aus Kradblatt 5/20 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Nicht jede Streckensperrung hält einer Rechtsprüfung stand

Um die Motorradfahrer zu schützen und vielleicht auch mögliche Schadensersatzforderungen wegen schlechter Straßen auszuschließen, kommen manche Verwaltungsbehörden auf „interessante“ Ideen. Ein konkretes, bereits umgesetztes Vorhaben, ist in Niedersachsen aber vor kurzem gerichtlich gestoppt worden.

Der Landkreis Wolfenbüttel hatte festgestellt, dass es auf einem bestimmten Streckenabschnitt in einer Kurve zu vermehrtem Unfallaufkommen mit Zweirädern gekommen war. Er ordnete deshalb an, dass die Straße in diesem Bereich nicht mehr von Krafträdern befahren werden darf. Die Klage hiergegen führte dazu, dass das Gericht dieses Verbot für rechtswidrig erklärte.

In den Jahren 2015 bis 2018 ereigneten sich auf der K 83 zwischen Werlaburg­dorf und Altenrode 13 Motorradunfälle in einer Kurve. Die Unfälle seien zum Teil schwer gewesen und zumeist von jungen männlichen Fahranfängern verursacht worden. Im April 2017 hatte der Landkreis die erlaubte Höchstgeschwindigkeit vor der betreffenden Kurve auf 70 km/h und in der Kurve auf 50 km/h festgesetzt. Zudem stellte der Landkreis entsprechende Hinweis- bzw. Warnschilder auf. Diese Versuche der Unfallbegrenzung haben aber nichts genutzt. Es kam im Juni 2017 sowie im April und Mai 2018 zu weiteren Zweiradunfällen mit zu hoher Geschwindigkeit. 

Der Landkreis stellte ausdrücklich fest, dass weiterhin zu schnell gefahren und die Höchstgeschwindigkeit überschritten werde. Seit 2015 hatte der Landkreis nach eigenen Angaben eine Sperrung der Strecke für Motorräder diskutiert. 

Im Juli 2018 ordnete der Landkreis Wolfenbüttel daher an, dass in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres die Strecke für Krafträder (Motorräder aber auch Kleinkrafträder + Mofas) gesperrt bleibe. Es wurden Verbotsschilder aufgestellt (Verkehrszeichen 255 der Anlage 2 zu § 41 Absatz 1 Straßenverkehrsordnung). Die Anordnung sollte mit dem Aufstellen (also „ab sofort“) gelten. Von dem Verbot ausgenommen wurden Anlieger mit Motorrad innerhalb der Orte. Verstöße gegen dieses Durchfahrverbot würden als Ordnungswidrigkeit behandelt. Der Landkreis hielt in seiner Pressemitteilung diese Anordnung für gerechtfertigt, da die durchgeführten Maßnahmen nicht dazu geführt hätten, Unfälle zu verhindern oder die Motorradfahrer zu einer angemessenen Fahrweise zu bewegen.

Nach erfolglosen Versuchen eine außergerichtliche Aufhebung der Sperre durch die Behörde zu erreichen, erhoben zwei Motorradfahrer aus dem Landkreis Klage beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht Braunschweig entschied am 4.12.2019 (Aktenzeichen: 6 A 532/18), dass das Verbot für Krafträder auf der genannten Strecke nicht mit dem Gesetz vereinbar und deshalb rechtswidrig ist.

Das Gericht gab den Klagen statt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Verbot nicht erfüllt seien. Bei der Aufstellung von Verkehrszeichen müsse der Landkreis das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachten. Bezüglich des Motorrad-Verbots würden alle Kradfahrer von der Benutzung der Straße ausgeschlossen und damit auch diejenigen, die sich verkehrsgerecht verhalten also mit der erlaubten Geschwindigkeit fahren. Ein Verbot dürfe erst ausgesprochen werden, wenn alle anderen, weniger einschneidenden Maßnahmen ausgeschöpft worden seien, um die Unfallzahlen zu verringern. Das Verwaltungsgericht erklärte, dass dies noch nicht der Fall sei. Es führte aus, dass es nicht genüge, eine Geschwindigkeitsbegrenzung anzuordnen. Diese müsse auch durch Geschwindigkeitsmessungen konsequent durchgesetzt werden. Dies sei vorliegend nicht ausreichend erfolgt. Zudem könne durch ein auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnittenes Maßnahmenpaket die Zahl von Unfällen mit Motorrad-Beteiligung gesenkt werden. Das Gericht führt hierzu etwa bauliche Maßnahmen wie die Anbringung von Leitschwellen an. In Betracht wäre auch eine Aufklärung von Motorradfahrern im Rahmen von Fahrzeugkontrollen gekommen. Erfahrungsgemäß seien andernorts mit derartigen Maßnahmenpaketen Motorradunfälle verhindert worden. Es sei außerdem vor Erlass eines vollständigen Verbots zu prüfen, ob dieses nicht auf besonders unfallträchtige Wochentage beschränkt werden oder eine weitere Reduzierung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit erfolgversprechend sein könne. Der Landkreis habe die Unfallursachen und denkbaren Alternativmöglichkeiten nicht hinreichend erörtert.

Das Verwaltungsgericht schränkte seine Entscheidung insoweit wieder ein, dass ein Motorrad-Verbot auf der Strecke nicht endgültig ausgeschlossen sei. Sollte sich herausstellen, dass alle anderen Maßnahmen wirkungslos bleiben, könnte ein Verbot doch rechtmäßig sein. Zum Zeitpunkt der Entscheidung sei das angeordnete Verbot aber zu weit gegangen und daher nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar gewesen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig zeigt deutlich, dass es sich „lohnen“ kann, gegen von Behörden ausgesprochene Verbote vorzugehen. Es kommt durchaus öfter vor, dass vor dem letzten Mittel eines Vollverbots nicht alle anderen, weniger strengen Maßnahmen erwogen und versucht worden sind. Gerade wenn man sich selbst im Straßenverkehr ordnungsgemäß verhält und die zugelassenen Höchstgeschwindigkeiten nicht überschreitet, kann eine gerichtliche Überprüfung eines völligen Nutzungsverbots einer Straße sinnvoll sein. Dass der Landkreis Wolfenbüttel dreizehn Unfälle in vier Jahren als genügend ansah, um eine „Häufung“ von Motorradunfällen anzunehmen und ein vollständiges Verbot für alle Krafträder anzuordnen, sei hier nur zusätzlich angemerkt. Das Anliegen des Landkreises, die Unfallvermeidung für Motorradfahrer, ist selbstverständlich nicht zu kritisieren. Mit seinem Streckenverbot ist er aber ganz offensichtlich weit über das Ziel hinausgeschossen. 

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