aus Kradblatt 11/22 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wann liegt eine Straftat vor?

Wenn es zu einem Unfall unter dem Einfluss von jedweden berauschenden Mitteln kommt, wird den Konsumenten mindestens eine Mithaftung treffen. In strafrechtlicher Hinsicht gibt es aber Unterschiede, wie eine Entscheidung des Amtsgerichts Münster jüngst zeigte.

Die Staatsanwaltschaft hatte einen Strafbefehl beantragt und einem Angeschuldigten vorgeworfen, mit einem Pkw in rauschmittelbedingt fahruntüchtigem Zustand eine Straße befahren zu haben. Ausweislich der Blutprobe soll er unter Cannabiseinfluss gestanden haben. Die Fahruntüchtigkeit habe sich aus gezeigten körperlichen Auffälligkeiten (Zittern, Nervosität, auffällig kleine Pupillen) und der Tatsache, dass es zu einem Unfall mit geringem Sachschaden gekommen sei, ergeben. 

Das Amtsgericht Münster lehnte mit Beschluss vom 9.8.2022 (Aktenzeichen: 112 Cs 15/22) die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, weil die vorliegenden Beweise keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Fahrer begründen konnten. Ein hinreichender Verdacht besteht, wenn eine Verurteilung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Es muss die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass eine Straftat begangen wurde, und auch wahrscheinlich sein, dass mit den Beweismitteln und Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung eine Verurteilung wegen der Straftat möglich ist. Dem Amtsgericht fehlte hier die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Es stand zwar fest, dass der Angeschuldigte unter Einfluss von Cannabinoiden ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr geführt hat; ihm wurde der Konsum von Canabisprodukten nachgewiesen. Die Blutprobe ergab die Wirksubstanz THC mit einem Wert von 1,5 ng/ml. Es sei aber nicht klar, ob der Angeschuldigte in der Lage gewesen war, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine mit der 1,1 Promillegrenze nach Alkoholgenuss vergleichbare Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit ist beim Konsum von Cannabis wissenschaftlich nicht begründbar. Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit (bzw. anderer berauschender Mittel) im Verkehr nach § 316 Strafgesetzbuch muss deshalb ein erkennbares äußeres Verhalten des Fahrzeugführers festgestellt werden, das auf seine durch den Cannabiskonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeutet. Als derartige Ausfallerscheinungen kommen nach Auffassung des Amtsgerichts Münster insbesondere eine auffällige, regelwidrige oder besonders sorglose und leichtsinnige Fahrweise sowie ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen in Betracht oder ein sonstiges Verhalten, das rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt, sowie Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung wie etwa Stolpern und Schwanken beim Gehen. 

Solche rauschmittelbedingten Ausfallerscheinungen waren nicht sicher festzustellen. Der Angeschuldigte zeigte keine der vorgenannten Anzeichen. Aus dem verursachten leichten Unfall beim Einparken konnte nicht auf einen Cannabis-
einfluss geschlossen werden, da für ein Touchieren eines anderen Pkw in einer Parklücke erfahrungsgemäß auch andere Faktoren wie z. B. Ablenkung oder die Fehleinschätzung von Abständen ursächlich sein können. Der Angeschuldigte hatte angegeben, er sei durch seine Beifahrerin abgelenkt gewesen. Die festgehaltenen Beobachtungen zum Zustand des Angeschuldigten reichten nicht aus, um von seiner Fahruntüchtigkeit zweifelsfrei auszugehen. Der Umstand, dass er bei der Unfallaufnahme sehr nervös wirkte, leicht zitterte, sehr aufgebracht und hyperaktiv schien und seine Pupillen auffällig klein gewesen sein sollen, ließen sich auch mit dem Umstand des Unfallgeschehens selbst und der Anzeigenaufnahme durch die Polizei erklären. Für den Nachweis einer rauschbedingten Fahruntüchtigkeit genügten dem Amtsgericht Münster die tatsächlichen Umstände nicht aus, sodass es eine Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt nicht für hinreichend wahrscheinlich hielt.

Allerdings darf hieraus nicht gefolgert werden, es wäre besser „bekifft“ zu fahren als betrunken. Das Amtsgericht Münster hat ausschließlich die besonderen Umstände des zu bewerteten Einzelfalls für nicht genügend zum Nachweis einer Rauschfahrt gesehen. Der Beschluss bedeutet auf keinen Fall eine „Freifahrt“ für Cannabiskonsumenten. Gerichte können abweichende Sachverhalte ganz anders einschätzen, sodass dann eine Trunkenheit im Verkehr in Form des Fahrens unter Einfluss berauschender Mittel vorliegt und eine Strafe verhängt wird.