aus Kradblatt 10/13
von Konstantin Winkler

LimburgJe ferner der Heimat, desto interessanter. Meistens jedenfalls. Doch auch unsere nördlichen Nachbarländer können zu genussvollen Lustreisen verleiten, wenn man zur richtigen Jahreszeit mit dem richtigen Bike unterwegs ist.
Westlich von Deutschland liegt – nicht allzu groß aber platt wie ein Pfannkuchen – das Königreich der Niederlande. Wie der Name es schon sagt, das Land ist niedrig. Genau 321 Meter misst der höchste Berg. Die Bezeichnung Hügel wäre passender. Bei allen anderen Erhebungen, an denen der Blick zum Horizont hängen bleibt, handelt es sich um Deiche, Häuser, Windmühlen oder Sex-Shops. Darauf fällt – statistisch gesehen – an 302 Tagen im Jahr mehr oder weniger kalter Regen.Wir haben Glück: Eine Woche Sonnenschein oder bedeckter Himmel – ohne Nass von oben. Und das im April.
Über Bremen, Oldenburg und durch den Emstunnel geht es nach Holland. Der Norden heißt hier auch Friesland.Als Reisefahrzeug dient uns diesmal eine BMW aus den 80er Jahren. Dauerlauf hieß da noch nicht Joggen und ein spätes Frühstück noch nicht Brunch. Und BMW brachte seinen ersten Dreizylinder auf den Markt: die K 75. Sie besitzt die Eleganz eines in die Jahre gekommenen Staubsaugers (und hört sich leider auch so an), verzichtet weitgehend auf optischen Schnickschnack und wurde von seinen Erbauern vor allem für eines auserkoren: Möglichst unauffällig hunderttausend und mehr Kilometer abzuspulen. Abgesehen vom enttäuschenden Klang gibt es am Triebwerk nichts auszusetzen. Vibrationen? Fehlanzeige.
BMW K 75Wir lassen die mit 170.000 Einwohnern größte Stadt im Norden – Groningen – links liegen. Über Assen (bekannt durch die Motorrad-Rennen) geht’s nach Zwolle. Die wenig ansehnliche Großstadt bietet nicht einmal bezahlbare Hotels. Das finden wir knapp 30 Kilometer weiter südlich, nur fünf Kilometer neben der Autobahn: Regardz Heerlickheijd van Ermelo. Die Bezeichnung Schloss wäre angemessener. Sauna und Schwimmbad inklusive.
Am nächsten Tag geht es über Amersfoort und Utrecht zum Kinderdijk. Hier stimmt das Klischee Holland – Windmühlenland. 19 historische Exemplare stehen am Zusammenfluss von Noord und Lek. Putzige Häuser säumen die Straßen und vor den Windmühlen kauen gekämmte Kühe an gebürstetem Gras. Neben vielen Wohnwagen gibt es auch viele Gewächshäuser. Dort werden die Jahreszeiten und das regnerische Klima ausgetrickst. Das Ergebns ist meist rot: Tulpen und Tomaten. Letztere – als Fleischtomate – ist feuerrot und groß wie ein Tennisball. Endlich kann man Wasser schneiden!
Genauso berühmt wie die malerischen Windmühlen, von denen es noch über 1.000 gibt, sind die Polder. Das sind Flächen, die man dem Meer durch Deichbauten abgewinnt. Und natürlich der Kuhmilchkäse in Laiben mit bis zu 20 Kilo Gewicht: Gouda. Nicht mal 20 Kilometer nördlich liegt die gleichnamige Stadt.
 
Oldiesammler unter sichDie nächste Station unserer Reise ist Rotterdam. Die Autobahnen und der Verkehr erinnern eher an die USA als an Westeuropa. Kein Wunder, sind wir doch in der größten Hafenstadt der Welt. 32.000 Ozeanschiffe laufen die zweitgrößte Stadt Hollands jährlich an. 250 Millionen Tonnen Güter werden umgeschlagen. Genauso beeindruckend sind die vielen Treibstoff-Tanks. Bis zu 3,5 Millionen Kubikmeter beträgt das Fassungsvermögen eines einzelnen. Wir suchen das Weite und finden es in Zeeland, dem südwestlichen Teil der Niederlande. Zeeland heißt die vom Wasser zerklüftete Damm-, Insel- und Deichprovinz im Delta der Flüsse Rhein, Maas und Schelde. Gegner der Holländer sind nicht nur die Deutschen (Fußball!), sondern auch die Nordsee, die er eindeichte, einpolderte, drainierte und so bezwang, bis er dem Meer eine bewohnbare Fläche abgerungen hatte. Diese wird durch gigantische Wehre vor Sturmfluten geschützt. Bei der Fahrt über den Oosterscheldedamm kann man ein wasserbauliches Wunderwerk betrachten. 65 bewegliche Tore der auf 18.000 Tonnen schweren Pfeilern ruhenden Sturmflutwehre können bei Gefahr geschlossen werden.
 
Museeum www.yesterdays.nlWir übernachten in der 15 Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Zeelands, Middelburg. Sternförmig angelegte Grachten und Wallanlagen sowie das Stadhuis mit seinen rot-weißen Fensterläden und 25 Fassaden-Figuren bieten ideale Bedingungen zum ausgiebigen Bummeln.
Wir machen einen Abstecher nach Belgien. Dort ist der Sprit 10 Cent billiger und die Straßen wesentlich schlechter. Für die sportlich-straffe Federung der betagten BMW (Baujahr 1987) kein Problem. Nur die Schlaglöcher auf den beleuchteten Autobahnen des Nachbarlandes decken gewisse Härten auf.
Zwischen Maastricht und Eindhoven reisen wir wieder nach Holland ein. Limburg heißt die südöstlichste Provinz. Hier haben wir die höchsten Erhebungen des Landes. Im Vergleich zum flachen Norden sind 300 Meter hohe Hügel fast schon alpine Verhältnisse. Serpentinen haben wir jedoch keine entdeckt.
Holland MühlenlandGelästert wird gerne über Holland: Dass unsere europäischen Nachbarn außer Käse und autobahnblockierenden Wohnwagen-Fahrern wenig zu bieten haben. Von den kulturellen Katastrophen wie „Das Lied der Schlümpfe“, „Oh Schmidtschen Schleischer mit den elaschtischen Bajnen“ oder Harry Wijnford mal ganz abgesehen. Aufgrund der vielen Coffee- und Sexshops könnte man die Holländer für drogensüchtige Pornografen halten. In Wahrheit lebt er aber auch nicht wilder als der Deutsche. Während der Deutsche aber gerne alles verbietet, erlaubt der Holländer fast alles. Und wenn etwas nicht erlaubt ist, wird es meist geduldet, wie z.B. der Konsum von Cannabis. Die Holländer sind tolerant. Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig, denn nach Monaco, Malta und San Marino haben sie die größte Bevölkerungsdichte (393 pro Quadratkilometer; Deutschland 231). Also müssen sie schon aus Platzmangel miteinander auskommen. Weniger tolerant ist man jedoch, was die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrifft. Besonders an den langen schnurgeraden Straßen neben den vielen Kanälen gibt es eine in Europa einmalige Dichte von Blitzkästen. Biker aufgepasst: Es wird auch von hinten geblitzt!
 
Oldtimerliebhaber und -sammler finden in Nederweert ihr Eldorado. www.yesterdays.nl hat dort eine einmalige Sammlung hautsächlich amerikanischer und englischer Motorräder zusammengetragen, die größtenteils auch zu verkaufen sind. Die ältesten Exemplare stammen aus der vorletzten Jahrhundertwende.
Am Ende des Urlaubs angekommen, stellt man fest, dass Holland eine Menge Vielfalt für Mensch und Motorrad zu bieten hat. Viele schöne Erlebnisse und Erfahrungen bleiben im Herzen zurück. Es ist wohl überflüssig zuerwähnen, dass wir uns auf einen erneuten Besuch mit Spannung freuen.