Straßensportler für alle Tage
aus Kradblatt 8/24, Text: D. Dürrfeld, Fotos: Dürrfeld / Suzuki
Die meisten aktuellen Supersportler sind im Alltag eigentlich kaum noch angenehm zu fahren. Zu sportlich sind hier Sitzposition, Motorcharakteristik, Leistungsentfaltung und die Getriebeabstufung ist für normale Fahrten auf der Landstraße oder gar in der Stadt eher ungeeignet. Innerorts und bei niedrigem Tempo nötigt der oft sehr lange erste Gang zum quälenden Einsatz der Kupplung, lässt man das Ortsschild hinter sich, reicht oft Halbgas und zweimal Schalten und das Display weist mittlere Autobahngeschwindigkeiten aus. Vom mangelnden Komfort der Fahrwerksabstimmung mal ganz zu schweigen. I
ch muss aber auch gestehen, dass ich mindestens in Sachen Optik einen vollverkleideten Sportler einem Naked Bike immer vorziehen würde. Zu tief sitzt wohl die Prägung meiner Anfangszeit in den Neunziger Jahren, als fürs ambitionierte Fahren auf der Straße eigentlich nur ein Supersportler infrage kam. Glücklicherweise beleben die Hersteller dieses Segment neu, der Trend geht heute aber stärker in Richtung Alltagstauglichkeit. Neben Honda, Kawasaki und Triumph hat seit diesem Jahr auch Suzuki mit der GSX-8R ein Motorrad im Programm, das man in die Kategorie Alltagssportler packen kann. Stellt sich die Frage: Wie viel Sport und wie viel Alltag steckt in der 8R?
Die schöne Rhön
Wie und wo klärt man diese Frage am besten? Genau, auf einer ausgedehnten Mittelgebirgstour. Auch wenn mit dem Odenwald das passende Revier sprichwörtlich vor der Haustür liegt, ging es diesmal via Autobahn in die Rhön. Neben dem schnellen Überbrücken der Distanz ging durch die flotte Sprintetappe auch ein wichtiger Bestandteil in der Beurteilung des Durchschnittsverbrauchs mit ein. Aber dazu später mehr.
Eine längere Fahrt unter gleichbleibenden Bedingungen eignet sich auch hervorragend dafür, einen validen Eindruck von der Ergonomie zu bekommen und die Unterschiede zum Schwestermodell zu erfühlen. Ja, richtig gelesen. Die GSX-8R mimt mit ihrer Vollverkleidung zwar den Sportler, unter dem Plastikkleid gleicht das R-Modell aber der bereits für die Saison 2023 vorgestellten GSX-8S wie ein Ei dem anderen. Das ist an dieser Stelle aber alles andere als ein Kritikpunkt. Im Gegenteil.
Schon das Naked Bike konnte beim ersten Kontakt mit inneren Werten voll überzeugen und die GSX-8R profitiert entsprechend von denselben Qualitäten. Da wäre zum Beispiel der 776 Kubikzentimeter große Reihenzweizylinder, der für dieses Motorkonzept extrem laufruhig zu Werke geht. Ursächlich zeichnet sich hier die „Cross Balancer“ genannte Anordnung der Ausgleichswellen. Während in der Regel eine Ausgleichswelle vor und eine hinter der Kurbelwelle positioniert wird, um Vibrationen zu unterbinden, sitzt bei den Aggregaten der GSX-8-Modelle die zweite Ausgleichswelle unter der Kurbelwelle.
Freut man sich also auf beiden Modellen vor allem auf längeren Etappen über den kultivierten Motor, sorgt die GSX-8R dank ihrer Vollverkleidung sogar für noch mehr Komfort. Die Sportlerin bietet aufgrund der niedrigeren Lenkerhälften zwar eine vorderradorientiertere Sitzposition, diese fällt bei einer Körpergröße von 1,81 m aber immer noch sehr moderat aus. In Kombination mit dem guten Windschutz der Vollverkleidung darf man die GSX-8R durchaus als langstreckentauglich bezeichnen. Wer es richtig eilig hat, kann sich hinter der Scheibe auch klein machen und profitiert dann von einem um 5 km/h höheren Topspeed (215 statt 210 km/h bei der 8S).
Schöner ist es aber natürlich, wenn man stattdessen die Ausfahrt nehmen und endlich kurvigen Landstraßen unter die Dunlop Roadsport 2 nehmen kann. Hier blüht die GSX-8R richtig auf und weiß ab dem ersten Abwinkeln voll zu überzeugen.
Vertrauen und Kontrolle
Dabei macht die GSX-8R einem das Landstraßenleben in allen Belangen einfach. Das schafft Vertrauen und in Folge auch jede Menge Fahrspaß. Nehmen wir zum Beispiel den Motor und dessen Charakter. Als Mittelklasse-Sportler drückt die Suzi mit 83 PS zwar nicht überbordend viel Leistung. Die Form, wie dies abgerufen werden kann, sorgt aber dafür, dass man bei der Kurvenhatz keine weiteren Ponys vermisst. Bereits ab 3.000 Touren schiebt der Twin mächtig vorwärts, das maximale Drehmoment von 78 Newtonmeter steht schon bei 6.800 Touren an.
Es ist daher also fast egal, ob man sich kraftvoll aus der Kurve katapultieren möchte, oder auf der Geraden schnell ein Auto aufschnupfen will – im Alltagsdrehzahlbereich steht eigentlich immer genug Vortrieb zur Verfügung. Auf Wunsch dreht der Zweizylinder auch ohne Murren bis zum Begrenzer bei 10.000 Umdrehungen, da die Maximalleistung aber bereits bei 8.500 Umdrehungen ansteht, schaltet man in der Regel schon vorher in die nächste Gangstufe. Dank des serienmäßigen Blippers funktioniert das ebenfalls kinderleicht.
Dieses Attribut kann man auch zur Beschreibung des Handlings heranziehen. Wie die nackte GSX-8S zirkelt auch die 8R spielerisch durch die Radien, und das, obwohl sie durch die Vollverkleidung mit 205 Kilogramm drei Kilo mehr Gewicht auf die Waage bringt. Beide Motorräder sind aber so gut ausbalanciert, dass man weder beim Rangieren noch bei der flotten Kurvenhatz meinen mag, sich in der Gewichtsklasse über 200 Kilogramm zu bewegen.
Die eigentlichen Stärken der GSX-8R sind aber ihre Neutralität und die Ausgewogenheit des Motorrades. So einfach man auf der 8R eine Linie anpeilen und in Schräglage gehen kann, so souverän durcheilt sie den gewählten Radius. Dabei verhält sie sich in jeder Situation neutral und lässt auch in Schräglage problemlos Kurskorrekturen zu. Das fällt besonders auf den kleinen Sträßchen in der Rhön positiv auf, da hier doch immer wieder Flicken, Dreck und im Wald auch mal einer feuchten Stelle ausgewichen werden muss.
Einfach, aber gut
Zusätzliche Sicherheit schafft hier das einfach zu bedienende Elektronikpaket von Suzuki. Eine IMU mit entsprechenden Sensoren und Gyroskopen ist zwar nicht an Bord, wird bei diesem Motorrad aber auch nicht vermisst. Über den Mode-Knopf an der linken Lenkerarmatur lässt sich hier sowohl die dreistufige Traktionskontrolle bedienen und über den S-DMS (Suzuki Drive Mode Selector) kann man aus den drei Riding Modes A (Active), B (Basic) und C (Comfort) wählen. Während der letztgenannte mit seiner sehr sanften Leistungsentfaltung das Leben zum Beispiel auf feuchten Straßen entspannter macht und B als Standardvariante gedeutet werden kann, bietet die A-Variante die direkteste Gasannahme. Wer auf einer Tour rund um den Monte Kali unterwegs ist, hat aber unter normalen Bedingungen durchgehend den A-Modus aktiviert.
Apropos Monte Kali: die Kuppenrhön, der im Südwesten angrenzenden Vogelsberg sowie der nordöstlich gelegene Thüringer Wald bieten nicht nur tolle Motorradstrecken, sondern auch jede Menge Sehenswürdigkeiten in unmittelbarer Nähe. Von der Wasserkuppe über das Besucherbergwerk in Merkers bis hin zur Gedenkstätte Point Alpha bei Geisa an der ehemaligen innerdeutschen Grenze gibt es viele Möglichkeiten, die wilde Hatz für einen kurzen Programmpunkt zu unterbrechen. Wer einfach nur Motorrad fahren und die Natur genießen will, ist hier aber ebenfalls goldrichtig. Der stetige Wechsel von kleinen Dörfern, Wiesen, Wäldern und Feldern macht die Landschaft sehr abwechslungsreich, die meist guten bis sehr guten Straßen und Sträßchen schlängeln sich oft serpentinenartig an den unzähligen Hügeln und Erhebungen hinauf.
Dank der tollen Ergonomie der GSX-8R ist aber auch Sightseeing nach einer längeren Tour kein Problem. Neben der etwas sportlicheren Auslegung des Lenkers gibt es hier keine Unterschiede zum Naked Bike. Die Sitzhöhe liegt auch beim Sportler bei 810 Millimeter, die Position der Fußrasten ist ebenfalls identisch. Wer jetzt befürchtet, Suzuki hätte die Sitzposition des Sportlers zu passiv ausgelegt, sei beruhigt. Die 8R bietet genug Raum für einen aktiven Fahrstil.
Das liegt unter anderem auch am schmalen Tank und dem hervorragend passenden Knieschluss, der – du ahnst es sicher schon – mit dem der GSX-8S identisch ist. Das gilt entsprechend auch für den Tankinhalt von 14 Liter. Damit kommen wir auch wieder zum Anfang der Geschichte und zum Verbrauch zurück. Am Ende der knapp 500 Kilometer langen Testtour weist das sehr gut abzulesende Display der GSX-8R einen kombinierte Verbrauch von 4,5 Liter aus. Man kann also problemlos mehr als 250 Kilometer fahren, bis man beginnen sollte, nach einer Tankstellen Ausschau zu halten.
Es lebe der Sport
Und auch die Frage nach der Verteilung von Sport und Alltag ist geklärt. Die neue GSX-8R hat alle Qualitäten, mit denen schon das 2023 vorgestellte Naked Bike zu überzeugen wusste, zeigt sich dank der Vollverkleidung und der etwas sportlicheren Sitzposition noch einen Tick dynamischer. Dabei ist sie in Sachen Komfort mit dem Naked Bike aufgrund des besseren Windschutzes auf Augenhöhe. Da sich die beiden Modelle auch bei den inneren Werten nicht unterscheiden, kann man also frei aus dem Bauch heraus entscheiden und muss keine Kompromisse eingehen. Von der Pendelfahrt, über die Feierabendrunde bis zur ausgedehnten Wochenendtour ist mit dem Sportler alles möglich. Stellt sich nur die Frage: Zeigen, was man hat und den potenten Zweizylinder im Naked Bike der Öffentlichkeit in seiner vollen Pracht präsentieren oder doch den Sportler mit der schnittigen Verkleidung wählen?
Wem hier die Entscheidung schwer fällt, kann ja einfach mit beiden eine Probefahrt machen.
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