aus bma 09/08

von Klaus Herder

Suzuki GSX 600 F (Mod. 2008)Ich kann die Weinerei der Berufsbetroffenen langsam nicht mehr hören und lesen: „Die Suzuki GSX 650 F ist ja eigentlich ein gutes Motorrad, aber für sie gibt es leider kein ABS….” So oder so ähnlich lautet das Fazit fast jeder Geschichte zur vollverschalten Schwester der 650er-Bandit

(die den vermeintlich unverzichtbaren Blockierverhinderer serienmäßig hat).

Ich möchte den Volksbedenkenträgern dann immer gern ein „Na und?” entgegenrufen und sie fragen, wie sie überhaupt die ersten 30 Jahre ihres Motorradfahrer-Daseins ohne ABS überleben konnten. Tatsache ist, daß die Suzuki GSX 650 F hauptsächlich für die Märkte in Nordamerika und Südeuropa gedacht ist – und dort will niemand, wirklich NIEMAND ein sportliches Motorrad mit ABS kaufen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, braucht uns nicht weiter zu kratzen, denn was Motorrad fahrende Gutmenschen im sehr weit entfernten Deutschland davon halten, interessiert dort ebenfalls niemanden. Doch bevor jetzt wieder die Oberlehrer und ABS-Missionare unter den Lesern zur Feder und zur härtesten aller Waffen, dem Leserbrief, greifen, sei soviel verraten: Der Autor dieser ketzerischen Zeilen bewegt privat u. a. auch zwei Motorräder mit ABS, hält das System durchaus für sehr sinnvoll, möchte es aber – jetzt bitte ganz genau lesen – niemandem vorschreiben, auch keinem Motorradhersteller. Basta!
So, das mußte raus, und jetzt kommen wir endlich zur rundherum – auch bremsentechnisch – erfreulichen Suzuki GSX 650 F. Die ist nichts anderes als eine vollverschalte Bandit 650, die wiederum sehr eng mit der Bandit 1250 verwandt ist. Das erklärt, warum eine moderne 650er im Trainingsanzug vollgetankt satte 241 Kilo (immerhin neun Kilo weniger als die Bandit S) auf die Waage bringt. Aktuelle 600er-Supersportler wiegen einen Zentner weniger. Warum soll man da zur 86 PS starken GSX greifen, wenn es auch eine knapp 40 PS stärkere GSX-R 600 gibt? Weil das Pummelchen um Welten günstiger ist, weil sie zwei menschenwürdige Sitzplätze bietet, und weil sie abseits der Rennstrecke fast alles besser kann.

 

Suzuki GSX 600 F (Mod. 2008) Doch der Reihe nach: Die Suzuki GSX 650 F kostet 6690 Euro, die halbverschalte Bandit 650 S kostet 100 Euro mehr, für die GSX-R 600 sind satte 3800 Euro mehr zu zahlen. Die unsägliche Suzuki GSX 600 F, eine gnadenlose Drehorgel mit verquollenem Design, eklatanter Durchzugsschwäche und mißlungenen Federelementen, kostete in ihrem letzten Verkaufsjahr 2001 umgerechnet 6795 Euro. Das macht vielleicht am besten deutlich, mit welchem Kampfpreis Suzuki die aktuelle GSX ins Rennen schickt. Wie ein Sparmodell sieht sie aber nicht ansatzweise aus. Im Gegenteil: Die eingangs erwähnte Verwandtschaft zur kleinen und damit auch zur großen Bandit macht aus ihr ein ziemlich ausgewachsenes Motorrad. Das merkt man besonders beim Rangieren und Wenden. Und auch der Show-Wert ist beachtlich. Würde die Beschriftung der spitznasigen, mit Ram-Air-Einlaßattrappen bestückten Verkleidung nichts anderes verraten, wäre man geneigt, die Suzuki der Einliterklasse zuzuordnen.
Zum erwachsenen Auftritt paßt auch das übersichtliche Cockpit im GSX-R-Stil, das neben analogem Drehzahlmesser und Digitaltacho auch noch Zeituhr, Tankanzeige, zwei Tageskilometerzähler, eine Ganganzeige sowie einen frei programmierbaren und herrlich überflüssigen Schaltblitz zu bieten hat. Brems- und Kupplungshebel sind vierfach verstellbar, die Rückspiegel sind nicht hübsch, machen ihren Job aber tadellos. Die einteilige Sitzbank läßt sich im Unterschied zur Bandit-Sitzgelegenheit nicht in der Höhe verstellen. Was nicht weiter dramatisch ist, denn der in 800 mm Höhe befindliche Arbeitsplatz paßt für Menschen zwischen 1,70 und 1,95 Metern Gesamtlänge goldrichtig, und der Abstand zu den Fußrasten ist groß genug, um auch längere Strecken ohne Knieprobleme zu absolvieren. Der großflächige Soziusplatz darf auch gern länger als solcher genutzt werden, etwas ungünstig platziert ist allenfalls der einteilige Haltebügel. Zwei einzelne Griffe wären bequemer gewesen – geschenkt, dann macht die Sozia eben das Klammeräffchen, was einer innigen Zweierbeziehung ja nicht unbedingt abträglich sein muß.
Die Höhenverstellung des Lenkers fiel bei der Bandit-Metamorphose ebenfalls dem Rotstift zum Opfer, was aber ebenfalls kein Beinbruch ist. Das GSX-Rohr fällt etwas schmaler aus (660 statt 670 mm), ist etwas flacher montiert und an den Enden stärker gekröpft. Das mag sportlich wirken, zwingt die Handgelenke aber in eine auf Dauer etwas verspannte und ermüdende Haltung. Die leicht vornüber gebeugte Sitzposition hinter der im Vergleich zur S-Bandit flacheren Verkleidungsscheibe ist aber insgesamt durchaus bequem. Wenn überhaupt, besteht nur beim Lenker etwas Umbaubedarf. Die Verkleidung darf gern so bleiben, wie sie ist. Der Windschutz für den Oberkörper ist hervorragend und vor allem turbulenzfrei. Die im unteren Bereich eng anliegende Kunststoffschale kann nicht ganz verhindern, daß bei Regen-etappen Beine und Stiefel naß werden, doch das liegt in der Natur der Sache – es geht hier schließlich um einen Sporttourer, nicht um eine Mini-Goldwing.
Suzuki GSX 600 F (Mod. 2008) So gelungen der GSX-Arbeitsplatz auch ist, das wahre Sahneteilchen steckt unter der schicken Schale: Der wassergekühlte, mit einer Einspritzanlage bestückte Reihenvierzylinder ist ein Gedicht. Heiser aus dem überdimensionierten Bazooka-Edelstahl-endtopf röhrend kommt der Vierventiler bereits bei relativ niedrigen Drehzahlen flott zur Sache. Kein Vergleich zu den nervösen Drehorgeln aus gottlob vergangenen GSX-600-Zeiten. Die Gasannahme des 650er-Viererpacks ist tadellos. Kultiviert, also vibrationsarm und herrlich gleichmäßig schiebt der 86-PS-Treibsatz vorwärts. Die Nennleistung liegt zwar erst bei 10500 U/min an, das maximale Drehmoment von 62 Nm wird auch erst bei flotten 8900 U/min gestemmt, doch bereits weit darunter fühlt sich der Motor sauwohl. Im gut gestuften, knochentrocken zu schaltenden Sechsganggetriebe muß nicht zu oft gerührt werden. Wer die Kurbelwelle irgendwo zwischen 4000 und 9000 U/min rotieren läßt, ist flott, ohne nervige Lastwechselreaktionen und erfreulich sparsam unterwegs. Wer den Verbrauch deutlich über fünf Liter treiben will, muß sich schon mächtig anstrengen. Mehr als 4,5 Liter auf 100 Kilometern verschwinden ganz selten aus dem 19-Liter-Tank. Im Fahrzeugschein verspricht Suzuki 205 km/h als Topspeed, der Tacho zeigt bei ganz ausgewrungenem Gasgriff 220 km/h oder sogar etwas mehr. Den Sprint von 0 auf 100 erledigt die GSX in unter vier Sekunden, was in Anbetracht des üppigen Kampfgewichts sehr ordentlich ist.
Auf der Autobahn sorgt die amtliche GSX-Verschalung häufiger für ungewohnt freie Bahn, was manchmal etwas anstrengend sein kann. Wer mit 180 bis 200 km/h über die Bahn tobt – in einem Bereich also, in dem selbst die GSX nicht mehr das ganz große Durchzugswunder ist – wird regelmäßig erleben, daß flott bewegte TDI-Vertreterkombis ganz freiwillig und erstaunlich frühzeitig die linke Spur freigeben. Auch dann, wenn man eigentlich gar nicht überholen will (oder kann…). Das Überholprestige der GSX ist jedenfalls recht eindrucksvoll, die GSX-R-Anklänge der Verkleidung erfüllen ihren Zweck voll und ganz.
Suzuki GSX 600 F (Mod. 2008) Egal, ob schnurgerade Autobahn oder winkeligste Landstraße – die GSX 650 F zieht präzise und jederzeit gut berechenbar ihre Bahn. Sie bleibt auch dann absolut fahrstabil und sicher beherrschbar, wenn der Belag faltiger wird. Übertrieben komfortabel geht es dann zwar nicht voran, denn die Grundabstimmung ist eher von der straffen Sorte, doch der Verzicht aufs Sänften-Dasein ist der Fahrstabilität nur zuträglich. Die konventionelle Telegabel ist nicht gerade ein Sensibelchen, läßt sich aber immerhin in der Federbasis variieren. Das in Federbasis und Zugstufendämpfung verstellbare Federbein ist sogar ein echt harter Hund, der mit zunehmender Beladung aber immer netter wird. Die GSX 650 F darf üppige 214 Kilogramm satteln, das Platzangebot stimmt, Motor und Fahrwerk vertragen die Doppelnummer bestens – kurz gesagt: Die GSX ist ein hervorragender Mittelklasse-Sporttourer für den Soziusbetrieb.
Doch auch wer meist solo unterwegs ist, wird mit der Suzi viel Spaß haben. Sie fällt nicht von allein in die Kurve, sie verlangt durchaus nach einem aktiven Fahrer, der ihr zeigt, wo es lang geht. Doch den belohnt sie mit unglaublicher Berechenbarkeit. Anfängern und Wiedereinsteigern verzeiht sie auch gröbere Fahrfehler; erfahrenen Piloten macht sie auch dann das Leben leicht, wenn es mal verschärfter zur Sache geht – die GSX ist der geborene Universal-Familienbenutzer. Und das gilt auch und gerade für die Bremsen. Die mit Vierkolbensätteln bestückte Doppelscheibenbremse im Vorderrad benötigt etwas höhere Handkräfte, läßt sich dann aber fein dosieren und liefert beste Verzögerungswerte. Die Scheibe im Hinterrad macht beim sanften Anbremsen vorm Kurvengewirr ebenfalls einen guten Job. Motorrad-Novizen brauchen sich bei den Suzuki-Stoppern nicht vor einer frühzeitigen Überbrems-Gefahr fürchten. Alte Hasen freuen sich über den kräftigen Biß und über die Standfestigkeit, wenn es darauf ankommt. Unterm Strich: Tolle Bremsen – auch ganz ohne ABS!
Die Suzuki GSX 650 F ist in drei Farben bzw. Farbkombinationen lieferbar: Schwarz, Schwarz/Silber und Blau/Weiß, wobei die 650er in der blau/weißen Kombination am meisten auf dicke Hose macht – die GSX-R-Anmutung bringt es, siehe auch Überholprestige. Trotzdem ist die GSX keine Mogelpackung. Im Gegenteil, sie bietet eigentlich viel mehr, als ihr Kampfpreis und ihre Klassenzugehörigkeit vermuten lassen. Wer als Neuling ein Motorrad sucht, mit dem er viele Jahre Spaß haben kann und auf dem er das Fahren richtig lernen wird, kauft hier richtig. Und auch für die älteren Semester, die sich nichts mehr beweisen müssen und nicht mehr ausschließlich fürs Motorrad leben, es aber trotzdem noch ab und an krachen lassen, auf Soziusbetrieb aber nicht verzichten wollen, ist die GSX eine gute Wahl. Und wer partout ABS haben will, soll halt die langweiligere Bandit kaufen.