aus bma 08/02

von Marcus Lacroix

Pension SonnenburgMotorradfahren gehört zu den Hobbys, das die Meisten von uns lieber in der Gemeinschaft betreiben, statt alleine über Land zu zuckeln. Kein Wunder also, daß sich auf den Terminseiten hier im Heft Stammtische, IG’s und MC’s tummeln und in den Kleinanzeigen immer wieder Mitfahrer-Suchanzeigen auftauchen. Mittlerweile haben das auch einige Profis erkannt, die uns Motorradfahrern ein ganzheitliches, intensives Gruppenerlebnis im Urlaub vermitteln wollen. Doch was erwartet den zahlungswilligen Motorradfahrer wirklich auf einer solchen Tour? Für wen eignen sich Gruppenreisen und wer sollte lieber die Finger davon lassen?
Wir haben für Euch an einer Alpen-Tour des Anbieters Bolex-Bike-Travel aus Achim teilgenommen (ab 359 Euro, Stand 8/02), die Anfang Juni stattfand. Bolex führt reisefreudige Motorradfahrer mehrmals im Jahr nach Österreich. Mit Ausnahme einiger Sonderveranstaltungen ist immer der hübsche, am Zugspitzmassiv liegende Ort Ehrwald das Ziel. Quartier wird in den Pensionen Sonnenburg oder Wildschütz bezogen. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, damit die geführten Tagestouren stressfrei verlaufen. Als Reisemotorrad wählten wir eine etwas betagte Honda CB 450 S mit gerade mal 27 PS, um zu sehen, ob sich solch eine Alpentour auch mit wenig Leistung genußvoll entwickelt.

 

KaffeepauseAnreisemöglichkeiten nach Ehrwald bieten sich verschiedene. Teilnehmer der Juni-Tour reisten alleine oder in einer kleinen Gruppe auf eigener Achse an, verluden Maschinen auf Anhänger und in Transporter oder nutzten das Autozugangebot der DB bis München. Am Abend der Anreise stellt man sich in geselliger Runde einander vor. Nicht nur die Tourguides, sondern auch die Teilnehmer bekommen so ein ungefähres Bild davon, mit wem man die kommende Woche verbringen wird. Außerdem zeichnet sich hier schon eine erste Gruppenbildung ab, denn es sollen natürlich Fahrer/innen mit etwa gleichem persöhnlichen Leistungsvermögen zusammenfinden. Die Gruppen bestehen i.d.R. aus maximal acht Motorrädern inklusive Tourguide. Die Erfahrung hat gezeigt, das sich größere Gruppen nur schwer in den Straßenverkehr eingliedern können und das auf die Bedürfnisse der Teilnehmer in kleineren Gruppen viel besser eingegangen werden kann. Wer schon einmal in einer großen Gruppe gefahren ist kennt das Problem mit dem „Zieharmonika-Effekt”: obwohl der Führende konstant fährt, „fliegen” die letzten der Gruppe ständig jenseits des Limits hinterher. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache und speziell in Österreich regiert die Polizei höchst empfindlich bei Geschwindigkeitsüberschreitungen.
Kühe unter sich...Absolute Fahranfänger bzw. überängstliche Wiedereinsteiger sind bei diesen alpinen Gruppenreisen sicherlich überfordert. Die Tagestouren durch die traumhafte Alpenlandschaft gestalten sich recht anspruchsvoll, wobei die Bolex-Tourguides den Schwierigkeitsgrad täglich steigern. 200 bis 350 km kamen täglich zusammen. Speziell das Stilfser Joch, ein fahrerisches Highlight, ist trotzdem nicht jedermanns Sache. Wer auf der Landstraße die 100 km/h nie erreicht und in Kurven zaghaft möglichst jede Schräglage vermeidet, sollte zunächst zuhause mindestens ein Sicherheitstrainung absolvieren und viel üben, bevor er in die Alpen aufbricht. Es zeigt sich jedoch auch, daß ein erfahrener Tourguide eine „schwache” Gruppe bzw. einzelne Gruppenmitglieder in den wenigen zur Verfügung stehenden Tagen zu besseren Motorradfahrern machen kann. Wichtig ist Vertrauen, der Wille über sich hinauszuwachsen und das Gespräch miteinander. Die Motorleistung ist dabei eher zweitrangig, denn selbst unsere mageren 27 PS reichen aus um immer mit viel Spaß vorne mit dabei zu sein. Viel weniger Leistung sollte es in einer gemischten Gruppe allerdings nicht sein. Für 125er Fahrer bietet Bolex bei entsprechender Nachfrage ein Arrangement. Auch Fahrer über 50 Jahre können sich auf Wunsch bei einer separaten Tour einschreiben. Wirklich notwendig ist das allerdings nicht, denn Anfang Juni lag das Alter der Teilnehmer zwischen Mitte 20 und über 60 Jahren und alle kamen gut miteinander aus.
Alle folgen dem Tourguide.Wichtig bei einer Gruppenreise ist die Fähigkeit, sich nicht nur fahrtechnisch sondern auch sozial eingliedern zu können. Viele Entscheidungen werden gruppendynamisch getroffen. Ist man ein Einzelgänger oder ein notorischer Besserwisser, wird man nicht nur sich sondern auch den anderen den Spaß vermiesen. Gelingt es dem Reisenden locker an die Sache ranzugehen, erwarten einen nicht nur tolle Touren mit atemberaubenden Ausblicken, sondern auch interessante Gespräche beim abendlichen Bier. Eventuell ergeben sich sogar neue Freundschaften – schließlich verbringt man fast den ganzen Tag als Gruppe. Das das Bolex-Rezept aufgeht, zeigt die hohe Zahl an „Wiederholungstätern”.
Die Bolex-Tour Anfang Juni ging in die Sonnenburg, die von Bettina & Hannes Wild betrieben wird. Die Pension empfiehlt sich Motorradfahrern auch bei individuellen Alpentouren. Als sehr entspannend erwiesen sich nach einem regnerischen Tag nicht nur der leckere Marillenlikör, sondern auch die hauseigene Sauna. Infos zur Sonnenburg finden sich im Internet unter www.pension-sonnenburg.de, telefonisch ist sie unter 0043/56732283 erreichbar.
Generell gilt bei Gruppenreisen: Informiert Euch vorher über die Anbieter. Haben sie Referenzen? Sind sie schon länger am Markt? Haben Freunde oder Bekannte Erfahrungen? Können Kontakte zu Ex-Teilnehmern geknüpft werden (evt. über unseren Kleinanzeigenteil)? Das es trotzdem in die Hose gehen kann, erlebten wir vor einiger Zeit bei einem anderen Anbieter auf einer „Prototypen-Tour” nach Südengland . Mangelhafte Vorplanung und ein überforderter Tourguide sorgten damals für einen handfesten Flopp. Die Tour kam nicht ins Programm, Teilnehmer konnten Regressansprüche geltend machen – den Ärger ersetzt das trotzdem nicht. Also Augen auf bei der Urlaubsplanung.

Nachtrag: Die Firma Bolex-Bike-Travel führt keine Reisen mehr durch (Stand 6/04). Die bewährten, geführten Motorradtouren werden von Bettina & Hannes Wild und deren Tourguides aber in Eigenregie weitergeführt.

2. Nachtrag – 2008 haben Bettina & Hannes ein gutes Angebot bekommen und die Sonnenburg verkauft. Schade für alle, die nicht dort waren…