Suzuki Gladius 650Die Gladius hat viele Käufer verdient, denn der quirlige und durchzugstarke V-Motor hat durch die Überarbeitung nochmals an Kraft und Spritzigkeit zugelegt und kann auch Fortgeschrittene begeistern. Das Fahrwerk ist für die anvisierte Zielgruppe ordentlich gemacht, und die Ergonomie ist besonders für etwas kürzere Menschen goldrichtig. Die Gladius kostet 6290 Euro, was zwar kein extremes Sonderangebot ist, aber immer noch als recht günstig durchgeht.

aus bma 5/09

von Klaus Herder

Suzuki Gladius 650Wenn von Optimisten und Pessimisten die Rede ist, wird gern das Beispiel mit dem Bierglas bemüht. Sie wissen schon: halb voll oder halb leer – die Sichtweise hängt von der grundsätzlichen Einstellung ab. Das Thema Suzuki Gladius ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man auch neue Motorräder sehr optimistisch, aber auch ziemlich pessimistisch betrachten kann.
Der Pessimist sieht die Gladius 650 als Nachfolgerin der SV 650 und wird maulend feststellen, dass statt Alurahmen, Edelstahlauspuff und LED-Rücklicht nun lackierter Stahl und konventionelle Lichttechnik verbaut werden. Er wird sich über die peinliche Rahmenabdeckung aus Plastik mokieren, die oberhalb der Schwingenaufnahme ein hochwertigeres Rahmenbauteil vorgaukelt. Dass ein neues Motorrad zwei Kilo mehr wiegt als die Vorgängerin, obwohl das ehemals serienmäßige ABS nun nicht mehr an Bord ist und der Tank 2,5 Liter Volumen einbüßte, ärgert den Pessimisten ebenfalls. Gab es bei der SV 650 noch die Wahl zwischen einer nackten und einer halbverschalten Ausführung, ist die Gladius nur noch als Nacktdarstellerin zu bekommen, was für den Pessimisten gut zum Stichwort „Verschlimmbesserung” passt. Billiger gemacht, schlechter ausgestattet, dafür aber schwerer und nicht stärker – so lautet für den Pessimisten das Gladius-Fazit.

Für den Optimisten – und zu den gehören in Sachen Gladius natürlich auch die Suzuki-Offiziellen – hat die jüngste Mittelklassemaschine aus Hamamatsu rein gar nichts mit der seligen SV zu tun. Okay: Motor, Bremsen und das grundsätzliche Layout entsprechen in weiten Teilen schon dem, was sich seit 1999 allein in Deutschland über 28.000 Mal verkaufte. Doch die Zielgruppen für die alte SV und die neue Gladius sind gänzlich andere. Während die SV 650 ein sehr erwachsenes Motorrad für durchaus erfahrene und eher konservative Motorradfahrer mit leicht sportlichen Ambitionen war, schielt man mit der zeitgeistigen Gladius auf die jungen, schicken Menschen, die mit der 650er ihr erstes Motorrad kaufen sollen und deren Ziel es zumindest in den ersten Jahren nicht unbedingt sein wird, auf Landstraßen hubraum- und leistungsstärkere Maschinen mächtig herzubrennen. Die Gladius ist für (Wieder-)Einsteiger gemacht, und für diesen Einsatzzweck wurde der famose SV-Motor spürbar überarbeitet. Vom etwas in die Jahre gekommenen Kanten-Design der SV 650 hebt sich die Gladius mit ihren rundlichen, geschwungene und fast schon verspielten Formen ohnehin extrem ab. Für den Optimisten ist die nach einem römischen Kurzschwert benannte Suzuki ein ganz neues Motorrad, keine Nachfolgerin. Und genau so gehen wir die Gladius jetzt auch an.

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 Suzuki Gladius 650Vom unvermeidlichen Uni-Schwarz abgesehen ist die Gladius-Farbpalette eine ziemlich schrille Angelegenheit. Die Farbkombinationen heißen zwar harmlos Weiß/Rot, Weiß/Blau und Schwarz/Grün, doch da neben Tank und den aufgesteckten (und im Schadensfall leicht und günstig auszutauschenden) Kunststoffblenden auch Rahmen und Räder in jeweils unterschiedlichen Farben daherkommen, wirkt das Ganze erfreulich munter. Für Menschen mit Hüftschaden ist die Gladius die Alternative zum Großroller. Zumindest dann, wenn es darum geht, möglichst einfach ein Bein über die Sitzbank zu schwingen. Die Maschine kommt sehr kompakt und niedrig daher, kein Vergleich zur ausgewachsenen SV 650. Gerade mal 790 Millimeter Sitzhöhe gilt es für den Fahrer zu bewältigen. Und die wirken eigentlich noch niedriger, denn die eher knapp gepolsterte Bank ist im vorderen Bereich extrem schlank geschnitten. Dafür sitzen die Fußrasten relativ hoch, was zusammen einen hervorragenden Sitzplatz für eher kurze Menschen ergibt. Längere Zeitgenossen der Ü-Einsachtzig-Liga haben womöglich leichte Probleme damit, ihre Gräten dauerhaft bequem unterzubringen. Enger Kniewinkel und herzhafter Kniekontakt zur oberen Tankkante sind nicht wirklich angenehm. Das Suzuki-Zubehörprogramm bietet aber Hilfe: Für faire 64 Euro gibt’s eine zwei Zentimeter höhere Bank.

Im Unterschied zum SV-Soziusplatz (ja, wir vergleichen frecherweise schon wieder…) ist die Gladius-Mitfahrersitzgelegenheit lang und breit genug. Relativ hohe Rasten gehören auch hier dazu, dummerweise sind die stabilen Haltegriffe aber einen Tick zu tief montiert. Optimal ist anders, aber besser als auf der SV ist es allemal.
Zurück zum Fahrer-Arbeitsplatz: Der 14,5-Liter-Tank ist nicht zu lang, der leicht gekröpfte Lenker sitzt nicht zu weit vorn – insgesamt ein Arrangement, mit dem eher kurze Menschen sehr gut klarkommen, das lange Fahrer aber auch nicht vergrault. Der Handbremshebel lässt sich in der Griffweite verstellen, der Kupplungshebel nicht. Muss er auch nicht, denn die Bedienung fällt selbst schlimmsten Weichgreifern auch so kinderleicht. Die Spiegel sind groß und schwer, was zusammen beste und gestochen scharfe Rücksicht ergibt. Das mit einer praktischen Ganganzeige bestückte Cockpit beweist, dass eine Kombination aus Analog- und Digitalanzeige sehr übersichtlich sein kann. Liebe Kawasaki-ER-6n-Macher: Genau so muss ein Cockpit aussehen – und nicht wie die auf modern getrimmte UKW-Skala eines rumänischen Transistorradios!

Suzuki Gladius 650Die tragende Funktion übernimmt bei der Gladius ein Gitterrohrrahmen aus Stahl, eine vermutlich günstigere, aber zumindest im Vergleich mit dem Alugussrahmen der letzten SV-Generation gar nicht mal so unansehnliche Konstruktion. Die besagten Plastikblenden hätten jedenfalls nicht sein müssen. Im Rahmen hängt der flüssigkeitsgekühlte Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, dessen SV-Abstammung selbst Suzuki nicht verschweigt. War es doch besonders dieser tolle Twin, der fürs gute SV-Image sorgte. Bärenstark, drehfreudig, zuverlässig und mit herrlichem Sound – über den SV-Motor lässt sich nur Gutes sagen. Und trotzdem legte die Suzuki-Techniker Hand an und sorgten unter anderem für mehr Schwungmasse der Kurbelwelle, vergrößerten den Ventilhub, reduzierten die Überschneidungen der Steuerzeiten, spendierten neue Kolben mit geringerem Laufspiel, verbauten neue, geräuschreduzierende Deckel und vergrößerten das Auspuffvolumen.
Sinn und Zweck der Aktion: Der Twin sollte noch spontaner ans Gas gehen und im unteren und mittleren Drehzahlbereich an Drehmoment zulegen. Das hat hervorragend geklappt, der sehr gute Motor wurde tatsächlich noch besser. Höchstleistung und maximales Drehmoment  blieben zwar unverändert, liegen jetzt aber jeweils früher an. Konkret: 72 PS bei 8400 statt 9000 U/min und 64 Nm bei 6400 statt 7200 U/min. Je zwei Iridium-Zündkerzen pro Zylinder fackeln nicht lange, wenn der Druck aufs Knöpfchen erfolgt. Der Leerlauf ist sofort stabil, egal, wie kalt oder warm Motor oder Außentemperaturen sind. Aus der etwas billig gemachten, immerhin mit einer Chromblende versehenen Auspuffanlage grummelt der Twin angenehm bassig. Spätestens jetzt weiß der Fahrer, warum er Zwei- statt Vierzylinder fährt.

Suzuki Gladius 650Der herrlich bollernde Motor nimmt sofort sauber Gas an. Kein Ruckeln, kein Verschlucken, kein Leistungseinbruch – oberhalb von 2000 Touren drückt der Twin wunderbar linear und sehr, sehr zügig in Richtung roter Bereich (10300 U/min) und Drehzahlbegrenzer (11500 U/min). Doch Drehzahlorgien sind eigentlich gar nicht notwendig, um sehr flott unterwegs zu sein. Bereits ab 4000 U/min kommt die Fuhre mächtig in Wallung, zwischen 6500 und 8000 Touren geht dann richtig die Post ab, mehr Drehzahl muss nicht sein. Die Arbeit im Sechsganggetriebe geht dabei sehr leicht und exakt vom Fuß. Die ebenfalls leichtgängige und millimetergenau zu dosierende Kupplung macht es selbst blutigsten Anfängern sehr einfach, die mit vollgetankt 202 Kilogramm immer noch recht leichte Suzuki in Fahrt zu bringen. Abwürgen ist nur schwerlich möglich, der fetteren Schwungmasse sei Dank. Nervende Vibration sind praktisch nicht zu spüren. Ab 7000 U/min kribbelt’s etwas in der Sitzbank, Lenker und Fußrasten sind 1000 Umdrehungen später dran, doch störend sind diese Lebensäußerungen nicht wirklich. Den Sprint von 0 auf 100 km/h erledigt die Gladius in unter vier Sekunden; für den Durchzug von 60 auf 140 km/h werden 9,5 Sekunden benötigt –  beides sehr gute Werte, mit denen die 650er in ihrer Klasse ganz weit vorn fährt. Die Höchstgeschwindigkeit gibt Suzuki mit 200 km/h an. Praxisrelevanter dürfte der Verbrauch sein: auf der Landstraße glatte vier Liter, bei Autobahnrichtgeschwindigkeit 130 immer noch unter fünf Liter – sehr sparsam ist der Twin also auch noch!

Für Fahrspaß sorgt aber nicht nur der tolle Motor, auch das ordentliche Fahrwerk spielt prima mit. Übertrieben handlich ist die Auslegung zwar nicht, da klappt kein Vorderrad von allein in die Kurve, aber dafür lässt sich die Suzuki sehr präzise lenken, reagiert zielsicher auf Lenkimpulse und benimmt sich absolut neutral. Eben genau so gutmütig, wie es etwas weniger erfahrene Piloten gern haben. Dazu passt dann auch die komfortable Abstimmung der einfachen, nur in ihrer Federbasis verstellbaren Federelemente. Das leicht plüschige Fahrwerk ist für den Normalo-Betrieb wie gemacht, kommt aber dann relativ schnell an seine Grenzen, wenn ein routinierter Fahrer etwas heftiger am Quirl dreht (und der famose Motor verführt genau dazu). Das unterdämpfte Federbein bringt in solchen Situationen Unruhe ins Gebälk, und die Gabel gibt sich auf unebenerem Geläuf etwas stuckrig.
Suzuki Gladius 650Doch bleiben wir fair: Die Gladius kostet 6290 Euro, was zwar kein extremes Sonderangebot ist, aber immer noch als recht günstig durchgeht. Um einen solchen Preis realisieren zu können, muss halt irgendwo gespart werden – zum Beispiel bei den Federelementen. Bei der Bremsanlage verließen sich die Suzuki-Verantwortlichen auf Bewährtes. Die vordere 290-Millimeter-Doppelscheibe und der hintere 240-Millimeter-Stopper taten in weitgehend gleicher Form bereits in der SV 650 Dienst. Für den Gladius-Einsatz wurde die Bremse aber noch etwas mehr in Richtung Anfängertauglichkeit getrimmt. Was in der Praxis bedeutet, dass nun nicht mehr zwei Finger reichen, sondern die ganze Hand bemüht werden muss, wenn kräftig verzögert werden soll. Damit kann man leben, doch ist es wirklich ärgerlich, dass ein ABS momentan noch nicht lieferbar ist. Bei anderen (und nicht unbedingt sehr viel teureren) anfängertauglichen Maschinen dieser Klasse ist der Blockierverhinderer längst serienmäßig – und war es bei der SV 650 zuletzt ebenfalls. Für die Gladius kommt ein ABS voraussichtlich erst ab dem Sommer 2009. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass diese unverständliche Modellpolitik dem Suzuki-Kurzschwert zumindest in dieser Saison einige Käufer kosten wird.

Dabei hat die Gladius viele Käufer verdient, denn der quirlige und durchzugstarke V-Motor hat durch die Überarbeitung nochmals an Kraft und Spritzigkeit zugelegt und kann auch Fortgeschrittene begeistern. Das Fahrwerk ist für die anvisierte Zielgruppe ordentlich gemacht, und die Ergonomie ist besonders für etwas kürzere Menschen goldrichtig. Die Sache mit dem noch fehlenden ABS ist ärgerlich, lässt sich aber aussitzen.
Wer diese Geduld nicht hat, sollte trotzdem mal beim Suzuki-Händler vorbeischauen. Dort gibt’s vereinzelt nämlich noch die selige SV 650 S. Als 2007er-Modell mit Tageszulassung und ABS für 5390 Euro, ohne Zulassung nur 300 Euro teurer. Das wäre dann zwar keine Gladius-/Schwert-Wahl, aber trotzdem eine sehr gute Kaufentscheidung. Und für diese Einschätzung muss man nicht zwangsläufig ein Optimist sein.

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