aus Kradblatt 1/20 von Jochen Vorfelder

Der freundliche Vulkan

2,5 Liter Hubraum, über 300 Kilo: Auch die neue Rocket 3 von Triumph fährt
wieder in einer ganz eigenen Schwergewichtsklasse.

Triumph Rocket 3 R / GT Manchmal ist es doch ganz nützlich, sich am Frühstücksbuffet ordentlich zu bedienen: Es gibt Motorräder, die steckt man schnell weg. Und dann wiederum fallen einem welche vor die Füße, die verdaut man schwerlich auf nüchternen Magen. Die Triumph Rocket 3 gehört eindeutig zur zweiten Kategorie – was für ein Bulle ist das bloß, und was für ein Trumm von Motor: 112 Kilo Aluminium mit fein ziselierten Details. Eine schwarze Skulptur aus geballter Kraft.

Fahrbericht Triumph Rocket 3 R / GT Modell 2020Rund fünfzehn Jahre ist es schon her, dass der Dreizylinder aus Hinckley auf dicke Backen macht. 2004 kam die erste Rocket III mit drei Zylindern und dem unerhörten Hubraum von 2,3 Litern auf den Markt; drei Jahre entwickelte Triumph einen „Classic Tourer“ daraus, zum ersten Mal mit Sissybar, 2009 die Touring. Nach zehn Jahren war dann Ende: mit der Rocket X, einer limitierten Zehn-Jahres-Jubiläums-Edition. Die letzten Rocket III wurden vor knapp drei Jahren gebaut. 

Alle Rocket-Modelle hatten, so im Nachhinein betrachtet, zwei Dinge gemeinsam: Erstens spielte Triumph mit der Rocket III in einer ganz eigenen Schwergewichtsklasse. Mehr Drehmoment und Power, mehr Muscle Bike gehen bisher nicht in einem Serienmotorrad; von E-Bikes und Exoten wie der BossHoss mal abgesehen, aber wer vergleicht schon gerne Äpfel mit Tomaten. 

Zweitens sehen – von meinem heutigen Standpunkt aus betrachtet – die frühen Rocket aus wie aus der Zeit gefallen. Optisch in die Jahre gekommen; heute versprühen sie den optischen Charme eines Tagebau-Baggers. „Uns war klar, dass wir für die neuen Rocket von Grund auf neu denken und entwickeln mussten,“ sagt deshalb auch Stuart Wood, der Cheftechniker im britischen Triumph-Werk.

Herausgekommen sind bei der Erledigung der Vorgabe eine komplett neue Plattform und zwei Motorräder, die von Triumph in Thailand gefertigt werden: Euro4-konform, moderner, leichter und zugleich noch potenter. Die neuen Rocket 3 (die römische III hat Triumph aufgegeben) haben jetzt 2458 ccm und 221 Nm Drehmoment – und damit wieder weit mehr als jeder andere Serienmotor.

Triumph Rocket 3 R, Modell 2020 Drei in sich ruhende Zylinder: Zur Präsentation der neuen Rocket, Modelljahr 2020, hat Triumph nach Teneriffa eingeladen, die Kanareninsel, die im Wesentlichen aus dem Vulkan Pico del Teide besteht. Der Teide ist im November 1909 zum letzten Mal ausgebrochen und dieser Tage eine Touristenattraktion. Die Besucher fahren bis hoch zum Kraterrand auf über 2700 Metern; wohl wissend, dass unter ihnen eine unbändige Kraft schlummert. 

Das passt perfekt zur Rocket 3: Auf dem Weg hoch zum Teide, auf dem kurvigen Kurs mit engen Turns, schnellen Geraden durch die Lavafelder und erfreulich wenig Ausflugsverkehr, wird zügig klar, dass die neue Rocket 3 eine erstaunlich agile Fahrmaschine und auch ein in sich ruhender Vulkan ist. 

Schon das Aufsatteln macht Freude. Man nimmt Platz hinter einem ausladenden Benzinreservoir, gehalten von einem gebürsteten Edelstahlband. Es schluckt 18 Liter Sprit weg, dennoch stimmt der Knieschluss. Der Blick fällt auf ein freundliches, klar strukturiertes Cockpit: Triumph hat es drauf, ansehnliche Fahrzeuge zu bauen. Auch der Sitz passt. Nicht zu weich, gut konturiert; die Höhe von wahlweise 773 und 750 mm ist auch für größere Kandidaten noch angenehm. 

Frontansicht, Triumph Rocket 3 R Modell 2020 Dann Abfahrt und ordentlich Gas: Hoppla! Die Maschine ist, wenn den Pferdchen die Sporen gegeben werden, kein fetter Schwerathlet mehr sondern ein muskulöser Sprinter. Der einstige Sumo-Ringer ist auf Rente.

Erster Grund: Im Vergleich zum Vorläufer-Modell bringt die Rocket 3 mit dem Trockengewicht von 291 bzw. 294 kg (je nach Ausführung) jetzt rund 60 kg weniger auf die Waage als die Vorgängerin. Gespart hat Triumph fast an jeder Schraube, zudem ist die neue Einarmschwinge mit dem Kardan wesentlich gewichtseffizienter als die alte Hinterradführung. Zweitens: Der Motor mit den drei Zylindern in Reihe haut jetzt 167 PS bei nur 4000 U/min raus. 

Doch was das Aggregat – und das Fahren mit der Rocket 3 – einzigartig macht, ist das Drehmoment von 221 Nm. Die unfassbare Kraft liegt schon ab 2200 Umdrehungen an, und ist auf diesem Niveau, wie auf einer endlosen Hochebene, bis 5500 U/min abrufbar. Die Rocket-Kraft lebt, sie ist jederzeit da, sie grollt und brodelt im Dreizylinder wie die heiße Lava tief im Teide. 

Das Getriebe hat sechs Gänge, für die man sogar einen Quickshifter ordern kann, aber eigentlich braucht man sie selten: Schon bei niedrigster Drehzahl zieht die Rocket wie ein Güterzug. Am Teide habe ich mich oft dabei ertappt, im „falschen“ Gang zu sein: Es fiel kaum auf. Ob im zweiten Gang oder im fünften, der energische Griff an der Ride-by-Wire-Armatur macht dich zum Raketenmann; im fünften halt mit höherer Geschwindigkeit.

Cockpit Triumph Rocket 3 R / GT Modell 2020 Vergiss also hohe Drehzahlen: Selbst ambitionierte Automobilisten, die am Kurvenausgang gedenken dagegenzuhalten, schluckt die Triumph-Dampfwalze beim tieftourigen Überholen weg wie eine lästige Fliege.

Die spektakulären Werte und Fahreigenschaften teilen sich zwei optisch grundverschiedene Fahrzeuge. Die Rocket 3 R ist mit dem kürzeren Heck, ohne Sissybar und niedrigerem Lenker ein sportlicher Roadster; die Rocket 3 GT mit weiter vorne montierten Fußrasten, kleinem Windschutz und breiterer Stange ist von den Entwicklern eher zum Reisen vorgesehen. Stuart Wood sagt, dass beide Modelle das gleiche Chassis und Fahrwerk, die identischen Federelemente und Reifen haben und sich das identische Motor-Mapping teilen. Wood erklärt: „Den eigenen Charakter kriegen die beiden Modelle durch die verschiedene Sitzposition und die veränderte Ergonomie des Fahrers.“

Der Zug am elektronischen Ride-by-Wire-System ist deshalb auch bei beiden Modellen wie eine Eruption: Die Rocket ist ebenso wenig aufzuhalten wie eine Lava-Lawine. Erstaunlich, dass diese Urgewalt den Fahrer nicht verunsichert: Die Triumph-Entwickler haben es geschafft, die rohen Kräfte so zu zähmen, dass 221 Nm nicht zwangsläufig ein Münchhausen-Ritt auf der Kanonenkugel bedeuten. Die Rakete geht ab wie ein Katapult, ist aber ein modernes, computergesteuertes Präzisionsinstrument.

Hartes Beschleunigen aus der Kurve, hartes Anbremsen vor der Spitzkehre: Besonders die R-Ausführung, die mir mit der aufrechteren Sitzhaltung und flachen Stange mehr Bewegungsspielraum im Sattel bietet, lässt sich trotz des langen Radstands und der fetten Reifen vom Typ Avon Cobra Chrome (hinten mit 240 mm Breite) neutral und fast so aggressiv fahren wie ein Sportbike: Nirgendwo sonst gibt es Power so sanft serviert. Einzig die typenbedingt begrenzte Schräglage setzt dem Sprint-spaß und dem schnellen Kurvenkratzen ein Ende; das Schleifen am Asphalt beginnt bei beiden Fahrzeugen ziemlich früh.

Viele Extras ab Werk lieferbar - Triumph Rocket 3 GT Modell 2020 Sauber verpackt: Triumph liefert die beiden Rockets mit einem umfassenden Sicherheits- und Elektronikpaket aus. Der Pilot kann auf vier Fahrmodi (Rain, Road, Sport und Rider), Kurven-ABS, Traktionskontrolle und eine speziellen Brembo-Bremsanlage vertrauen: Die vordere Bremse ist dabei mit der hinteren verbunden. Das ist – in mechanischer Form – nicht neu, doch Triumph regelt beim Einsatz der Handbremse die Bremskraft hinten durch eine komplexe Elektronik, die u.a. Geschwindigkeit, Verzögerung, Schräglage und Beladung in Rechnung stellt, und Ventile entsprechend stellt. 

Stuart Wood sagt dazu: „Unser Anspruch ist, dass der Fahrer davon nichts merkt.“ Es klappt so hervorragend wie die fast unmerkliche, aber präzise Traktionskontrolle. Die ist dringend nötig, nicht nur wegen des irren Drehmoments, sondern auch weil die bassige Tieftourigkeit des Motors maskiert, wie schnell man gerade unterwegs ist.

Richtig beeindruckend ist zudem, wie sich die Detailverarbeitung und Kabel-Schlauch-Führung – neudeutsch auch „Packaging“ genannt – seit der ersten Rocket von 2004 und bei Triumph-Fahrzeugen überhaupt entwickelt hat. Nichts wirkt mehr sinnlos angeschraubt; kein Seilzug hängt mehr lose rum. Die Elektrik ist fast komplett verkleidet; selbst die Kabel am Lenker sind ins Rohr verschwunden. Geradezu fanatisch suchen die Entwickler auch nach eigenen Designlösungen: Besonders stolz sind sie bei der Rocket auf die clever klappbaren Soziusfußrasten.

Auf dem Papier schluckt der Dreizylinder rund 6,8 l/100 km, aber auch bei Zweirädern sind die Hersteller-Angaben basierend auf genormten Testzyklen wenig wert. In der Praxis fließen bei aggressiverer Fahrweise auch gerne bis zu 7,5 Liter durch. 

Gepäckbrücke für die Triumph Rocket 3 GT, Modell 2020 Mehrwert aus dem Zubehör: Umsonst ist die Raketen-Technologie nicht. Die Rocket 3 R kostet in Deutschland 21.950 Euro, die GT 22.750 Euro; beide Versionen (die R in rot oder schwarz, die GT in schwarz oder silber/grau) stehen seit Dezember 2019 beim Händler.

Für diesen stattlichen Preis bietet Triumph allerdings ein umfangreiches Paket: Serienmäßig bestückt sind die Rocket 3 z.B. mit Rundum-LEDs, Keyless-Ride, Tempomat, mit einer Berganfahrhilfe und stufenlos verstellbaren Farb-TFT-Display. Das digitale Cockpit ist mit dem Android- oder Apple-Smartphone verbunden; gegen Aufpreis gibt es auch eine Pfeilnavigation, basierend auf Google Maps und einer Triumph-eigenen App. Neu ist auch eine GoPro-Kamera-Steuerung über den Triumph Joystick am Lenker, die wir in Teneriffa allerdings noch nicht ausprobieren konnten. 

Wem die Standard-Ausrüstung der R und GT (mit zusätzlichem Windschutz, Heizgriffen und Rückenlehne) noch nicht genug ist, der kann sich im umfangreichen Zubehör bedienen. Der Clou: Die Katalog-Teile passen in der Regel an beide Modelle; ein eigenes „Quer-
Customizing“ ist also möglich. 

Was leider im Teile-Regal fehlt: Eine Gepäckbrücke für die Rocket 3 R. Als Zubehör gibt es zur Zeit nur eine Version, die an die Rückenlehne der GT angedockt werden kann. Und eine Sissybar … nun ja, mmmmh, ich sach mal, im Jahr 2020 schwierig bis grenzwertig … würde ich zumindest nicht haben wollen. 

Triumph Rocket 3 R / GT, Modell 2020 Mein Fazit: Selten ein Motorrad gefahren, dass so massiv nur aus reiner Kraft besteht. Ein Monster-Motor, ein Drehmoment-Ungeheuer – aber zugleich perfekt gezähmt von den Triumph-Technikern, mit einem herausragenden Fahrwerk für diese Gewichtsklasse, und einem unvergleichlichen Lockruf aus den drei chic verbauten Endrohren. Optisch eine Augenweide. Wer Schwerkraft in der Raketen-Umlaufbahn sucht, muss sich die Rocket 3 anschauen.

Fahrzeugschein:

  • Hersteller: Triumph
  • Typ: Rocket 3 R / GT
  • Motor: Reihen-Dreizylinder
  • Getriebe: 6-Gang
  • Hubraum: 2458 ccm
  • Leistung: 123 kW / 167 PS bei 6.000 U/min
  • Drehmoment: 221 Nm bei 4.000 U/min
  • Höchstgeschwindigkeit: 221 km/h 
  • Gewicht: 315 kg vollgetankt
  • Tankinhalt: 18 l
  • Preis: 21.950 / 22.750 Euro