aus Kradblatt 11/16
von Erik Peters
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Mexiko – Land der Kontraste …

Beliebte Snacks am StrassenrandMeine Reise durch Mexiko beginnt in der karibischen Touristenhochburg Cancún. Zwei stressige Tage dauert es, bis ich alle Stempel und Unterlagen zusammen habe und mein Motorrad aus dem Zoll auslösen kann. Ein wahres Glücksgefühl kommt auf, als ich endlich auf mexikanische Straßen entlassen werde.

Ich kehre dem mit mondänen Hotelburgen verbauten Pseudo-Urlauberparadies den Rücken und schon nach wenigen Kilometern erweckt es den Anschein, als habe kaum ein Tourist je den Weg in diese Region gefunden. Ein unverfälschtes Stück Mexiko wie aus dem Bilderbuch wartet auf mich und es fühlt sich umwerfend gut an, erst am Anfang einer langen Reise zu stehen.

Motorradreisender Erik Peters in Mexiko 1Freiheit und Abenteuer – Begriffe, die daheim längst Luxus geworden sind werden ab jetzt zum täglichen Leben dazugehören. Trotz der Hitze läuft mir ein kalter Schauder der Freude über den Rücken. Mit einer Drehbewegung der rechten Hand begegne ich diesem Gefühl und rausche weiter in Richtung Norden.
Auf einer rund 60 Kilometer langen Sandpiste durchquere ich das Biosphärenreservat „Celestún“, das artenreichste Mangroven-Gebiet Mexikos. Rechts spült das türkisfarbene Meer seine Wellen an den menschenleeren Strand und wenn man sich links durch das Dickicht schlägt, sieht man Krokodile in der Sonne dösen und abertausende pinkfarbene Flamingos, die mit ihren krummen Schnäbeln Kleinstlebewesen aus dem Wasser fischen.

Motorradreisender Erik Peters in Mexiko 2Glücklich darüber, dass der erste richtige Reisetag mit einem solchen Highlight beginnt, schiebe ich am Abend meine Yamaha Ténéré in den Schuppen eines Fischers. Ich spanne meine Hängematte auf, ziehe meine Flip-Flops an und bestelle in einer urigen Strandbar eine große Portion „Cebiche“ – das „Sushi“ Lateinamerikas.
In Yucatán, dieser riesigen Trockenwald-Region, die ziemlich genauso groß ist, wie die Schweiz, gibt es die meiste Zeit des Jahres keine Niederschläge. Die Erde ist so flach, dass keine Flüsse fließen können – zumindest nicht oberirdisch. Unter der Erde hingegen bilden die sogenannten „Cenoten“ einen gewaltigen Süßwasserspeicher. Motorradreisender Erik Peters in Mexiko 3Oftmals sind es nur kleine unscheinbare Tümpel an der Oberfläche, die bis zu 100 Meter tief sein können und die sich an ein Labyrinth aus unterirdischen Gängen von bisher unbekannter Länge (der längste erforschte misst 72 Kilometer) anschließen. Keine andere Region der Erde ist derart unterhöhlt und durchlöchert, wie die mexikanische Halbinsel. Die Cenoten werden als die Grundlage und Voraussetzung für die Entwicklung der Maya-Kultur angesehen. Obwohl einige heute touristisch erschlossen sind und viel zu laute Menschen darin baden, geht eine magische Faszination von ihnen aus und man kann sehr gut nachvollziehen, warum die Cenoten in der Glaubenswelt der einst ausgeprägtesten Hochkultur des gesamten Kontinents eine so wichtige Rolle spielten. Wieso der kometenhafte Aufstieg der Maya um etwa 900 n. Chr. urplötzlich endete, stellt die Forscher bis heute vor ein ungelöstes Rätsel.

Agavenernte in Tequila MexikoVon Yucatán geht es weiter gen Westen. Allmählich steigt die Küstentiefebene in die über 3000 Meter hohe „Sierra Madre de Chiapas“ an. Im südlichsten und für mich exotischsten Bundesstaat Chiapas leben noch gut eine Millionen direkte Nachfahren der Maya. Bis heute haben in der ländlichen Abgeschiedenheit uralte Riten und Gebräuche überlebt. In den schwer zugänglichen Regenwäldern der Grenzregion zu Belize und Guatemala finden sich zudem die schönsten antiken Tempelanlagen Mittelamerikas.

In Mexiko sind Polizei- und Militärkontrollen an der Tagesordnung. Zwar genießen mexikanische Polizisten und Soldaten einen eher schlechten Ruf, ich persönlich mache jedoch keine negativen Erfahrungen. Im Gegenteil: Für mich haben die Kontrollen sogar etwas Unterhaltsames. Mit Offenheit und Freundlichkeit kommt man bei ihnen jedenfalls weiter, als mit einer zufällig in den Pass gerutschten Dollarnote. Ich führe interessante Gespräche, bekomme wertvolle Tipps von den Uniformierten und so manches Mal verzögert sich die Weiterfahrt, da irgendein Offizier mir die Bilder seiner Hochzeit zeigen möchte. Das wirklich Einzige, was mir auf mexikanischen Straßen gelegentlich den Fahrspaß verdirbt, sind die sogenannten „Topes“ – die typisch mexikanische Art den Verkehr zu beruhigen. Dazu wurden an vielen Stellen riesige Bodenwellen auf die Fahrbahn zementiert, die so hoch sein können, dass jedem Fahrzeug bei zu hoher Geschwindigkeit schwere Schäden drohen.

Motorradreisender Erik Peters in Mexiko 5Am sogenannten Isthmus von Tehuantepec, der Stelle, an der Mexiko am schmalsten ist und „nur” 200 Kilometer Landmasse den Pazifischen Ozean vom Golf von Mexiko trennen, liegt der geographische Übergang von Mittel- nach Nordamerika. Wie der Name der nächstgelegenen Stadt „La Ventosa” (Die Windige) schon vermuten lässt, bläst an dieser Landenge ein solch starker Wind aus Südwest, dass man als Zweiradfahrer nur mit Mühe und Not die Spur halten kann.

Auf den folgenden 300 Kilometern steigt die Straße wieder von Meereshöhe auf über 2700 Meter an. Wenn ich von 1000 Kurven spreche, die ich auf der Etappe von der Pazifikküste bis nach Oaxaca schleife, dann ist das weit untertrieben. Vom tropischen Dschungel führt die atemberaubende Strecke hinauf in dichten Nebelwald und schließlich weiter auf eine karge Hochebene, wo nur anspruchslose Vegetation gedeiht.

Motorradreisender Erik Peters in Mexiko 4Oaxaca, die Provinzhauptstadt mit dem schwer auszusprechenden Namen, besticht wie keine andere Stadt durch ihre reizvolle Mischung indianischer und spanischer Einflüsse. Auf dem Zócalo, dem zentralen Platz, schlägt der mexikanische Puls am lautesten. Mit Einbruch der Dunkelheit treffen sich dort Musikanten, Verliebte und solche, die es werden wollen. Man könnte stundenlang auf einer der gusseisernen Bänke sitzen und das bunte Treiben beobachten. Hausfrauen verkaufen mir mit Hühnerfleisch gefüllte Tacos und geröstete Maiskolben während Mari­achikapellen herzzerreißend schief von der ewigen Liebe, dem blauen Meer und kitschigen Sonnenuntergängen singen.

Unterwegs in YucatanIm Bundesstaat Jalisco zieht es mich ein paar Tage später in eine kleine Stadt, die einen großen Namen trägt. Tequila – der Ort an dem das gleichnamige hochprozentige Nationalgetränk Mexikos hergestellt wird. Gemächlich plätschert das Leben der knapp 35.000 Bewohner dahin. Bis vor wenigen Jahren war Tequila nur ein verschlafenes Kaff. Erst als der Landarbeiterschnaps vor einigen Jahren durch ausgeklügelte Marketingmaßnahmen zum Modegetränk wurde, blühte das Leben auf.

Heute stehen die Agavenlandschaft und die verschiedenen Produktionsstätten des Tequila unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes. Bei einem feuchtfröhlichen Kneipenabend lerne ich einen echten „Jimador“ kennen, wie man in Mexiko die angesehenen Agaven-Ernter nennt. Er lädt mich ein ihn anderntags auf ein nahegelegenes Agavenfeld zu begleiten. So habe ich die Gelegenheit hautnah dabei zu sein, wie eine Gruppe von zehn „Jimadores“ ihrem schweißtreibenden Job nachgeht. In der prallen Sonne schlagen sie mit scharf zugefeilten Klingen, den sogenannten „Coas“ die Blätter von den Agaven ab. Aus dem so freigelegten „Herz“, einer bis zu 120 Kilogramm schweren Knolle, wird später der Schnaps gebrannt. Auch diesen Prozess kann man in der Stadt hautnah verfolgen, denn viele namhafte Tequila-Brennereien bieten für kleines Geld Führungen und Verköstigungen an.

Stundenhotel als UebernachtungstippAuf meiner Reise durch Mexiko kommt mein Zelt nur selten zum Einsatz. Für umgerechnet weniger als 10 Euro findet man fast überall schicke Unterkünfte mit Kolonialambiente. Mir hat es aber eine ganz besondere Art der Bleibe angetan. Irgendwann werde ich auf der Flucht vor einem Unwetter zufällig auf ein „Hotel“, aufmerksam, das aussieht wie ein in die Jahre gekommener Puff. Mit verblichenen Herzen und dem verschwenderischen Umgang des Wortes „Amor“ macht es auf sich aufmerksam. „Bingo!“, denke ich und reiße den Lenker rum. Ich habe endlich eines der berühmt berüchtigten Stundenhotels gefunden, die bei Mexikoreisenden schon beinahe legendär sind. Einen Ort, an den man eigentlich nicht zum Schlafen kommt … Das Besondere an diesen „Unterkünften“, deren Nutzungszeit man von drei auf 24 Stunden verlängern kann, ist deren Funktionalität und Anonymität (für Motorradreisende nahezu ideal). Die Zimmer, in denen es nach billigem Parfum und Kondomen riecht, haben einen eigenen abgetrennten Parkplatz und sind unschlagbar günstig. Es gibt einen Fernseher mit „Spielfilmkanal“, eine für mehrere Personen ausgelegte Dusche, halbwegs fleckfreie Betten und – zu allem Überfluss – dünne Wände.

Endlich wieder ein KloVon der Hafenstadt Mazatlán aus setze ich mit einer Fähre auf die Baja California über. 16 Stunden dauert die Überfahrt über den Golf von Cortez. Im ersten Licht des Sonnenaufgangs zeichnen sich Millionen von Kakteen am Horizont ab. Böse Zungen behaupten, die Baja California sei der 51. Bundesstaat der USA, und dementsprechend von amerikanischen Touristen überlaufen. Wenn man sich jedoch abseits der Haupttouristenorte befindet ist der Eindruck ein anderer – ein riesiger Abenteuer-Spielplatz, mit unzähligen Möglichkeiten, sich auszutoben. Die letzten 2000 Kilometer warten nun darauf, erobert zu werden.

In Pete’s Camp, einem tollen Strandcampingplatz nahe der Stadt San Felipe nehme ich mir drei Tage Zeit, um mich nach fünf Wochen und über 8000 gefahrenen Kilometern gebührend von Mexiko zu verabschieden. Das bunte Land zwischen den Regenwäldern im Süden und den Wüsten im Norden hat sich mir von seiner besten Seite präsentiert. Mit dem Herz und dem Kopf prall gefüllt mit positiven Erinnerungen erreiche ich die Grenze zu den USA. Adios Mexiko.

Erik ist weltweit auf seiner Yamaha unterwegs und mit seiner Multivisionsschau zwischenzeitlich auch immer wieder mal im Kradblatt-Gebiet zu Gast. Aktuelle Termine und vieles mehr findet man online auf seiner Website: www.motorradreisender.de