aus Kradblatt 7/19 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Rasern geht es mit § 315 StGB an den Kragen

Das hier behandelte Thema geht uns eigentlich gar nichts an: Vielleicht fahren wir manchmal schnell, aber gewiss niemals zu schnell. Hoffe ich mal …

Seit 2016 beschäftigten sich die Medien verstärkt mit Kraftfahrzeug­rennen im Straßenverkehr. Auslöser war vor allem ein Vorfall in Berlin, wo ein solches illegales Autorennen mit Geschwindigkeiten bis über 170 km/h zu einem Verkehrsunfall geführt hatte, bei dem ein unbeteiligter Rentner zu Tode gekommen war. Die Beteiligten an dieser Raserei sind mittlerweile zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes (!) verurteilt worden. 

Nachfolgend wurde in Zeitungen, dem Fernsehen und im Internet immer häufiger von solchen Geschehen berichtet, wodurch das öffentliche Interesse geweckt wurde. Wie in solchen Fällen üblich, klinkt sich bei ausreichendem Aufsehen in der Bevölkerung irgendwann auch „die Politik“ ein und bemüht sich um eine gesetzliche Regelung, damit das Volk merkt, dass sie nicht tatenlos zusieht. 

Zu den Raser-Fällen wurde gleich ein neuer Straftatbestand geschaffen: § 315 d Strafgesetzbuch befasst sich nunmehr mit verbotenen Kraftfahrzeug­rennen. Von dieser Vorschrift erfasst ist das Veranstalten von und die Teilnahme an nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen. Zuvor waren diese Handlungen als Ordnungswidrigkeiten behandelt worden, die nur zu Geldbußen führen konnten. Nun ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren möglich, dies ist für die Fahrer selbst noch steigerbar, denn bei Verursachung einer Gefahr für Leib oder Leben oder gar Tötung eines anderen Menschen sind Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vorgesehen. 

Zusätzlich sieht seit 2017 § 315 f Strafgesetzbuch vor, dass das betreffende Fahrzeug dann eingezogen werden kann. Dabei meint „Kraftfahrzeug“ übrigens nicht nur Autos, wie es häufig vermutet wird. Nach § 1 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz gelten als Kraftfahrzeuge Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein, mithin sind auch Motorräder umfasst. 

In Hamburg ist es vor kurzem zu einer „Enteignung“ eines Motorradrasers gekommen, der mit bis zu 226 km/h unterwegs war, in einer Ortschaft fuhr er immerhin noch mit 129 km/h.

Besonders interessant ist aber eine Tatvariante, die mit dem Rennen an sich nicht unbedingt zu tun hat: In § 315 d Absatz 1 Nummer 3 Strafgesetzbuch wird ein Kraftfahrzeugführer mit Strafe bedroht, der sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. 

Die Begriffe „mit nicht angepasster Geschwindigkeit“, „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ lassen sich über die zu § 3 Absatz 1 Straßenverkehrsordnung sowie § 315 c Absatz 1 Nummer 2 Strafgesetzbuch ergangene Rechtsprechung verstehen, das Merkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ ist dagegen neu. 

Nach der Begründung des Gesetzgebers sollen hierdurch auch Fälle erfasst werden, in denen nur ein einziges Fahrzeug ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt. Letzteres erscheint ein wenig verwunderlich, weil ein Rennen nach der allgemeinen „klassischen“ Vorstellung mindestens zwei Teilnehmer voraussetzt, die den Sieg mittels einer möglichst hohen Geschwindigkeit bzw. nach dem schnellstmöglichen  Erreichen des Ziels ermitteln. Wenn man für sich selbst möglichst schnell fahren will, fehlt es allerdings an einem „Gegner“. Die Einordnung in diese Vorschrift ist deshalb nicht wirklich nachzuvollziehen aber hinzunehmen.

Bei dem genannten neuen Tatbestandsmerkmal handelt es sich um ein subjektives Merkmal, das heißt hier, es geht um die Rennabsicht. Unklar ist aber, wodurch nach außen (objektiv) erkannt und nachgewiesen werden können soll, dass eine derartige Absicht gegeben ist. Es dürfte manchmal schwierig sein, die Vorstellung des Fahrers von der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ und seinen Willen, diese zu erreichen, zu belegen.  

Nach einem Beschluss des Landgerichts Stade vom 04.07.2018 (Aktenzeichen 132 Qs 88/18) ist eine Rennabsicht erst gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. 

Dies sieht das Landgericht Berlin in einem Beschluss vom 05.03.2018 (Aktenzeichen 504 Qs 11/18) anders: Es schließt aus dem Nutzen einer Bus­spur für ein schnelleres Vorankommen, dass der Fahrer eine möglichst hohe Geschwindigkeit erzielen wollte, auf die tatsächliche Höchstleistung des Fahrzeugs komme es nicht an. 

Das Amtsgericht Mosbach sah das Merkmal der Rennabsicht in einem Urteil vom 12.03.2018 (Aktenzeichen 4 Cs 25 Js 9179/17) als erfüllt an, weil der Fahrer die „Launch Control“ betätigte, um gleich beim Start eine möglichst schnelle Beschleunigung zu bewirken. 

Das Oberlandesgericht Stuttgart bejahte in einem Beschluss vom 25.04.2018 (Aktenzeichen 1 Ws 23/18) eine Rennabsicht, weil der Fahrer die Gefahr für das Leben anderer Verkehrs­teilnehmer in skrupelloser Weise verursacht habe, die von einer tiefen Verachtung gegenüber dem Leben anderer zeuge. Wie aus der Lebensgefahr und der Lebensverachtung auf eine Rennabsicht geschlossen werden kann, führt das Gericht aber leider nicht aus. Klarheit über das Merkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen“ gibt es somit aber bislang nicht wirklich.

Es ist daher mal wieder von einem gesetzgeberischen „Schnellschuss“ auszugehen: Man wollte möglichst rasch zeigen, dass man auf spektakuläre Vorfälle reagieren könne. Dass viele Fragen des Gesetzes dann nicht genügend geklärt sind, ist für den Gesetzgeber oft nicht von Interesse. „Lästige“ Details soll doch die Rechtsprechung klären. Diese ist sich hier aber nicht einig.

Der zu schnell gefahrene Kraftfahrer – und das in jedem Einzelfall – muss danach darauf hoffen, dass das jeweilige Gericht keine Rennabsicht annimmt. Wonach das Gericht das beurteilen wird, hängt von diesem selbst ab. Einige äußerliche Punkte, die auf eine Rennabsicht schließen lassen sollen, wurden von der Rechtsprechung herausgearbeitet, andere können noch dazu kommen. Es herrscht somit weitgehende Rechtsunsicherheit.

Fazit: Zu schnell zu fahren sollte man sich eh verkneifen. Auf keinen Fall sollte man aber im öffentlichen Straßenverkehr ein Rennen mit anderen oder mit sich selbst fahren (Letzteres ist – nach der landläufigen Auffassung von diesem Begriff – zwar unsinnig, ein Rennen könnte man aber ja auch „gegen die Uhr“ fahren) und man sollte auch keinen Anhalt dafür geben, dass man so schnell wie möglich hätte fahren wollen. Geht auf eine Rennstrecke, wenn ihr mal gucken wollt, wer der schnellste Fahrer  im Bekanntenkreis ist!