aus Kradblatt 10/20 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Stau und rote Ampeln …

Jeder von uns kennt die auch heute noch landläufige Meinung über Motorradfahrer: „Ständig am Rasen wie die Irren und keine Rücksicht nehmen!“ Vorurteile, die leider durch Einzelfälle immer mal wieder bestätigt werden, aber eben nicht auf die Gesamtheit der Zweiradfahrer zu übertragen sind. Wenn man jedoch ehrlich ist, hat es doch die meisten von uns bei einem hartnäckigen Stau auf der Autobahn oder einem Stillstand an einer beständig Rotlicht zeigenden Ampel schon mal gereizt, sich an den anderen Fahrzeugen einfach vorbeizuschlängeln, links oder rechts zu überholen und die Verkehrsstockung schlicht hinter sich zu lassen. Dabei stellt sich die Frage: Ist das eigentlich erlaubt? 

Eine ausdrückliche Vorschrift, die sich mit dem Durchschlängeln von Motorrädern befasst, gibt es in der Straßenverkehrsordnung nicht. Leider bzw. aus durchaus guten Gründen ist es aufgrund allgemeiner Regelungen trotzdem verboten. 

Zunächst gibt es § 5 Absatz 1 Straßenverkehrsordnung, wonach links zu überholen ist. Ein Verstoß hiergegen stellt nach § 49 Absatz 1 Nr. 5 Straßenverkehrsordnung eine Ordnungswidrigkeit dar. Wer sich in einer Stausituation als Motorradfahrer, z. B. auf der Autobahn, zwischen der rechten und der Überholspur durchschlängelt, überholt dabei die auf der Überholspur fahrenden bzw. stehenden Fahrzeuge rechts. Das Verbot dieses Verhaltens ist von Gerichten schon bestätigt worden (so z. B. Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.1990, Aktenzeichen: 5 Ss OWi 151/90 (OWi 77/90)). Unter Hinweis auf die Verkehrssicherheit wird ein solches Vorgehen für nicht zulässig erklärt, begründet mit der Überlegung, dass der langsam im Stau Fahrende überraschend zur Fahrbahnmitte fahren oder bei Stillstand die Fahrzeugtür öffnen könnte. Erklärt wird zudem noch, dass § 5 Absatz 8 Straßenverkehrsordnung allein für Fahrrad- und Mofafahrer eine Ausnahme enthalte, die daher eben nicht auf Motorradfahrende erstreckt werden solle.

Zudem müssen auch Motorradfahrer den Grundsatz der Einhaltung der Fahrbahn beachten. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Straßenverkehrsordnung müssen Fahrzeuge Fahrbahnen benutzen (bei zwei Fahrbahnen die rechte). Ein Motorrad, das sich etwa bei einer Stauung wegen einer Rotlicht zeigenden Ampel mittig zwischen Fahrzeugen durchschlängelt, benutzt keine Fahrbahn, sondern fährt zwischen den Fahrstreifen. Dies ist laut § 49 Absatz 1 Nr. 2 Straßenverkehrsordnung wiederum als ordnungswidrig anzusehen. 

Fährt man dagegen auf einer Autobahn auf einem neben der rechten Fahrbahn entlangführenden Seitenstreifen am Stau vorbei, ist das auch nach § 2 Satz 2 Straßenverkehrsordnung unzulässig, da danach der Seitenstreifen nicht Bestandteil der Fahrbahn ist, die ja nach Satz 1 zu befahren wäre. Dies ist ebenfalls gemäß § 49 Absatz 1 Nr. 2 Straßenverkehrsordnung eine Ordnungswidrigkeit, die auch tatsächlich Sinn macht, weil dieser Streifen für Notfälle und ggf. durchfahrende Rettungswagen freizuhalten ist.

In einem Stau, bei dem beide Fahrbahnen einer Autobahn hoffnungslos verstopft sind, ist es verlockend, sich zwischen den auf dem linken Fahrstreifen stehenden Wagen und der Mittelleitplanke durchzuquetschen. Hierbei wird, da man ja links vorbeifährt, nicht gegen das Rechtsüberholverbot verstoßen. Es gibt aber noch eine zu beachtende Regelung: Nach § 5 Absatz 4 Satz 2 Straßenverkehrsordnung muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Auch eine solche Fahrweise stellt gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Straßenverkehrsordnung ein ordnungswidriges Verhalten dar. 

Was aber ist ein „ausreichender“ Seitenabstand? Die Rechtsprechung, z. B. das Oberlandesgericht  Karlsruhe (Urteil vom 08.06.2001 – 10 U 77/01) hält in der Regel bei „normalen“ Umständen, d. h. guter Zustand der Fahrbahn, nicht sichtbehinderndes Wetter und unauffälliges Fahrverhalten, einen Seitenabstand von knapp einem Meter für ausreichend aber auch erforderlich. Dies ist erneut der Sicherheit der am Überholvorgang Beteiligten geschuldet. Auf einer durch einen Stau voll besetzten Autobahn lässt sich der Abstand von einem Meter aber auch von einem Motorradfahrer so gut wie nie einhalten. Ein Verstoß ist beim Vorbeiquetschen daher vorprogrammiert.

Sowohl beim Stau als auch vor Rotlicht zeigenden Ampeln ist das Durchschlängeln damit zwar nicht ausdrücklich, aber doch durch Auslegung einschlägiger Vorschriften, verboten und kann Geldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten nach sich ziehen. Wenn dabei eine Gefährdung anderer Verkehrsbeteiligter nachgewiesen wird oder dadurch eine Sachbeschädigung oder gar Körperverletzung entstanden ist, können die Bußgelder auch höher ausfallen. Bei gewichtigeren Verstößen können dann auch Punkte in Flensburg drohen.  

Neben der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Seite ist natürlich zu beachten, dass das Durchschlängeln zumeist mit einem erhöhten Risiko für den sich Schlängelnden – also uns Motorradfahrer – verbunden ist. Beim Fahren zwischen oder dicht neben Fahrzeugen kommt es immer wieder zu Unfällen. Ein Verstoß gegen die oben genannten Ge- und Verbote führt dann regelmäßig zu einer Allein- oder zumindest einer hohen Mithaftung. Die möglichen Folgen solcher Verkehrsunfälle für den Kradfahrer, selbst bei vergleichsweise geringen Geschwindigkeiten oder ganz stillstehenden Autos, seien hier nur erwähnt.

Bei Stau oder beharrlich Rotlicht zeigenden Ampeln ist daher Abwarten dringend zu empfehlen. Es hat sich gezeigt: Irgendwann geht es immer weiter, auch wenn es zunächst nicht so aussehen mag. Ein Durchschlängeln mag zwar verführerisch sein, die denkbaren Konsequenzen sollten aber vernünftige Fahrer davon abhalten.

Anmerk. d. Redaktion: Noch bis Ende Oktober 2020 läuft eine Online-Petition, die sich für die Legalisierung des langsamen Durchfahrens von Staus auf deutschen Autobahnen für Motorradfahrer einsetzt. Unter diesem Link kann man sie unterzeichnen sowie sich über Pro und Contra austauschen: www.openpetition.de/petition/online/legalisierung-der-stau
durchfahrt-fuer-motorraeder