aus Kradblatt 5/19 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Richter sollen frei nach Recht entscheiden

Dieses Mal steht ein Thema an, das für Gerichtsverfahren von Motorradfahrern sehr interessant ist. Es geht um die Frage der Befangenheit von Richtern.

Ein Richter muss grundsätzlich der zu beurteilenden Rechtssache und allen Beteiligten neutral gegenüberstehen. Dies gilt besonders im Strafverfahren, weil ein Richter, der sich schon vor einem Prozess sein Urteil überlegt hat, also vielleicht, dass er den Angeklagten verurteilen will und zu welcher Strafe, die Verhandlung nicht „frei“ und unabhängig führen kann. Die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern sind deshalb sehr wichtig. 

Nach § 24 Strafprozessordnung kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Dem Gesetzgeber war dies so wichtig, dass das Mitwirken eines abgelehnten Richters am Urteil, gemäß § 338 Nr. 3 Strafprozessordnung, einen absoluten Revisionsgrund darstellt. Für die Aufhebung eines Urteils braucht es dann keiner weiteren Begründung, es ist schon aus diesem Grund allein „als auf einer Verletzung des Gesetzes anzusehen“ (so steht es im Gesetz). Die Befangenheit kann somit eine „schwere Keule“ sein.

Aber was bedeutet die „Besorgnis der Befangenheit“? Zunächst ist zu beachten, dass der Richter nicht befangen sein muss, es genügt, wenn die „Besorgnis“ besteht. Das meint, es muss nur ein Grund vorliegen, „der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“ (und auch das steht so im Gesetz). Derjenige, der einen Richter ablehnen will, muss bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, dass der Richter ihm gegenüber nicht unvoreingenommen ist. Ob der Richter tatsächlich befangen ist, muss nicht nachgewiesen werden, insoweit reicht ein begründeter Verdacht. Es muss nur der Eindruck bestehen, der Richter habe sich schon festgelegt. 

Aber was ist nun diese „Befangenheit“? Es gibt – und das gar nicht so selten – Fälle, in denen der Richter vor der Verhandlung aus Gründen der Organisation Gespräche mit einem Staatsanwalt oder einem Verteidiger führt (z. B. zu Terminabsprachen), bei denen er schon vorher zum Inhalt des Verfahrens seine Meinung sagt („Im Vertrauen, ich glaube ihrem Mandanten kein Wort!“) oder die Befragung eines Zeugen während der Verhandlung klar zeigt, dass er Antworten in einer bestimmten Richtung haben will („Aber sagen Sie doch mal, …“) . Hierbei sind vor allem Fälle bekannt, in denen in Verhandlungspausen Gespräche in der Kantine des Gerichts stattfanden. 

In vielen Prozessen kennen sich die „professionellen“ Teilnehmer (Richter, Staatsanwalt und Verteidiger) schon länger, haben vielleicht zusammen studiert und schon mehrere Verfahren miteinander gehabt. Es kann dann immer wieder vorkommen, dass der Richter recht unvorsichtig über den Prozess „plaudert“ und schon vorab seine Meinung zu der Sache preisgibt. Sei es Gedankenlosigkeit oder etwa Überforderung, jedenfalls kann hierdurch eine Befangenheit angenommen werden mit den beschriebenen möglichen Folgen der Aufhebung einer Verurteilung deswegen.

Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 11.10.2018, Aktenzeichen 3 Rvs 32/18) hatte einen recht interessanten Fall zu entscheiden. Der Angeklagte war wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Die Berufung gegen dieses Urteil ist darauf verworfen worden. Die Vorsitzende der Berufungskammer hatte mit dem Verteidiger mehrfach telefoniert, was an sich nicht verboten ist. Bei diesen Telefonaten hatte die Richterin aber den Eindruck erweckt, sie wolle den Angeklagten zur Zurücknahme der Berufung drängen. Es wird zwar durchaus für zulässig gehalten, wenn ein Berufungsrichter einem Verteidiger rät, die Berufung wegen geringer Erfolgsaussichten zurückzunehmen. Allerdings war hier die Vorsitzende Richterin wohl zu weit gegangen und hatte sich so ausgedrückt, dass ihre Äußerung als „Warnung“ aufgefasst werden musste bzw. konnte. Sie hatte angekündigt, dass sie im Urteil erwähnen würde, dass das Berufungsgericht keine Sperrfrist verhängen könne und dieses Urteil dann von der Straßenverkehrsbehörde gelesen werden könnte. 

Das Oberlandesgericht Hamm befand, dass diese Mitteilung nicht auf die Erfolgsaussichten bezogen sei, sondern dem Angeklagten nach einem Urteil Schwierigkeiten bei der Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis drohen würden. Das Gleiche wurde für die möglicherweise in Aussicht gestellte Verlängerung der Bewährungszeit und die Änderung der Bewährungsauflagen gesagt. Das Oberlandesgericht Hamm sieht hier keinen Zusammenhang mit einer sachlichen Förderung des Verfahrens. Die Vorsitzende hatte außerdem mit der Möglichkeit der Einleitung eines weiteren Verfahrens „gedroht“. Es wird vom Oberlandesgericht Hamm darauf hingewiesen, dass man zwar über die Erfolgsaussichten sprechen, dabei aber auf keinen Fall Druck ausüben dürfe.

Die „Besorgnis der Befangenheit“ ist also ein recht scharfes Schwert, das ein Strafurteil ohne weiteres kippen kann. Für einen Verteidiger kann es sich also lohnen, mit dem Richter auch außerhalb der Verhandlung zu sprechen, wobei das jetzt nicht heißen soll, dass wir unsere Anwälte in diese Richtung drängen sollten. Man sollte grundsätzlich davon ausgehen, dass die Richter neutral sind. Aber wenn in einem Verfahren ein Verdacht aufkommt, dass ein Richter voreingenommen ist, sollte entsprechend reagiert werden.