aus Kradblatt 12/19 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Aufgepasst, nicht immer ist man „selbst Schuld“…

Machen wir uns nichts vor: Der Sommer ist vorbei, Schönwetter ist in nächster Zeit die Ausnahme. Dennoch fährt manch einer bei Wind und Wetter, solange es eben geht. Bei glatten Straßen kann das aber sehr gefährlich werden. Einmal auf einer Straße im falschen Winkel auf eine „ungünstige“ Stelle gekommen, ist ein Sturz vorprogrammiert. Unter bestimmten Umständen kann dann aber sogar das für den Straßenbau verantwortliche Bundesland haftbar gemacht werden.

Eine schon etwas ältere Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.12.2015 (Aktenzeichen: 11 U 166/14) zeigt, dass ein gestürzter Motorradfahrer nicht immer „selbst schuld“ ist (so leider immer noch häufig die landläufige Meinung).

Eine Motorradfahrerin war im Bundesland Nordrhein-Westfalen auf nasser Straße zu Fall gekommen und führte dies auf die mangelnde Griffigkeit des Fahrbahnbelags zurück. Sie hatte deshalb Klage gegen das Land wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erhoben. 

Das Landgericht Bielefeld hatte diese Klage aber zunächst abgewiesen. Es entnahm einem – von der Klägerin im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten – Gutachten, dass feste Grenzwerte, ab denen bauliche oder verkehrslenkende Maßnahmen zu ergreifen seien, nicht existierten. Es nahm an, die Strecke sei auch bei Nässe mit Wahrscheinlichkeit unfallfrei zu befahren gewesen. Die Klägerin hätte nicht substanziiert dargelegt, dass es im Sturzbereich eine auffällige Unfallhäufung gegeben hätte. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass den Mitarbeitern des beklagten Landes bei durchgeführten Kontrollen die mangelnde Griffigkeit des Straßenbelages habe auffallen müssen. Die Motorradfahrerin hätte vielmehr angesichts des Straßenbelages und der Witterung besondere Vorsicht walten lassen müssen, zumal sie einen anderen Motorradfahrer vor sich habe schlingern sehen („selbst schuld“). 

Die Gestürzte nahm dieses Urteil nicht hin und legte Berufung ein. Sie vertrat weiter ihre Auffassung, dass das beklagte Land aufgrund der naheliegenden Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung von Verkehrsteilnehmern gehalten gewesen wäre, das vorhandene und aufgrund der fehlenden Rauheit der Fahrbahn bei einer Straßenkontrolle erkennbare Unfallrisiko zu beseitigen.

Und es geschehen noch Zeichen und Wunder: Die Berufung hatte überwiegend Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm sprach ihr aufgrund ihres Motorradunfalls einen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land zu. 

Nach Überzeugung des Gerichts war die Motorradfahrerin bei regennasser Straße mit ihrem Motorrad gestürzt, wodurch ihr Bike beschädigt wurde. Zudem nahm das Gericht an, dass das beklagte Land die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte, weil der Fahrbahnbelag im Bereich der Unfallstelle eine unzureichende Griffigkeit aufwies. 

Aus gesetzlichen Landesregelungen für Nordrhein-Westfalen ergibt sich die Verpflichtung, die Verkehrsflächen von Gefahren möglichst freizuhalten. Dabei kommt es auf die Sicherungserwartung des Verkehrs an. Vorliegend war festgestellt worden, dass der Fahrbahnbelag an der Unfallstelle mindestens seit dem Jahre 2008 eine mangelhafte Griffigkeit aufwies, aufgrund derer nicht mehr gewährleistet war, dass Motorradfahrer trotz Einhaltung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt, den fraglichen Streckenabschnitt bei Nässe gefahrlos passieren konnten. Das Oberlandesgericht sagte, dass der bereits 2008 bekannte schlechte Straßenzustand zumindest die Aufstellung eines Verkehrsschildes (Schleuder- oder Rutschgefahr bei Nässe) erfordert hätte, was das beklagte Land vorwerfbar unterlassen hat. Den Einwand des Landes, es sei hierzu nur verpflichtet, wenn es an der Stelle bereits eine Unfallhäufung gegeben hätte, wischte das Oberlandesgericht vom Tisch, da es nicht angehen könne, dass erst mehrere Unfälle mit Sach- und Körperschäden geschehen müssten. Die zuständigen Bediensteten des beklagten Landes hätten auch schuldhaft gehandelt (bzw. eben nicht), da sie sich nicht auf den Wortlaut eines Merkblattes beziehen durften. Die Pflichtverletzung des Landes war auch kausal für den Sturz der Motorradfahrerin. Die Klägerin musste sich aber zurechnen lassen, dass sich mit dem Unfall auch die Betriebsgefahr ihres Motorrades verwirklicht hat, die angesichts der relativen Instabilität des Motorrades auf lediglich zwei Rädern bei nasser Fahrbahn nicht gering war. Die Betriebsgefahr wurde mit 25 % in Ansatz gebracht. Das Verschulden des beklagten Landes war aber dagegen deutlich höher.

Es kann somit durchaus helfen, nicht jeden Sturz mit einem Motorrad auf eigenes Unvermögen zurückzuführen. Der „bescheidene“ Zustand vieler Straßen in diesem Land ist ja mittlerweile bekannt. Ist ein Motorradfahrer auf nasser und/oder glatter Fahrbahn gestürzt, kann es sich mitunter „lohnen“, sich die Wartungsvorschriften des zuständigen Bundeslandes anzusehen und zu prüfen, ob das Land seinen Pflichten im Hinblick auf die Straßenverkehrssicherheit nachgekommen ist. Dabei helfen dem Land nicht bloße Hinweise auf Merkblättern, an die sie sich gehalten hätten. Entscheidend sind die jeweiligen Landesgesetze oder entsprechende Verordnungen. Sehen diese regelmäßige Kontrollen und Wartungen vor und hält sich das Bundesland nicht daran, kann es durchaus zu Schadensersatz herangezogen werden.

Als Fazit ist in erster Linie zu sagen: Vorsicht auf regen-, hagel- oder schneenassen Straßen! Gerade in Kurven kann es dabei erheblich glatt werden, vor allem, wenn dort auch noch herbstliches Laub liegt oder Ausbesserungsarbeiten vorgenommen wurden. Also am besten gar nicht erst stürzen. Wenn es aber doch passiert ist, könnte bzw. sollte man sich darüber informieren, wer für den Zustand der Straße verantwortlich ist und nach welchen Regelungen derjenige zu handeln hat. 

Das Vorurteil, Motorradfahrer seien stets „selbst schuld“, schließlich „rasen die ja immer so“, trifft bekanntermaßen nicht zu. Für manche Unfälle tragen auch durchaus andere die Schuld. Schön, dass ein Gericht dies auch mal so gesehen hat.