aus bma 12/00

Von Frank Schmiester

„Irgendwo, wo wir noch nicht waren” antwortete Alexandra auf meine Frage, wo wir wohl ihrer Meinung nach dieses Jahr unseren Urlaub verbringen sollten. Mit dieser Antwort hatte sie ihrer Meinung nach die Aussage „egal, nur nicht schon wieder in die Alpen” galant umschrieben. Andererseits kann man jedoch auch „irgendwo in den Alpen, wo wir noch nicht waren” hinein interpretieren. Und das tat ich dann auch.
Kärnten und FriaulEin Studium der Übersichtskarte „Alpen” bringt mich einer Lösung dieser Aufgabe nicht näher; Italien, Österreich, Schweiz, Frankreich – kennen wir alles schon. Erst als ich an einem verregneten Sonntagmorgen beim Zappen das Wetterpanorama der Bergstationen auf 3sat erwische, kommt mir die Erleuchtung: in ganz Österreich regnet’s, nur in Kärnten nicht! Ein Blick in die entsprechende Reiseliteratur verrät, was es in Kärnten außer Sonnenschein sonst noch so gibt: Wörther See, Nockalmstraße, Malta Hochalmstraße, Villacher Alpe, Dolinca Alm, Plöckenpass, Karnische Dolomitenstraße usw. Aber was das Schönste ist: direkt südlich an Kärnten grenzt das italienische Friaul mit seinen alten, teilweise unbefestigten Militärsträßchen quer durch die Berge! Herz, was willst du mehr…? Alexandra’s Begeisterung ist zwar nicht ganz so ausgeprägt, aber einen Gegenvorschlag hat auch sie nicht parat. Also auf nach Kärnten und in’s Friaul!
Zwar ohne Regen aber dennoch reichlich genervt verbringen wir unseren gesamten ersten Urlaubstag als Autobahnexpress. Es geht vorbei an München, Rosenheim und Bad Reichenhall, und abends quartieren wir uns in Zell am See ein, direkt an der Auffahrt zum Großglockner. Der abendliche Spaziergang am Seeufer, die hausgemachten Käsespätzle sowie die Aussicht auf die am nächsten Tag anstehende Fahrt auf den Großglockner lassen dann aber doch Urlaubsstimmung aufkommen. Getrübt wird diese jedoch von der Wetterprognose. Von Westen nähert sich ein umfangreiches Tiefdruckgebiet mit ergiebigen Regengüssen und deutlichem Temperaturrückgang, welches uns im Laufe des Vormittags bereits erreichen soll. Wir planen daher einen zeitigen Aufbruch um 9.00 Uhr am nächsten Morgen, um dem Wetter vorweg zu fahren.
Im selben Moment, als ich – exakt um 8.58 Uhr – auf den Starterknopf der BMW drücke, zerplatscht der erste, richtig dicke Regentropfen auf meiner Tachoscheibe. Innerhalb von Sekunden entwickelt sich ein Wolkenbruch, noch bevor wir vom Hof unserer Unterkunft rollen. Also wieder runter von den Mopeds und in die Regenkombis. Auf den Großglockner brauchen wir bei dem Wetter nicht mehr hinauf, das wäre eher eine Tortur als ein Vergnügen. Lieber durchfahren wir den Felbertauerntunnel Richtung Lienz. Der sonst unattraktive Tunnel verspricht bei diesem Sauwetter zumindest 14 km trockene Fahrt, so dass wir zähneknirschend auch die umgerechnet 15,- DM Tunnelmaut zahlen.

 

Kärnten und FriaulEntgegen meinen Hoffnungen regnet es aber auch am Tunnelausgang mindestens noch genauso heftig wie am Eingang. Leider bleibt es noch den ganzen Tag so. Highlights wie die Windischer Höhe, der Gailberg Sattel oder das Gebiet rund um den Weißensee, die zur Einstimmung und Gewöhnung an die folgenden Strecken dienen sollten, werden zwar abgespult, machen aber keinen Spaß. Da Pausen und Fotostops nicht eingelegt werden, haben wir am frühen Nachmittag bereits relativ viele Kilometer zurückgelegt. Und so schlagen wir noch zeitig am Tag in Millstatt unser Nachtquartier auf, wo wir zunächst unsere Stiefel und Handschuhe trocken legen. Für den kommenden Tag kann die Wetterfee leider noch keine Besserung versprechen, nur eventuell – mit etwas Glück – in Kärnten…
Am nächsten Morgen scheint dann tatsächlich die Sonne und erwartungsvoll kurven wir mit noch nassen und also kalten Stiefeln und Handschuhen am Ufer des Millstätter Sees entlang über Gmünd zur Malta Hochalmstraße. Doch schon von weitem erkennt man die grauen Wolken, die in der Schlucht hängen, durch die sich die Malta Hochalmstraße hinauf windet. Der Gegenwind drückt erste Regentropfen auf das Helmvisier, aber da sich kein Guss wie am Vortag entwickelt, entrichten wir unseren Wegezoll und erhalten dafür neben einem Ticket einen gelben Zettel, auf dem „Schlecht-Wetter-Garantie” zu lesen ist. Na, das kann ja was werden, wenn das schlechte Wetter gleich garantiert wird…
Jedenfalls führt die unangenehme Witterung dazu, dass wir die Strecke nahezu für uns alleine haben und auch oben niemanden antreffen, was dann doch wieder für einen gewissen Reiz sorgt. Da es oben schneit und auch an den Straßenrändern etwas Schnee liegt, kommen wir uns fast wie Expeditionsteilnehmer vor, die sich mit ihren Motorrädern durch eine unwirtliche Gegend abseits der Zivilisation kämpfen. Aber bereits nach 20 Kilometern Rückfahrt hat uns am Mauthäuschen die Zivilisation wieder.
Kärnten und FriaulTrotzdem, die Malta Hochalmstraße hat uns bei dieser Witterung so beeindruckt, dass wir uns auch die Nockalmstraße nicht entgehen lassen wollen. Und so fahren wir bis Innerkrems, wo die Nockalmstraße abzweigt. Am Mauthäuschen ermahnt uns der Kassierer: „Fahrt’s vorsichtig, ’s könnt glatt sei droba.” Wir geloben vorsichtig zu sein, und als ich an einer Leitplanke zentimeterlange Eiszapfen entdecke, sind wir’s auch tatsächlich. Die Aufmerksamkeit, die der Straßenzustand verlangt, die tiefen Wolken und die eisige Kälte sorgen jedenfalls dafür, dass wir das die Nockalmstraße umgebende Nockgebirge gar nicht wahrnehmen. Erst als wir am folgenden Tag zwar bei Kälte aber blauem Himmel über Thomatal, Kaltwasser und Glödnitz durch das Nockgebirge fahren, erkennen wir die zum Teil noch schneebedeckten „Nocken”, die für den Namen dieser Region in den Gurktaler Alpen verantwortlich sind.
Mit jedem gefahrenen Kilometer Richtung Villach steigt schließlich auch die Temperatur, und das sonnenreichste Bundesland Österreichs macht seinem Ruf doch noch alle Ehre. Am Ossiacher See genießen wir mittags die warmen Sonnenstrahlen und den blauen Himmel. Nachmittags geht’s dann hinauf zur Gerlitzer Alm und anschließend zur Villacher Alpe bei Villach. Auf dem Weg liegen insgesamt elf Aussichtspunkte, die jeweils unterschiedliche Einblicke in die umliegende Bergwelt gewähren. Vom Endpunkt der Mautstrasse schließlich hat man eine vollkommene Rundsicht auf das Massiv der Julischen und Karnischen Alpen im Dreiländereck von Slowenien, Österreich und Italien.
Nach einem ersten Abstecher auf Schotter und der Durchquerung einer kleinen Furt auf dem Weg zur Dolinca Alm kehren wir Kärnten zunächst den Rücken und reisen über den Naßfeldpass ins italienische Friaul ein. In Pontebba biegen wir aber gleich wieder nach rechts auf die „Torrente Pontebba” ab und fahren parallel zur Staatsgrenze über Paularo nach Paluzza am Plöckenpass, auf dessen Scheitelhöhe wiederum die Staatsgrenze zu Österreich verläuft.
Direkt hinter dem Plöckenpass auf der österreichischen Seite liegt der Ort Kötschach-Mauthen, wo es gleich zwei Motorrad-Unterkünfte gibt, deren Bekanntheitsgrad sich bis in die norddeutsche Tiefebene hinein erstreckt: der Lamprecht Hof und der Gailberger Hof. Weil sich der Tag ohnehin bald seinem Ende neigen wird, beschließen wir, den Plöckenpass zu überqueren und in einer dieser beiden Pensionen unser Nachtquartier aufzuschlagen. Da beide Häuser in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, nehmen wir sie zunächst erst einmal beide in Augenschein. Die Entscheidung, welcher der beiden Unterkünfte wir den Zuschlag geben sollen, fällt schwer. Schließlich bleiben wir aber doch bei Mona und Martin Thurner im Lamprechtshof.
Kärnten und FriaulDer abendliche Blick auf die Generalkarte offenbart die strategisch nicht ungünstige Lage von Kötschach-Mauthen. So liegt der Großglockner im Norden, die Karnische Dolomitenstraße im Westen und im Süden jenseits des Plöckenpasses liegen auf italienischer Seite der Monte Zoncolan und die „Panoramica delle Vette” – alles im Bereich von Tagesausflügen. Dies und das bestechend gute Wetter am folgenden Morgen geben den Ausschlag, unseren Aufenthalt im Lamprechtshof in Kötschach-Mauthen auf drei Übernachtungen auszudehnen und von dort aus Rundfahrten ohne Gepäck zu unternehmen.
Als erstes kommt die altbekannte Großglockner Hochalpenstraße unter die Räder. Die Mautgebühr von umgerechnet 33,- DM lässt einen zwar unwillkürlich zusammenzucken, aber schön ist es denn doch wieder und man gönnt sich ja auch sonst nicht so viel…
Im Gegensatz zum Großglockner ist die Karnische Dolomitenstraße kostenfrei zu befahren, dafür sind die landschaftlichen Eindrücke nicht ganz so überwältigend. Gefallen hat uns die Tour mit ihrer verwinkelte Streckenführung dennoch sehr gut.
Am dritten Tag nehmen wir den Monte Zoncolan in Angriff. An seiner Ostseite führt ein kleines, asphaltiertes Sträßchen zu einem Skilift hinauf. Hat man den Großparkplatz am Lift erreicht, ist’s mit dem Ausbau vorbei; der Weg führt als Schotterstraße in engen Kehren an der Westseite wieder hinab. Doch auch mit unseren Reise-Enduros ist diese Strecke problemlos zu bewältigen. Lediglich in den Tunnels ist Vorsicht angebracht, da sie alle Gefälle und Naturbelag aufweisen und nicht immer gerade dafür aber immer unbeleuchtet und rutschig sind.
Zwischen Ravascletto und Tualis zweigen wir später auf die Ringstraße „Panoramica delle Vette” ab. Auch hierbei handelt es sich um ein problemlos zu befahrendes Natursträßchen mit Schotter, das üblicherweise einen Panoramablick in die umliegende Bergwelt ermöglicht. Als wir jedoch oben ankommen, fahren wir unmittelbar in eine am Gipfel hängende Wolkendecke hinein – ist nichts mehr mit Panorama. Im Nebel wirkt die Landschaft aber dafür um so mystischer.
Unsere Entdeckungsreise im Friaul führt uns weiter über Prato im Val Pesarina zum Forcella Lavardet. Bei Vigo di Cadore schlagen wir einen Haken, um über den Passo di Mauria und den Passo di Pura zum idyllisch gelegenen Lago di Sauris zu gelangen. Dort findet gerade eine Motocross-Veranstaltung statt, und weil der Wettbewerb auf zwei voneinander getrennten Geländeabschnitten erfolgt, wird kurzerhand auch das die Wettbewerbsbereiche verbindende, etwa fünf Kilometer lange Stück öffentliche Straße in den Wettbewerb mit einbezogen. Natürlich – typisch italienisch – ohne Sperrung oder Absicherung. Sehr wohl fühlen wir uns nicht, als uns urplötzlich die Meute unter Ausnutzung der Ideallinie entgegenkommt.
Über den Forcella di Monte Rest und vorbei am Lago di Tramonti erreichen wir Maniago. Eigentlich ist hier der Scheitelpunkt unserer Reise und geplant war nun ein Schwenk nach Nordwesten, um über die Dolomiten wieder gen Heimat zu fahren. Da wir aber recht gut in der Zeit liegen und der Teutonengrill an der italienischen Adria nur gut hundert Kilometer von Maniago entfernt liegt, beschließen wir, Urlaub vom Urlaub zu machen und die Motorräder in Bibione an der Adria abzustellen.
Nach drei Tagen Jubel, Trubel, Pizza und Strandleben sind wir wieder mehr als bereit für weitere Motorradkilometer und steuern daher in Richtung Barcis die Celina-Schlucht an. Früher führte die SS 251 direkt durch die Schlucht. Seit Eröffnung des Monte Fara Tunnels ist die Strecke durch die Celina-Schlucht aber Nebenstrecke und verspricht daher ein verkehrsarmes, landschaftliches Erlebnis zu werden. Im Reiseführer ist zwar zu lesen, dass die Strecke durch die Schlucht seit Öffnung des Tunnels nicht mehr Instand gehalten wird und deshalb auch ein Verbotsschid die Durchfahrt verbiete. Aber dieses Verbot könne getrost ignoriert werden, was die Einheimischen auch täten. Dass sie das wirklich tun, halte ich für fraglich, denn ein massives, verschlossenes Metalltor verhindert die Einfahrt in die Schlucht. Ohne passenden Schlüssel läuft hier nichts. Da sich die Schlucht damit also doch als unpassierbar erweist, bleibt uns nur der langweilige Tunnel.
Wir setzen unsere Fahrt fort, vorbei am malerischen Lago del Vaiont und über den Forcella Staulanca sowie den Colle Santa Lucia, wo wir wenig später doch noch unser Schlucht-Erlebnis haben sollen. Kurz hinter Rocca Pietore zweigt rechts nämlich die „Serrai di Sottogude” (Sottoguda Schlucht) ab. Und die hält, was der Reiseführer von der Celina-Schlucht versprochen hat: abseits der Hauptstraße gelegen, mit spektakulär senkrecht aufsteigenden Felswänden, die sich an der engsten Stelle nur wenige Meter voneinander entfernt gegenüber liegen. Als besonderer Leckerbissen erweist sich auch die den Durchgangsverkehr aufnehmende Hauptroute SS 641, die von einer Brücke eindrucksvolle Einblicke in die Schlucht und auf die in der Schlucht verlaufende Straße bietet.
Über Canazei kommen wir schließlich zum „Grande Giro delle Dolomiti”, wo wir natürlich auch eine Ehrenrunde über die Dolomitenklassiker Sella, Gördner, Campolongo, Falzarego und Valparola einlegen. Teilweise wie graue Haifischzähne in grünem Zahnfleisch wirken die beeindruckend bleichen Felsformationen der Dolomiten, die sich auch im direkten Vergleich mit den Sträßchen im Friaul wieder als Traumlandschaft für jeden Motorradreisenden erweisen. So eindrucksvoll präsentiert sich die Bergwelt und so kurvenreich sind die Straßen. Über das abgelegene Würzjoch fahren wir weiter nach Brixen und Sterzing, wo links die Strecke über den Jaufenpass und das Timmelsjoch in das Oetztal abzweigt. Mit fantastischem Blick auf das Inntal passieren wir schließlich die Zugspitze und gelangen über Mittenwald nach Bad Wiessee am Tegernsee, wo wir unsere letzte Übernachtung vor dem folgenden 900 km-Autobahnritt nach Hause einlegen.
Mit dieser Tour durch Kärnten und ins Friaul hat sich schließlich ein im Südosten der Alpen noch existierender kleiner, weisser Fleck auf meiner Alpenkarte mit Farbe gefüllt. Aber nächstes Jahr fahren wir an’s Mittelmeer nach Sardinien. Das hat mir Alexandra bereits klar und deutlich gesagt…