aus bma 07/08

von Jens Rademaker

Kawasaki ZX-10R (Mod. 2008)Anno 2004 hatte ich das außerordentliche Vergnügen die damals neue ZX-10R testen zu dürfen, daran erinnere ich mich noch immer gern: „Es gibt bestimmte Zahlen, die einen Supersportlerfahrer beeindrucken können z.B. 194 PS, 311 km/h Endgeschwindigkeit, 118 Nm. Allerdings hebt sich bei einem Verhältnis von einem PS pro kg Gewicht selbst bei mir zumindest eine Augenbraue: „Sowas hat eine Straßenzulassung?” Tatsächlich ist die Kawasaki ZX-10R auch auf der normalen Straße zu Hause. Sie fordert vom Piloten allerdings Zurückhaltung, Voraussicht und ein ruhiges Dosieren mit der Gashand. Die neue Ninja ist ein Meisterwerk der Kawasaki-Ingenieure und wohl „der” neue Star in der Supersportler-Szene. Besonders viel Mühe haben sich die Entwickler mit dem Fahrwerk und der Bremsanlage gegeben, denn noch nie habe ich so ein ausgewogen bissiges Fahr- und Bremsverhalten erlebt. Zusammengefaßt ist die Kawasaki ZX-10R ein respekteinflößendes Gefährt, das in keinem Fall zu unterschätzen ist, wer sie allerdings beherrschen kann, dem offenbart sie eine andere Welt. Fast alles überzeugt an der neuen Ninja, und noch nie habe ich ein Erlebnis wie dieses gehabt, denn leider kam ich nie in den Genuß in einem Jet mitzufliegen. Ich kann nur jedem, der sich für Supersportler begeistert, empfehlen, den nächsten Kawasaki-Händler aufzusuchen und die Ninja mal zu einer Probefahrt mitzunehmen. Auch ein kurzer Ausritt über ein paar Kilometern ist ein echtes Abenteuer und dazu noch eins, das irre Spaß macht. Man bekommt die ZX-10R in den Farben Lime Green, blau und schwarz wenn man die Kleinigkeit von 12.995 Euro noch übrig hat.” So war das damals.
Der große Ninjutsu-Krieger für das Modelljahr 2008 unterscheidet sich von der 2004er Variante natürlich wie der Kadett C Coupé vom GSI 16V. „Back to the Roots” dachten sich aber wohl die Ingenieure in Akashi bei der Installation des neuen Endtopfes, denn der hängt nun wieder an der Seite des Kawa-Boliden. Zwar glänzt er im Titanmantel und soll nun auf der rechte Seite hängend die Massen zentralisieren, ob das nun aber schön aussieht, da scheiden sich wohl die Geschmäcker. Stellt sich die Frage, ob Schönheit der Zweckmäßigkeit weichen sollte… Ein klares JA! Die ZX-10R aus dem Jahrgang 2007 trumpfte mit einer Doppelrohranlage im Heck auf, praktisch und schön. Doch genug der Wo-hängt-der-Auspuff Exerziererei.

 

Warum mußte ein Update der 10er bereits nach einem Jahr erfolgen (fast schon Microsoft-Manier), und ist der Unterschied ein Modelljahr später wirklich so spürbar? Mal sehen! Die 2007er ZX-10R wirkt gegenüber der neuen eher pummelig und übertrieben lang, das Heck breit, und der Tank üppig. Die neue 10er erinnert von der optischen Größe wieder eher an eine 600er: Kurz, schlankes Heck und knackige Taille. Zudem fanden die Entwickler wieder Gefallen an kantigen und aggressiven Formen, sehr gelungen. Daß die neue Ninja allerdings etwas mehr auf den Rippen hat, sieht man ihr nicht wirklich an.
Kawasaki ZX-10R (Mod. 2008)Die erste Sitzprobe fällt besser als befürchtet aus. Die Stummel wanderten drei Zentimeter nach oben, und der Tank ist im Kniebereich merklich schlanker. Hierdurch ist die Sitzposition wesentlich angenehmer, ohne daß der Kontakt zur Maschine schlechter geworden ist.
Natürlich hat sich auch am Herzstück der Kawasaki einiges geändert, Modellpflege = Motoroptimierung. Zuerst die Zahlen: Auf dem Papier leistet das aktuelle 998 ccm-Triebwerk 188 PS bei 12.500 U/min. Bei einsetzendem Ram-Air werden sogar 200 PS prognostiziert… Oha! Die Erfahrungen im Rennsport kommen bei der ZX-10R mal wieder voll zum Einsatz. Zusätzliche Einspritzdüsen helfen hier, die geforderte Kraft zu schöpfen, ebenso wie die neuen Nockenprofile und die Titanventile. Ovale Ansaugtrichter versprechen nun eine optimierte Gasannahme.
Was ist noch neu? Na dann mal los: Die kawasaki-typische Uni-Trak Federung wurde durch eine getrennte Druckstufendämpfung für High- und Lowspeed ergänzt. Die neue Tokico Radial-Bremsanlage (vorn: gelochte, schwimmend gelagerte, 310 mm durchmessende Doppelscheibenbremse im Petal-Design mit Aluminium Bremscheibenträgern; hinten: Gelochte 220 mm durchmessende Scheibenbremse im Petal-Design) bietet noch mehr Biß und ebenso mehr Feingefühl, wenn sie zum Einsatz kommt.
Kawasaki ZX-10R (Mod. 2008)Die vorderen Blinker sucht man an der Verkleidung vergebens, denn sie wanderten an die Spiegelarme. Waren sie zunächst noch recht groß, bekommt man jetzt kleine Kellermänner, wenn man will. Der Kennzeichenhalter inklusive Blinkern kann nun schnell und einfach abgenommen werden, damit man auf der Rennstrecke nicht viel Zeit mit Schraubengefrickel und Kabelgewusel verliert. Die neue 43 mm Upside-down Gabel (natürlich voll einstellbar) verfügt nun über eine reibungsmindernde Diamond-Like-Carbon-Beschichtung. Die Schwinge mit dem stabilisierenden Oberzug sorgt für einen verbesserten Geradeauslauf.
Doch was sagt die Praxis dazu? Wie schon gesagt, die erste Anprobe fällt sehr positiv aus. Alles paßt prima, und man hat das Gefühl, die Maschine wurde genau auf Maß zugeschnitten. Die Sozia ist da zwar anderer Meinung, aber was soll es, Helmfunk um sich das Gezeter anzuhören hat auf einem Supersportler ja nix zu suchen. Und daß sie nun mal den Hartschalenrucksack mit der Fotoausrüstung tragen muß, trägt nicht unbedingt zum Wohlfühlen bei. Tja, so ist nun mal das Sozia-Leben: Hart aber ungerecht. Auf nordischen Landstraßen bietet die ZX-10R mehr (viel mehr), als man eigentlich benötigt. Die auf die Rennstrecke abgerichteten Bremsen und der hochgezüchtete Motor sind so gut wie immer unterfordert. Die Kraftentfaltung beim Beschleunigen reicht nicht nur um den vorrausfahrenden „Kuhkucker” hinter sich zu lassen, sondern man nimmt den „Baumzähler”, den „Zumtanzteefahrer” und Dieter, den Brummifahrer davor gleich noch mit: Geschwindigkeit und Stärke… Geil. Einziges Manko hier: Die doch recht starken Vibrationen in den Stummeln, die die Rechte mal richtig foltern, wenn man einhändig durch den nächsten Ort gondelt. Auf längeren Überlandfahrten sollte man regelmäßige Pausen einkalkulieren, um die kribbelnden Finger wieder zu beruhigen.
Also auf zum neuen Jagdrevier für die 10er: Das ADAC Fahrsicherheitszentrum in Lüneburg. Hier ist man ja schließlich inzwischen schon Stammkunde. Auf dem Serpentinenmodul zeigt sich eine andere Stärke der Maschine: Das schnelle Wechselspiel in Rechts- und Linkskurven. Die Fuhre läßt sich spielend leicht von einer Seite auf die andere wuchten, ganz so, als würde man das besagte Fahrrad fahren. Die gar nicht soooo kurze Gerade wirkt plötzlich vieeeel kürzer als gewohnt. Den ganzen Kurs durchpflügt man locker nur im zweiten Gang.
Kawasaki ZX-10R (Mod. 2008)Nun erklärt sich auch, warum auf dem Drehzahlmesser der grüne Bereich erst ab 6000 Touren beginnt: Darunter wirkt die Kawasaki eher zahm (ist wohl für den Straßenbetrieb bestimmt) und etwas schwach auf der Brust. Die kleine Schwester ist hier spritziger. Behält man den Zeiger aber im „Grünen”, läuft auf der Strecke alles FAST wie von selbst. Doch Obacht!!! Sehr schnell fühlt man sich auf diesem Spaßgerät viel zu sicher, und man meint, es gäbe keine physikalischen Grenzen. Die erste Warnung sollte man ernst nehmen. Dies war in unserem Fall ein Rutscher beim Beschleunigen aus der engsten Kurve. Nach kurzem Adrenalinschub und etwas Gezappel des Boliden verlief aber alles glatt… Puh! Wer die Warnung ignoriert, daß die Grenzen erreicht sind, bekommt dafür die Quittung später präsentiert: Enge Links auf dem Berg – zu schnell und zu tief – und schon weiß man, warum mancherorts Leitplanken montiert werden. So ein Sch…, aber selbst nach diesem Plastik-Blech-Kontakt läßt sich die 10er noch auf der Strecke halten und anschließend zur Begutachtung abstellen. Das kann auch einem Schreiberling mit ein wenig Fahrerfahrung passieren. Hier noch mal ein Dank an das Team Wahlers aus Lauenbrück, Tel. 04267/ 95470, die uns diese Maschine für den Test zur Verfügung stellten, für die recht unkomplizierte Abwicklung des Falles.
Die neue Kawasaki ZX-10R bietet alles, was man als sportlicher Fahrer braucht. Ob nun auf den Straßen unserer Gefilde, oder auf den ADAC- oder Rennstrecken unseres Breiten-grades. Und an Accessoires läßt es Kawasaki auch nicht mangeln: Höckerabdeckung, Hinterradabdeckung, schlankeres Blinker-Kennzeichenhalter-Kit, Sturzpads, Racingscheibe, Montageständer, Bikegarage, Uhr, Schlüsselanhänger, Jacke, Handschuhe usw.
Fehlt nur noch der Preis: 13.545 Euro, im Vergleich zu den Mitbewerbern dieser Klasse sehr akzeptabel und immer noch günstiger als die meisten.