aus bma 09/04

von Günter Pfeifer

Sidebike Gespann Zeus Da scheint doch wohl Göttervater Zeus persönlich einige (Geistes)-Blitze vom Olymp herunter nach Frankreich geschleudert und Jean-Claude Perin von Side Bike voll getroffen zu haben. Denn wieder einmal mehr gelingt es dieser Edelmanfaktur in der Gespannszene für Furore und Geprächstoff zu sorgen. Gleiches ist dem Side Bike Team ja schon des öfteren gelungen. Man denke nur an die Seitenwagen Renaissance, Kyrnos und Mega-Comete, die bereits in Sachen Qualität und Optik Trends gesetzt haben.
Grundgedanke bei der Konstruktion des Zeus-Gespannes war es, ein komplettes, untrennbares und gemeinsames Chassis für Antriebsaggregat und den Seitenwagen zu schaffen. Auch wenn die Ausgangsidee so ganz neu nicht ist, mit einem kompletten Pkw-Motor im Heck des Seitenwagens entstand ein beinahe revolutionäres neues Gespann. Man darf gespannt sein wie die Fraktion der Gespannfahrer darauf reagiert. Eines ist klar, die asymmetrische Bauweise und somit alle Faktoren die das Gespannfahren so faszinierend machen, bleiben voll erhalten.
Und trotzdem ist beim „Zeus” alles anders. Am Lenker gibt es weder Hebel für Kupplung und Bremse noch einen Gasdrehgriff. An die Betätigung der Kupplung muß sich der linke Fuß gewöhnen. Der rechte Fuß kann je nach Fahrweise zwischen Gas und Bremse wählen. Geschaltet werden muß natürlich auch, und dabei kommen die Hände zum Einsatz. Der rechte Daumen schaltet über einen großen Tasterknopf am rechten Lenkerende alle Gänge nach oben und der linke Daumen muß das Herunterschalten am linken Lenkerende übernehmen. Der unterste Gang ist dabei der Rückwärtsgang. Die Schaltvorgänge selbst werden elektronisch über eine Art Tiptronic durchgeführt. Der jeweilige Gang wird im Cockpit digital angezeigt und ein LED-Schaltblitz signalisiert den vollendeten Gangwechsel. Dabei kann aber auch der nächste Gang bereits während der Fahrt vorgewählt werden und bei Kupplungsbetätigung wird geschaltet. Ein Sicherheitsmechanismus verhindert Beschädigungen im Getriebe durch falsches Kuppeln. Spätestens jetzt ist klar, daß vor dem Fahren im öffentlichen Straßenverkehr eine intensive Einweisung mit entsprechenden Fahrübungen stehen muß.
Manfred Stahmer, Gespannbauer aus Rantrum (Tel. 04848/269, www.stahmer-nf.de), stellte mir freundlicherweise das Zeus-Gespann für einen Fahrbericht zur Verfügung und erklärte mir ausführlich und bis ins letzte Detail alle Besonderheiten dieses Fahrzeugs. Sein wissendes Lächeln verstand ich im ersten Kreisverkehr am Ortsausgang der kleinen Gemeinde in Nordfriesland in aller Deutlichkeit. Während die rechte Hand den Gummigriff am Lenkerende völlig wirkungslos würgte und die Finger sinnlos nach Bremswirkung suchten, kam mir die Erkenntnis – Günter, das lernst du nie – und das mir, nach mehr als 40-jähriger Motorraderfahrung.

 

Sidebike Gespann Zeus Doch so schnell gibt Günter nicht auf. Nur wenige Kilometer weiter muß der große Parkplatz eines Baumarktes als Übungsplatz herhalten. Vorwärts und rückwärts, schalten mit der gehörigen Ruhe, Schaltblitz abwarten, dann Einkuppeln und das ganze sehr gefühlvoll. Und siehe da, nach einigen Runden geht alles fast wie von selbst. Lediglich das Rückwärtsfahren bleibt gewöhnungsbedürftig und sollte immer sehr vorsichtig vor sich gehen.
An einer Tankstelle höre ich einen Knirps der seinem Vater zuruft, „Du Papa guck mal, ein Ferrari.” Nun, er hat sich wohl von der roten Farbe täuschen lassen. Von Ferrari ist das Zeus nicht, aber ein absoluter Hingucker bleibt es trotzdem. Der Designer Corrieras hat hervorragende Arbeit geleistet und ein solches Fahrzeug sieht man gewiß nicht alle Tage. Bei jedem Stop wird man zunächst mal von Schaulustigen umlagert.
Leider ist auch im Mai und trotz blühender Rapsfelder das Wetter recht kühl und regnerisch. Das gesamte, aus mehreren Sektionen bestehende Verdeck muß deshalb montiert bleiben. In dieser Konfiguration ist der Seitenwagen auch völlig regendicht und zugfrei. Nachdem sich meine Frau eine eigene Technik für den Ein- bzw. Ausstieg ausgedacht hat – natürlich nicht ohne den fehlenden Haltegriff zu bemängeln – kann die erste Tour beginnen. Sie sitzt in dem mit Sicherheitsgurten ausgerüsteten Zweisitzer äußerst bequem. Der Sitz ist weich und komfortabel. Ausreichend Platz, auch für großgewachsene Passagiere, ist vorhanden. Wenn der Sicherheitsgurt angelegt ist, darf auf den Helm auch schon mal verzichtet werden. Und wenn kältebedingt das große Frösteln anfängt, kann man mit der Gebläseheizung wieder für das richtige Klima in der Kabine sorgen. Hierfür gibt es eine Luftaustrittsklappe für den Fußraum und zwei Düsen für die Scheibe. Wer es besonders komfortabel liebt, kann optional nachrüsten: Vorinstallationen für Radio, Lautsprecher, Zigarettenanzünder und kleines Zubehör sind bereits vorhanden.
Platz, auch fürs größere Reisegepäck, findet man im abschließbaren Kofferraum. Da dieser baubedingt über dem Motor liegt und etwas zerklüftet ist, sollte man mehrere kleinere Gepäckstücke verladen. Im Inneren dieses Kofferraumes befindet sich auch eine verschraubte Montageklappe für Service-Arbeiten am Motor. Die Kofferraumklappe ist sehr stabil, hängt in kräftigen, rostfreien Scharnieren und wird von zwei Stoßdämpfern geführt. Ein weiterer Gepäckraum befindet sich unter dem Fahrersitz, und wem das noch immer nicht reicht, der kann demnächst auch einen Träger für das Heck des Seitenwagens ordern. Für kleinere Utensilien gibt es im Innenraum des Bootes noch eine Frontablage mit Deckel und eine Seitentasche. Insgesamt stehen ca. 400 Liter Stauraum zur Verfügung.
Zeus Cockpit Der Passagier (oder auch beide) sind also bestens untergebracht. Doch auch Fahrer und evtl. Sozius haben keinen Grund zum Klagen. Die Sitzbank ist bequem und auch lange Strecken lassen sich ermüdungsfrei bewältigen. Während die tourenmässig aufrechte Sitzposition fast an einen großen Motorroller erinnert, sorgt die voluminöse Verkleidung für einen perfekten Wind- und Wetterschutz. Die Füße des Sozius ruhen auf großen Trittbrettern und für den Fahrer ist der Pedalbereich in die Verkleidung integriert.
Geplant ist eine Tour nordwärts, durch den Süden Dänemarks, um Frühling und blühende Rapsfelder zu genießen. Wir benutzen von Tarp bis Aabenraa die Autobahn und ich bin begeistert von den guten Fahreigenschaften des Zeus-Gespannes. Lenkvorgänge lassen sich ohne viel Kraftaufwand, ja beinahe spielerisch durchführen, und schon bei geringem Druck aufs Gaspedal schiebt das Zeus zügig voran. Der Motor entwickelt einen sonoren, angenehmen Sound, ist fast unnormal leise und völlig vibrationsfrei. 133 PS und ein Drehmoment von 195 Nm bei 4100 U/min sorgen für beste Beschleunigungswerte und lassen Geschwindigkeiten bis fast 200 km/h zu. Der Grenzübergang nach DK ist schnell erreicht und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h, teilweise noch geringer, zwingt zu ständigen Blicken auf den Tacho. Hinter Aabenraa folgen wir der 170 und tun das was wir tun wollten, genießen der wunderbare Landschaft im Frühling. Und auch wenn uns die Sonne nicht gerade verwöhnt, es ist herrlich, dieses Dänemark. Die Straßen sind sehr gut ausgebaut und selbst wenn innerorts mal holpriges Kopfsteinpflaster vorhanden ist, wird die Federung des Gespannes leicht damit fertig. Oft am Strand der Ostsee entlang und über viele sehenswerte Brücken geht es bis Middelfart, wo eine gewaltige Brücke über den „Kleinen Belt” führt.
Hier ist es jetzt Zeit für eine Pause und eine Cafeteria ist in Dänemark immer schnell gefunden. Der Becher Kaffee und wegen des verführerischen Duftes ein Teller feinste Spargelsuppe wecken wieder alle Lebensgeister für die Weiterfahrt. Mit spielerischer Leichtigkeit schwimmt das Gespann im laufenden Straßenverkehr mit. Überholen und wenn es nötig ist blitzschnelle Spurwechsel sind kein Problem. Lediglich das Anfahren am Berg mit Handbremse, die ähnlich wie bei Pkws rechts neben dem Fahrer angebracht ist, verlangt Konzentration. Durch die beeindruckende, teils recht hügelige Landschaft der Insel Fünen fahren wir zur Fähre nach Bøjden. Dabei ist es immer wieder ein Erlebnis, wenn die goldgelben Rapsfelder bei Sonnenschein zu leuchten beginnen.
Leider schaffen wir es aber doch noch, das Regenverhalten des Gespannes und die Dichtigkeit der Kabine zu prüfen. Ein kurzer aber umso heftigerer Regenschauer erwischt uns bei der Einfahrt zur Fähre. Im Seitenwagen bleibt es völlig trocken und das aufwendig konstruierte Verdeck zeigt keine Schwächen. Die Heizung verhindert sogar ein Beschlagen der Scheiben. Auch die Verkleidung, mit der recht großen Fronscheibe schützt bestens. Bei der engen und steilen Fährenauffahrt kommen mir wegen der enormen Breite des Zeus doch Bedenken. Aber mit der nötigen Vorsicht klappt alles hervorragend. Frauchen übt aber immer noch neue Ausstiegstechniken.
Sidebike Gespann Zeus Die Überfahrt dauert ca. 50 Minuten und wir haben Zeit für Kaffee und ein Stück leckeren dänischen Kuchen. In Fynshav geht das Ausschiffen problemlos und wir überqueren die Insel Als auf der Hauptstraße 8, zum Glück wieder bei Sonnenschein. Die Stadtdurchfahrt in Sonderburg zeigt nochmals, dass das Zeus trotz der großen Breite recht leicht und wendig zu fahren ist. Lenkeingaben des Fahrers werden exakt befolgt. Der Geradeauslauf und die Spurtreue der Vorderradführung sind besonders hervorzuheben. Kurvenfahrten, rechts wie auch links, sind geradezu ein Vergnügen. Hierbei spielt sicher das mitlenkende Hinterrad eine ausschlaggebende Rolle. Das angetriebene Seitenwagenrad klebt in beiden Kurvenrichtungen regelrecht am Boden. Die Zweikreis-Bremsanlage arbeitet mit Servounterstützung und ABS (optional). Dabei fällt besonders auf, daß die Bremsen nahezu ruckfrei einsetzen.
Das letzte Stück vor der Grenze führt natürlich über Kollund, denn dort am Kiosk gegenüber den Ochseninseln, gibt es schließlich die besten Hot-Dogs und das beste Softeis Dänemarks, denke ich.
Dann noch einmal auf der Umgehungsautobahn Flensburgs eine etwas schnellere Gangart. Der Antrieb des Gespannes ist einfach ein Sahnestück. Der wassergekühlte Vierzylinder-Reihenmotor von Peugeot arbeitet mit 16 Ventilen in DOHC-Anordnung und Hydro-Stößeln, Kraftstoffeinspritzung und Dreiwege-Kat. Der Kraftfluß wird über das Fünfgang-Getriebe und die Gelenkwellen zu Hinterrad und Seitenwagenrad geführt. Dabei erfolgt der Antrieb des Seitenwagenrades über ein kettengetriebenes, mitfederndes Vorgelege. Zwei Edelstahl-Schalldämpfer sind über das Heck der Maschine, unterhalb der Sitzbank, geführt. Auspuffgase können die Passagiere im Boot nicht belästigen. Die eingebauten Federbeine von White Power sind auf die jeweiligen Fahrzustände einstellbar. Großen Anteil am guten Fahrverhalten hat sicher auch die Vorderradführung mit einer Radnabenlenkung. Die innenbelüfteten Bremsscheiben, Bremszangen und Bremsbacken, die am Vorder- und am Seitenwagenrad arbeiten, stammen ebenfalls aus dem Pkw-Regal für den Peugeot 206 S. Damit ist auch erkennbar, daß als Werkstatt der Peugeot- oder Citroën-Autohändler in Betracht kommt. Die drei Laufräder sind bildschöne 6,5 Zoll-Alu-Felgen mit Reifengröße 195/50R15 V.
Das fahrfertige Leergewicht des Zeus beträgt 650 kg und es kann mit Anhängerkupplung versehen 350 kg ungebremst ziehen – evtl. eine Alternative für die größere Urlaubsreise.
Der unvoreingenommene Betrachter stellt insbesondere die gefällige Bauweise des gesamten Gespannes fest. Deutlich ist die qualitativ hochwertige Ausführung aller Bauteile erkennbar. Randabschlüsse und die Einhaltung genauer Spaltmaße bezeugen dies. Das Innere des Seitenwagens, besonders bei Alpaka-Ausführung, vermittelt einen geradezu exclusiven Eindruck. Kleinigkeiten wie Innenbeleuchtung von Kabine und Kofferraum oder Steckdosen können gar nicht alle erwähnt werden. Beeindruckend ist vor allem die Liebe zum Detail, mit der das Team von Side Bike gearbeitet hat.
Es ist natürlich klar, der Fahrer, der sein Klassikergespann vom Schlage einer BMW, Guzzi oder aus russischer Fertigung liebt und fährt, wird sich kaum angesprochen fühlen. Aber tourenmäßige Vielfahrer, die Wert auf etwas Komfort legen und damit an ein Oberklassegespann denken, kommen am Zeus von Side Bike schon aus Kostengründen nicht mehr vorbei. Denn bei diesem Gespann stimmt in besonderem Maße das Preis-/Leistungsverhältnis. Rund 26.300 Euro würden für die bessere Zeus Prestige-Variante das eigene Konto verlassen müssen. Dazu vielleicht als sinnvolle Option ABS für drei Räder für 1620 Euro.
Nach ausgedehnten Ausflügen, dabei wurden nahezu alle Arten von Straßen genutzt, komme ich zu dem Ergebnis, daß das Zeus mit Abstand das beste Gespann ist, das ich je gefahren habe. Ob es jedoch die Gespannszene verändern kann bleibt abzuwarten. Hier werden die Kunden und andere Gespannbauer ein entscheidendes Wörtchen mitreden.