aus bma 03/06

von Klaus Herder

Suzuki GSR 600 K6Mit dem Design-Mut ist das so eine Sache. Hat man ihn als Fahrzeughersteller nicht, jammern Journaille und Kundschaft, doch über zukünftige Verkaufszahlen besagt das noch gar nichts. Ist man in der Formensprache dagegen wirklich gewagt, gibt’s jede Menge Lob, doch gekauft wird dann womöglich bei der etwas konservativeren Konkurrenz. Ein schönes und zugleich abschreckendes Beispiel ist die Yamaha MT-01. Da sieht ein Serienmotorrad tatsächlich fast so wild und mutig wie die hochgelobte Designstudie aus, ist mit toller Technik bestückt und funktioniert hervorragend – doch gekauft wird sie wenig bis gar nicht, was nicht nur am etwas heftigen Preis liegen kann.
Das Schicksal der meisten Designstudien ist daher schon vor ihrem Debüt besiegelt: Nach Ausstellungsende wandern sie auf Nimmerwiedersehen ins Depot oder sogar in die Schrottpresse. Der auf der Tokyo Motor Show 2001 gezeigten Suzuki B-King ging’s nicht anders. Das von einem Kompressor-aufgeladenen Hayabusa-Motor befeuerte Naked Bike wurde anschließend noch auf ein paar Messen gezeigt, doch es war schon bezeichnend, daß der Muskel auf zwei Rädern seine Deutschland-Premiere in der hintersten Ecke eines Suzuki-Händlerstandes auf der Leipziger Motorradmesse feiern mußte. Die B-King erntete begeisterte Kritiken, doch die Suzuki-Verantwortlichen waren sehr, sehr vorsichtig – der König verschwand in der Versenkung. Suzuki mangelnden Mut vorzuwerfen, wäre unfair gewesen: Die heute als Design-Ikone gehandelte (und verklärte…) Katana war zu ihrer Zeit schließlich alles andere als ein Verkaufserfolg. Sein Geld verdient der Discounter unter den Japanern jedenfalls seit jeher mit eher biederen Massen-Modellen vom Schlage einer Bandit 650.

 

Womit wir schon mitten in der beliebten Mittelklasse wären. Und genau dort bestand für Suzuki mittelschwerer Handlungsbedarf, denn Honda Hornet 600 und Yamaha FZ6 Fazer beweisen europaweit und besonders auf dem sehr wichtigen italienischen Markt, daß die Kombination aus Sportmotor und alltagstauglicher Verpackung auch in dieser Kategorie durchaus Liebhaber findet. Eine Kawasaki Z 750 wilderte ebenfalls erschreckend erfolgreich im typischen Suzuki-Revier, also mußte etwas geschehen. Der passende Motor für das Projekt Suzuki GSR 600 war schnell gefunden: Der 2004 und 2005 in der Suzuki GSX-R 600 verbaute, flüssigkeitsgekühlte Vierzylinder-Reihenmotor war dann doch ein etwas anders Kaliber als der luftgekühlte 78-PS-Viererpack der kleinen Bandit. Zumindest auf dem Papier leistete der GSX-R-Motor 120 PS bei klassenüblich hohen 13000 U/min. In der Praxis blieben davon zwar nur knapp 110 PS übrig, doch mit etwas Überarbeitung mußte diese Drehorgel bestens ins GSR-Konzept passen. Entschärfte Nockenwellen und damit zahmere Steuerzeiten, eine modifizierte Einspritzelektronik und eine neue Auspuffanlage sollen für mehr Spaß im unteren und mittleren Drehzahlbereich sorgen. Daß in der GSR pro Zylinder je vier Stahl- statt Titanventile im extrem kurzhubigen (67 x 42,5 mm) Viererpack zum Einsatz kommen, muß kein Nachteil sein und dürfte kalkulatorische Gründe haben. Versicherungsgerechte 98 PS blieben übrig. Die für eine 600er ja immer noch recht beachtliche Höchstleistung liegt bei 12000 U/min und damit 1000 Umdrehungen früher als beim GSX-R-Original an. Das maximale Drehmoment büßte zwar 4 Nm ein, doch dafür werden die 64 Nm deutlich früher auf die Kurbelwelle gewuchtet, und die Drehmomentkurve verläuft viel flacher und damit alltagstauglicher. Dem Getriebe ging’s ebenfalls an die Zahnräder: Die Gänge eins bis vier sind nun stadttauglich kürzer übersetzt; die fünfte und sechste Fahrstufe kümmern sich dafür mit längerer Übersetzung für geringere Drehzahlen im Überlandverkehr. Den entschärften Motor steckten die Suzuki-Ingenieure in einen mächtig breit bauenden Alu-Brückenrahmen. Der hat keine sichtbaren Schweißnähte, was nicht weiter verwunderlich ist, denn das gute Stück besteht aus zwei spiegelsymmetrischen Gußteilen, die am Lenkkopf und oberhalb der Schwingenaufnahme miteinander verschraubt sind. Beim reparaturfreundlich angeschraubten Rahmenheck kommt handelsübliches Stahlrohr zum Einsatz.
Suzuki GSR 600 K6 Als es ans Einkleiden ging, erinnerten sich die Suzuki-Designer dann wohl doch noch an die selige B-King. Die GSR-Front mit dem charakteristischen Scheinwerfer und die Tankschürze mit den integrierten Blinkern hat durchaus etwas vom bösen B-King-Look. So richtig dazu stehen möchten die Suzuki-Mannen aber dann doch nicht, denn in der 48-seitigen, eigentlichen recht ausführlichen Presseinformation taucht der Name B-King mit keiner Silbe auf. Vielleicht deshalb, weil der Design-Mut die Macher auf halber Strecke wieder verlassen hat, denn die GSR-Heckpartie sieht verdächtig nach MV Agusta aus, was bewährt ist und beileibe kein Nachteil sein muß. Wo beim italienischen Gesamtkunstwerk aber vier echte Endrohre hervor lugen, sind’s bei der GSR nur zwei kurze Endstücke. Der eigentliche Endtopf ist kanisterförmig und einteilig, er steckt direkt unter der Sitzbank. Die seitlich angesetzten Kunststoffblenden sind keine Auspuffrohre und nur schöner Schein. Die beiden mittleren vermeintlichen Auspufföffnungen haben dafür durchaus eine Funktion. Hinter ihren Klarglasscheiben stecken die LEDs fürs Brems- und Rücklicht.
Wer die GSR das erste Mal live und in natura sieht, wird womöglich erstaunt sein, wie klein, fast schon zierlich die mit 16,5 Litern vollgetankt immerhin 212 Kilogramm schwere Maschine wirkt. Der Eindruck verflüchtigt sich allerdings bereits bei der ersten Sitzprobe. Zwar sind knapp 800 Millimeter Sitzhöhe durchaus zwergentauglich, und auch die im vorderen Bereich schmal geschnittene Sitzbank ermöglicht Kurzbeinigen sicheren Stand, doch der breite Tank überm breiten Rahmen sorgt für breit gespreizte Beine. Der nur wenig gekröpfte Chromlenker hat ebenfalls ziemlich erwachsene Abmessungen, man hat durchaus das Gefühl, auf einer großen Maschine zu sitzen. So breit der Lenker ist, so kurz fallen die Spiegelausleger aus. Sehr viel mehr als die Arme des Fahrers ist in ihnen nicht zu erkennen. Das ist aber eigentlich schon der einzige Kritikpunkt am Arbeitsplatz. Das übersichtliche Cockpit, eine nette Kombination aus Analogdrehzahlmesser und jeder Menge Digitalanzeigen (u.a. Tank- und Zeituhr, sowie Gang und Kühlmitteltemperatur-Anzeige), alle Hebel und Schalter sowie der komfortable Soziusplatz und die Anbringung der Fußrasten verdienen uneingeschränktes Lob. Da waren wirklich Praktiker am Werk. Ein dickes Extralob verdient Suzuki für das unkonventionell untergebrachte Zünd- und Lenkschloß. Das direkt vor dem Tank montierte Teil tut genau das, was es soll: Ohne Hakelei zu funktionieren. Das war bei Suzuki wahrlich nicht immer so.
Choke-Fummelei gibt’s bei der GSR auch nicht. Die Startautomatik funktioniert perfekt und immer auf den ersten zarten Druck aufs Knöpfchen, egal, ob der Motor eiskalt, handwarm und glühend heiß ist. Kupplung, Schaltung – alles arbeitet spielerisch leicht, exakt und auf kurzen Wegen. Der bereits im Leerlauf dezent fauchende Motor läuft nach sehr kurzer Zeit rund, sorgt dann allerdings für eine erste Überraschung. Eine digital arbeitende Gashand wird vom Suzuki-Viererpack gnadenlos bestraft. Unsensible Kordelzieher werden mit dem SDVT-System-bestückten Motor (SDTV = Suzuki Dual Throttle Valve) keine echte Freude haben. Was in den GSX-R-Modellen auch unter Grobmotorikern problemlos funktioniert, nämlich die Kombination aus je zwei Drosselklappen pro Zylinder, verlangt bei der GSR nach etwas mehr Hirn- und Handschmalz. Damit die per Seilzug vom Gasgriff betätigte erste Drosselklappe und die durch einen Stellmotor und über einen Rechnerbefehl gesteuerte zweite Klappe für tadellose Gasannahme sorgen, ist schon etwas Sensibilität gefragt. Heftiges Zucken der Gashand wird mit ruppiger Gasannahme und gegebenenfalls ebenso heftigen Lastwechselreaktionen bestraft. GSR-Frischlinge finden das vermutlich ziemlich nervig. Wer aber etwas mehr Zeit mit der Suzi verbringen darf, wird sich daran gewöhnen und eben etwas feinfühliger zu Werke gehen. Trotzdem: An dieser Stelle herrscht durchaus Verbesserungsbedarf.
Suzuki GSR 600 K6 Die Überarbeitung der Organspende geht ansonsten als voller Erfolg durch, denn bereits ab 3000 U/min macht der kleine Vierzylinder Druck, ab 5000 U/min fängt’s an, richtig Spaß zu machen. Das sind Bereiche, die auf dem GSX-R-Drehzahlmesser völllig entbehrlich sind. Spätestens dann, wenn die Nadel des GSR-Tourenzählers die 8000er-Marke überschritten hat, kapiert auch der Letzte, daß es in der 600er-Klasse ein sehr unterhaltsames Leben jenseits der harmlosen Bandit gibt. Jawoll, jetzt packt der nicht gerade seidenweich laufende Vierzylinder die ganz schnellen Turnschuhe aus, klingt urplötzlich richtig böse und schiebt noch viel böser voran. So bis knapp 13000 U/min ist nun richtig Feuer unterm Dach. Dann läßt der Schub spürbar nach, bei 14000 Touren greift der Drehzahlbegrenzer aus verständlichen Gründen ein. Fassen wir zusammen: Der GSR-Motor ist ein kerniges, mächtig agiles Kerlchen, das Drehzahlen liebt, aber auch mit 4000 oder 5000 Touren zufrieden ist, wenn das Messer ausnahmsweise mal nicht zwischen den Zähnen des Fahrers steckt. Was nachzutragen bleibt, sind die Stammtischwerte. Bitteschön: 0 auf 100 km/h in äußerst respektablen 3,6 Sekunden (es ist eine 600er!), Vmax bei klassenüblichen, ziemlich zugigen und damit eher theoretischen 220 km/h. Das dürfte doch wohl reichen.
Die GSR kostet faire 6990 Euro plus 130 Euro Nebenkosten und spielt damit in einer Liga, in der ausstattungsmäßig keine Wunder erwartet werden dürfen. Um so löblicher ist es, daß Suzuki keine Billig-Federelemente und -Bremsen verbaut, sondern zu wirklich gut gemachten und gut abgestimmten Markenprodukten gegriffen hat. Die tadellos arbeitende und in der Federbasis verstellbare Telegabel ist mit 43 Millimetern Standrohrdurchmesser ordent- lich dimensioniert und spricht erstaunlich sensibel an. Die Aluschwinge wird über ein Hebelsystem von einem etwas straffer abgestimmten Zentralfederbein betreut, das sich in Federbasis und Zugstufendämpfung verstellen läßt und auch im verschärften Soziusbetrieb nicht schlapp macht. Die von Kayaba stammenden Federelemente haben einen Arbeitsweg von 130 bzw. 134 Millimetern. Die prima zu dosierenden und bei Bedarf kräftig in die 310-Millimeter-Scheiben beißenden Vierkolben-Bremszangen am Vorderrad liefert Tokico, die Teile gehen durchaus als Zweifingerstopper durch. Der sich dagegen nur mit sehr viel Nachdruck zur Arbeitsaufnahme überredende Einkolbenstopper am Hinterrad stammt vom gleichen Anbieter.
Die etwas leichtere Honda Hornet ist einen Tick handlicher als die GSR. Wer keine direkte Vergleichsmöglichkeit hat, wird den Unterschied aber kaum erfahren, die GSR ist ebenfalls ein herrliches Wetzeisen. Die tolle Vorderradbremse, das bestens abgestimmte Fahrwerk, die durchweg gute Verarbeitung und die feine Materialauswahl (Aluschwinge, Edelstahlauspuff etc.) sprechen für die Suzi. Der drehfreudige und kräftige Motor steht ebenfalls auf der Habenseite, verlangt aus den oben genannten Gründen aber nach einer ausführlichen Probefahrt. Das GSR-Design ist frisch und frech, hätte aber auch durchaus etwas mutiger sein dürfen. Oder vielleicht auch nicht, aber das hatten wir ja bereits am Anfang.