aus bma 4/01
von Michael Schories
Wie kommste denn Ende September mit deiner Karre nach Island, hää?” Mit dieser Frage meines Kumpels habe ich nun gerade nicht gerechnet. Fährt denn vom dänischen Esbjerg nicht mehr die Fähre via Faröer nach Island? Ach Du Scheiße – ich habe mal wieder das Kleingedruckte nicht gelesen. Die Fähre fährt nur exakt bis Ende September, danach wegen der Gefahr von Eis- gang oder mangelndem Touristeninteresse nicht mehr. Also Anruf bei der isländischen Handelsvertretung in Hamburg. Ja, es gibt noch eine andere Möglichkeit, mit Motorrad nach Island zu gelangen – und zwar indem man das Mopped per Containerschiff vorschickt und später nachfliegt. Na, das machen wir doch!
Eine Woche darauf bringe ich meine dicke Zephyr zum Hamburger Hafen, um sechs Tage später mit Icelandair hinterher zu fliegen.
Huii…verdammt kalt hier in Keplavik, dem einzigen internationalen Flughafen auf der Insel. Per Shuttle-Bus erreiche ich 45 Minuten später Reykjavik und mache mich von der Jugendherberge aus zu Fuß auf den Weg zum Hafen. Und da steht sie tatsächlich – meine geliebte Ziffie. Und nachdem ich noch einen Zollaufkleber auf den Tankrucksack bekommen habe, geht es endlich los. Zuerst einmal zur nächsten Bank, da meine ersten getauschten 100 DM schon für zwei Nächte Jugendherberge und ein paar Lebensmittel aufgebraucht sind. Tja, teures Pflaster hier. Dafür lerne ich hier meine erste Isländerin kennen. Sie heißt zwar nicht Björk, fährt aber Motorrad und ist Mitglied im isländischen Motorradclub Sniglar, was so viel wie Schnecke bedeutet aber kein Frauenmotorradclub sondern unisex ist. Und prompt lädt sie mich ein, heute abend im Clubheim der Schnecken vorbei zu schauen. Na, das mach ich doch gerne.
So gegen 20 Uhr treffe ich in einem Gewerbegebiet zwischen Autohändlern und Klempnerläden wirk- lich auf ein paar Dutzend Motorräder. Anders als erwartet handelt es sich fast komplett um Chopper, Naked Bikes und Klassiker – keine Enduro weit und breit. Und ich dachte, Island kann man mit einer normalen Straßenkarre gar nicht bereisen? Bei der gemeinsamen Ausfahrt mit Bjössie, Gunnar und Co. werde ich plötzlich von ein paar mit Kugelschreiber und Notizblock bewaffneten Teenagern bedrängt. Da ich mich erinnere, nicht Robbin Williams zu sein, kann ich mir die Aufregung um mein Autogramm nicht so ganz erklären. Von einem der isländischen Biker wird mir dann diese Zeremonie erklärt: Junge Motorradfahrer, die Mitglied bei Sniglar werden wollen, müssen eine bestimmte Anzahl an Unterschriften anderer Motorradfahrer sammeln, die bestätigen, dass der Eintrittswillige wirklich auch Motorrad fährt. Erst dann wird sein Antrag angenommen. Das ist ja mal ein netter Weg….
Am nächsten Tag will ich dann endlich meinen ersten Gletscher sehen. Es geht Richtung Norden nach Stykkisholmur. Da die Straßen in diesem Landesteil fast immer geteert sind, erreiche ich den Ort und die dortige Jugendherberge schon gegen Mittag. Die Jugendherberge ist offen, aber völlig leer. Lediglich ein Pappschild sagt mir sinngemäß: Wenn Du ein Zimmer brauchst, nimm Dir eins und ich komme später vorbei. Unterschrift: Der Herbergsvater. Vertrauen pur!
Also lasse ich meinen Gepäckberg in einem Zimmer liegen und mache mich unbepackt auf den Weg zum Snäfellsjökull, einem wirklich spektakulärem Gletscher an der Westküste. Und endlich habe ich auch keine befestigten Straßen mehr vor mir. Die Schotterpisten sind aber auch mit völlig normalen Motorrädern locker zu schaffen und mit etwas (Über-)mut sind sogar um die 70 km/h als Reisegeschwindigkeit drin. Zwischendurch lasse ich dann das Mopped auch mal stehen und wandere auf dem Gletscher, wobei ich natürlich die Warnung des Icelandic tourist boards beachte und nicht in eine Gletscherspalte falle.
Bei der Rückkehr zur Jugendherberge bemerke ich, dass ich heute doch nicht der einzige Gast bin. Eine Schweizer Studentin hat sich in einem weiteren Zimmer breit gemacht. Bei der abendlichen Tütensuppe leeren wir noch gemeinsam ein paar meiner mitgebrachten Jever-Büchsen und philosophieren über Island und den Rest der Welt…
Als am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr eine mit Riesenrucksack bewaffnete Schweizerin neben meiner Zephyr steht, erinnere ich mich, dass ich am Vorabend mehr versprochen habe, als die mögliche Zuladung des Motorrads erlaubt. Trotzdem schaffen wir es in den nächsten zwei Tagen mit durchschlagenden Federbeinen über Saeberg bis Lonkot im Norden zu kommen. Auf dem Weg dorthin bemerken wir immer wieder, was es bedeutet, „die Erde lebt” zu sagen. Links und rechts der Straße dampft und zischt es; Rauchfontänen, Wasserfälle, heiße Quellen, erstarrtes Lavagestein und und und… Da ich für diese Reise nur Tagesetappen von jeweils 200-300 Kilometern geplant habe, bleibt genügend Zeit für Stopps und kurze Wanderungen. Das ist anhand der überragenden Naturschauspiele auch wirklich nötig. Angenehm ist es auch, die Straßen absolut für sich allein zu haben. Pro Tag nur vier Fahrzeuge zu treffen, ist völlig normal.
Besonders schön geht der Tag zu Ende, wenn die Jugendherberge auch noch über einen hot pot, also eine eigene heiße Quelle verfügt. Nachdem man sich erstmal an den schwefligen Geruch des Wassers gewöhnt hat, ist es unbeschreiblich erholsam, bei Außentemperaturen kurz über null Grad in dem mehr als 30 Grad warmen Naturpool zu liegen. Einen hot pot hat die Jugendherberge in Fosshol zwar nicht zu bieten, dafür hat man von seinem Zimmer aus einen direkten Ausblick auf den Godafoss, einen der schönsten Wasserfälle in Island. Und wenn man Glück hat, sieht man sogar einen verrückten Isländer, der mit dem Kajak den Fall hinunterstürzt. Tja, komische Sportarten kennt man hier….
Völlig menschenleer ist es dann am Myvatn, dem Mückensee. Wenn nicht hin und wieder ein Vogel den Blick ablenken würde, könnte man die Szenerie mit dem ruhigen Wasser und den vielen Skulpturen aus erkalteter Lava für eine Postkarte halten.
Um am nächsten Tag zum Dettifoss zu gelangen, muss ich die Ringstraße verlassen und komme nur mit circa 20 km/h auf einer holprigen Knüppelpiste voran. Der Blick über Europas mächtigsten Wasserfall entschädigt dann vollauf für die strapazenreiche Anreise. Durch das viele aufgewirbelte Wasser sieht man aus fast jeder Perspektive wunderschöne Regenbögen. Zurück auf der Ringstraße liegen 80 Kilometer Einöde vor mir. Und – es geht die gesamte Distanz scheinbar nur geradeaus. Da der Schotterbelag hier aber gut festgefahren ist, kann ich die Strecke schnell hinter mich bringen.
In Seydisfjördur, dem Fährhafen an der Ostküste ist jetzt im Herbst alles wie ausgestorben. Im Hafen dümpeln einige Fischerboote vor sich hin und in der Jugendherberge bin ich der einzige Gast. Trotz des strengen Geruchs der benachbarten Fischkonservenfabrik, beschließe ich, zwei Nächte hier zu bleiben. Bei den Wanderungen durch die Umgebung fallen mir immer wieder verlassene Höfe und Bauernhäuser auf, da es junge Isländer fast immer in die größeren Städte an der Westküste zieht. Um so erstaunlicher ist es da, mit wieviel Engagement die Leiterin der Jugendherberge die Chronik des Ortes und des Umlandes führt.
Soweit es möglich ist, fahre ich am nächsten Tag immer parallel zur Küste bis Höfn, weiter südlich. Auch hier bleibe ich für zwei Nächte, um einen Tagesausflug zum Vatnajökull – einem riesigen Gletscher – zu unternehmen. Die Ausläufer des eisigen Brockens reichen zum Teil bis auf wenige Zentimeter an die Straße heran. An einer Stelle hat das Schmelzwasser des Gletschers einen See gebildet, in dem dutzende gigantische Eisblöcke schwimmen. Als ich gerade dieses Schauspiel genieße, erscheint plötzlich ein geländegängiger Reisebus und spuckt fast 50 deutsche Touristen aus. Mit der Ruhe ist es von nun an vorbei und als auch noch mein Motorrad von Hobbyfotografen umringt wird, fliehe ich. Ich bin doch hier nicht am Ballermann….
Mein Entdeckerdrang wird hin und wieder gebremst, weil einige Nebenstrecken von Gletscherschmelzwasser überflutet sind, was dann doch die Grenzen einer normalen Straßenmaschine aufzeigt. Dann heißt es nur: Umkehren und einen Alternativweg suchen. Wenn man alle Zeit dieser Welt hat, kein Problem. Aber selbst am befahrbaren Teil Islands kann man sich kaum satt sehen. Und hin und wieder steht man dann auch mal vor einer Herde frei-grasender Isländer – also den gedrungenen, wetterfesten Pferden, die auch in Deutschland viele Freunde haben. Obwohl Fahrzeuge hier sehr selten sind, kommen die freundlichen Einhufer meist sehr vertrauensvoll angetrabt…. und schnuppern an der Zephyr und meiner Regenkombi. Diese trage ich mittlerweile täglich, um den Temperaturen zu trotzen. Regen gibt es bis jetzt noch keinen.
Irgendwann unterwegs glaube ich mal wieder meinen Augen nicht trauen zu können. In der tiefsten Einsamkeit steht plötzlich ein Tramper am Straßenrand. Natürlich halte ich (wer weiß, ob heute überhaupt noch ein weiteres Fahrzeug kommt…), und wir stapeln sein und mein Gepäck übereinander. Die nächsten 150 Kilometer dürfte das zulässige Gesamt- gewicht wohl um 80 Kilo überschritten sein… aber das kennt die Zephyr ja schon. Im nächsten Ort setze ich meinen dänischen Mitfahrer wunschgemäß ab und fahre noch zwei Kilometer bis zu meiner Jugendherberge in Reynisbrekka. Dort bin ich mal wieder einziger Gast und nutze deshalb die Lautstärke der herbergseigenen Stereoanlage voll aus, während ich meine Linsensuppe mit Rauchspeck (Aldi) anrühre.
Am nächsten Tag (nachdem ich meinen Übernachtungs-Obolus in einer Zigarrenschachtel deponiert habe) bekomme ich den von hunderten Island-Reiseberichten aus Zeitschriften und Fernsehen bekannten großen Geysier zu Gesicht… und bin nach den vorher gesehenen Attraktionen nur wenig begeistert. Alles ist halt relativ. Außerdem ist hier, mit etwa 20 Touristen, ein richtiger Massenauflauf für isländische Verhältnisse – zumindest zu dieser Jahreszeit. Und plötzlich bemerke ich, dass mein Urlaub zu Ende geht. Ich bin schon wieder kurz vor Reykjavik und mein Flugticket mahnt baldige Rückkehr an.
In der Jugendherberge in der Hauptstadt sind nur noch zehn Gäste, davon vier, die ich irgendwann während der Reise kennengelernt habe. Da wir alle gemeinsam von Island Abschied nehmen wollen, starten wir eine gemeinsame Runde ins Reykjaviker Zentrum. Da ich schon für meine ersten beiden DAB-Pilsener im Hardrockcafe etwa 25 DM bezahlen muss, endet der Abend früher als gedacht bei einer gemeinsamen, am Flughafen gekauften Flasche Glenfiddich im JH-Zimmer.
Aber nicht erst nach dem vierten Scotch sind wir uns einig: Island ist einfach immer wieder eine Reise wert!
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