Paragraph

aus Kradblatt 5/14 – Rechtstipp
von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
www.janschweers.de

 

Vorsätzliches Auffahren auf das Heck eines Motorradfahrers

Man muss im Leben nicht alles verstehen, so geht es einem Juristen manchmal auch beim Lesen von aktuellen Urteilen. Wenn man denkt, je höher das Gericht, umso durchdachter auch die Urteile, kann man sich so manches Mal täuschen.

Ich will euch im Mai-Kradblatt mit einem Urteil konfrontieren, das ich noch immer nicht verstehen kann. Unser Strafgesetzbuch kennt eine Körperverletzung und eine gefährliche Körperverletzung. Die Körperverletzung ist verwirklicht, wenn eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt wird. Für die Verwirklichung einer gefährlichen Körperverletzung bedarf es hierzu einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 14.01.2014 (Az. 4 StR 453/13) entschieden, dass ein Pkw-Fahrer, der einem Motorradfahrer absichtlich in sein Heck fährt, wodurch dieser zu Sturz kam, nicht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden darf.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Pkw-Fahrer fuhr einem Motorradfahrer absichtlich hinten rein und flüchtete anschließend vom Unfall­ort. Der Motorradfahrer hatte sich bei dem anschließenden Sturz, ausgelöst durch das Rammen des Pkw-Fahrers, einen Rippenbruch und Abschürfungen zugezogen. Vor dem Landgericht Leipzig wurde der Pkw-Fahrer, der zudem ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Der Pkw-Fahrer hat die Tat gestanden. Er empfand das Strafmaß des Landgerichts aber als „zu hoch“ und ging deshalb in Revision. So landete der Fall beim BGH. Dieser hat jüngst entschieden, dass der Pkw-Fahrer sich durch das Rammen des Motorradfahrers nur einer einfachen Körperverletzung strafbar gemacht hat. Die Richter beim BGH begründeten ihre Entscheidung damit, dass eine gefährliche Körperverletzung nur dann in Betracht kommt, wenn bereits schon der Zusammenstoß von Pkw- und Motorradfahrer zu den Verletzungen führen würde, nicht aber erst der anschließende Sturz. Um den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) zu verwirklichen, bedarf es eines unmittelbaren Kontakts zwischen dem Fahrzeug und dem Körper. Dieser unmittelbare Kontakt lag hier nicht vor, weil der Motorradfahrer nicht unmittelbar durch das Rammen verletzt wurde, sondern sich erst durch den Sturz die Verletzungen zuzog. Vor dem Hintergrund musste auch das Urteil des Landgerichts Leipzig insoweit aufgehoben werden.

Ein interessanter Fall, der zeigt, dass eine gefährliche Körperverletzung nicht zu schnell bejaht werden darf. Ob eine gefährliche Körperverletzung begangen worden ist, hängt somit davon ab, ob das fahrende Kraftfahrzeug, welches nach der ständigen Rechtsprechung zu den sog. „gefährlichen Werkzeugen“ zählt, mit dem Körper des Verletzten zuvor unmittelbar in Berührung gekommen ist oder nicht.

Im Fall einer Kollision mit einem Motorrad muss direkt durch die Kollision eine Verletzung verursacht worden sein. Hätte sich der Motorradfahrer bei der Kollision ein Halswirbelsäulentrauma zugezogen, wie es oft bei Pkw- Auffahrunfällen der Fall ist, wäre eine Verurteilung wegen einer gefährlichen Körperverletzung erfolgt.

Ein Fall, der meiner Ansicht nach nicht sachgerecht entschieden wurde, denn die Richter hätten zumindest eine Verurteilung wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung aussprechen müssen. Wer mit einem Pkw ein Motorrad absichtlich anfährt nimmt zumindest billigend in Kauf, dass der Motorradfahrer bereits durch die Kollision verletzt wird.