aus Kradblatt 2/24 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
Telefon 0421-696 44 880 – www.janschweers.de
Aufmerksam fahren gilt für alle
In den letzten Jahren haben die Zahlen von Pedelecs immer mehr zugenommen. Ein Pedelec ist per Definition ein Fahrrad mit Elektromotor, bei dem man aber noch selbst in die Pedale treten muss, während es sich bei einem E-Bike um ein motorisiertes Fahrrad handelt, das auf Knopfdruck und ohne Trittunterstützung fährt. Entsprechend der gestiegenen Zahlen an derartigen Fahrzeugen nehmen auch Unfälle mit diesen zu, wobei es sich nicht selten um Kreuzungsverkehr handelt. Das Landgericht Lüneburg hat mit Urteil vom 23.03.2023 (Aktenzeichen: 6 O 68/22) über solch einen Fall entschieden.
Geklagt hatte der Pedelec-Fahrer, der mit seinem Rad mit etwa 10 bis 15 km/h auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg an einer Kreuzung fuhr, diesen ohne zu verlangsamen zur Straßenüberquerung verließ und mit dem die Vorfahrt gewährenden Pkw des Beklagten kollidierte, der nach rechts abbiegen wollte, und dabei allenfalls leicht mit der Front über die Haltelinie stand. Der Kläger stürzte und verletzte sich erheblich, sein Pedelec wurde durch die Kollision beschädigt.
Das Landgericht Lüneburg wies die Klage ab. Dabei ließ es das Gericht offen, ob dem beklagten Autofahrer überhaupt ein Verhalten vorgeworfen werden könne, das ihn schadensersatzpflichtig machen würde. Das Landgericht stellte vielmehr ein überwiegendes Mitverschulden des Pedelec-Fahrers fest, hinter dem selbst die allgemeine Betriebsgefahr des Pkw vollständig zurücktritt. Der elektromotorunterstützte „Pedalenritter“ hatte nämlich die Grundregeln des §1 Straßenverkehrsordnung verletzt, der von den Verkehrsteilnehmern ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme fordert, sodass kein anderer geschädigt, gefährdet, behindert oder belästigt wird. An unübersichtlichen Stellen hat demgemäß der Vorfahrtberechtigte seine Geschwindigkeit der eigenen Sicht anzupassen und so zu bemessen, dass er einen Zusammenstoß mit einem bereits vor seinem Sichtbarwerden aus der nichtbevorrechtigten Straße auf die Einmündung gelangten Fahrzeug durch Ausweichen oder Bremsen vermeiden kann. Der Vorfahrtberechtigte muss damit rechnen, dass sich ein Wartepflichtiger an einer unübersichtlichen Kreuzung in die Vorfahrtstraße „hineintastet“.
Der Pedelec-Fahrer hatte im vorliegenden Fall eingeräumt, dass er den Pkw vor dem Unfall nicht sehen konnte. Trotz der unübersichtlichen Lage war der Kläger mit einer unangepassten Geschwindigkeit von 10 bis 15 Stundenkilometern auf die spätere Unfallstelle zugefahren. Diese Geschwindigkeit bewertete das Gericht, gemessen an den Sichtverhältnissen, als unvernünftig hoch. Dem Pedelec-Fahrer war es nicht mehr möglich, rechtzeitig zu bremsen oder auszuweichen. Das Landgericht stellte fest, dass der Pkw mit der Vorderachse auf der Haltelinie stand. Lediglich die „Schnauze“ des Fahrzeugs ragte hinaus, wodurch aber der Radweg nicht blockiert wurde. Der Kläger hätte den Pkw gefahrlos passieren können. Das Landgericht Lüneburg erklärte weiter, dass den Pkw-Fahrer kein Mitverschulden traf, da er keinen vorwerfbaren Verursachungsbeitrag zur Entstehung des Unfalls geleistet hatte. Der Beklagte hatte sich ordnungsgemäß in den Kreuzungsbereich hineingetastet.
Fährt also ein Pedelec-Fahrer als Vorfahrtberechtigter ohne Verringerung der Geschwindigkeit in eine unübersichtliche Kreuzung ein und kollidiert mit einem stehenden bzw. sich hineintastenden Fahrzeug, haftet er als allein Schuldiger, wenn er noch genügend Raum für ein Passieren auf dem Radweg gehabt hätte.
Das Gericht zeigt damit auf, dass auch ein Pedelec-Fahrer – ebenso wie ein allein mit Muskelkraft fahrender Radfahrer – an einer Kreuzung, an der er Vorfahrt hat, aufmerksam bleiben und auf möglichen kreuzenden Verkehr achten muss. Ansonsten trifft ihn die alleinige Haftung.
Sicher fahren viele von Euch ein Pedelec und haben sich schon selbst dabei ertappt, dass man bisweilen doch etwas (zu) schnell unterwegs ist. Behaltet das Urteil dabei ruhig mal im Hinterkopf …
Kommentare