aus bma 07/05

von Jens Möller

Es war vor langer Zeit, als die Haare noch zum Bangen taugten und Körper sich in taktmäßiger Gleichmäßigkeit der Musik hingaben. Rock ´n Roll, besonders AC/DC, sorgte für nachhaltige Nackenschmerzen. Und jetzt das: Benellis TNT, neben der Tornado Tre die zweite aktuelle Maschine von Benelli, da werden sofort Assoziationen wach. „Cause I´m TNT, I´m Dynamite, TNT, and I win the fight.“ Nüchternheit ist fehl am Platz, auch der Prospekt verspricht ähnliches: TNT ist ein Explosionsstoff, gewaltig aber stabil und braucht einen Zünder, um zu explodieren. Alles klar?
Ich überlege, ob ich das Ding wirklich starten soll, Respekt hat sich eingeschlichen. Los jetzt, schreit mich die innere Stimme an, Rock ´n Roll tut doch auch heut noch gut. Vorsichtig wandert der Zündschlüssel ins tief in der vorderen Tankhälfte platzierte Schloß der von Andreas Martynow aus Bardowick zur Verfügung gestellten TNT. Optisch nett, aber ab Handschuhgröße zehn nicht praktisch. Nach dem Druck auf den Starter nimmt der 1130 ccm Dreizylinder sofort, dank Einspritzung, seine Arbeit auf. Sonor, mit reichlich Bass im Stand, bollert es aus der ins Heck verlegten Anlage. Ein Leisetreter ist die Benelli nicht. Die Sitzmulde in 780 mm Höhe erklommen, ersten Gang rein und Gas.

Angriffslustig wird man leicht über den Tank gezogen, greift den gut geformten Lenker und packt die Füße auf die hohen, schräglagenfreundlichen und etwas rutschigen Rasten. Zeit, die ersten Detonationen auszukosten. Mächtig drückt der Motor vorwärts, gibt sein Drehmomentmaximum von 118 Nm schon bei 6750 U/min ab. Dabei bleibt er trotz seiner 101 kW bei 9250 U/min immer gut beherrschbar, denn der Motor wurde sehr weit vorn plaziert. Damit dies möglich wurde, hat man die zwei Kühler an die Flanken der Benelli verbannt. Zusammen mit dem Radstand von 1420 mm werden Lenkerschlagen oder
ungewollte Wheelies wirkungsvoll verhindert, der montierte 190er Reifen auf der hinteren 6“-Felge sorgt so für reichlich Vortrieb. Wahlweise kann man aber auch einen 180er oder einen 200er Reifen montieren lassen. Dabei agiert die Benelli äußerst benutzerfreundlich. Der Motor zieht es zwar vor, über 2500 U/min gehalten zu werden, weil er sonst mit starkem Kettenpatschen und Steuerkettenrasseln auf sich aufmerksam macht, hat man diesen Bereich jedoch verlassen, drückt der Antrieb seine Kraft linear bis an den Begrenzer bei 9500 U/min. Gehalten wird er dabei von einem Rahmen aus Stahlrohren und Alugussteilen. Die Gussteile bilden Lenkkopfaufnahme und Schwingenaufnahme und sind mit den Stahlrohren verschraubt. Ergänzt wird dieses kräftige Paket durch eine Marzocchi Upside-Down-Gabel mit einem Durchmesser von 50 mm und einer Dreifachklemmung an der unteren Gabelbrücke. Zwar ist die Gabel nicht einstellbar, verfügt aber über eine wirklich gelungene Abstimmung und eine herausragende Stabilität, die einen nie über den Streckenzustand im Unklaren läßt. Bodenunebenheiten werden satt ausgebügelt und beim harten Bremsen kann sie noch mit Reserven aufwarten. Unterstützt wird die Gabel an der Gitterrohrschwinge von einem voll einstellbaren Federbein, übrigens durch eine Hinterradabdeckung vor aufwirbeldem Schmutz geschützt. Dieses reagiert zwar besonders auf Asphaltkanten nicht ganz so sensibel wie die Gabel, stellt sich den einwirkenden Kräften ansonsten aber gut entgegen. Allerdings bedarf es einer genauen Anpassung der Federbasis per Hakenschlüssel, damit die Schwinge unter Zug nicht der Kraft des Motors nachgibt und ins Motorrad hineingezogen wird. Nach der korrekten Einstellung umrundet die vollgetankt immerhin 220 kg schwere Benelli jedwede Radien handlich, zielgenau und stabil mit ausreichendem Komfort. Zu sehen natürlich aus sportlicher Perspektive, das Fahrwerk entspricht größtenteils dem Sportler Tornado Tre, ist eher gradlinig und direkt als sänftenartig bequem.

Die Schräglagenfreiheit reicht dabei für alles, was Straßen herzugeben haben. Ob Serpentinen oder weite Bögen, nichts setzt an der TNT auf. Werden die Straßen kleiner und die Bögen enger, muß der Motor aufgrund seiner etwas langen Gesamt- übersetzung oft mit Kupplungshilfe im ersten Gang um die Kurve gefahren werden. Der Vortrieb setzt dann mit einem spürbaren Lastwechselschlag ein. Störend wird das aber nur in wirklich engen Ecken. Ärgerlicher ist es da, daß die Kühler bei engagierter Landstraßenfahrt und Temperaturen um 15 Grad auf Lüfterhilfe zurückgreifen müssen. Denn hierfür ist auf Dauer die Batterie zu schwach ausgelegt, weshalb die TNT dann nur durch Anschieben zur erneuten Lebensaufnahme zu bewegen ist.
Rennt die Benelli erst wieder und die nächste Kurve kommt ins Visier des Sprengmeisters, muß die Bewegung in Wärme umgewandelt, sprich gebremst werden. Vorne packen zwei Brembo 4-Kolbensättel in zwei 320 mm große, schwimmend gelagerte Scheiben. Hinten versucht eine 240er Scheibe mit einem Brembo-Doppelkolbensattel unterstützend mitzuwirken. Beide Bremsen verfügen bereits über Stahlflexleitungen, die einen konstanten Druckpunkt garantieren sollen. Während die hintere Scheibe nur Alibifunktion besitzt, weiß ihr vorderes Pendant zu überzeugen. Meist genügen zwei Finger am einstellbaren Bremshebel, um die gewünschte Verzögerung zu erreichen. Transparent und mit sehr guter Dosierbarkeit bringt man die Benelli TNT auf die gewünschte Geschwindigkeit.
So rauscht man durch die Landschaft bis einen die flackernde Tanksäule im gut ablesbaren Cockpit zum Tanken mahnt. Nächste Gelegenheit angepeilt und der TNT ihren Supersaft eingeflößt. Beim Bezahlen dann ein kleiner Schock. Gute 14 Liter sind in den 16,5 Liter fassenden Tank geflossen, und das für 140 km. Auch wenn kräftig am Gas gezogen wurde, ist dieser Wert eindeutig zu hoch. Besser, man läßt bei diesem Konsum Autobahnfahrten mit laut Hersteller möglichen 250 km/h sein, auch wenn die kleine Cockpitscheibe unerwartet guten Windschutz bietet. Doch Tanken im halbstündigen Rhythmus nervt nicht nur den Geldbeutel des Sprengsatztreibers. Für längere Strecken sollte man sich nach günstigen Krediten seiner Hausbank erkundigen.

Aber die TNT ist nun mal kein Vernunftmotorrad, will viel mehr die ideale Maschine für einen Sonntagmorgen auf freien Straßen sein, wo man sie beherzt laufen lassen kann und sich an den netten Details und der guten Verarbeitung erfreut. Dies sollte man tunlichst alleine tun, den der Soziusplatz verdient den Namen nur, wenn der Mitfahrer unter 1,60 m mißt und als Hobby „Kunstturnen” angibt. Zudem blasen die Abgase durch Verwirbelungen dem Sozius ungehemmt in den Rücken. Nachhaltiger Benzingeruch in den Klamotten ist die Folge. Abhilfe soll hier in Zukunft eine Verlängerung der Auslaßöffnung des Endtopfs bringen.
Also lieber allein den Blick über den armdicken Krümmer lenken, sich an der Schwinge mit TNT-Logo und Exzenter-Kettenspanner erfreuen und Details wie den gesicherten Ölfilter begutachten. Beinahe vernünftig dagegen schon die gekröpften Reifenventile an den Felgen, der bequem per Schauglas abzulesende Ölstand oder die Warnblinkanlage.
„I´m dirty, I´m mean“, heißt es nur wenig später bei den Australischen Rockern. Die Benelli ist bestimmt nicht dafür gemacht, den Verstand zu überzeugen. Hier muß der Bauch ran, und in allen Punkten, die für das Erlebnis Motorradfahren entscheidend sind, punktet die Benelli TNT. Dynamischer, spritziger Motor, gutes Fahrwerk und dazu eine Optik, die ungewöhnlich ist und polarisiert. So hebt sich der Langhuber, lieferbar in rot, gelb, schwarz und grün, von der Masse der Motorräder auf unseren Straßen ab, sorgt vor Eisdielen und Cafés für neugierige Blicke, die der Besitzer genießerisch zur Kenntnis nimmt.
Will man dieses aufregende Spaßmobil sein Eigen nennen, sollte man allerdings 13.500 Euro übrig haben. Gewiß kein Sonderangebot, doch bleibt die Benelli TNT auch beim Preis ihrer Prahlerei treu. Benellis TNT, so schließt die Infobroschüre: Ein überaus potentes, total übertriebenes Motorrad, einzigartig und innovativ im Design, das nur so vor Kraft protz, für den Wolf, der das Rudel anführt.
Leicht lächelnd blinzeln dich daraufhin die Scheinwerferaugen in Insektenform an und flüstern dir zu: Du weißt, daß ich das wert bin. Los, laß uns noch einmal am Zündkabel ziehen. Dieser Aufforderung kann ich nicht widerstehen. Zeit, die Straße untertan zu machen, Zeit, der Emotion Motorrad erneut Raum zu geben.