fahrern recht leicht, denn 740 mm Sitzhöhe überfordern Niemanden, das fette Kissen paßt auch Breitarschträgern wie angegossen. Wer den Stier bei den Hörnern packen möchte, muß sich im Oberkörperbereich allerdings ziemlich breit machen und ordentlich über den gewaltigen 25-Liter-Tank spannen. Der ultrabreite Lenker und auch die US-like recht weit vorn montierten Fußrasten erzwingen eine Haltung, die der eines landenden Albatros nicht unähnlich ist (Wer jemals „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei” gesehen hat, weiß, was ich meine). Griffe und Hebel sind an der Rocket III durchaus großzügig dimensioniert. Um so mehr erstaunt es, daß sich die Kupplung leichter als an mancher 125er bedienen läßt.
Der Sound im Leerlauf (700 U/min) ist eher unspektakulär: ein sanftes Grummeln, unterlegt von dezentem Pfeifen. Beim grundsätzlich von einem „Klonk” begleiteten Schalten geht es eigentlich nur darum, auf direktem Weg und möglichst schnell in den fünften Gang zu kommen. Alles, was dazwischen liegt, ist völlig überflüssig. Solange die Rocket III auch nur etwas rollt, geht alles – wirklich alles – im letzten Gang. Die 140 PS Nennleistung liegen bei 5750 U/min an. Das ist aber ein Bereich, in den erst Rocket-Fortgeschrittene vorstoßen sollten, denn bereits ab 1500 Touren packt die Triumph den ganz großen Hammer aus. Natürlich sind 3,4 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h ein Wert, den auch handelsübliche Sportler locker schaffen, aber auf denen kauert man – auf der Rocket III thront der Fahrer; und das ist dann doch schon ein völlig anderes Fahrgefühl.
Bei 100 km/h zeigt der Drehzahlmesser gerade mal 2500 Touren, wer jetzt noch weiter mit dem wunderbar exakt dosierbaren Gas spielt, bekommt auch akustisch etwas geboten. Das dezente Säuseln geht in ein heiseres Röcheln über, wer die 4000er-Marke überschreitet, läßt den Dreizylinder böse fauchen – es geht einfach nichts über amtlichen Dreizylinder-Sound. Den Unterschied zwischen 1,5 und 2,3 Litern Hubraum zeigt die Triumph dann, wenn Durchzug gefragt ist. Von 100 bis 140 km/h braucht der Dampfer keine vier Sekunden. Um ohne zu schalten von 140 auf 180 km/h zu kommen, benötigt der Rocket-Fahrer gerade mal 5,5 Sekunden. Im Fahrversuch rannten Rocket-Prototypen über 260 km/h, bei rund 220 km/h ist für die Serienversion aber bereits Feierabend. Das reicht auch völlig, denn bei aller Leichtigkeit darf nicht ganz vergessen werden, daß eine Rocket-Fahrer-Sozius-Kombination locker über eine halbe Tonne Kampfgewicht auf die Waage bringt. Und diese Masse muß nicht nur beschleunigt, sondern im Ernstfall auch sehr schnell verzögert werden. Den Job erledigen am Vorderrad die, aus der Daytona 955i bekannte, 320-mm-Doppelscheibenbremse, an der Hinterhand eine 316-mm-Soloscheibe. Und das sehr gut, nämlich fein dosierbar und überaus wirksam – aber eine halbe Tonne bleibt eine halbe Tonne und da reichen 220 km/h Spitze doch eigentlich völlig aus.
Triumph Rocket 3Die heftige Masse merkt man ansonsten eigentlich nur beim Rangieren. Rollt die Rocket III erst, wirkt sie überraschend handlich und wendig, dem tiefen Schwerpunkt sei Dank. Die überfette Metzeler-Bereifung (150/80 VR 17 vorn, 240/50 VR 16 hinten) macht sich nicht unangenehm bemerkbar, die Rocket schwenkt relativ leicht in Schräglage und setzt für Cruiserverhältnisse auch gar nicht mal so früh mit den Fußrasten auf. Wenn die Fahrbahnbeläge unebener und die Kurven enger werden, kommen die Upside-down-Gabel von Kayaba und die nur in der Vorspannung verstellbaren Federbeine recht schnell an ihre Grenzen. Zwar sind die Federelemente straff abgestimmt, aber das bringt nicht mehr viel, wenn die Fuhre erst ins Pumpen kommt. Mit der Zielgenauigkeit ist es dann vorbei. Das Fahrverhalten wird in solchen Situationen zwar niemals unberechenbar und wirklich gefährlich, doch Spaß macht es dann nicht mehr. Der erstmals in einer Triumph verbaute Kardan benimmt sich übrigens unter allen Bedingungen tadellos, die Welle arbeitet völlig unauffällig.
Gut ausgebaute und mit weiten Kurven bestückte Landstraßen sind das eigentliche Rocket-Revier. Wer es einigermaßen sinnig und gesetzes-konform angehen läßt, fackelt zwischen sechs und sieben Litern Super ab. Zwei Katalysatoren im Auspuffsammler vor dem Hinterrad sorgen für korrekte Abgaswerte. Womit wir wieder bei den unglaublich vernünftigen Gründen wären, 17.990 Euro (inkl. Nebenkosten) ausgerechnet für dieses Motorrad auszugeben. Vergessen Sie es, lügen Sie sich nicht in die Tasche. Es gibt genau einen Grund, warum Sie dieses Motorrad vielleicht interessiert: die 2,3 Liter. Das muß Ihnen nun wirklich nicht peinlich sein.