aus bma 07/06
von Jens Möller
Supermotos sind schon was Feines. Vereinen sie doch ein gutes, überaus handliches Fahrwerk mit einem zumeist potenten Motor. Zumindest dann, wenn sie nicht als glattgebügelte Japaner mit allerlei Kompromissen behaftet sind.
KTM hat in dieser Liga schon lange die Vorreiterrolle inne. Doch auch in Mattighofen mußte man erkennen, daß zum einen die Konkurrenz stärker wurde, zum anderen aber auch die Motorleistung einer normalen LC 4 mit 40 kW von fast jedem Straßenmotorrad getoppt wird.
Also mußte mehr Leistung her. KTM griff ins Regal und nahm sich den 75° V-Motor der 950 Adventure. Gerade die Adventure hatte mit diesem Motor vor drei Jahren für Aufsehen gesorgt. Auch wenn es nicht zum Verdrängen des Platzhirschen BMW 1200 GS gereicht hat, wußte der Motor schon damals zu gefallen.
Das hat er vornehmlich seiner Auslegung zu verdanken. Diese geriet überaus kurzhubig, paßt somit eher zu einem sportlich bewegten Motorrad denn zu einem Reiseschiff. Und gerade in der neuen KTM 950 Supermoto sorgt der nur 58 kg schwere, oder vielmehr leichte Motor für ungeahnte Glücksgefühle. KTM hat es ganz in der Tradition der Einzylindermaschinen dabei belassen, die 950er Supermoto nur mit dem auszustatten, was wirklich nötig ist. Nun mögen manche den Zeigefinger heben, weil das doch für jeden verschieden ist, was am Motorrad so nötig ist. Richtig und doch grundlegend falsch. Nötig sind ein Motor, zwei Räder, ein gutes Fahrwerk und gute Bremsen. Mehr braucht es nicht für den ungetrübten Fahrspaß und mehr hat die KTM 950 Supermoto auch nicht zu bieten. Und das ist überaus positiv gemeint. Trotz dieser scheinbaren Reduktion auf das Wesentliche ist die Ausstattung der KTM über jeden Zweifel erhaben.
Ja, und weiter? Eine gute Ausstattung macht noch kein gutes Motorrad. Deswegen jetzt schleunigst in 865 mm Höhe aufgesessen und losgedüst. Schon das Einlegen der ersten Fahrstufe begeistert. Denn obwohl die vom Zweirad Center Melahn aus Hamburg zur Verfügung gestellte KTM erst 84 km auf der Uhr hat, flutscht der erste Gang wie von Zauberhand rein. Dabei ist sogar der Schalthebel direkt auf dem Getriebeausgang montiert.
Weiter geht es im Citygewühl. Leicht und behände schwingt sich die KTM trotz eines Radstands von 1510 mm durch die Verkehrslawine, sauber nimmt der von zwei Keihin Gleichdruckvergasern beatmete Motor das Gas an. Also schnell das innerörtliche Geschnecke hinter sich lassen und der KTM im Überlandflug auf den Zahn fühlen.
Schon taucht das erste vierrädrige Verkehrshindernis auf. Alles nicht so schlimm, verfügt der Motor mit 98 PS bei 8000 U/min über ausreichend Leistung, um sich mit solchen Problemen nicht weiter aufhalten zu müssen. Jedoch macht Gegenverkehr das Überholen gerade unmöglich, somit den sechsten Gang eingelegt und gemütlich auf der Standgasdüse dahingezuckelt. Und zuckeln kann die KTM bei guten 80 km/h im höchsten Gang gut. Hier wird dem Motor sein Bohrungs-/Hubverhältnis von 100/60 mm mitsamt der fast schwungmassenlosen Auslegung zum kleinen Verhängnis. Erstens zuckt es ständig im Gebälk und die Gasdosierung erfordert eine gehobene Feinmotorik und zweitens zieht der Motor bei diesen Drehzahlen nicht durch. Wer also mit Durchzug am Hindernis vorbei will, erlebt zwar wunderschönen Sound aus der Edelstahl-Doppelrohranlage, aber sonst auch nichts. Erst wenn die Anzeige im digitalen Mäusekino dreistellig wird, drückt es langsam vorwärts. Und wenn dann 120 km/h passiert werden, gibt es kein Halten mehr. Jetzt zieht der Motor dem Fahrer die Arme lang, hat tief genug Luft geholt um zügig seinem Drehmomentmaximum von 94 Nm bei 6500 U/min entgegen zu streben und weiter bis auf 215 km/h Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen. Obwohl die KTM endurotypisch hochbeinig daher kommt, bleibt der Geradeauslauf selbst in diesen Geschwindigkeitsregionen stabil.
Damit ist man aber für die Landstraße schon viel zu schnell. Also lieber das wunderbar leichtgängige Getriebe ein paar Mal öfter bemüht und sich mit erhöhter Drehzahl dem Landstraßensurfen widmen. Hier kommen dann auch zwei Komponenten zum Tragen, die zum erwähnten Wesentlichen des Motorrades gehören. KTM verbaute an der 950er Supermoto vorne eine WP-Upside down Gabel mit einem Durchmesser von 48 mm, die schlicht herausragend funktioniert. Die 200 mm Federweg an der Front stellen sich allem entgegen, was der Asphalt zu bieten hat, gehen selbst bei Gewaltbremsungen nicht in die Knie und verwöhnen dennoch mit einem sehr guten Ansprechverhalten. Abgerundet wird das Fahrwerkspaket durch den stabilen, pulverbeschichteten und 11 kg leichten Chrom-Molybdän-Gitterrohrrahmen zusammen mit dem an der Hinterhand mit 210 mm Federweg arbeitenden WP-Stoßdämpfer. Für den gilt das bereits zur Gabel gesagte: Einfach bombig. In der voll getankt 202 kg schweren KTM 950 Supermoto kann dieses handliche Fahrwerk locker zeigen, wozu es gebaut wurde, verwöhnt den Quertreiber mit einer Rückmeldung, die kaum steigerbar ist. So wird Fahren zum Genuß mit Sicherheitsgewinn, jeder kleinste Rutscher der 120/70er und 180/55 Pirelli Skorpion Sync Bereifung sofort erkannt. Das konnte der eilige Tester auch bei einer kleinen Runde über den Handlingparcour des Fahrsicherheitszentrums Lüneburg erleben. In einer Linkskurve bei engagierter Kurvenbolzerei rutschte das Vorderrad leicht weg, das Fahrwerk fing diesen Rutscher aber sauber ab, Motorrad und Reiter bügelten weiter.
Als zweite Komponente verdienen die Bremsen Beachtung. Zwei radial verschraubte Brembo Vierkolben-Festsättel kümmern sich vorne zusammen mit zwei schwimmend gelagerten, 305 mm großen, Bremsscheiben um artgerechte Verzögerung. Druck baut eine einstellbare Radialbremspumpe mitsamt einer Stahlflexleitung auf. Und dies immer schön dosierbar und linear zur Hebelkraft. Erst wenn richtig hart verzögert wird, wünscht man sich einen etwas festeren Druckpunkt, was aber vielleicht auch an der noch nicht ganz eingefahrenen Bremse liegen könnte. Ansonsten bilden die Verzögerungskomponenten einen sehr hohen Standard, in den sich nahtlos auch das hintere Pendant mit seinem Brembo Zweikolben-Schwimmsattel und der 240er Scheibe einreiht. In der Summe ergibt das ein nahezu perfektes Motorrad für die nette Landstraßenhatz.
Und das Schönste an der ganzen Sache? Selbst bei äußerst zügiger Fahrweise fließen nur sieben Liter Superbenzin durch die beiden Vergaser, für die gebotene Leistung durchaus nicht zuviel. Das entspräche bei einen Tank mit 17,5 Litern Volumen einer Reichweite von 250 km. Die Tankwarnleuchte meldet sich aber schon 70 km eher und wünscht ein erneutes Befüllen der Tankblase. Hier war KTM wohl etwas zu vorsichtig.
Soweit zur Ausstattung der KTM, die, und das sei an dieser Stelle nochmals erwähnt, eine pure Fahrmaschine ist, die auf jeden Bequemlichkeits- und Tourenschnickschnack verzichtet. In der Konsequenz bedeutet dies, daß der Hintern auf der schmalen Sitzbank schon mal ein wenig schmerzen kann, daß der Sozius wegen der abfallenden Sitzbank dem Fahrer in den Rücken rutscht, und sich Gepäck oder ein Tankrucksack trotz des kleinen Gepäckträgers nur in sehr bescheidenem Maße mitnehmen läßt. Wer zwingend auf so etwas nicht verzichten will, wird mit der KTM 950 Supermoto nicht glücklich. Alle anderen dürfen sich aber noch an den vielen Details und der guten Verarbeitung freuen. So wird über einen konifizierten Magura Aluminiumlenker eingelenkt, ein hoch gelegter Öltank mit Steigleitung zum Ölablesen sorgt für gehobene Bodenfreiheit, und das geschraubte Aluminiumheck läßt sich im Falle des Falles leicht tauschen. Neben dem Bremshebel ist auch der Kupplungshebel einstellbar, verlangt bei der Betätigung aber nach leicht erhöhter Handkraft. Herauszuheben ist noch, daß die KTM 950 Supermoto nach der üblichen Erstinspektion nur alle 7500 km zum Service muß, so also den Geldbeutel schont.
Wobei das Gesparte schon bei der Anschaffung drauf gehen dürfte. Laut Liste kostet die KTM 950 Supermoto 10800 Euro plus Nebenkosten. Da kann man schon mal ins Schlucken kommen. Der Preis wird durch die beschriebene Ausstattung aber locker relativiert. Nun muß man sich noch entscheiden, ob einem der zweizylindrige Kurvensucher das auch wert ist. Einen Versuch sollte man auf jeden Fall wagen, den dieses österreichische Kraftpaket verdient Beachtung.
Und mal sehen, wie lange KTM noch den 950er Vergasermotor verbaut. Vielleicht gibt es im nächsten Jahr ja schon die große Supermoto mit dem 990er Einspritzmotor. Ob der besser paßt, wird nur ein erneuter Fahrbericht zeigen. Der Autor freut sich jetzt schon diebisch auf das erneute Quertreibervergnügen. Ihr auch?
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