aus Kradblatt 11/20 von Konstantin Winkler

Oldtimer aus der ehem. Tschecheslowakai

Jawa 354 - man beachte den verkleideten Vergaser
Jawa 354 – man beachte den verkleideten Vergaser

Wir blicken in die Tschechoslowakei der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Prager Waffenfabrik Janeček hielt Ausschau nach einem neuen Produkt, um seine Wirtschaftslage zu verbessern. Da die Motorradindustrie boomte und fast 90 % importiert wurden, erwarb man 1929 die Lizenz zum Bau einer 500er Wanderer. Da das Chemnitzer Unternehmen die Motorradproduktion einstellte, wurden die Fertigungsanlagen demontiert und in Prag wieder aufgebaut. Aus den Namen Janeček und Wanderer entstand so der Firmenname Jawa. Eine neue Marke war geboren! 

Jawa 354 Bj. 1957 Kickstarter
Ein dezenter Tritt … und aus dem Schalthebel wird der Kickstarter!

Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges reichte die Modellpalette vom kleinen Zweitakter bis zum großvolumigen Viertakter mit Königswelle. Während des Krieges durfte Jawa unter den deutschen Besatzern keine eigenen Motorräder bauen. Aber nach 1945 startete man in Prag durch. In den 1950er Jahren hatte Jawa einen Siegeszug angetreten. Nicht nur in den sozialistischen Bruderländern, sondern weltweit. Ende der 1950er Jahre waren die Maschinen nicht nur in der Tschechoslowakei gefragt, sondern auch in der DDR. Dort war sie das schnellste Motorrad, das es zu kaufen gab und hatte den Status eines Superbikes

Jawa 354 Bj. 1957 - Formensprache der 1950er Jahre
Formensprache der 1950er Jahre

Die 350er Jawa kann man als einen Meilenstein der Motorradgeschichte bezeichnen. Ein solch schöner Motor-Getriebe-Block nebst verkleidetem Vergaser und das gut gefederte Fahrwerk waren seinerzeit im internationalen Motorradbau etwas Besonderes. Es gab kaum vergleichbar sportliche Modelle in dieser Hubraumklasse mit solch modernen Zutaten.

1953 verabschiedete man sich von der Geradewegfederung an der Hinterachse. Dort tat nun eine Schwinge mit ölgedämpften Federbeinen ihren Dienst. Zusammen mit der ebenfalls ölgedämpften Teleskopgabel ergaben sich recht weiche Federwege, was dem neuen Modell bald den Namen „Kývačka“, zu Deutsch „Schaukel“ einbrachte. Das Fahrwerk mit dem geschweißten Stahlblech-Vierkant-Rahmen kann man als handlich und sportlich bezeichnen. Die kleinen 3,25–16 -Reifen vorne und hinten sorgen für eine tiefe Sitzposition.

Jawa 354 Bj. 1957

Im Blockmotor befinden sich auch das Vierganggetriebe und die Kupplung. Da­rüber – gut gekapselt – der Vergaser. Die formschöne Vergaser-Verkleidung schützt nicht nur vor Schmutz, sondern durch ein in ihr enthaltenes Vorkammersystem wird auch die Luft gelenkt und der Staub gezwungen, sich abzulagern.

Der luftgekühlte Zweizylinder-Zweitakter mit Umkehrspülung ist ein Langhuber (Bohrung x Hub 58 x 65 mm) und leistet 16 PS bei 4.750 Umdrehungen pro Minute. 

Die Jawa lässt sich problemlos wie ein modernes Motorrad fahren, wenn die altertümliche Startprozedur, bestehend aus Vergaser fluten und anderen heutzutage unnötigen Dingen, gemeistert ist. Butterweich rasten die Gänge ein und beschleunigen das nur 145 Kilogramm schwere Bike auf maximal 125 km/h. Beim Schalten muss man nur achtsam sein. Der erste Gang liegt oben und folglich muss man zum Hochschalten „runterschalten“. Der Fußschalthebel ist gleichzeitig der Kickstarter. Drückt man den Hebel ans Motorgehäuse, wandert er um 45 Grad nach oben. Genial!

Jawa 354 macht auch als Gespann eine gute Figur
Die Jawa 354 macht auch als Gespann eine gute Figur

Das Fahrverhalten kann man in allen Geschwindigkeitsbereichen als komfortabel und gut bezeichnen. Und das Bremsen klappt sogar ohne Schweißperlen auf der Stirn – Vollnaben-Trommelbremsen mit 160 mm Durchmesser und 35 mm Backenbreite sei Dank! Das reicht selbst in den Bergen und mit Beiwagen für ordentliche Verzögerungswerte.

Die Jawa hat mit 13 Litern einen ausreichend großen Tank, auch der Verbrauch ist mit 3,5 Litern gering. Da kann es höchstens mal passieren, dass man vor lauter Fahrfreude das Tanken vergisst. Auf keinen Fall sollte man beim Tanken vergessen, Öl im Mischungsverhältnis 1:33 beizumengen, sonst gibt es bald hässliche Geräusche.

Die große Sitzbank sorgt dafür, dass man die Jawa bequem chauffieren kann. Und zuverlässig natürlich auch. In den beiden Kästen unter der Sitzbank ist genügend Platz für die Batterie und das Bordwerkzeug, das erfahrungsgemäß selten gebraucht wird. Robustheit und Zuverlässigkeit waren im osteuropäischen Motorradbau stets wichtige Kriterien. So ist der Kette zum Hinterrad in aller Regel ein langes Leben beschieden, denn sie läuft in einem geschlossenen Kettenkasten.

Vorgängermodell mit Geradewegfederung – Enthusiast Jürgen Hückstedt
Jürgen Hückstedt mit dem Vorgängermodell

Harley-Feeling beim Blick auf den Tank: dort befinden sich mittig Zündschloss und Amperemeter. Ungewöhnlich und – bildhübsch oder potthässlich, je nach Auge des Betrachters – ist die Position des Frontscheinwerfers. Er ist im oberen Teil der Telegabel verkleidet eingebaut. 

Die Jawa-Zweitakter mit Hubräumen zwischen 125 und 350 Kubik bildeten einen festen Bestandteil auf dem europäischen Motorradmarkt. Dazu trugen auch Rennsiege der Gespanne, Gesamtsiege bei den Sechs-Tage-Fahrten und sogar Grand-Prix-Siege bei der Motorrad-Weltmeisterschaft bei.

An Faszination hat die „Schaukel“ auch bis heute nichts verloren. Die tschechoslowakische Firma zählt zu den großen Motorrad-Marken. Und das nicht nur im Osten.

Die Marke Jawa gibt es übrigens immer noch. Der indische Konzern Mahindra produziert unter dem Namen Motorräder für den indischen und asiatischen Raum. Tschechische Jawa Motorräder für den europäischen Raum von der Firma JAWA Moto spol s r. o. gibt es mit 350 ccm (Honda Lizenz aus China) und 660 ccm  (Minarelli/Yamaha) Motoren.