aus Kradblatt 4/14
von Berthold Reinken

 

Suzuki-VStrom-1000Die Latte hängt sehr hoch. Sie wurde allerdings im Hause Suzuki daselbst auf diese Höhe gehievt: In den Top Ten will man im Jahr 2014 mit der neuen V-Strom 1000 landen. An die 1500 Maschinen müssten dann wohl zugelassen werden. Ich habe mich ausgiebig mit der neuen Reise-Enduro befasst und bin 500 Kilometer damit gefahren, um festzustellen, ob das angepeilte Ziel realistisch ist. 

In einer entdeckten Lücke zwischen der 800er-Klasse (z.B. BMW F 800 GS) und den 1200ern (BMW R1200 GS, KTM 1190) will Suzuki sich breit machen. Eine richtige Lücke gibt es da aber eigentlich nicht. Geht man davon aus, dass die neue V-Strom in erster Linie für die Straße gebaut wurde (ABS nicht abschaltbar und serienmäßig montierte Bridgestone Battlewing Straßenreifen), so findet sich dort zum z.B. mit Kawasakis 1000er Versys schon ein Konkurrent. Und wenn es auch mal ins Gelände gehen soll, gibt es mit der Triumph Tiger Sport (1050 ccm) auch schon etwas im Angebot. Trotzdem könnte es viele Käufer für die „Stark-Strom“ geben. Besonders aus dem roßen Lager der DL 650-Fahrer (150.000 weltweit) werden viele kommen, wenn diese nicht enttäuscht sind. Als Suzuki im Jahr 2002 zur 650er eine 1000er DL anbot, gab es allerdings keinen massenhaften Umstieg auf die Große. Auch ich selbst sah als damaliger DL 650-Fahrer keinen Grund zum Wechsel. Die Begeisterung, die mich gleich bei der ersten Probefahrt mit der „Kleinen“ ergriff, stellte sich bei der 1000er nicht im Geringsten ein. Ein großer Erfolg wurde die Maschine nicht, auch in der „Kawasaki-Version“ mit dem Namen KLV 1000 war der Verkauf unbefriedigend und bereits vor 6 Jahren verschwand die große DL aus der Produktpalette. So bin ich sehr gespannt, ob mich eine „Stark-Strom“ dieses mal mitreißen kann.

Suzuki-VStrom-1000-VollausstattungÜber Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten, auch wenn fälschlicherweise immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Mir persönlich sagt die Optik nicht zu, besonders der seltsame Auspuff ist nicht mein Fall. Aber auch bei der Kleinen war es damals nicht gerade Liebe auf den ersten Blick, gefahren habe ich sie dann aber acht Jahre.

Aufgesessen: Die Sitzposition passt mir auf Anhieb und ist für meine 178 cm wie maßgeschneidert und der in Silentblöcken gelagerte Lenker lässt mich eine sehr bequeme Sitzpostion einnehmen. Wem die Sitzhöhe nicht recht ist, der kann übrigens eine höhere oder niedrigere Bank für 180 Euro kaufen. Das Cockpit wird vom großen mittig platzierten Drehzahlmesser beherrscht und ich frage mich, warum sich diese Unsitte so verbreitet hat. Ein Drehzahlmesser ist meiner Ansicht nach nur für Motorräder wichtig, die auf der Rennstrecke bewegt werden. Die DL 1000 ist in erster Linie eine Reisemaschine. Da ist der Tacho das wichtigere Teil. Die Geschwindigkeit muss halt digital abgelesen werden, was sturen alten Säcken wie mir nicht gefällt. Aber ich benutze auch keine Kreditkarte, verachte Facebook und weiß gar nicht wie man twittert.

Suzuki-VStrom-1000-CockpitBegeistert bin ich dafür von der Bordsteckdose im DIN-Format unter dem Drehzahlmesser. So etwas habe ich bisher an keinem Krad gefunden. Hier lässt sich jedes Navi mit dem Zigarettenanzünderstecker anschließen. Bastelei oder Adapter-Gefummel kann man sich sparen. Neu ist auch die im Drehzahlmesser untergebrachte Warnlampe, die orange leuchtet, wenn die Gefahr von vereisten Straßen besteht. Für Winterfahrer eine feine Sache. Mit dem Wippschalter am linken Lenkerende lassen sich die Bordcomputer-Funktionen und die Traktionskontrolle steuern. Die abschaltbare Traktionskontrolle hat zwei Stufen und verhindert ein Ausbrechen des Hinterrades durch Reduzierung der Motorleistung, wenn Schlupf festgestellt wird. 250 mal pro Sekunde wird das überwacht.

228 kg wiegt die Maschine vollgetankt und ist damit 8 kg leichter als die alte 1000er (nur 15 kg weniger bringt die 650er auf die Waage). Sie rollt auf Aluguss-Rädern mit 19 Zoll vorne und 17 Zoll hinten. Es gibt keine Reifenbindung im Brief, so dass man vollen Zugriff auf alle Marken hat. Der Euro III-Motor hat 1037 ccm und leistet 100 PS bei 8000 U/min, wobei 103 Nm schon bei 4000 ­­U­/­min anliegen. Der Grundmotor stammt übrigens aus der alten TL 1000 S und wird nun von zwei Iridium-Zündkerzen pro Zylinder gezündet.
Nun aber los: Der Motor erwacht nach dem Druck auf den Anlasserknopf mit dumpfem Grollen, untermalt von einem leichten Gesäusel. Beim Einlegen des ersten Ganges gibt es nur ein sehr leises Klacken. Die weiteren Schaltvorgänge gehen geräuschlos und absolut butterweich. Es ist eine reine Freude im Getriebe zu Rühren. Dies gilt auch für das Runterschalten. Die Kupplung ist servounterstützt und die Anti-Hopping Funktion verhindert das Stempeln des Hinterrades in Extrem-­Situationen.

Suzuki-VStrom-1000-linksIch peile die ersten Kurven an und nach etwa einem Dutzend davon ist es wieder da: Das Gefühl wie damals auf der ersten DL 650, dass ich auf diesem Krad zu Hause bin. So sehr, als würde ich damit schon um den ganzen Erdball gefahren sein. Sehr zielgenau folgt die Stark-Strom meiner Blickführung. Das Fahrwerk ist absolut stabil. Die Fuhre liegt wie ein Brett im Gewinkel, fällt wie von selbst von einer Schräglage in die andere und lässt sich spielerisch leicht handeln. Beim Rausbeschleunigen aus den Ecken gibt es keine Lastwechselreaktionen, auch wenn der Gang mal nicht optimal eingelegt ist. Dabei zeigt sich der Motor als Elastik-Wunder und lässt sich sehr schaltfaul fahren. Im Fünften kann am Ortsende-Schild zügig beschleunigt werden bis weit über das zulässige Landstraßen-Tempo hinaus. Der Wunsch nach mehr Leistung kommt bei mir nicht auf.

Das Fahrwerk zeigt sich ausgewogen und komfortabel und selbst Kurskorrekturen in Schräglage bringen die V-Strom nicht aus der Ruhe. Die voll einstellbare 43er Upsidedown-Gabel bügelt auch grobere Unebenheiten weg und schlechte Landstraßen zwingen kaum zum Gas wegnehmen. Auch das ABS regelt gut und die auf Stufe 1 eingestellte Traktionskontrolle spricht einmal an, als ich beim Rausbeschleunigen etwas Schotter erwische.
Die großen Spiegel geben einen übersichtlichen Blick auf die abgehängten Verfolger und der Bordcomputer ist selbst bei starkem Sonnenlicht immer gut ablesbar. Davon kann sogar ein großer deutscher Motorradhersteller noch was lernen.

Suzuki-VStrom-1000-ScheibeNicht begeistert bin ich vom Windschild. Zwar nimmt es den Druck vom Oberkörper, der Lärm am Helm ist aber heftig. Auch die, ohne Werkzeug mögliche, Neigungsverstellung ist wirkungslos. Bei einer Pause schraube ich die Scheibe auf höchste Stellung (vier Schrauben müssen dafür raus und wieder rein), was aber auch nicht den gewünschten Erfolg bringt. Für 175 Euro ist noch eine fünf Zentimeter höhere Scheibe lieferbar. Vielleicht schafft das Abhilfe. Fahrer von deutlich weniger als 178 cm Größe könnten aber weniger Lärm verspüren. Die Bremsen geben dafür keinen Anlass zur Klage. Sie lassen sich gut dosieren, packen kräftig zu und das Bosch-ABS regelt feinfühlig. Nach knapp 300 km rolle ich an die Box und tanke 17 Liter in den 20 Liter fassenden Tank. Macht einen Verbrauch von 5,7 Liter bei sehr zügiger Fahrweise. Reichweiten von 350 km sind also durchaus drin.

Suzuki-VStrom-1000-frontAuf den ersten Blick erfreulich sind die Wartungsintervalle von 12000 km. Das hilft allerdings nur den Fahrern, die diese Strecke auch jedes Jahr zurück legen. Auch Suzuki verlangt aber wie alle anderen Hersteller eine Inspektion pro Jahr, so nutzlos sie auch ist, wenn man erheblich weniger gefahren ist. Da singen alle Hersteller das gleiche Lied von der angeblichen Sicherheit. In Wirklichkeit scheint mir das nur Geldschneiderei. Nach Ablauf der Garantie kann man ja darauf pfeifen und alle 12000 km in der Werkstatt aufschlagen, so lange man für diese Strecke nicht weit mehr als zwei Jahre braucht.

Wer seine V-Strom mit Original-Zubehör ausstatten will, sollte eine dicke Geldbörse besitzen. 880 Euro für einen Satz Koffer, in den nicht einmal ein Helm passt, sind schon heftig. Wer seinen Helm wegschließen möchte, muss noch mal 620 Euro für das Suzuki-Topcase drauflegen. Ein Hauptständer kostet 200 Euro. Das Preisverhältnis zwischen dem ganzen Krad (12540 Euro) und diesen Zubehör-Preisen scheint mir etwas verbogen.
Fazit: Im Gegensatz zu meiner Enttäuschung vor 12 Jahren kann mich die große V-Strom dieses mal mitreißen. Ihre Hauptstärke ist der gewaltige Fahrspaß, den sie mit ihrem Spitzenfahrwerk bereitet und der ausgewogene super elastische Motor.

Suzuki-VStrom-1000-rechtsDieses mal könnte es also klappen und viele DL 650-Freunde dürften auf Starkstrom umsteigen. Ein Hauptständer sollte allerdings Serie sein und eine werkzeuglose Höhenverstellung der Scheibe kann den Preis wohl kaum nennenswert hochtreiben. Suzuki sollte sich hier mal auf dem Zubehörmarkt umsehen. Böse Zungen behaupten allerdings, dass die Hersteller das Feld der Zubehörindustrie überlassen und daran mitverdienen. Ich staune jedenfalls oft darüber, wie schnell es für brandneue Kräder schon technisches Zubehör gibt. Und etwas, was die V-Strom 1000 richtig einzigartig gemacht und von der Konkurrenz abgehoben hätte, blieb leider ein Traum: Ein Zahnriemenantrieb wäre bei der in erster Linie als Straßenmoped konzipierten DL 1000 der Hammer gewesen. Laut Klaus Krug von Suzuki wurden die Kunden über ihre Wünsche befragt. Danach soll das Verlangen nach Kardan oder Riemenantrieb nicht groß gewesen sein. Ich meine trotzdem, dass der Vorstoß in die Top Ten mit einem Riemenantrieb wahrscheinlicher gewesen wäre. Trotzdem ist die neue V-Strom 1000 zweifellos ein „großer Wurf“ geworden.