aus bma 08/04

von Marcus Lacroix

Das Leben bei einer Motorradzeitschrift kann schon brutal hart sein. Immer wieder muss man sich ein neues Motorrad zum Probefahren aussuchen und wird damit dann auch noch für zwei Tage ins Weserbergland verbannt.

Kawasaki VN 2000Die Wahl fiel diesmal auf den Kawasaki Sumo-Cruiser VN 2000, denn die doppelseitige Werbung im April-bma hinterließ ihre Spuren. Stand da seinerzeit doch: „Die neue VN 2000. Größer ist besser. Der hubraumstärkste Serien-V-Twin überhaupt. Ein Monster mit gewaltigem Drehmoment und Pferdestärken. Eine Wucht mit souveränen Fahreigenschaften. Ein eindrucksvolles Flaggschiff in Design, Lack und Chrom. Kurz, eine Show auf Rädern.” Na, da hat die Kawa-PR-Abteilung aber wirklich heftig getrommelt, oder?!
Nun wollte aber erst einmal ein Kawasaki-Vertragshändler aufgetrieben werden, der die große VN als Vorführer zugelassen hat und uns diese dann auch noch anvertrauen mochte. Bei siebzehneinhalb Kiloeuronen kann man das wirklich nicht von jedem Händler erwarten. Böse-Bikes aus Martfeld (Tel. 04255/1502) gab schließlich grünes Licht. O-Ton Andy: „Natürlich haben wir die VN 2000 für Euch da, wir sind doch ein CCC!” Wir: „Ihr seid ein was?!” Andy: „Na ein Kawasaki Cruiser Competence Center. Einer von etwa 60 Kawa-Händlern bundesweit, der alle Kawa-Cruiser vor Ort hat und auch entsprechendes Zubehör anbietet und Customizing durchführt.” Wir plauderten noch über dieses und jenes und Andy gab uns den Tipp, vor dem Test doch noch etwas Bodybuilding zu betreiben – tolle Aussichten.

Ein Blick ins Datenblatt der VN 2000 verrät den Hintergrund des Tipps: Die „Show auf Rädern“ bringt trocken 371 Kilogramm in den Ring. Vollgetankt mit 21 Litern Super, Kennzeichen und etwas Getüdel haben wir es also locker mit 400 Kilogramm Motorrad zu tun, denen ein 176 cm kleiner 69 Kilogramm-Testfahrer gegenübertritt – wenn das nicht unfaire Vorbedingungen sind.
Ring frei zur ersten Runde. Das alte Motto „erstens kommt es schlimmer und zweitens als Du denkst” bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Die dicke VN lässt sich in der Ebene problemlos vom Seitenständer in die Senkrechte drücken. Zündung an, Schlüssel gleich wieder abziehen, damit die Aussicht über die Chromlandschaft nicht getrübt wird (ja, das geht hier) und nach sanftem Druck auf den E-Start-Knopf erwacht der „hubraumstärkste Serien-V-Twin” zum Leben. Yes Sir – that’s it!
Kawasaki VN 2000 Eigentlich könnten wir den Artikel hier beenden, bleiben bei Böse-Bikes auf dem Hof stehen, lassen uns von Stevens Bistro einen Kaffee kredenzen und spielen ein wenig am Gasgriff der Kawa. Das sanfte Pulsieren des Triebwerks reicht schon aus, um glücklich zu sein und der Sound geht für heutige Bedingungen in Ordnung. Damit man sich mal richtig vor Augen führen kann, was da massenmäßig im Inneren des Motors eigentlich passiert, nimmt man (z.B.) einen Aschenbecher mit 10,3 cm Durchmessern in die Hand und bewegt diesen Modell-Kolben 12,3 cm auf und ab. Soviel beträgt der Weg, den jeder Kolben bei einer Kurbelwellenumdrehung zurücklegt. Und diese bewegten Massen erzeugen Vibrationen – schön niederfrequente der angenehmen Art. Seine Spitzenleistung von 103 PS erreicht der Motor schon bei 4800 U/min. Bei 3200 U/min liegt ein Drehmoment von 177 Newtonmetern an. Boah ey!
Aber wir sind ja unterwegs, um einen Fahrbericht zu produzieren und so geht es in die zweite Runde. Mit deutlicher akustischer Rückmeldung rastet der erste Gang ein und sehr zivilisiert rollt die VN vom Hof. Was nun folgt, kommt einer Erleuchtung gleich. Schon nach wenigen Kilometern sind wir der Cruiser-Droge erlegen. Scheiß auf Knieschleifen in Kurven, Scheiß auf Autoschlangen, die eine sportliche Fahrt vereiteln und ständige Tempolimits und Scheiß auf einen Drehzahlmesser – wir (der VN folgt eine Harley FatBoy im Windschatten) cruisen unglaublich entspannt dem Weserbergland entgegen. Die Kawa fährt sich dabei beachtlich leicht und souverän. Ok, bei unserem Vollbremsungstest in einer Nebenstraße spürt man die über 470 kg Gesamtgewicht. Man muss schon recht kräftig in die Eisen greifen, um einigermaßen kurze Bremswege zu erzielen und bei echt beherztem Zugriff antworten die Reifen vorne wie hinten mit einem herzerweichendem Kreischen. Durch den breiten Lenker hat man die VN aber jederzeit sicher im Griff.
Im Weserbergland zeigen sich dann erste Schwächen am Cruiser-Konzept – zumindest wenn man, wie wir, meist sportliche Motorräder bewegt. Nach wenigen Kehren schrappen links wie rechts die Trittbretter über den Asphalt. Macht nichts, sagen wir uns, die VN 2000 hat ja extra austauschbare Schleifer um die massiven Trittbretter zu schonen und schon bald geht es darum, wer in einer Spitzkehre ein 180-Grad-KFS (=Konstantfahrschrappen) hinbekommt – toller Spaß und jeder guckt. Leider stellen wir abends fest, dass der verantwortliche Japaner im Werk in Akashi die Schrappschützer an der falschen Stelle angeschraubt hat. Sorry Christian Böse, das war nicht gewollt. Der Versuch, der Maschine durch einen sportlichen HangingOff-Style in Kurven etwas mehr Schräglagenfreiheit abzutrotzen, misslang übrigens, denn die bequeme Sitzmulde saugt einen quasi auf.
Scheinwerfer from outer SpaceWer nun glaubt, mit einem dicken V2 ließe sich alles im letzten Gang erledigen, sieht sich schnell enttäuscht. Das mag mit einem Reihenvierer gehen, ein moderner V2 mit diesen Eigenschaften ist uns aber noch nie begegnet. Beim engagierten Powercruisen (Klasse Wort, trifft den Nagel auf den Kopf) geht mit der VN 2000 alles im dritten Gang – von 50 bis 150 km/h! Bei Ampelduellen – tolle Show mit dem Trumm – wünscht man sich allerdings ein Automatikgetriebe, denn der Motor dreht zügig hoch und läuft einem aufgrund des fehlenden Drehzahlmessers rasend schnell in den Begrenzer. Ein schneller Schaltfuß ist gefordert, bei den recht langen Schaltwegen verliert man aber wichtige Zentimeter im Sprint. Ok, ok, liebe Leser, nicht aufregen, wir wissen selbst, dass dies nicht das Haupteinsatzgebiet der VN 2000 ist – Spaß macht’s trotzdem. Beim gemütlichen Cruisen geht ab 80 km/h alles im fünften und damit letzten Gang. Etwas Vorsicht ist in den niedrigeren Gängen bei nasser Straße gefordert. Abruptes Gasaufreißen zum Überholen kann schon mal zu einem durchdrehenden Hinterrad führen – aber keine Angst, das klingt schlimmer als es ist.
Der Schock kam dann an der Tankstelle. Wir erinnern uns: 470 kg Gesamtgewicht, zwei Liter Hubraum, zügiges Cruisen. Da hat sich die Kawasaki VN 2000 doch gerade mal lächerliche 5,27 Liter je 100 Kilometer reingezogen. Was nach einem Messfehler aussah, bestätigte sich beim zweiten Tankstopp: 5,12 Liter auf hundert. Weniger ist sicher möglich, denn unser Reiseschnitt war durchaus zufriedenstellend. Mehr geht mit Sicherheit auch, denn Kawasaki gibt als Vmax fette 203 km/h an. Das haben wir dann aber nicht überprüft – irgendwo hört’s dann doch auf. Bei 150 km/h liegt die VN auf jeden Fall noch absolut stabil und gut händelbar auf der Straße.
Kawasaki VN 2000Stellen wir uns an dieser Stelle doch mal die Frage, ob es zum Cruisen wirklich ein Zweiliter-Eimer sein muss. Natürlich macht ein 750er Cruiser auch Spaß. Manche Leute sind ja sogar mit einer 125er glücklich. Entgegen unserer Empfehlung im Fahrbericht der Triumph Thruxton, dass weniger mehr sein kann, gilt hier aber ganz klar: Bigger is better! Ok, für die VN 2000 muss man schon recht tief in die Tasche greifen. Dafür kauft man sich nicht nur den (wahrscheinlich vergänglichen) Ruhm, den größten Serien-V2 in der Garage zu parken. sondern vor allem einen erstklassigen Seelenmasseur, der jederzeit auf Knopfdruck zur Stelle ist.
Wir könnten jetzt noch auf ein paar technische Details eingehen, doch wirklich kaufbeeinflussend werden die im Fall der VN 2000 wohl nicht sein. Sie lebt in erster Linie von dem Fahrerlebnis, das sie ihrem Treiber beschert. Erwähnen sollten wir vielleicht den Zahnriemen, der sanft und lastwechselfrei die Kraft auf den angesichts der restlichen Maße recht schmal erscheinenden 200er Bridgestone BT 20 überträgt. Das Fahrwerk arbeitet erstaunlich komfortabel, ohne in Maximalschräglage ins Schaukeln zu kommen, der Soziusplatz ist auf einer BMW R 1150 RT besser, die Garantiezeit beträgt zwei Jahre und das Kawasaki KLEEN-System sorgt für eine Abgasreduzierung. Eine Ventilspieljustage ist dank Hydrostößel für alle Zeiten überflüssig und außer dem hier zu sehenden violett (je nach Lichteinfall ins grünliche driftend) ist keine andere Farbe ab Werk lieferbar.
Zu customizen (verändern, veredeln) gibt ja es immer irgendetwas. Das einzige, was uns bei der VN 2000 spontan einfiel, war eine Verlegung der Züge, Bremsleitung und Kabel ins Lenkerinnere, damit die grandiose Aussicht nicht unterbrochen wird. Und die Trittbretter könnte man gegen eine Rastenanlage tauschen, damit es etwas später schrappt und damit man die Beine cool dem Fahrtwind entgegenstrecken kann. Und außerdem könnte man ja noch…

PS: Richtig viele (Kawa-) Cruiser kann man vom 13. bis 15. August 2004 im Harz bestaunen. Dann trifft sich die Gemeinde zum dritten Mal in der Westernstadt Pullman City II bei Hasselfelde. Infos gibt’s unter www.kawasaki.de und bei Eurem Händler.