aus bma 6/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

SUZUKI GSR 750 Modell 2011 WheelieManchmal verselbstständigen sich die Dinge, ohne dass man das merkt. So sammelte sich im Suzuki-Programm über die Jahre eine erkleckliche Zahl von Modellen an, die an erster Stelle der Hubraumangabe eine 6 führten: die V2-Nacktdarstellerin Gladius, ihre als Schweizer Offiziersmesser auf zwei Rädern durchgehende Schwester V-Strom 650, der unverschalte Reihenvierer GSR 600, die nackte und die halbverschalte Bandit 650, deren Vollverkleidungs-Schwestermodell GSX 650 F und natürlich der unvermeidliche Wetzhobel GSX-R 600. Mit Ausnahme der GSX-R also alles Geräte, die zur Kategorie „Mittelklasse“ gehörten, das Fahrkönnen und die Brieftasche ihrer Eigner nicht zu sehr strapazierten und ggf. auch mit 34 PS zu bekommen waren.

Eine nette Mischung, die sich da angesammelt hatte, doch seit geraumer Zeit auf dem absteigenden Mittelklasse-Ast; denn der Wettbewerb definiert die Kategorie mittlerweile anders: BMW F 800 R, Kawasaki Z 750, Triumph Street Triple, Yamaha FZ8 – das sind die wahren Gegner, gegen die Suzuki antreten muss, doch Hamamatsu konnte bis zum letzten Jahr nichts Passendes liefern. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – wie jeder gut sortierte japanische Hersteller machte Suzuki genau das, was man so macht, wenn man weder Zeit noch Geld für komplette Neuentwicklungen hat: Man greift in den Baukasten.

SUZUKI GSR 750 Modell 2011Dort lag noch der Motor der seligen GSX-R 750 des Jahrgangs 2005. Mit 148 PS war der wassergekühlte Reihenvierzylinder für Mittelklasse-Verhältnisse dann aber doch einen Tick zu üppig motorisiert, und seine supersportliche Leistungs-Charakteristik war auch nicht unbedingt das, was man Otto Normal­motorradfahrer für den tagtäglichen Weg zur Uni oder Arbeit antun wollte. Anstelle von Leistungsexplosion und Drehzahlexzessen sollte der 750er-Mittelklassemotor gleichmäßigen Druck aus der Mitte bieten, massiver Rückbau war also gefragt. Bitteschön: Kleinere Drosselklappendurchmesser (32 statt 38 mm), entschärfte Steuerzeiten, eine etwas niedrigere Verdichtung, neu gestaltete Ein- und Auslasskanäle, gegossene statt geschmiedeter Kolben und noch weitere Feinarbeit bescherten dem Viererpack gesunde 106 PS, die bereits bei 10000/min und nicht erst bei 12750/min anliegen. Ein maximales Drehmoment von 80 Nm bei 9000/min ist solider Mittelklasse-Standard; die Organspenderin stemmte 84 Nm bei 10500/min. Der neue alte Motor ist nun das Herz des GSR 750 getauften Hinguckers. Die in Schwarz, Rot oder Weiß zu bekommende Maschine ersetzt die GSR 600, von der noch eine Zeit lang die letzten 2010er Modelle parallel abverkauft werden. Die GSR 600 kostete mit ABS zuletzt 7790 Euro, für die momentan noch ABS-lose GSR 750 ruft Suzuki offiziell 8290 Euro auf. Der vermutlich ab Spätsommer 2011 lieferbare Blockierverhinderer wird die Sache um 300 bis 500 Euro teurer machen. Unterm Strich also rund 1000 Euro mehr für 150 cm³ mehr Hubraum, 8 PS mehr Leistung, ein annähernd gleiches Leergewicht (moderate 210 kg) und eine deutlich schärfere Verpackung.

SUZUKI GSR 750 Modell 2011Ebendieses heiße Kleidchen macht auf den ersten Blick den Unterschied; im direkten Vergleich sieht die 600er ziemlich bieder aus, obwohl ihr Design ja auch schon zarte Anleihen am bösen B-King-Look genommen hatte. Die GSR 750 macht mit ihrer fiesen Lampenmaske, dem kurzen und spitzen Heck sowie dem steil aufragenden 17,5-Liter-Tank aber deutlich aggressiver auf Bad Boy und hat die Hingucker auf ihrer Seite. Die sollten allerdings lieber nicht allzu genau hinschauen, denn bei intensiverer Betrachtung fällt schon auf, dass die Rotstiftspitzer bei der Entwicklung ein kräftiges Spar-Wörtchen mitreden durften. Während bei der GSR 600 ein lecker gemachter Alurahmen und eine nette Leichtmetall-Schwinge mit Oberzug das Auge erfreuen, kommt bei der GSR 750 bei beiden Baugruppen schnöder Stahl zum Einsatz. Das muss in Sachen Stabilität und Kampfgewicht (siehe oben) wahrlich kein Fehler sein, aber das Auge fährt schließlich mit. Und es stolpert besonders über die wirklich billig, ein wenig nach GS 500 aussehende Kastenschwinge. Andere Sparaktionen fallen nicht sofort auf: Während bei der GSR 600 das Federbein in Federspannung und Zugstufendämpfung verstellt werden kann, lässt sich bei der GSR 750 nur die Federvorspannung variieren. Und warum die Zuladung bei der 750er mit 190 kg um 27 kg geringer als bei der 600er ausfällt, muss man nicht verstehen. Die Doppelkolben-Schwimmsättel am Vorderrad der neuen Suzi verwöhnen den Technik-Gourmet auch nicht unbedingt. Egal, denken und sehen wir positiv – zum Beispiel die schmucke Upside-down-Gabel der GSR 750; bei der GSR 600 erledigt eine konventionelle Telegabel die Bügelarbeit. Nicht schlechter, aber wie gesagt: Das Auge fährt schließlich mit.

SUZUKI GSR 750 Modell 2011 CockpitUnd auch der Rest des Fahrers hat ganz schnell viel Spaß mit der großen GSR; denn die Fuhre überzeugt auf Anhieb mit ihrer Menschenfreundlichkeit und Ausgewogenheit. So sind die ergonomischen Verhältnisse nahezu perfekt: Der nicht zu breite Lenker, die nicht zu hoch montierten Fußrasten, moderate 815 mm Sitzhöhe, perfekt zu überblickende und jede Menge Infos (u. a. eine praktische Ganganzeige) liefernde Instrumente – die Suzuki macht es ihrem Fahrer wirklich leicht. Das gilt auch für die Bedienung; denn das Sechsganggetriebe lässt sich mustergültig schalten, die Gasannahme erfolgt weich und so direkt, wie man es fürs stressfreie Fahren gern hat. Der leicht vorn übergebeugt, recht vorderradorientiert und dabei durchaus bequem und langstreckentauglich untergebrachte GSR-Pilot merkt bereits nach wenigen Metern, dass sein Gefährt eindeutig zu den Gutmütigen gehört. Gutmütig im Sinne von „macht keine Zicken“ und „ist jederzeit gut berechenbar“, aber nicht von „ist langweilig“. Ganz im Gegenteil: Der gezähmte Supersportler-Motor tobt munter durchs Drehzahlband, erlaubt sich keinen Durchhänger und lässt nur ganz dezente Vibrationen durchkommen. Vor allem lässt er aber spüren, dass hier keine kleinvolumige Drehorgel im fünfstelligen Bereich herumtobt, sondern dass ein ausgewachsener Dreiviertelliter zu Werke geht. Bereits deutlich unter 2500/min zieht die GSR 750 sauber durch, um 4000 Touren powert der Viererpack schon richtig kräftig, und erst bei 11500/min setzt der Drehzahlbegrenzer dem linearen Treiben ein Ende.

SUZUKI GSR 750 Modell 2011Zum amtlichen Motor passt das grundsolide Fahrwerk: Die 41er-Upside-down-Gabel und das Federbein, beide Teile stammen von Kayaba, informieren zwar sehr direkt über den Zustand des Fahrbahnbelags, sind aber weder unnachgiebig hart, noch schaukelig unterdämpft – die Federelemente passen einfach bestens zum ausgewogenen Charakter der GSR 750 und lassen auch noch Reserven für den Soziusbetrieb und/oder üppiges Urlaubsgepäck. Die serienmäßig montierten Bridgestone BT 016 sind solide Sportreifenware und unterstützen die erfreulich handliche Fahrwerksauslegung mit guten Antworten auf alle Haftungsfragen. Ohne größeren Kraftaufwand, fast schon spielerisch lässt sich mit der GSR 750 durch enge Wechselkurven, aber auch durch schnelle, langgezogene Radien knallen. Selbst größere Fahrbahnverwerfungen bringen die Suzuki nicht aus der Ruhe, spurstabil und ohne irgendeine Hinterhältigkeit zieht die erfreulich leichte Maschine ihre Bahn. Zum Vergleich: Eine 650er Bandit aus gleichem Haus bringt knapp 35 Kilo mehr auf die Waage, und selbst eine Kawasaki Z 750 wiegt noch 20 Kilo mehr. Der Stahlbau hat der GSR 750 also wahrlich nicht geschadet, und x-fach verstellbare Federelemente wird abseits der Rennstrecke niemand vermissen. Die GSR 750 mag zwar an manchen Stellen etwas „billiger“ gemacht sein als ihre 600er-Schwester, doch unterm Strich ist sie das bessere Motorrad; denn in Sachen Handlichkeit steht sie der GSR 600 in nichts nach, ihr Motor bietet deutlich mehr Drehmoment und damit Fahrspaß – und sie sieht trotz Einfach-Schwinge einfach viel schärfer aus. Für jede Menge sorglosen Motorradspaß können beide GSR-Schwestern sorgen, und wer die 600er noch zum Alles-muss-raus-Preis ergattern kann, darf bedenkenlos zuschlagen.

Ansonsten gilt: GSR 750 kaufen (am besten in der zweiten Jahreshälfte – Stichwort ABS); denn Suzuki hat sehr gut daran getan, das hauseigene 600er/650er-Programm zu entschlacken und endlich wieder mit einem herrlich normalen Motorrad in der traditionsreichen 750er-Klasse vertreten zu sein.