aus bma 06/08

von Klaus Herder

Suzuki Hayabusa (Mod. 2008)Quizfrage an Motorrad-Kenner: Wo verkauft sich die Suzuki Hayabusa weltweit wohl am besten? Nahe liegende Antwort: Natürlich in einem der wenigen Länder, in denen es noch freie Fahrt für freie Bürger gibt – also in Deutschland. Schade, knapp daneben. Über 8000 Wanderfalken (dafür steht der Name Hayabusa auf Japanisch) tummeln sich zwar in deutschen Revieren, doch ausgerechnet in den USA gehört die vor ziemlich genau zehn Jahren präsentierte Vollverschalte zu den absoluten Bestsellern. Und dort natürlich in der offenen Version, also ohne Speedcutter, der hierzulande seit 2001 alle potenziellen 300-km/h-Geschosse bei maximal 299 km/h einbremst, im Falle der Hayabusa sogar schon bei bescheidenen 295 km/h. Das nennt sich „freiwillige Selbstbeschränkung der Industrie”. Man könnte auch „vorauseilender Gehorsam” oder „keine Eier in der Hose” dazu sagen.
Wie auch immer, ausgerechnet die Amis huldigen einem Motorrad, für das es genau einen sinnvollen Einsatzzweck gibt: Den lustvollen Sprint auf unreglementierter Autobahn – von denen der Ami bekanntlich gar keine hat. Für jedes andere Geläuf und für alles, was länger als eine Stunde Fahrzeit erfordert, gibt es um Welten bessere Motorräder. Was ist also dran an diesem übergewichtigen Schalentier, daß in den Augen vieler Fans bereits heute – Achtung: Jetzt kommen zwei meiner Lieblings-Haßworte – Kult ist und als Mythos verehrt wird?
Zum einen natürlich ihre Geschichte: Die Hayabusa durchbrach als erstes Serienmotorrad die 300-km/h-Grenze. Und dann natürlich ihre brutale Leistung. 175 PS waren vor zehn Jahren das Maß der Dinge, 138 Nm maximales Drehmoment pulverisierten alles, was Ende der 90er Jahre ab Werk zu kaufen war. Ihre extrem polarisierende, ausschließlich auf den Einsatzzweck Vollgas ausgelegte Verpackung machte als geniales Alleinstellungsmerkmal den ganz besonderen Hayabusa-Charakter komplett.

 

Doch zehn Jahre später sind 175 PS ein Wert, den alle aktuellen japanischen 1000er-Supersport-Vierzylinder locker übertreffen. Eine BMW K 1200 S oder auch die Kawasaki ZZR 1400 sind nicht oder nur minimal langsamer, dafür aber auf längeren Strecken der Hayabusa deutlich überlegen, weil bequemer und besser ausgestattet. Doch gerade weil die 1000er immer mehr nach 600ern aussehen und weil BMW, Kawa und Co. mit ihrem ABS und der fast schon seniorengerechten Sitzposition politisch so fürchterlich korrekt sind, gibt’s wohl immer noch eine nette Marktlücke für Urviecher vom Schlage einer Hayabusa.
Suzuki Hayabusa (Mod. 2008) Das müssen zumindest die Suzuki-Verantwortlichen so gesehen haben, denn sie gönnten ihrem Flaggschiff einen Werftaufenthalt, bei dem es im Wesentlichen um das ging, was die Hayabusa zur „Busa” gemacht hat: Um Druck. Konkret: Um noch viel mehr Druck – und ansonsten um fast gar nichts. Besserer Windschutz, menschenfreundlichere Sitzposition, narrensichere Bremsen? Vergiß es! Die Motorbasis war ja okay, doch um noch mehr Power zu mobilisieren, kamen die Ingenieure nicht um tiefgreifende Maßnahmen herum. Der Hubraum legte von 1299 auf 1340 ccm zu. Ein von 63 auf 65 mm verlängerter Hub macht’s möglich. Die Bohrung blieb mit 81 mm unverändert. Der Reihenvier ist nun höher verdichtet (12,5:1 statt 11:1), mit Titanventilen bestückt, die mit größerem Ventilhub arbeiten dürfen und mit geänderten Kolben plus Kolbenringen versehen. Eine neue Einspritzanlage mit zwei Düsen pro Zylinder und ein überarbeitetes Sechsganggetriebe mit verstärkten Zahnrädern, einen leistungsfähigeren Kühler und eine neue, nicht unbedingt hübschere Auspuffanlage gab es obendrauf.
Heraus kamen 197 PS, die bei 9500 U/min anliegen und ein maximales Drehmoment von 155 Nm, das bereits bei moderaten 7200 Touren auf die Kurbelwelle gewuchtet wird. Ähnlich eindrucksvoll wie die Maximalwerte dürfte eine kleine Reise durchs Drehzahlband sein. Bitteschön: Bei 3000 U/min leistet der Viererpack bereits 50 PS, 1000 Umdrehungen später sind es schon 75 PS. 5000 Umdrehungen sorgen für 95 PS, bei 6000 U/min galoppieren dann schon über 120 Pferdestärken. Wer bei dieser Drehzahl im sechsten Gang unterwegs ist, bekommt vom gut ablesbaren Analog-Tacho 180 km/h angezeigt. Bei diesem Tempo ist man aber noch rund 500 U/min davon entfernt, daß die Hayabusa die Muskeln richtig anspannt. Ab 6500 U/min hat der Fahrer das Gefühl, im Ganz-ganz-schnell-Vorlauf unterwegs zu sein. Und der hört einfach nicht wieder auf. Wer bei 0 gestartet ist, erreicht nach etwas über sieben Sekunden die 200-km/h-Marke. Nach gut SIEBEN Sekunden! Die jung-dynamischen Vertreter mit ihren ach so flotten TDI-Kombis benötigen etwas länger, um überhaupt auf Tempo 100 zu kommen. Bei 295 km/h ist dann Feierabend, und das ist dann schon ein Tempo, bei dem sich der hinter der 1,5 cm höheren (und immer noch viel zu wenig Windschutz bietenden) Verkleidungsscheibe kauernde Pilot fragt, woher plötzlich die ganzen Kurven auf der vermeintlich schnurgeraden Autobahn kommen und warum so viele Fahrzeuge auf der rechten Spur parken. Spaß macht solches Tempo auf Dauer allerdings nicht. Die Hayabusa rennt dann zwar völlig unbeeindruckt und superstabil, doch das Gesichtsfeld wird oberhalb 250 km/h schon mächtig eng, und der Fahrer ertappt sich dabei, ein ABS für eine doch nicht so verweichlichte Erfindung zu halten. Geil ist’s trotzdem, und sei es auch nur, daß man es alle Jubeljahre mal probiert und ansonsten nur weiß, daß man kann, wenn man denn will.
Bremse Suzuki Hayabusa (Mod. 2008)Vielleicht klang es schon durch, aber es sei hier nochmals ausdrücklich betont: Die Hayabusa war in der Erstauflage und ist auch beim aktuellen Modell keine nervöse Rennsau, die nur ab semi-professioneller Racer aufwärts artgerecht bewegt werden kann. Ganz im Gegenteil: Bereits knapp über Standgasdrehzahl überzeugt der Suzuki-Motor mit feinster Gasannahme und zeigt überaus kultivierte Manieren. Im mittleren Drehzahlbereich läßt er vereinzelt ein paar etwas nervende Vibrationen durchkommen, besonders beim Gaswegnehmen, bleibt dabei aber immer noch der höfliche (aber nicht unbedingt langsame – siehe oben) Herbert. Die unglaubliche Lässigkeit, mit der die Hayabusa ihre Leistung aus dem Ärmel schüttelt, ist das eigentlich Beeindruckende. Und mit der neuen Hayabusa ist alles noch viel, viel lässiger geworden.
Zumindest motormäßig, in Sachen Arbeitsplatz kann wie bisher von Lässigkeit keine Rede sein. Der Fahrer hockt tief in der Maschine und muß sich mächtig über den langen 21-Liter-Tank spannen, um an die reichlich tief montierten Lenkerstummel zu kommen. Zu allem Überfluß ist der Spritbehälter auch noch ziemlich breit, was für weit gespreizte Beine und ein arg gefährdetes Gemächt sorgt. Die Fußrasten wollen bei der etwas unglücklichen Arbeitsplatzgestaltung nicht hinten an stehen und sind zu hoch und zu weit vorn montiert. Ergonomie? Brauchen wir nicht (den im Tausch gegen den Kamelhöcker lieferbaren Soziusitz aus ähnlichen Gründen übrigens auch nicht), wir haben 197 PS und 155 Nm. Und tatsächlich: Ab 250 km/h hat der Fahrer wirklich andere Sorgen, als sich ausgerechnet über die unbefriedigende Sitzposition Gedanken zu machen. Er überlegt sich zum Beispiel, was los ist, wenn der Lkw da vorne doch unvermittelt ausschert und ob die überarbeiteten, aber trotzdem etwas stumpf wirkenden Stopper ihren Job ordentlich erledigen. Machen sie, obwohl die wichtig radial verschraubten Vierkolbensättel unter Sportler-Gesichtspunkten nur Mittelmaß sind und unverständlich hohe Bedienkräfte erfordern – die Hayabusa hätte Besseres verdient. Die ebenfalls eine ordentlich zupackende Hand erfordernde Anti-Hopping-Kupplung ist da schon viel mehr Hayabusa-würdig. Wo’s beim Vorgängermodell manchmal rupfte, ist nun beste Aus- und Einkuppelarbeit angesagt.
Dabei muß eigentlich nur sehr selten im leicht und sehr präzise zu schaltenden Getriebe gerührt werden. Der Hayabusa würden auch zwei oder drei Fahrstufen völlig reichen, wer seine Tanzschühchen nicht ruinieren möchte, erledigt eben alles im fünften oder sechsten Gang. Der erste Gang reicht übrigens bis rund 130 km/h. Stadtgewusel, Serpentinen-Schwingen – die Hayabusa macht alles locker mit und bringt ihren Fahrer dabei nicht ins Schwitzen. Der famose, auch extrem untertourig locker zu fahrende Motor macht es möglich. Über einen an der rechten Lenkerarmatur montierten Wippschalter lassen sich neben dem A-Normalprogramm auch noch ein B- und C-Modus abrufen, in denen die Hayabusa etwas bzw. deutlich handzahmer ans Gas geht. Bei Nässe nicht schlecht, ansonsten braucht das aber eigentlich niemand.
Suzuki Hayabusa (Mod. 2008) Die Hayabusa läßt sich bereits im Hauptprogramm recht locker bewegen, ein Handlingwunder ist die vollgetankt 264 Kilo schwere Suzuki (Vorgängermodell 251 Kilo) aber nicht. Besonders beim flotteren Wedeln zeigt sie deutlich, daß sie ein ausgewachsenes Big-Bike ist und mit Nachdruck umgelegt werden möchte. Die voll einstellbaren Federelemente sind von der eher sportlich-straffen Sorte und machen auch nach viel Verstellarbeit aus der Hayabusa keinen Weichsitzer und langstreckentauglichen Sporttourer. Für längere Nonstop-Touren spricht bei der Hayabusa eigentlich nur der erstaunlich geringe Benzinverbrauch. Wer den Gasgriff nicht permanent auswringt (das macht man aus schierem Selbsterhaltungstrieb ohnehin nicht…), erreicht in jedem Fall eine 5 oder sogar 4 vor dem Komma.
Die neue Suzuki Hayabusa ist eigentlich genau so wie die alte Hayabusa: Bärenstark und herrlich überflüssig. Nur eben noch etwas stärker. Und sie ist wie immer einmalig. Fast einmalig, denn ausgerechnet im eigenen Haus gibt’s für die Hayabusa echte Konkurrenz. Die ebenfalls mit dem Hayabusa-Motor bestückte Suzuki B-King ist nicht nur auf Landstraßen die deutlich bessere Wahl (siehe auch bma 12/2007). Sie bietet ebenfalls brachialen Schub, eine extrovertierte Verpackung und bestes Kult- und Mythos-Potenzial. Mit ABS bestückt kostet die B-King exakt soviel wie die ABS-lose Hayabusa: 13590 Euro. Nur gut, daß die Suzuki-Verantwortlichen frühzeitig die Konkurrenz-Situation erkannt haben und konsequent reagierten: Sie drosselten die B-King auf bescheidene 184 PS, 146 Nm und 250 km/h.
So wird wohl alles bleiben, wie es war: Die Amis kaufen weiterhin wie verrückt Hayabusa, die artgerecht nur auf schnurgeraden, unreglementierten Autobahnen bewegt werden kann, von denen der Ami nachweislich keine hat. Danke Suzuki, daß es weiterhin ein so überflüssiges, beklopptes und ziemlich geiles Motorrad wie die Hayabusa geben wird!