aus Kradblatt 7/24 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Abstand halten vs. Rücksicht. Wie sieht die Schuldfrage aus?
So mancher von uns fährt gelegentlich ja auch mal mit einem vierrädrigen Fahrzeug, bei dem zum Ein- oder Aussteigen in aller Regel mindestens eine Tür geöffnet wird. Dabei kommt es im Straßenverkehr nicht selten zu Unfällen mit Vorbeifahrenden – nicht wenige von uns sind gewiss schon einmal einer sich plötzlich öffnenden Autotür ausgewichen, was noch der glücklichere Verlauf ist. Ein Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 17.05.2023 (Aktenzeichen: 420 C 6703/20) bestätigt nochmals die gängige Rechtsprechung zu solchen Fällen, wenn es doch unglücklicher verlaufen ist.
Geklagt hatte derjenige, der mit seinem Pkw an einem stehenden Lkw vorbeifuhr, wobei es im Rahmen des Passierens zum Zusammenstoß mit der Tür des Lkw und dem Fahrzeug des vorbeifahrenden Klägers kam. Dabei war es zwischen den Parteien des Verfahrens streitig, ob der Lkw-Fahrer die Tür wuchtig geöffnet hatte oder der Passierende beim Schließen der Tür wegen zu geringem Sicherheitsabstands gegen diese gefahren war. Die beklagte Krafthaftpflichtversicherung des Lkw-Fahrers hatte eine Mithaftung des Vorbeifahrenden in Höhe von 50 Prozent angenommen und den Schaden dementsprechend reguliert.
Das Amtsgericht Hannover sprach dem Kläger den begehrten vollen Betrag zu. Dabei nahm es die volle Haftung des Türenöffners an – die allgemeine Betriebsgefahr des Pkw des Klägers trat hinter dem Verschulden des Beklagten vollständig zurück.
Das Amtsgericht warf dem Lkw-Fahrer einen Verstoß gegen § 14 Absatz 1 Straßenverkehrsordnung vor, wonach derjenige, der ein- oder aussteigt, sich so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmenden ausgeschlossen ist. Dabei wandte das Gericht den Anscheinsbeweis an. Der Beweis des ersten Anscheins spricht diesbezüglich gegen denjenigen, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ein- bzw. Aussteigen ereignet hat. Dieser Anscheinsbeweis gilt soweit, bis er durch den, der von ihm betroffen ist, erschüttert wird. Eine solche „Erschütterung“ des Beweises des ersten Anscheins konnte das Amtsgericht Hannover nicht erkennen.
Es wurde durch einen Sachverständigen festgestellt, dass der Lkw-Fahrer die Tür erst öffnete, als der Pkw des Klägers bereits im Vorbeifahren begriffen war. Eine Mithaftung des passierenden Klägers konnte dagegen nicht begründet werden. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass er einen größeren Seitenabstand zu dem Lkw hätte einhalten können. Dass der Vorbeifahrende nicht umsichtig genug gefahren wäre, war nicht erkennbar. Aufgrund des Anscheinsbeweises gegen den Türenöffner wurde das Alleinverschulden und damit die volle Haftung der Beklagten ausgesprochen. Der Lkw-Fahrer bzw. seine Krafthaftpflichtversicherung hatten dem Kläger daher den gesamten Schaden zu zahlen.
Die Sorgfaltspflicht beim Türenöffnen endet sowohl beim Ein- als auch beim Aussteigen erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür. Davor gilt, dass sich im Falle eines Unfalls dieser im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Tür ereignet hat, und der Beweis des ersten Anscheins gegen den Ein- oder Aussteigenden spricht. Dies ist durch das Urteil des Amtsgerichts Hannover nochmal verdeutlicht worden.
Wenn wir also ausnahmsweise nicht mit dem Motorrad unterwegs sind – für größere Einkäufe braucht man halt doch ein Gefährt mit mehr Ladefläche, von Möbeltransporten ganz zu schweigen – müssen wir beim Verlassen des Fahrzeugs ebenso wie vor dem Einsteigen unbedingt den fließenden Verkehr beachten. Die Tür sollte nur geöffnet werden, wenn kein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden könnte. Wir möchten ja schließlich selbst auch nicht mit dem Motorrad in eine Autotür fahren, die unachtsam aufgerissen wird. Rechtlich sieht es für einen unvorsichtigen Türenöffner zu Recht zumeist nicht gut aus.
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