aus bma 12/12, von Holger Gehrke

Eichmann vor Hotel Helms

Mal ganz ehrlich: Wer als Tourenplaner einer erwartungsvollen Bikergruppe die xte Tagestour ab Bremen zu organisieren hat, dem gehen irgendwann die attraktiven Ziele aus. Überall im Tages-Radius war man schon und an allen besonders schönen Strecken trifft man dann auch noch all die anderen Kurvenfreunde.

Wenn also Krabbenbrötchen an der Küste, Waldmeister im Weserbergland und Eis am Elbedeich keinen so recht mehr vom Ständer locken, dann könnten ja vielleicht ungewöhnliche Themen für frisches Interesse sorgen! Zum Saisonende hängten wir uns also an die Spur dreier Bestien: zwei menschliche und eine tierische. Sie führten uns zu drei Stätten, zu denen es Biker wohl sonst nur per Zufall und das allenfalls in Schaltjahren führt.

KKK Bestientour 2012Von Bremen aus ging es jenseits von Verden zunächst durch kleinste Heidestraßen nach Altensalzkoth, einem Zehn-Häuser-Dorf, irgendwo zwischen Bergen-Belsen und Celle. Im März 1946 siedelte sich dort ein unauffälliger und wenig zugänglicher Mann namens Otto Henninger zunächst als Holzfäller und dann als Hühnerzüchter an. Auf dem Foto einer Hochzeitsgesellschaft, zu der er eingeladen war, wurde er vor dem Gasthaus Helms abgelichtet – mit scheuem, nach unten gerichtetem Blick, als wolle er nicht gesehen werden. Erst später, als man in Jerusalem den Prozess gegen ihn eröffnete, erfuhren die Dorfbewohner, dass es Adolf Eichmann gewesen war, der bürokratisch-perfekte Cheforganisator und einer der Hauptverantwortlichen des Massenmordes an Millionen europäischer Juden im „Dritten Reich“. Mit den verkauften Eiern seiner Hühnerzucht sparte sich Ex-SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann das Geld für seine spätere Flucht nach Argentinien zusammen, um dann eines Tages wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Und weil sich in den Heidedörfern auch in Jahrzehnten nicht so ganz viel ändert, betreibt heute der Enkel des Gastwirts noch immer die zum Hotel erweiterte Gaststätte und der Enkel des Vermieters vom Hühnerstall wohnt auch noch im selben Haus. Ersterer erzählt gerne die Geschichte aus jener Zeit und hat auch noch das alte Kneipenschild vom Hochzeitsfoto aushängen, Letzterer will hingegen nicht mehr auf jenen mörderischen Mieter damals angesprochen werden. Und – um den Irrsinn auf die Spitze zu treiben – gelangten viele der Eichmann-Hühnereier auch an die inzwischen befreiten ehemaligen KZ-Insassen, die sich teilweise damals dort in der Gegend niedergelassen hatten!

Gedenkstein für Hartmann-OpferAuf nicht minder bestialische Art kamen die 24 Jungen und jungen Männer ums Leben, die einer der bekanntesten deutschen Massenmörder, ein gewisser Fritz Haarmann, in Hannover in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gelockt, ermordet und zerstückelt hatte. Kinder fanden diverse Leichenteile beim Baden in der Leine und wahrscheinlich wanderte manches auch durch Schlachter Haarmanns eigene Hand sogar in die Wurst. Haarmann lebte vom Handel mit Altkleidern und Fleisch-Konserven. Ihm kam man wohl auch deshalb so spät auf die Schliche, weil er selbst als Polizeispitzel agierte und deshalb anfangs nicht verdächtigt wurde. Selbst eine Haussuchung blieb zunächst ergebnislos, obwohl im Ofen und an anderen Orten in der Wohnung etliche Leichenteile versteckt waren. Aber auch heute findet man Mordwaffen ja gelegentlich auch erst, wenn nach kriminaltechnischer Untersuchung ein danach freigegebenes Mordauto auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen neuen Käufer gefunden hat!

Rast im WaldHöchst interessant auch die schon damals ungewöhnlichen Verhörmethoden: „Um ein Geständnis zu erlangen, wurde Haarmann in einer präparierten Haftzelle angekettet. Unter der Decke waren von der Polizei in jeder Ecke der Zelle Bretter angebracht, auf die Schädel platziert wurden. Ihre Augenhöhlen waren mit rotem Papier ausgekleidet. Die Schädel wurden dann von hinten beleuchtet. Außerhalb der Reichweite der Kette wurde ein Sack mit Gebeinen der Leichen aufgestellt. Die Polizisten sagten Haarmann, dass die Seelen der Verstorbenen ihn jetzt holen kommen würden, wenn er nicht geständig wäre.“ (siehe auch Wikipedia „Fritz Haarmann“). Fritz Haarmann wurde im Dezember 1924 zum Tode verurteilt und im alten „Zuchthaus“ in Hannover hingerichtet. Als Kind führte mich mein Opa, als das Zuchthaus abgerissen wurde, exakt zu der Stätte, an der man Haarmann damals einen Kopf kürzer gemacht hatte. Dieser Kopf, besser sein Gehirn, liegt übrigens heute an verschiedenen Orten zu Forschungs- und Anschauungszwecken in Spiritus, und neben einem Gassenhauer („Warte, warte noch ein Weilchen…“) erinnert heute nur noch ein zentraler Gedenkstein auf dem alten Seelhorster Friedhof in Hannover an die Bestie Haarmann und seine jungen Opfer. Und diesen Stein haben wir gesucht und gefunden und dabei befunden, dass dieser alte Friedhof allein schon einen Besuch wert ist! Erstaunlich der Hinweis auf die damalige Friedhofsbürokratie: Sie verbot den Angehörigen der Opfer, das Wort „ermordet“ auf den Grabstein zu schreiben. Stattdessen steht noch heute dort ganz unverfänglich: „Dem Gedächtnis unserer lieben verstorbenen Söhne“.

Andenken an den Würger von LichtermoorMehr menschliche Bestien konnten wir an einem Tage nicht ertragen und deshalb wandten wir uns auf dem Rückweg einer „Bestie“ zu, die eigentlich gar keine war: Der „Würger vom Lichtenmoor”. Kein Mensch, sondern ein Wolf. Aber nicht irgendein Wolf, sondern der letzte Wolf, der 1948 im Lichtenmoor mitten im Dreieck Nienburg, Rethem und Schwarmstedt erlegt wurde. Damit waren die Wölfe zumindest in Norddeutschland damals ausgestorben.

Zum „Würger” wurde der Wolf wohl nur deshalb hochstilisiert, weil viele Bauern damals angeblich von ihm gerissenes Vieh meldeten. Gerissen waren aber eher die Bauern, weil es in der Zeit der Lebensmittelgutscheine ein allgemeines Schlachtverbot gab, das sie dadurch geschickt umgehen und der Familie mal wieder einen ordentlichen Braten auf den Tisch bringen konnten. Über 100 Schafe, 65 Rinder und unzählige Wildtiere sollen vom „Würger“ gerissen worden sein. Es wurde deshalb, um dem ein Ende zu setzen, die größte Treibjagd der Geschichte mit 1500 Treibern und 70 Jägern, verstärkt durch das britische Militär, veranstaltet – ohne Erfolg. Bis eines Tages der Eilter Bauer und Jäger Hermann Gaatz der „Bestie” im Lichtenmoor Aug in Aug gegenüberstand und geistesgegenwärtig abdrückte.

Der arme erlegter Wolf - ein Würger?Genau an dieser Stelle ist heute ein Erinnerungsstein zu finden. Aber Vorsicht: Zwar ist das Befahren dieses Waldweges, der ins Moor führt, nicht verboten, aber die Enduristen sind zweifellos im Vorteil, wenn sich auf den letzten zweihundert Metern der Waldweg glitschig dem Denkmal nähert. Wir schafften es dennoch ohne Schäden und mit vereinten Kräften gelang auch die Wende samt Rückfahrt auf „befestigte“ Strecken.

Dort vor Ort, mit etwas Fantasie und jenseits aller Zivilisation, kann man sich auch heute noch einen wölfisch-nächtlichen Besucher vorstellen, zumal auf dem Panzerübungsplatz Bergen ja inzwischen wieder eine Wölfin mit drei Jungwölfen in einer Fotofalle abgelichtet wurde. Der Wolf ist also zurück, und das ist die gute Nachricht im bestialischen Beritt. Den Kopf des „Würgers vom Lichtenmoor“ kann man übrigens im Heimatmuseum von Rodewald besichtigen. Aber Vorsicht: Die haben nur drei- bis viermal im Jahr geöffnet, und so haben wir ihn leider nicht zu sehen bekommen, obwohl laut Internet Öffnungszeit gewesen wäre.
Voller „bestialischer“ Eindrücke und Gedanken fuhren wir die 300-Kilometer-Tagestour dann wieder Richtung Bremer Heimat, scharf an der „Mitte Niedersachsens“ bei Hoyerhagen vorbei, zuende.
Eine vierte „Bestie“ haben wir uns dabei noch für eine weitere Tour aufgehoben, die uns irgendwann in Richtung einer Brücke über die Oste bei Bremervörde bringen wird: Dort fasste man 1945 SS-Chef Heinrich Himmler und einige seiner SS-Genossen, die ebenfalls mit falscher Identität unterwegs waren. Freilich waren ihre Dokumente so dilettantisch gefälscht, dass sie aufflogen. Die Engländer brachten ihn nach Lüneburg zum Verhör, wo Himmler auf eine im Zahn verborgene Giftkapsel biss und sein mörderisches Leben aushauchte.
Das alles ist nun längst Geschichte, unvorstellbar und grausam, und noch heute kann es einen richtig grausen, wenn man an diesen Orten leibhaftig steht. Schöne Kurven und nette Berge gibt es dann nächstes Mal wieder.