aus bma 09/08

Text: Jens Möller
Fotos: Stefanie Töllners

KTM RC8 (Mod. 2008)Es hat etwas länger gedauert, bis KTM die neue RC8 vorgestellt hat. Wer die Entwicklung des neuen Sportmodells mit dem 75° V-Zwei über die letzten Jahre verfolgt hat, erinnert sich bestimmt an zahlreiche Vorserienmuster und Ausstellungsstücke. Nur bei KTM war man sich noch nicht sicher. Denn getreu des Werksspruches „Ready to race” mußte die Neue einschlagen wie eine Kanonenkugel, auf der eben noch Münchhausen saß.

Es wäre zwar ein Einfaches gewesen, den alten, bekannten 950er- oder jetzigen 990er-Motor aus den Adventure- oder SuperDuke-Modellen in das Gitterrohrfahrwerk zu packen, nur wäre man damit nicht mehr auf Augenhöhe mit der Konkurrenz gewesen. Und die kommt nun einmal aus Bologna in Italien in Form der Ducati 1098. Deren Hubraumaufstockung über den vollen Liter machte auch bei KTM einige Nachtschichten nötig, um den Motor der 1190 zu entwickeln, der in Wahrheit nur über 1150 ccm verfügt.
Nun sind es also erwähnte 1150 ccm geworden, die laut Werk 155 PS bei 10000 U/min und 120 Nm bei 8000 U/min mobilisieren sollen. Das reicht zwar nicht für die übermächtige Vierzylinder-Konkurrenz aus Fernost, das satte Drehmoment und das große Drehzahlband werden’s aber schon richten. Doch die Wahrheit ist wie immer auf’m Platz, und geschrieben wird auch bei KTM viel. Also schnell beim Zweirad-Center Melahn in Hamburg, Tel. 040/5332320, auf den Hof gelugt und die KTM 1190 RC8 für ein Wochenende entführt.
Schon beim Betten des Allerwertes- ten in 820 mm Sitzhöhe wird klar, daß sich KTM bei der Entwicklung des Arbeitsplatzes für den Fahrer sehr viele Gedanken gemacht hat. Lässig sportlich mutet die erste Sitzprobe im Stand an. Bequem liegt der Lenker in der Hand, die Fußrasten winkeln die Beine angenehm an und der große Tankausschnitt ermöglicht einen engen und auch für Lange platzmäßig überaus großzügigen Knieschluß. So weit zwar bemerkenswert, aber noch nicht ungewöhnlich. Was die Ergonomie für Sportler dennoch nahezu perfekt werden läßt, sind die Einstellungsmöglichkeiten, die KTM der RC8 in Bezug auf den Arbeitsplatz schon serienmäßig mitgegeben hat.

 

KTM RC8 (Mod. 2008)So wird aus dem Sportler zwar kein Tourer, aber lässiges Landstraßenbügeln ist überaus bequem machbar, genau so wie konzentriertes Rennstreckenheizen. Und wie das alles, wird der geneigte Leser jetzt bestimmt fragen. Nun denn: Wer keinen Liegestütz auf der KTM machen will, klemmt sich die Lenkerhälften einfach etwas höher an, 15 Millimeter nach oben sind hier Luft. Wem der Kniewinkel noch nicht paßt, der verstellt einfach das ganze Heck nach oben. Nach Lösen von ein paar gut zugänglichen Schrauben läßt sich der gesamte Heckrahmen um etwa einen Zentimeter anheben, ergo nimmt auch die Sitzhöhe zu. Wer es dann noch bequemer haben will, kann noch die Fußrasten zweifach in der Höhe und per Distanzbuchse auch in der Weite verstellen. Und das alles ist nur der Anfang. Selbstverständlich kann über einen Exzenter noch der Anlenkwinkel der Schwinge verändert werden, das Schaltschema einfach umgedreht werden oder können sich die Gang- und Bremspedale per Schraube verstellen lassen. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, daß auch Brems- und Kupplungshebel der hydraulischen Armaturen verstellbar sind. Mit dem Rotstift wurde bei KTM also mächtig gegeizt, den Fahrer freut’s natürlich, denn bequem fährt es sich einfach besser. In der zweiten Reihe herrscht dagegen Trübsal. Wer diesen Platz jemandem anbietet, wird entweder unendlich geliebt oder möchte sich eine teuflische Freude machen. Also besser alleine heizen, das serienmäßig erst gar nicht montierte Soziuspolster weglassen und auch nicht die Soziusrasten dranschrauben. Schließlich steht die KTM nicht umsonst ohne diesen Schnickschnack beim Händler.
KTM RC8 (Mod. 2008)Apropos Fahren, rauf jetzt auf den Bock. Der Erstkontakt vermittelt ans Großhirn die Ausmaße eines großen Motorrades. Das liegt zum einen an der beschrieben Ergonomie, die viel Platz vorgaukelt, ergibt sich aber auch aus 1430 mm Radstand und einem Lenkkopfwinkel von 66,7 Grad. Daß die KTM ihre Größe aber sofort wieder ablegt, verdankt sie auch ihrem Gewicht von 201 kg vollgetankt. Das vermittelt Leichtigkeit, die Kurven dürfen kommen. Doch jetzt erst einmal Stadtverkehr mit der fast noch jungfräulichen RC8, um die 120er und 190er Pirelli Dragon Super Corsa Pro auf den leichten und bildhübschen Fünfspeichenrädern auf Temperatur zu bringen.
Wobei der Stadtverkehr der KTM gar nicht schmeckt. Kräftezehrend läßt sich die Kupplung bedienen, der Motor will erst jenseits von 2500 U/min so etwas wie geschmeidigen Rundlauf abliefern, und der Fahrer ist bei Ortsgeschwindigkeit mehr mit der passenden Gangwahl der Stufen zwei bis vier als mit dem Fahrerlebnis beschäftigt. Ursächlich ist auch das wieder auf die „Ready to race”-Ausrichtung zurückzuführen. Wer einen potenten und schnell hochdrehenden Motor bauen will, noch dazu mit 75 Grad Zylinderwinkel, bekommt mangels Schwung- und wenig Ausgleichsmasse Probleme. Und diese treten eben beim Mitschwimmen im Stadtverkehr besonders deutlich hervor.
Sobald aber das Ortsausgangsschild sichtbar ist, entwickelt die KTM ganz andere Talente. Jetzt, wenn die Drehzahl stets über der ruppigen Zone liegt, drückt der V-Zwo einfach nur noch unnachahmlich nach vorne. Urgewaltig, schaurig schön bläst es dazu aus der massenzentralisierend angeordneten Auspuffanlage. Der Kurventanz wird zum Swing, jeder Gasstoß vermittelt Fahrfreude pur. Besonders jener, der sich vornehmlich im Bereich des höchsten Drehmoments aufhält, wird Vorwärtsdrang pur genießen, welcher erst ganz oben auf der Drehzahlleiter etwas abnimmt. Wie füllig und überbordend der Kraftfluß und der Drehmomentberg ist, an den man sich leider viel zu schnell gewöhnt, verdeutlichte dem Autor der Wechsel auf den eigenen 600er Sportler. Kaum war der Hof von Melahn verlassen, fielen Roß und Reiter fast auf die Klappe, weil der noch immer fahrleistungsmäßig umnebelte Fahrer sich nicht auf die blutleere 600er eingestellt hatte. Deren Anfangsdrehmoment reicht eben nicht aus zur Stabilisierung der Fahrzeugmassen.
KTM RC8 (Mod. 2008)Doch zurück zur KTM. Daß der Ritt mit dem Donnerbolzen aus Österreich so viel Laune macht, liegt natürlich nicht nur am potenten Motor. Auch das Fahrwerk muß mitspielen. Mit Fahrwerken hatte KTM bis dato nie große Probleme, und wenn man Qualität von WP in den Renner einbaut, wird’s schon stimmen. So kümmert sich eine 43 mm Upside-down-Forke um die Führung des Vorderrads. Die Gabel ist natürlich voll einstellbar und mit einem großzügigen Verstellbereich gesegnet. Sämig satt gibt die Front den aktuellen Fahrbahnzustand an den Piloten weiter, bietet dabei sogar Komfort und Reserven für hartes Bremsen, so daß die 120 mm Federweg nicht im hydraulischen Anschlag enden. Besser ist das kaum noch zu machen. Auch hinten fast das gleiche Bild. Das ebenfalls voll einstellbare Federbein mit 125 mm Federweg drückt den hinteren Pneu förmlich auf den Asphalt und sorgt für satten Hinterradgrip. Die Kehrseite ist aber die dafür benötigte harte Feder des Federbeins, das sich nahezu unnachgiebig auf Trennfugen zeigt. Kleine, kurze Stöße landen so direkt im Fahrerhintern, was den Komfort spürbar trübt. Auf ebenstem Rennstreckenbelag mag das sinnvoll sein, im Alltag wäre etwas weniger Härte klar angenehmer gewesen, denn auch über die Dämpfung ließ sich diese Eigenart nicht wesentlich verbessern. Wie hart die Feder wirklich ist, verdeutlich ein zum Test mitgenommener Sozius, der das Federbein keinen Deut in die Knie zwingt, den unbeirrbaren Geradeauslauf der KTM in keiner Weise schmälert. Bei nicht angepaßter Einstellung des Federbeins wohlgemerkt. Aber was soll’s, ein bißchen sportliche Härte hat noch nie geschadet. Wir waren ja bei „Ready to race”.
Getreu diesem Motto funktionieren auch die Bremsen. Die radial montierten Doppelkolbensättel an der Gabel beißen in 320 mm große Scheiben, die von einer radialen Bremspumpe unter Druck gesetzt werden. Hinten sorgt ein Tritt auf die Bremse für Verzögerung durch den Einkolben-Schwimmsattel an der 220 mm messenden Scheibe. Was sich nach einem giftigen Bremscocktail nur für Geübte anhört, funktioniert einfach fabelhaft. Ohne durch übertriebenes Zupacken für Angstschweißperlen auf der Stirn zu sorgen, liefert die Anlage einen festen Druckpunkt, der sich wunderbar erfühlen läßt und einen sicher zum Stehen bringt. Satt, schnell und sicher dosierbar macht die fein ansprechende Anlage den Geschwindigkeitsabbau zum Vergnügen.
Doch das Leben mit der KTM spielt nicht nur auf Rennstrecken, sondern auch im Alltag. Neben den geäußerten Problemchen wie Gasannahme im unteren Drehzahlbereich und dem harten Federbein zählen hier Tugenden wie Verbrauch, Inspektionskosten und Verarbeitung. Und auch die Ergonomie, aber die hat ja schon nachhaltig beeindruckt.
Wer den V-Zwo lässig am Gas führt, wird an der Tankstelle nicht überrascht. Runde fünfeinhalb Liter Super werden dann auf 100 km verfeuert, die sich bei proportional zum Spaßbedürfnis geöffnetem Gasgriff aber noch steigern lassen. Alle 7500 km muß dann nach dem Rechten gesehen werden. Die langen Intervalle schonen den Geldbeutel dann wieder ein wenig. Wobei an der KTM außerhalb der Inspektionen wohl wenig zu tun sein dürfte. Zu wertig ist ihre Anfassqualität, zu gelungen die Verarbeitung. Insgesamt ein beeindruckend durchdachtes Motorrad. Das, und darauf muß neben dem feuchte Hände förderndem Einstandspreis von 15595 Euro noch eingegangen werden, auch beim Design Überzeugungsarbeit leistet. Zwar liegt die Schönheit eines Objektes wohlweislich im Auge des Betrachters, aber der Herr Kiska hat schon ganze Arbeit vollbracht, hat Kanten geformt, die schon immer Kanten sein mußten, hat luftig leichtes kreiert, das polarisiert, auffällt, gefällt. Mehr kann man von einem Design nicht verlangen, welches sich perfekt in Ergänzung zum Technikartikel Motorrad verhält. Und die KTM RC8 damit an die Spitze der Zweizylinder-Sportler hebt, an der sich die Konkurrenz vor allem aufgrund der Vielzahl durchdachter technischer Finessen messen lassen muß.