aus Kradblatt 12/18, von Egon Milbrod

Das Abenteuer meines Lebens!

Motorradreise Russland - Probleme mit dem Visum

Das hört man fern von zuhause nicht gerne: „Es sieht so aus, als wenn sie ein Problem haben“, sagte der Beamte am anderen Ende der Leitung ruhig. Ich bin mit der Notfallhotline der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation verbunden. „In zwei Stunden läuft ihr Visum ab und ab dem Zeitpunkt halten sie sich illegal im Land auf.“

Motorradreise Russland - wunderschöne Kirchen Gemeinsam versuche ich mit ihm das Szenario zu entwickeln. Gesetzt den Fall, dass ich mich ab jetzt in Richtung Grenze bewege, könnte außer dem Üblichen (Unfall, technischer Defekt) folgendes passieren: 

Zunächst ist in 2 bis 5 Kilometer Entfernung zur Grenze in bestimmten Gegenden eine Vollsperrung der Straße möglich. Eine Weiterfahrt ist nur möglich, wenn man durch Vorzeigen der Dokumente seine Berechtigung zur Einfahrt in das Grenzgebiet nachweist.

Dann kommt man an die Grenze. Vor der Einfahrt in die Zone der Abfertigung hat man seine Berechtigung zur Einfahrt durch Vorzeigen der Zulassung für das Motorrad und des Reisepasses nachzuweisen. Man erhält einen Zettel oder eine Karte, die beim Verlassen der Zone wieder abgegeben werden muss. Man fährt dann weiter und reiht sich in die Schlange der wartenden Fahrzeuge ein. Das können auch mal zehn Fahrzeuge vor einem sein, selten ein oder zwei. 

Motorradreise Russland - Probleme mit dem VisumErste Kontrolle ist die Sichtkontrolle des Fahrzeuges. Anhand des Reisepasses und der Zulassung wird überprüft, ob man der Halter ist. (Ansonsten ist die Berechtigung zum Führen eines fremden Fahrzeuges durch ein notariell beglaubigtes Schreiben nachzuweisen.) Die Identität des Fahrzeuges wird anhand des Nummernschildes und der Fahrgestellnummer (gerne kann man dem Beamten behilflich sein, damit er nicht zu lange suchen muss!) überprüft. Die Zollerklärung über die temporäre Einfuhr wird abverlangt. Dann verzieht er sich in sein Büro und man darf warten. Im Büro müssen alle Fahrzeugdaten in den Rechner eingegeben werden. Eine Abfrage bei verschiedenen Behörden erfolgt hinsichtlich: ist das Fahrzeug an einem Unfall oder einer Straftat beteiligt, ist es dasselbe Fahrzeug mit dem man eingereist ist, ist die Zulassung echt usw. Wenn diese Prozedur schnell verläuft, kann man nach 5–10 Minuten fertig sein und man darf zwei Meter vorfahren. In der Vergangenheit war es auch schon mal möglich, dass die Verbindung zum Hauptrechner sehr langsam war, so dass die Beamten während dieser Zeit mit ihrem Privathandy spielen konnten. 

Straßenbau in Russland Wenn man vorgefahren ist, dann erfolgt die optische Zollkontrolle. Autoinsassen müssen komplett aussteigen, alle Türen müssen aufgemacht und auch die Motorhaube muss geöffnet werden. Akribisch wird jeder Winkel, auch mit Spiegeln, durchleuchtet und stichprobenartig müssen Gepäckstücke, auf die der Zollbeamte wortlos zeigt, geöffnet und vorgeführt (d.h. ausgepackt) werden. Beim Motorrad heißt das, dass die Koffer geöffnet werden müssen und der Inhalt stichprobenartig nachgesehen wird. Diese Prozedur geht relativ schnell. Oft werden auch Spürhunde zwischen den Fahrzeugen hindurchgeführt.

Dann ist man an der entscheidenden Stelle, wenn keiner vor einem in der Schlage steht. Pech hat man, wenn sich eine Großfamilie vor einem befindet oder es Schichtwechsel oder Pause ist. Man darf seinen Reisepass in einen Schlitz stecken. Der Reisepass wird zunächst auf Echtheit geprüft, dann ob man die Person ist, die im Reisepass beschrieben wird. In einigen Ländern wird hierzu ein biometrisches Foto gefertigt, das der PC mit dem Foto im Reisepass abgleicht. Dann wird die Migrationskarte, die man bei der Einreise erhalten hat, ausgewertet. Hat man irgendwo verbotenerweise genächtigt, hat man die Meldeauflagen erfüllt, ist man zivilrechtlich straffällig geworden? Wenn das alles ok ist wird das Visum gesucht. Bis zu diesem Zeitpunkt muss das Visum noch gültig sein und noch Zeit sein, die Kontrollzone zu verlassen. 

Motorradreise Russland - Schnell raus, das Visum läuft ab! „Ich weiß zwar nicht, was dann passiert,“ sagt der Beamte am anderen Ende der Leitung in Moskau, „aber wenn sie auch nur wenige Minuten nach Mitternacht an dieser Stelle sind, ist es pro­blematisch. Denken Sie daran, dass wir dann als Botschaft nicht helfen können, denn das ist ein Problem zwischen ihnen und der Russischen Föderation!“ Auf Nachfrage erklärt er, wie ein solcher Fall in Deutschland behandelt wird. Es ist die gleiche Prozedur, wie sie in nahezu allen Staaten mit Visumpflicht abläuft. 

Zunächst wird man belehrt, dass man sich seit einigen Minuten/Stunden/Tagen illegal auf dem Territorium befindet. Man wird belehrt, dass dies eine Straftat ist, die von Amtes wegen verfolgt werden muss. Wenn man das nicht versteht, muss ein amtlich vereidigter Dolmetscher geholt werden. Das kann einige Stunden dauern. Dann wird man in ein Büro gebeten, wo die Anzeige aufgenommen wird. Es sind mehrere Formblätter in mehrfacher Ausfertigung, die mit Maschine geschrieben werden müssen, denn es sind Dokumente. Anschließend bekommt man alles vorgelesen und darf unterschreiben oder auch nicht. Witzbolde können ja mal in dieser Situation Fotos oder Videos zur Beweissicherung machen oder randalieren. Die Papiere, außer einem Durchschlag der in der Kontrollzone bleibt, gehen dann sächlich (d.h. in Papierform!) an das nächste Gericht. Bei solch einer Straftat, wie es der illegale Aufenthalt auf dem Territorium des Staates ist, hat ein Richter ein Verfahren zu eröffnen, die Strafe festzulegen und seine Entscheidung mit Begründung den Beamten in der Kontrollzone mitzuteilen. „Diese Prozedur verläuft bei uns in Deutschland selten schneller als vier Stunden und sie wissen, dass die russischen Behörden akkurater sind und nicht so schnell und effizient wie wir in Deutschland“, sagt der Beamte der Botschaft ruhig. Ich weiß, was er meint! In der Kontrollzone gibt es keine Möglichkeit Essen oder Trinken käuflich zu erwerben. Toilettengänge sind nur mit vielem Bitten möglich, denn dazu muss man Amtsräume eines Staates betreten, in dem man sich illegal aufhält. Toiletten für die Wartenden in der Kontrollzone sind unüblich. „Und denken sie daran, wir können weder vermitteln noch helfen! Letzte Woche haben wir Kenntnis von einem Fall erhalten, da ging es um fünf Minuten!“

Motorradreise Russland - Alles gut gegangen mit dem Visum Der Rest ist schnell erzählt: Laut Google dauert die Fahrt von dem teuren Hotel in Königsberg, in das ich am frühen Abend eingecheckt habe, zur Grenze 49 Minuten. Es ist 22.40 Uhr. Pünktlich um 23.00 Uhr verlasse ich den Parkplatz mit eilig zusammengeworfenen Sachen, notdürftig verschnürt. Zeitweise, an diesem Sonntagabend, zeigt das Tachometer 170 km/h an. Keine Polizeikontrolle, an der ich vorbeikomme, wagt es mich anzuhalten. Außerhalb der Stadt verhindern schlechte Straßen und Dunstwolken nach dem Regen die Sicht. Bedenklich sinkt die Anzeige des Tankinhaltes. Ich erreiche die Grenze mit Benzin für 20 km. Glücklicherweise sind nur zwei Fahrzeuge mit mir in der Kontrolle. Als ich anfange hektisch zu werden zieht einer der Beamten lässig sein Handy, sieht rauf und sagt: „Bleib ruhig, du hast noch 30 Minuten!“ Und wirklich, das Unwahrscheinliche passiert: 15 Minuten vor Mitternacht reiche in meinen Pass durch den Schlitz und weise darauf hin, dass mein Visum heute abläuft. Die Beamtin lächelt und verschiebt ihre Pause zum Schichtwechsel und fertigt mich ab. Als ich die Kontrollzone verlasse ist es genau Mitternacht. Die Einreiseprozedur in den „Schengen-Raum“ in Polen zieht sich hin, denn ich bin verdächtig. Kurz vor ein Uhr bin ich legal auf dem Territorium der Europäischen Union. Der nächste kleinere Ort ist in 15 km Entfernung. Glücklicherweise finde ich in diesem kleinen polnischen Ort ein Hotel, das bereit ist einen verlumpten, abgekämpften deutschen Motorradfahrer an einen frühen Montagmorgen um halb zwei aufzunehmen. Ich hatte ein Problem!