aus Kradblatt 9/14
von Bernd Lakeberg

 

Mit der Gold Wing über die Alpen an die Cote d’Azur

Ende Mai, endlich war es so weit: Ein lange gehegter Traum konnte wahr werden. Die Westalpen mit der wohl größten Passdichte weltweit sollten unter die Wing­räder kommen.

Alpen und Cote d'Azur mit der Gold WingAm Bieler See trafen wir uns bei bestem Regenwetter zum gemeinsamen Aufbruch zu dritt. Die Schönheiten vom Bieler See, Lac de Neuchâtel und des Genfer Sees auf den herrlichen Uferstraßen blieben unter schweren Regenwolken und Regen­schleier-Schnürlregen verborgen.
Früh nachmittags wurde es dann trocken. Gerade rechtzeitig für den ersten Pass, den Pas de Morgins. Und was drei flachlandverwöhnte, vom langen Winter geschädigte Motorradfahrer da veranstalteten, bleibt unter uns. Nur so viel: Gashand voll im Einsatz, Verstand voll in der Hose (Anmerk. d. Red.: Liebe Leser denkt daran, bei groben Geschwindigkeitsübertretungen ziehen die Schweizer euer Fahrzeug ein und verkaufen es zugunsten der Staatskasse. Selbst der Maserati eines Fußballers musste schon dran glauben. Saftige Strafe bis hin zu Gefängnis gibt’s noch dazu…) Der gleich anschließende Col du Corbier wurde schon etwas ruhiger angegangen und weil es so schön war, den Col des Gets schnell noch rauf und gleich wieder runter, ins beschauliche Morzine, wo wir im Vorbeifahren ein geöffnetes Hotel entdeckt hatten.

Am nächsten Morgen war es dann so weit: Die Sonne schien und hatte in den nächsten vierzehn Tagen von morgens bis abends ihren Auftritt. Traumhaftes Wetter, die ganze Zeit.
Und wir waren angekommen auf der Routes des Grandes Alpes: Atemberaubende Pässe Schlag auf Schlag, grandiose und abwechslungsreiche Landschaften, einsame Straßen unterschiedlichster Qualität, Bergflanken und Flussläufe in bizarren Formen, grandiose Schluchten, unterschiedlichste Farbenspiele und ex­tre­me Klimagegensätze haben wir erlebt und genossen.

BegegnungNach dem Frühstück ging es hinter Flumet über den kleinen und engen Col des Saisies und dem schön zu fahrenden Cormet de Roselend Richtung Val d’Isere. Dort war total Saisonende, also tote Hose. Nicht mal ein Zimmer war zu bekommen. Und der Col de l’Iseran? Gesperrt! Also zurück bis La Thuile und den Campingplatz aufgesucht.

Ein Blick auf die Karte am nächsten Morgen zeigte die Querverbindung zurück über Moutiers nach Saint-Jean-de-Maurienne. Doch am Col de la Madeleine ging es dann leider nicht mehr weiter gen Süden. Meterhohe Schneeberge versperrten uns kurz vor dem Gipfel den Weg und zwangen uns zur Umkehr. Kurz vor Albertville fuhren wir dann auf der ungeliebten Bahn bis Grenoble. Danach auf die Route Napoleon (N85). Und hinter La Mure wurde es dann wieder richtig schön. Und spätestens am Col Bayard, kurz vor Gap, waren die Autobahnkilometer komplett vergessen.
Der nächste Tag stand ganz im Zeichen von genussvollem Cruisen mit Sightseeing. Entlang des Flusses Buëch genossen wir die Dörfer dieses noch so ursprünglichen Frankreichs. Die Dörfer in diesem Landstrich scheinen noch genauso schön wie einst, geprägt von mittelalterlichen Einflüssen und angepasst an die naturbelassene, wildromantische Landschaft der Ausläufer der Seealpen.

Bei Château-Arnoux trafen wir am darauffolgenden Tag wieder auf die N85. Eigentlich wollten wir über Riez zum Grand Canyon abbiegen. Aber die N85 in Richtung Castellane war so was von genial zu fahren, dass wir vor lauter Begeisterung beim Gasgeben die Abfahrt übersehen haben. Und das Stück bis Castellane mit dem Col des Lèques zum Abschluss gab noch einmal alles, was das Herz begehrt.

Mittlerweile hatte uns auch diese unvergleichlich seidenweiche Luft des mediterranen Klimas umfangen, so dass einem zünftigen Tagesabschluss in dem sehenswerten Städtchen nichts mehr im Wege stand.

Schon der nächste Morgen wartete mit einem, diesmal ganz tief liegenden Höhepunkt auf uns: Dem Grand Canyon du Verdon. Die Uferstraßen sind ein unbedingtes Muss für jeden Motorradfahrer. Dank der günstigen Jahreszeit waren kaum Wohnmobile, Wohnwagen, Reisebusse und ähnliche Spaßverderber unterwegs. So war der obligatorische Kaffee in La Palud und das erholsame Sonnenbad am Lac de Sainte-Croix ein uneingeschränkter Genuss vor der Weiterfahrt ins quirlige und touristisch überladene
Saint-Tropez…

Reiseinfo Teil 1:
Strecke: Biel – St-Tropez ca. 1.200 km; 14 gefahrene Pässe
Straßenzustand: Fünf Pässe (Iseron, Madeleine, Glandon, Galibier, Bonette) waren gesperrt. (Fermé heißt: Nicht ganz geräumt, aber einen Versuch wert. Closed bzw. Barré bedeutet: Geschlossen. Nichts geht mehr.)
Ende Mai sind nicht alle Pässe frei. Vorab Infos unter www.adac.de. Der große Vorteil dieser Zeit: Man hat die Pässe überwiegend für sich alleine. Prachtvoll blühende Natur und wunderschöne Farbenspiele vermitteln unvergessliche Eindrücke.

Col-de-IzoardWir sind in dem hektischen und touristisch überladenen Saint-Tropez angekommen. Vor uns liegen gut einhundertzwanzig Kilometer Küstenstraße bis nach Monaco, immer direkt am Wasser entlang. Diese herrliche Pano­ramastraße ist von Steilküsten, langen Sandstränden und malerischen Buchten gekennzeichnet. Endlos die Zahl der Künstler, die wegen dieser Landschaft und des hier herrschenden Lichts, wegen der Farben und deren Symbiose, an die Côte kamen. Gesäumt wird die Uferstraße von bedeutenden Städten, die Lust auf Entdeckungen machen: Saint-Tropez, Fréjus, Cannes, Antibes, Nizza, Monaco usw.

Aber wir wollen diese Strecke nicht im Schnelldurchgang abhaken, sondern genießen. Und so legen wir gleich hinter Saint-Tropez einen kurzen Stopp in Port Grimaud, dem „Kleinen Venedig“ Frankreichs, ein. Danach geht es, immer der Uferstraße folgend, zur herrlichen Bucht von Agay mit ihrem ellenlangen Sandstrand. Mehrere schöne, direkt am Wasser gelegene Campingplätze stehen zur Auswahl. Wir entscheiden uns für Camp Dramont. Vor uns direkt das Mittelmeer mit Ausblick auf die wunderschönen Insel Île d’Or. In direkter Nachbarschaft liegt ein kleiner, gemütlichen Hafen und im Hintergrund türmt sich das farbenprächtige Esterel Gebirge auf.
Von hier lässt sich in herrlichen Tagesausflügen das ruhige und einmalige Hinterland der Côte d’Azur perfekt für Motorradfahrer erleben. So muss man z. B. das Mauren Massif und die Schlag auf Schlag folgenden Pässe auf der Route Napoleon von der Parfümstadt Grasse nach Castellane unbedingt erfahren haben.

Cote-HinterlandVon Agay geht es Tage später auf einer der schönsten Küstenstraßen Europas, der Corniche de l’Estérel, nach Cannes. In Cannes gleiten wir über die weltberühmte Croisette, bewundern im Vorbeifahren die Nobelburgen zur Linken und den Millionärsstrand zur Rechten. Das weltbekannte Casino, in dem gerade die Filmfestspiele stattfinden, lässt uns genussvoll einen Hauch der Großen und Schönen dieser Welt verspüren. Wir cruisen immer weiter auf der endlos scheinenden Uferstraße. Immer mit der Nase am Mittelmeer: Juan-les-Pins und vor allem Antibes, mit seiner engen, verschnörkelten, aber wunderschönen Altstadt haben es uns angetan. Wir genießen das Eden Roc, das Grimaldi Schloss, in dem schon Picasso 1946 wie ein Besessener rumgewerkelt hat usw. Es ist wunderschön, aber wegen des starken Verkehrs in den Städten auch recht anstrengend.

Der nächste Stopp erfolgt in Nizza. In dieser riesigen Stadt lässt es sich genussvoll durch die alten Gassen schlendern. Entlang der Küste erstrecken sich die bekannten Promenaden mit den geschichtsträchtigen Fünf-Sterne-Hotels, in denen nicht nur Hollywoodstars nächtigten. Und natürlich gehört das Cruisen auf der berühmten Promenade des ­Anglais, im Zentrum des Sehens und Gesehen Werdens, zum Pflichtprogramm.

Nach der Umrundung von Cap Ferrat geht es weiter durch Beaulieu in Richtung Monaco. Und einige Kilometern später verlassen wir die Küstenstraße und fahren die kurvige Bergstrecke nach Èze hoch. Dieses mittlerweile sehr bekannte Künstlerdorf liegt wie der sprichwörtliche Adlerhorst hoch oben in den Bergen. Ganz in der Nähe des Ortes finden wir an der Steilküste einen kleinen, privaten Campingplatz. Traumhaft der Blick von hier auf das Mittelmeer und das auf einer Halbinsel gelegene Saint-Jean.

EndstationVon diesem Domizil bieten sich fantastische Tagesausflüge ins Hinterland der Provence an. Unbedingt empfehlenswert ist es, sich die herrliche Loupschlucht um das Örtchen Georges de Loup anzusehen. Man durchfährt wildromantische Schluchten, gleitet unter wilden Bergüberhängen hindurch und folgt dem Fluss auf kleinen, kurvigen Sträßchen durch ein unglaubliches Panorama. Über den Col de Vence führt danach ein Abstecher in die Künstlerdörfer Vence und Saint-Paul. Ein Muss für Kunst-Interessierte.

Am Wochenende fand in Monaco der Formel 1 Lauf statt. Diese Lärmapokalypse in den Häuserschluchten des kleinen aber feinen Fürstentums machte uns den erforderlichen Abschied von der Küste ziemlich leicht und ab jetzt hieß es nur noch: Pässe, Pässe, Pässe.
Schlag auf Schlag folgten auf der Fahrt von Èze gen Norden auf knapp 150 Kilometern Col de Braus, Col de Turini, Col Saint-Martin und Col de la Couillole.

Bei Beuil bogen wir von der Route des Grandes Alpes ab, folgten der bildschönen Cians-Schlucht und fuhren danach durch das beeindruckende Tal Georges de Daluis. Die steilen und schräg gelagerten, schokoladenbraunen bis purpurfarbenen Gesteinsformationen, aufgehellt mit blühendem Ginster, waren eine einzige, sinnenbetörende Seh-Orgie.

Bei Erreichen des verschlafen wirkenden Bergdorfes ­Guillaumes lohnt ein Abstecher nach Péone. Man hat einen faszinierenden Panoramablick bis hin zum fast 3000 Meter hohen Mont Mounier.
Nachdem wir uns satt gesehen haben, ging es über den landschaftlich sehenswerten Col de Champs mit nicht gerade tollem Straßenbelag weiter nach Allos. Hier lohnt wiederum ein Abstecher zum nahe gelegenen Lac d’Allos, der mit seinen herrlichen Farben schon wieder die Augen verwöhnt.

FreiheitRichtigen Fahrspaß vermittelte der nächste Pass, der Col d’Allos. Ein überwiegend guter Straßenbelag mit vielen wechselnden Kehren, weiter Sicht und beeindruckenden Bergspitzen bildete einen schönen Ausklang dieses langen Fahrtages, bevor wir Barcelonette erreichen.
Dieser größere Mittelpunktsort bietet mit mehreren Campingplätzen, Hotels, umfangreicher Gastronomie und schönem, historischen Stadtbild alle Voraussetzungen für einen längeren Zwischenstopp.

Nur eine knappe halbe Fahrstunde westlich von Barcelonette entfernt präsentiert sich mit dem Lac de Serre-Ponçon ein türkisfarbenes Highlight, das man auf einer kurvenreichen Uferstraße unbedingt umrunden sollte. Diese Panoramastraße bietet den Augen und dem kurvensüchtigen Motorradfahrer alles, was das Herz begehrt.

Meinen persönlichen Höhepunkt der gesamten Tour fand ich gleich östlich hinter Barcelonette mit dem Col de Restefond. Spät nachmittags war ich ganz alleine mit meiner Wing auf dieser genialen Passstraße. Der Erbauer muss Gold Wing-Fan gewesen sein. Bei dieser Straße passte einfach alles: der Belag, die Kurvengeometrie, die Landschaft und auch das Wetter. Ein unglaublicher Genuss!

Gaaaaaas

Über den flüssig zu fahrenden Col de Var mit seinen vorzüglich ausgebauten Trassen und perfekt gezogenen Windungen ging es weiter nach Norden. Der Col d’Izoard lockt mit einer von bizarren Felsen und gigantischen Brocken geprägten wildromantischen Felslandschaft. In sanften Bögen, gepaart mit knackigen, engen Serpentinen führt uns die Abfahrt ins sehenswerte Briançon.
Leider machten uns die noch immer gesperrten Pässe Col du Galibier, Col d’Iseron und auf Schweizer Seite der Grimsel- und Furkapass einen Strich durch die geplante Fortsetzung unserer Tour. So wählten wir die teilweise schon vom Hinweg bekannten Strecken. Der Ausblick auf die in der strahlenden Sonne glitzernde und funkelnde Eiskappe des Montblanc-Massivs entschädigte allerdings reichlich und war vor der Weiterfahrt nach Interlaken, wo unsere gemeinsame Westalpentour endete, ein berauschender, unvergesslicher Anblick.

Reiseinfos:

Strecken: Saint-Tropez – Monaco ca. 120 km, mit Tagesausflügen ins Hinterland ca. 700 km; Monaco – Interlaken ca. 950 km; Achtundzwanzig gefahrene Pässe.
Straßenzustand: Alle geöffneten Pässe waren mit der Honda Gold Wing gut zu befahren.
Übernachten: An der Côte d’Azur überall Camping- & Hotelübernachtungen möglich. Im Hinterland der Côte ebenfalls ausreichende Campingmöglichkeiten. Von uns bevorzugte Campingplätze: Campéole Le Dramont in Le Dramont bei Saint-Raphaël; Camping Les Romarins in Èze bei Monaco; Camping Municipal in Saint-Jean-de-Maurienne.
Kosten: Seit Einführung des Euro fällt kaum noch ein Unterschied zu Deutschland auf. Ausnahme: Bier und Tabak sind in einigen Gebieten wesentlich teurer, Tankstellen gibt es in jedem größeren Ort.
Kartenmaterial: ADAC Motorradtouren Alpen West 2; ADAC Motorradtouren (MR8) Seealpen, Provence, Côte d’Azur;
„Lust auf Pässe“ erschienen im Highlights-Verlag: Michelin Touristenkarten Frankreich: Nr. 84, 81, 77, 74.
Besonderheiten: Wegen des scharfen Straßenbelages ist vor Reiseantritt auf eine ausreichende Profiltiefe zu achten.
Übernachten: In einigen französichen Wintersportorten ist kein Zimmer zu bekommen. Campingplätze zu finden ist kein Problem.