aus Kradblatt 11/19 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Flucht vor der Polizei = illegales Rennen?

Es gibt zwar nichts wirklich Neues zum sogenannten Einzelraser (siehe KRADblatt Ausgabe 7/19), einen recht kuriosen Fall kann man aber doch noch erzählen.

Ein Polizeibeamter war im März 2018 mit einem „zivilen“ Motorrad auf dem Rückweg von einem Einsatz, als er von einem Motorradfahrer auf einer Sportmaschine mit hoher Geschwindigkeit überholt wurde. Danach überholte der Fahrer in schneller Folge und teilweise sehr riskant, unter anderem in einem unüberschaubaren Kurvenbereich, mehrere Pkw und hatte sich bereits aus dem Sichtfeld des Polizisten entfernt. Der Beamte konnte dann aber verkehrsbedingt doch noch aufholen. Wegen des auffälligen Fahrverhaltens startete der Polizeibeamte eine Videoaufzeichnung und stellte dabei erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts fest. Außerorts wurde dann eine Geschwindigkeit von über 210 km/h gemessen, was bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h eine deutliche Übertretung darstellte. 

Der zivil gekleidete Polizeibeamte gab sich dann durch Blaulicht und Martinshorn als Polizist zu erkennen und forderte den Fahrer mit deutlichen Weisungen zum Anhalten auf. Der Betroffene signalisierte zunächst, dass er stoppen wolle, versuchte sich dann aber durch Flucht einer Kontrolle und deren Folgen zu entziehen. Er beschleunigte sein Sportmotorrad stark und bog dann überraschend ab, um den Polizeifahrer abzuschütteln. Der Polizist versuchte, dem Flüchtenden zu folgen, selbst bei über 170 km/h konnte er aber nicht aufschließen. Der Fahrer überholte dabei mehrfach riskant und ohne bestehende Streckenverbote zu beachten. In einem Kreisverkehr verlor der flüchtige Fahrer schließlich die Kontrolle über sein Fahrzeug, überfuhr die Insel des Kreisverkehrs und es kam zum Sturz. Da er sich nur leicht verletzte, konnte der Polizeibeamte ihn schließlich doch noch kontrollieren.

Der Betroffene ließ sich dahingehend ein, dass er einige Umbauten an seiner Honda Fireblade vorgenommen hätte, die aber zunächst zu Lasten in der Leistungsentfaltung seiner Maschine gegangen seien. Ein eingebautes Teil habe sich zum Nachteil der Beschleunigung ausgewirkt, sodass er es unterwegs wieder ausgebaut habe. Bei der anschließenden Weiterfahrt hätte er zu Testzwecken immer wieder beschleunigt, da er die Funktionsweise eines verbauten Schaltautomaten habe überprüfen wollen. Als er dann bemerkte, dass die Polizei ihn kontrollieren wollte, habe er flüchten wollen, weil er gewusst habe, dass die Umbauten nicht zulässig gewesen seien.

Die Staatsanwaltschaft warf ihm dafür ein illegales Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315 d Strafgesetzbuch vor. Wie bereits in KB 7/19 erwähnt, wird nach dem noch recht neuen § 315 d Absatz 1 Nummer 3 Strafgesetzbuch bestraft, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen. Dafür kann es eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren geben.

Die Verteidigung des „Sportfahrers“ gab an, dass die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, bei dem Angeklagten nicht vorhanden gewesen sei. Die Geschwindigkeitsüberschreitungen selbst wurden nicht bestritten. Die Staatsanwaltschaft nahm nach der Beweisaufnahme eigentlich sogar zwei selbständige Taten als verwirklicht an, nämlich einmal vor und dann nach dem Erkennen der Kontrollabsicht des Polizisten. Der zweite Abschnitt stelle faktisch eine „Rennsituation“ zwischen dem Flüchtenden und dem Polizeifahrer dar. Das Amtsgericht Heilbronn schloss sich der Auffassung der Staatsanwaltschaft weitestgehend an und merkte zusätzlich an, dass gerade ein Fahrverhalten wie das des Angeklagten vom Gesetzgeber unter Strafe gestellt werden solle.

Wenn man der Unterteilung in zwei Abschnitte folgen will, wäre nach der Einlassung des Angeklagten, er habe nur neu eingebaute Teile testen wollen, keine Rennabsicht gegeben. Er hätte dann keine höchstmögliche Geschwindigkeit erzielen sondern lediglich die Tauglichkeit der Einbauten bei Beschleunigung prüfen wollen. Allerdings spricht gegen diese Angabe, dass er hochriskant andere Fahrzeuge überholt hatte. Hier könnte tatsächlich das typische Bild des „Einzelrasers“ gegeben sein. Die Rechtsprechung hierzu hat inzwischen immerhin soweit Einigkeit erreicht, dass es nicht darauf ankomme, dass der Fahrer sein Fahrzeug voll ausreize (so noch Landgericht Stade, Beschluss vom 04.07.2018, Aktenzeichen 132 Qs 88/18), weil dabei Fahrer von hochmotorisierten Fahrzeugen, mit denen sehr hohe Geschwindigkeiten erzielt werden könnten, begünstigt würden (so zuletzt Kammergericht Berlin, Beschluss vom 15.04.2019, Aktenzeichen (3) 161 Ss 36/19 (25/19)). Interessanter ist im vorliegenden Fall aber die Phase, nachdem der Raser das „Interesse“ der Polizei bemerkt hatte. Die Staatsanwaltschaft, und ihr folgend das Amtsgericht Heilbronn, wollten hierin eine faktische „Rennsituation“ erkannt haben. Das kann man soweit gelten lassen, als der Angeklagte offensichtlich schneller als der Polizeifahrer sein wollte. Dies geschah jedoch ersichtlich nicht aus „sportlichem Ehrgeiz“, sondern um sich polizeilicher Feststellungen und deren Folgen zu entziehen. Der Raser wollte zu diesem Zeitpunkt nicht dem nachfolgenden Fahrer zeigen, dass er schneller fahren könne, vielmehr strebte er das Verhindern einer Konfrontation mit der Polizei an. Ein „Rennen“ im herkömmlichen Sinne kann daher darin nicht gesehen werden. Auch die neue „Einzelraser“-Variante passt hier nicht. Durch das Rasen sollte keine möglichst schnelle Fahrt an sich bewirkt werden, der Betroffene folgte eher seinem Fluchtinstinkt. Die Entscheidung des Amtsgerichts Heilbronn ist daher durchaus anzuzweifeln.

Es bleibt jedoch dabei, dass man auch als Motorradfahrer nicht mit unangemessener Geschwindigkeit fahren sollte. Zumindest sollte man aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man habe ein Rennen (sogar gegen sich selbst!) fahren wollen. Noch ist nicht sicher geklärt, woran die Rennabsicht nach außen zu erkennen sein soll. Riskante Überholmanöver oder gar „Lückenspringen“ sind aber häufig deutliche Anzeichen dafür.